Digital Natives

Seit einigen Jahren wird von verschiedenen Autoren das Konzept der Digital Natives erforscht und hinsichtlich seiner Auswirkungen diskutiert.

Der Urheber des Begriffes Digital Natives ist der Pädagoge und Manager Prensky, der im Jahr 2001 in der Zeitschrift "On The Horizon" den Artikel "Digital Natives, Digital Immigrants" schrieb. Als Digital Natives bezeichnet er Personen, die nach 1980 geboren sind, von Kindesbeinen an Zugang zu digitalen Netzwerk-Technologien haben und die entsprechende Kompetenz im Umgang mit digitalen Medien mit bringen.

Diejenigen, die den Umgang mit neuen Medien erst als Erwachsene erlernt haben, werden als Digital Immigrants bezeichnet. Die digitalen Eingeborenen bewegten sich mühelos und kompetent wie Muttersprachler in einer digitalen Welt der Computer, Videospiele und Internettechnologien. Die digitalen Einwanderer hingegen sind ohne Computer und Internet aufgewachsen, haben daher zeitlebens im Umgang mit den digitalen Technologien Anpassungsschwierigkeiten und agieren weniger kompetent.

Besonders fähig oder besonders dumm?

Die Kernthese des Konzepts der Digital Natives ist, dass die derzeit aufwachsenden Kinder und Jugendlichen ein ähnliches Mediennutzungsverhalten aufweisen, das sich grundlegend von dem der Generationen vor ihnen unterscheidet. Da sie in einer Zeit aufwachsen, die von einer weiten Verbreitung und Nutzung von digitalen Technologien gekennzeichnet ist, gehen sie mit einer Selbstverständlichkeit mit digitalen Technologien um. Diese Sichtweise wird durch neurobiologische Erkenntnisse gestützt, die zeigen, dass Kinder und Jugendliche heute Informationen komplett anders verarbeiten und sich ihr Gehirn auch physisch verändert hat.

Einige Autoren beschreiben die Digital Natives als euphorisch und mit besonderen Fähigkeiten ausgestattet. Diese positive Sichtweise wird aber nicht von allen Autoren geteilt. Die digitalisierte Jugend wird von anderen kritisch als "The Dumbest Generation" bezeichnet und deren Sprachgebrauch im Internet kritisiert.

Verändertes Kommunikationsverhalten - privat und in der Arbeitswelt

Das veränderte Kommunikationsverhalten zeigt sich nicht nur im privaten Bereich, sondern auch im Berufsleben. Bei den Digital Natives gibt es neben den Jugendlichen und Schülern die etwas Älteren, die bereits in die Arbeitswelt eingetreten sind.

Digital Natives haben häufig eine anywhere-everywhere Arbeitspraxis. Irgendein Anschluss zum Internet, zum Beispiel in einem Coffee Shop, und ein Digital Native kann sein Büro jederzeit aufbauen. Dieses Verhalten wird als "continuous partial attention" bezeichnet.

Die sehr stark individuelle und selbstbestimmte Arbeitsweise hat den Vorteil, dass die eigenen Ressourcen optimal eingesetzt werden können, und entspricht dem aktuellen und anhaltenden Trend der Gesellschaft zur Individualität. Andererseits erfordert diese Arbeitspraxis ein hohes Maß an Eigenorganisation und Disziplin. Auch auf die Job- und Personalsuche hat die Verhaltensänderung durch die Digital Natives Auswirkungen. Einige Digital Natives nutzen Online-Kommunikationsmittel wie eigene Websites, Twitterkanäle oder das Engagement in Foren und Communitys zum Aufbau ihrer "personal brand" und bieten ihre Networking-Fähigkeiten Unternehmen an.

Konsequenzen ergeben sich aufgrund des wachsenden Anteils der Generation der Digital Natives auch für das Marketing. Digital Natives kommunizieren vermehrt mit anderen Konsumenten. Die Möglichkeit des steten Austausches zwischen Konsumenten schafft eine Open-Source-Kultur sowie ein Gemeinsamkeitsgefühl unter den Konsumenten im Internet.

Konsequenzen für das Marketing

Dies hat zur Folge, dass Konsumenten im Internet Produkte nicht nur suchen und einfacher vergleichen können, sondern sie tauschen Informationen über Produkte untereinander aus und bewerten Produkte, wodurch ein neues Niveau der Glaubwürdigkeit geschaffen wird.

Unternehmen stehen vor der Herausforderung, dass ihnen die Kommunikation und Kundenansprache zunehmend entgleitet. Sie verlieren die Kontrolle über die Bildung von Produktimages und eigener Reputation. Dies kann auch bedrohlich für Unternehmen werden, wenn der Online-Informationsfluss Negativpresse beinhaltet. Kaufentscheidungen im Social Commerce werden maßgeblich durch

Kundenbewertungen und Empfehlungen von anderen Kunden beeinflusst und weniger durch Werbebotschaften. Zudem sind Konsumenten nicht nur innerhalb der gebräuchlichen Geschäftszeiten produktiv im Internet, sondern vornehmlich außerhalb.

Als Gegengewicht zu der beschriebenen Auswirkung der kommerziellen Verbreitung des Internets können Unternehmen das Internet für eigene Zwecke als neue Stufe der Interaktion mit Konsumenten verwenden. Beispielsweise können Unternehmen einfacher als je zuvor das Konsumentenverhalten beobachten sowie Konsumenten in Kommunikations- und Produktentwicklungsprozesse einbinden.

Neue Stufe der Interaktion mit Konsumenten

Als Konsumenten sind die Digital Natives also längst nicht mehr nur passive Nutzer, sondern sie gestalten das Internet aktiv als Inhaltsproduzenten mit.

Die Verbreitung von Nachrichten im Internet ist zusehend geprägt durch

- Demokratie (potenziell kann sich jeder Internet-Teilnehmer aktiv äußern),

- Schnelligkeit (eine Nachricht kann innerhalb von Minuten über die Welt verteilt werden) und

- selektive Verstärkung (häufig aufgerufene Themen werden in Suchmaschinen automatisch oben platziert und erhalten somit zusätzliche Aufmerksamkeit).

Überzeichnete Generalisierung der Alterskohorte

Betrachtet man die empirische Basis der Kernaussagen des Konzepts der Netzgeneration, muss angemerkt werden, dass manche der Aussagen nicht ausreichend empirisch abgesichert sind. Es wird kritisiert, dass es sich bei genauerer Betrachtung um eine unzulässige, stark überzeichnete Generalisierung auf eine ganze Alterskohorte handelt, obwohl Kompetenzen und Qualifikationen im Medienhandeln aufgrund des unterschiedlichen Bildungstandes, ihrer sozialen Schicht sowie ihres Lifestyles große Unterschiede aufweisen.

Die vermeintlich einheitliche Netzgeneration teilt sich kritischen Autoren zufolge in verschiedene Subgruppen mit unterschiedlichen Nutzungsgewohnheiten, Kenntnisse und Kompetenzen. So zeigen empirische Studien,

- dass sich das Mediennutzungsverhalten der unter 30-Jährigen zwar stark von dem der darüber liegenden Altersgruppen unterscheidet, aber dass auch die Gruppe der unter 30-Jährigen in verschiedene Subgruppen zerfällt.

- Alter, Geschlecht, Bildungsgrad und psychografische Merkmale zeigen zum Beispiel klare Unterschiede im Nutzungsverhalten zwischen Mädchen und Jungen. Burschen und junge Männer verbringen mehr Zeit im Internet mit Spielen, während bei den jungen weiblichen Internetnutzern der kommunikative Anteil der Online-Nutzung deutlich höher ist.

Spezifika weiter erforschen

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es sich bei den Digital Natives um eine stetig wachsende Community handelt, deren Einfluss weiter zunimmt. Aufgrund ihrer großen Bedeutung - vor allem auch für die Finanzdienstleistungsbranche - und um auf die Besonderheiten und Unterschiede innerhalb dieser Gruppe besser eingehen zu können, sollten die Spezifika der Digital Natives im Marketing berücksichtigt und weiter erforscht werden.

Dr. Ewald Judt ist Honorarprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien; ewald.judt[at]wu.ac[dot]at; Dr. Claudia Klausegger ist Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien; claudia.klausegger[at]wu.ac[dot]at.

Dr. Ewald Judt , Honorarprofessor , Wirtschaftsuniversität Wien
Dr. Claudia Klausegger , Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien
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