Marketing 4.0

Dr. Ewald Judt, Honorarprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien

Quelle: Wirtschaftsuniversität Wien

Das Paradigma Marketing 4.0 geht auf einen der bekanntesten Marketingvordenker, nämlich auf Philip Kotler und seine Mitautoren des Buches "Marketing 4.0 - Der Leitfaden für das Marketing der Zukunft" zurück. Marketing 4.0 leitet sich aus dem Trend der Industrie 4.0 ab. Der Begriff Industrie 4.0 steht für die vierte industrielle Revolution, welche sich durch digitale Vernetzung, Individualisierung beziehungsweise Hybridisierung der Produkte und die Integration von Kunden und Geschäftspartnern in die Geschäftsprozesse auszeichnet. In Analogie dazu beschreibt Marketing 4.0 die Phase des Marketings ab etwa 2010, in der die Digitalisierung und die Menschenzentrierung in den Mittelpunkt gestellt wurden.

Der Weg zum Marketing 4.0 begann ursprünglich mit der Phase der Produktorientierung (Marketing 1.0, ab etwa den fünfziger Jahren), in dessen Fokus das Produkt und die Aktivitäten standen, die auf die Vermarktung dieses Produkts abzielten. Mit dem Marketing 2.0 veränderte sich der Schwerpunkt auf den Konsumenten. Dieses Consumer-Marketing (etwa seit den siebziger Jahren) zählt bis heute in vielen Unternehmen zum Kern der Marketing-Arbeit. In der Marketing-Ära 3.0 (menschenorientiertes Marketing, etwa ab den achtziger Jahren), begann der Mensch im Mittelpunkt zu stehen und für Unternehmen wurde es immer wichtiger, neben der marktorientierten Unternehmensführung einen ganzheitlichen positiven Beitrag für die Gesellschaft und Umwelt zu leisten.

Soziale Medien im Fokus

Im Marketing 4.0 haben die Digitalisierung (Internet und Social Media) und neue Technologien einen wichtigen Stellenwert. Flexible Prozesse und die Nähe zur Zielgruppe, besonders durch Social Media, stehen im Mittelpunkt. Der Fokus liegt auf den Bedürfnissen und Werten der Kunden in Verbindung mit der Digitalisierung.

Durch die Digitalisierung hat sich das Marketing revolutioniert und es findet heutzutage eine Online-Offline-Integration in der Kommunikation zwischen den Kunden und Unternehmen statt. Marketing 4.0 bedeutet nämlich nicht, dass traditionelle Werbeträger wie Plakate, Print oder Fernsehwerbung gänzlich verschwunden sind. Sie haben im Mix aus Offline- und Online-Marketing ihre Funktionen behalten, um zum Beispiel eine Marke bekannt zu machen. Aber die wesentlichen verkaufsfördernden Impulse kommen heute und in Zukunft immer stärker aus den sozialen Medien.

Marketing 4.0 läuft sehr stark über die sozialen Netzwerke, was zu einer Machtverschiebung hin zu den Konsumenten geführt hat. In Zeiten von Marketing 4.0 und Digitalisierung müssen Unternehmen eine Balance zwischen Online und Offline wählen, damit das Markenerlebnis bestmöglich vermittelt werden kann. Hinsichtlich der Kommunikationsinhalte ist zu beachten, dass vor allem die jungen Generationen ständig neuen und relevanten Content wollen. Die Vermittlung von Informationen und Emotionen im Kontext einer Marke findet häufig über Storytelling statt, das heißt über Erzählen von Geschichten. Die Inhalte müssen aus Sicht der Kunden und Stakeholder informierend und unterhaltend sein, wodurch sich das Marketing inhaltlich von der herkömmlichen Verkaufsorientierung abgewandt hat.

Ein weiteres Merkmal der Marketing-4.0-Ära ist, dass es durch den wachsenden Konkurrenzdruck und dynamische Marktveränderungen nicht mehr ausreicht, den Kunden nur zufriedenzustellen. Der Kunde muss begeistert von der Leistung des Unternehmens sein und dahinterstehen. Dies ist primär vor dem Hintergrund des Influencer-Marketings zu sehen und den zahl reichen Studien, die Konsumenten als wichtige Markenbotschafter beschreiben.

Der Einfluss von Bloggern auf das Konsumentenverhalten spielt mittlerweile nicht nur in der Modebranche, sondern in fast allen Branchen eine wichtige Rolle, da sich das Informationsverhalten und die Informationsbeschaffung, vor allem bei den jungen Zielgruppen stark verändert haben.

Durch Word-of-Mouth (WOM) verbreiten Konsumenten Informationen bezüglich einer Marke und deren Produkte an andere Konsumenten aus ihrem Umfeld. Diese Informationsübermittlung verlief ursprünglich über die persönliche Kommunikation zwischen den Konsumenten. Durch die Nutzung von Social Media können Konsumenten Informationen in kürzester Zeit weltweit an Dritte weitergeben.

Neue Einflüsse auf die Marketingpraxis

Die Technologien, die im Marketing 4.0 eingesetzt werden, sind teilweise nicht neu, haben aber die Marketingpraxis der letzten Jahre branchenübergreifend stark beeinflusst. Trends wie Sharing Economy, Omnichannel-Integration, Content Marketing, Social CRM oder Digitale Plattformen respektive Ökosysteme führen dazu, dass die bisherigen Strategien, Prozesse und Abläufe überdacht werden müssen. Im agilen Marketing 4.0 sind Unternehmen stärker denn je gefordert auf die sich verändernden Umweltbedingungen und Herausforderungen rasch und zielgruppengerecht zu reagieren. Der Kunde muss stärker in den Marketingprozess eingebunden werden (Customer Engagement, Co-Creation), um Informationen zu sammeln, seine Aufmerksamkeit zu gewinnen und seine Kaufabsicht zu beeinflussen.

Die Entwicklungen im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz (KI) und maschinellem Lernen beeinflussen im Marketing 4.0 das Kundenerlebnis stark. So bieten beispielsweise Chatbots oder intelligente Interactive Voice Response (IVR)-Systeme den Kunden rund um die Uhr Unterstützung. Mit den neu entstandenen Möglichkeiten, große Datenmengen zu sammeln, zu analysieren und zu verarbeiten, können intelligente Systeme - ohne menschliches Zutun - für Marketingaufgaben eingesetzt werden und komplexe Prozesse können durch Automatisierung vereinfacht werden. Basierend auf der Analyse von Big Data können die Angebote und Dienstleistungen individueller und persönlicher entwickelt werden, um dem vermehrten Wunsch nach Individualisierung und personalisierten Produkten zu entsprechen. Die richtige Verarbeitung und Nutzung der Daten sind ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg in der digitalen Wirtschaft: "Daten sind das Gold des 21. Jahrhunderts".

Customer Experience wird wichtiger

Auch das Customer Experience Management spielt im Marketing 4.0 eine wichtige Rolle. Aufgrund des immer wettbewerbsintensiveren Umfelds wird die Gestaltung einer idealen Customer Experience immer wichtiger. Unpassende Produktempfehlungen, langwierige Angebotsprozesse oder unflexible Bezahloptionen/Konditionen sowie mangelhafte Serviceleistungen stellen riskante Knockout-Kriterien für eine Geschäftsbeziehung dar. Wer die Anforderungen und Bedürfnisse seiner Kunden kennt und sie entsprechend entlang ihrer Customer Journey begleitet, trägt entscheidend zur nachhaltigen Kundengewinnung und -bindung bei und sichert sich einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Es ist die Aufgabe des Customer Experience Managements (Kundenerfahrungsmanagements), die Kundenerfahrungen entlang der Customer Journey und während des gesamten Customer Life Cycles zu steuern und positiv zu beeinflussen. Jeder Kontaktmoment (Touchpoint), beginnend mit dem ersten Anzeigen- oder Websitekontakt zwischen einem (potenziellen) Kunden und dem Unternehmen ist mit persönlichen Erfahrungen verknüpft, die über den Geschäftsabschluss beziehungsweise die Entwicklung einer längerfristigen Kundenbeziehung entscheiden. Je besser beziehungsweise konsistenter die Erfahrungen eines Kunden sind, desto wahrscheinlicher bleibt er dem Anbieter treu und empfiehlt das Unternehmen sogar weiter.

Auch wenn sich manche Unternehmen noch immer gegen die Digitalisierung sträuben, ist der Wandel längst Realität geworden. Je mehr ein Unternehmen die digitale Transformation proaktiv in seine Customer-Experience-Strategie einbindet, desto größer wird der Vorteil gegenüber jenen Mitbewerbern sein, die sich langsamer anpassen. Marketing 4.0 ist die logische Fortsetzung und Anpassung an die veränderte Customer Journey in der digitalen Wirtschaft.

Es muss zum Selbstverständnis werden, dass am Ende der Customer Journey nicht nur ein Kauf steht, sondern der Käufer zum aktiven Empfehlungsgeber wird. Junge Menschen stellen eine neue Herausforderung für das 4.0 Marketing dar, dessen Variationen zahlreicher sind als früher. Man kann einen Satz gegen Ende des eingangs erwähnten Buches von Kotler und seinen Mitautoren als Aufforderung an die Finanzbranche verstehen: "Marken können nicht mehr anders: Sie müssen sich über soziale Medien mit den Verbrauchern vernetzen."

Dr. Ewald Judt ist Honorarprofessor der Wirtschaftsuniversität Wien, ewald.judt[at]wu.ac[dot]at.

Dr. Claudia Klausegger ist Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien, claudia.klausegger[at]wu.ac[dot]at.

Dr. Claudia Klausegger , Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien
Dr. Ewald Judt , Honorarprofessor , Wirtschaftsuniversität Wien

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