Komplexitätsmanagement

Dr. Ewald Judt, Honorarprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien

Quelle: Wirtschaftsuniversität Wien

Komplexität ist eine Situation mit einer Vielfalt einwirkender Faktoren, einem hohen Ausmaß gegenseitiger Abhängigkeiten und deren daraus resultierender Tendenz zur Unübersichtlichkeit. Sie kommt sowohl in Unternehmen als auch im gesamten Bezugsrahmen unseres Lebens vor. Der Umgang mit ihr stellt generell eine große Herausforderung für viele Menschen dar.

Gewollte und ungewollte Komplexität Bei der unternehmensbezogenen Komplexität wird zwischen der gewollten und der ungewollten Komplexität sowie zwischen exogenen und endogenen Einflussfaktoren unterschieden.

  • Gewollt wird Komplexität, um endogen die Situation von Unternehmen zu verbessern und Innovationen auszulösen. Dabei muss beachtet werden, dass die erzielten Mehrumsätze die Komplexitätskosten übersteigen.
  • Ungewollt ist eine Komplexität dann, wenn sie sich im Laufe der Zeit endogen, das heißt ohne bewusst gesetzte Maßnahmen des Unternehmens, einstellt oder wenn sie dem Unternehmen exogen von Dritten, zum Beispiel der staatlichen Aufsicht, aufoktroyiert oder sie beispielsweise durch eine Krise ausgelöst wird.

Exogene und endogene Treiber

Komplexitätstreiber können exogen aufgrund der Marktkomplexität existieren, wenn Unternehmen zum Beispiel auf Veränderungen der Nachfrage oder Veränderungen des Wettbewerbs reagieren müssen. Exogene Einflussfaktoren können auch aufgrund der Komplexität des gesellschaftlichen Umfelds wie zum Beispiel Politik, Recht oder Ökologie entstehen.

Komplexitätstreiber können auch endogen auftreten, zum Beispiel aufgrund der Komplexität der Kundenstruktur und der damit einhergehenden Produkt- und Portfoliokomplexität und der dafür notwendigen IT-, Organisations- und Prozesskomplexität.

Ziel des Komplexitätsmanagements ist es, frühzeitig zu erkennen, wo Komplexität existiert, wo Komplexität reduziert beziehungsweise wo Komplexität unter Kontrolle behalten oder gebracht werden soll. Dies deshalb, da Komplexität dazu führen kann, dass das Erzielen optimaler Ergebnisse erschwert oder sogar verhindert wird.

Die Ansatzpunkte für ein effizientes Komplexitätsmanagement können je nach Unternehmen und Unternehmenssektor unterschiedlich sein.

  • Beispielsweise kann die Entscheidungsfähigkeit durch eine zu komplexe Struktur des Managements sowie der Organisations- und IT-Prozesse massiv eingeschränkt werden und ein erfolgreiches Wirken nahezu unmöglich machen.
  • Zu große Projekte mit zu hohen Ansprüchen und zu vielen Phasen und Funktionen können Projektabschlüsse "in Budget", "in Time" und "in Quality" gefährden. Oder - wie im Bankensektor häufig beobachtbar - die mit hohen Kosten gestaltete und verwaltete Produkt- und Variantenvielfalt ist zu groß und zu kompliziert, um von einer ausreichend großen Kundenzahl entsprechend angenommen zu werden.
  • Parallel dazu können die Produkt- und Preisbedingungen so komplex gestaltet sein, dass sie die Kunden überfordern oder nicht gelesen werden. - Oftmals führen auch äußere Umweltfaktoren - wie zum Beispiel die bei Banken immer umfassendere Regulierung - zu einer starken unternehmerischen Herausforderung.

Bei der Gestaltung ihrer Unternehmensaktivitäten sind die Entscheidungsträger kontinuierlich gefordert, die zunehmende Komplexität - sofern sie nicht gewünscht, zwingend notwendig beziehungsweise veränderbar ist - zu vermeiden oder - wenn die Komplexität zu groß geworden ist - sie zu reduzieren.

Besser mit Komplexität umgehen

Beim Komplexitätsmanagement geht es zumeist aber nicht darum, die Komplexität gänzlich zu vermeiden, da sie ein Teil und einer der Erfolgsfaktoren unseres Wirtschaftssystems ist, sondern darum, besser mit dieser Herausforderung umzugehen. Die Aufgabe des Komplexitätsmanagements ist es, die Komplexität, sofern sie nicht zwingend notwendig ist, zu vermeiden und wo diese notwendig ist, mit Maß und Ziel zu reduzieren.

Die umfassendste Form des Komplexitätsmanagements ist eine Geschäftspolitik, die nicht in Teilbereiche eingreift, sondern versucht das gesamte Unternehmen "konsequent einfach" 1) zu organisieren, das heißt, alles zu vermeiden, was über die notwendige Komplexität hinausgeht. Dies setzt eine entsprechende Unternehmenskultur, darauf basierende Geschäftsprinzipien, ein realisierendes Management und eine demgemäß angepasste Organisation voraus. Eine derart radikale Vorgangsweise passt nicht für jedes Unternehmen und wird auch nicht von allen Kunden akzeptiert. Es gibt jedoch Unternehmenssektoren beziehungsweise. Unternehmen, wie das zitierte Beispiel von Aldi aus dem Lebensmitteleinzelhandel, die damit große Erfolge erzielt haben.

Vermeidung, Reduktion und Beherrschung

In den meisten Fällen setzt das Komplexitätsmanagement bei der Komplexitätsvermeidung, Komplexitätsreduktion und Komplexitätsbeherrschung nicht beim Gesamtunternehmen, sondern bei Teilbereichen an. Bei der Komplexitätsvermeidung wird versucht, die Komplexität von vornherein zu beschränken. Es wird bei jedem Projekt/jedem Vorhaben beurteilt, welches Ausmaß an Komplexität für das Unternehmen zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit werden die erzielten Mehrerträge den Mehrkosten gegenübergestellt.

Die Komplexitätsreduktion umfasst die Vereinfachung vielschichtiger Strukturen, von Zusammenhängen, Prozessen und Informationen mit dem Ziel, die Überschaubarkeit zu verbessern. Eine Reduktion ist oft notwendig, um zu verhindern, dass eine Überkomplexität das Überleben des Unternehmens gefährdet. Die Komplexitätsreduktion ist auch im Hinblick auf die zeitliche Komponente, um notwendige Änderungen durchzuführen, zu betrachten und die Kosten-Komponente zu analysieren.

Je größer die Komplexität ist, desto länger ist zumeist die für die notwendigen Änderungen benötigte Reaktionszeit. Jede Komplexitätsreduktion ist in der Regel mit zusätzlichen Kosten verbunden, die mittel- bis langfristig zu einem besseren Kostenniveau führen sollten.

Für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen wichtig

Wichtig ist, dass sowohl Komplexitätsvermeidung als auch Komplexitätsreduktion zur Komplexitätsbeherrschung führen, das heißt zu einem Level an Komplexität, das zu einem für das Unternehmen akzeptablen Ertrags- und Kostenniveau führt und zu einem Level an Komplexität, das es ermöglicht, notwendige Änderungen in akzeptabler Zeit zu akzeptablen Kosten zu realisieren. Konsequentes Komplexitätsmanagement ist angesichts der komplexer werdenden äußeren Umwelt und der zum Teil daraus resultierenden inneren Komplexität, für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen wichtig.

Die Komplexitätsfolgen können durch ein erfolgreiches Komplexitätsmanagement deutlich verbessert werden. Unter der Annahme, dass die Komplexität zunimmt und die Anforderungen an Unternehmen komplexer werden, ist dem Komplexitätsmanagement hohe Bedeutung beizumessen.

Fußnote

1) Dieter Brandes, Konsequent einfach - Die Aldi-Erfolgsstory, Campus-Verlag, 4. Auflage, Frankfurt am Main 1999

Dr. Ewald Judt , Honorarprofessor , Wirtschaftsuniversität Wien
Dr. Claudia Klausegger , Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien
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