Real-Time-Marketing

Dr. Ewald Judt, Honorarprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien

Quelle: Wirtschaftsuniversität Wien

Die digitale Revolution bringt nicht nur neue Geschäftsmodelle hervor, sondern verändert auch die Anforderungen und Möglichkeiten im Marketing, insbesondere in der Kommunikation. Mithilfe von Real-Time-Marketing (Echtzeitmarketing) kann die Kommunikation dynamischer gestaltet werden, indem versucht wird, die richtige Botschaft zur richtigen Zeit an den richtigen Nutzer auszuspielen, egal wo sich dieser gerade in seiner Customer Journey befindet.

Integrierte Informationssysteme erforderlich

Real-Time-Kampagnen verarbeiten Inhalte, die sich den aktuellen Gegebenheiten anpassen ("Real-Time Content") und auf Basis von Real-Time Profiling an die entsprechende Zielgruppe ausgespielt werden, wodurch die Wahrscheinlichkeit der Wahrnehmung und Wirkung der Marketingmaßnahmen steigt.

Um Unternehmen in Echtzeit steuern zu können, sind integrierte Informationssysteme notwendig, die die Daten eines Prozesses allen Personen, Abteilungen und Unternehmen, die an dem Prozess beteiligt sind, in Echtzeit zur Verfügung stellen. Gibt ein Verkäufer beispielsweise einen erhaltenen Auftrag in ein integriertes Informationssystem ein, löst dies eine sofortige Buchung unter anderem im Lager, in der Produktion und der Finanzabteilung aus, damit sich ein anderer Verkäufer, der den gleichen Artikel verkaufen will, darauf verlassen kann, dass der disponible Lagerbestand tatsächlich disponibel ist.

In Echtzeitsystemen ist eine Information unmittelbar nach ihrer Entstehung überall nutzbar. Echtzeitsysteme erfassen Daten automatisch am Point-of-Creation.

Eine langfristig geplante Strategie

Für Außenstehende kann Kommunikation in Echtzeit manchmal als kurzfristiges "auf den Zug aufspringen" wirken. In Wahrheit steckt in den meisten Fällen hinter erfolgreichem Real-Time-Marketing eine analytisch und langfristig geplante Strategie.

In der Kommunikation sind Kreativität, Spontanität und Geistesgegenwärtigkeit ein wichtiger Baustein der Echtzeit- Marketing-Aktionen. Sie können aber nur dann nachhaltig zum Erfolg führen, wenn eine klare Strategie dahintersteht und im Vorfeld entsprechende Ressourcen, Budgets und Workflows definiert wurden. Es geht nicht um Aktionismus, sondern um die richtige Kombination aus strategischem Vorgehen und innovativer Kreativität.

Der richtige Content und das richtige Timing spielen dabei eine große Rolle. Manche Termine/Events, wie beispielsweise große Sportereignisse (Olympische Spiele, Weltmeisterschaften), lassen sich langfristig und systematisch vorbereiten, da der Zeitpunkt vorhersehbar und die Themenauswahl der Kampagne sich längerfristig planen lässt. Die große Herausforderung beim Real-Time-Marketing besteht aber darin, aktuelle Vorfälle aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft für die eigene Werbestrategie aufzugreifen. Die Kombination der richtigen Themenselektion und der dazu passenden Zielgruppenbezug kann zu einer überdurchschnittlich raschen Verbreitung der Kampagnen auf Social Media führen. Ein innovativer und kreativer Content, der sich unterhaltsam, vielleicht sogar provokativ auf ein aktuelles Thema bezieht, wird eher wahrgenommen und von der Zielgruppe an die Netzwerkpartner in ihrer Community weitergegeben beziehungsweise. geteilt.

Echtzeitkampagnen erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer viralen Verbreitung. Ein viel zitiertes, gut gelungenes Beispiel stammt vom amerikanischen Kekshersteller Nabisco, einer Tochtergesellschaft von Mondelez International und Hersteller der weltweit bekannten Marke Oreo. Als 2013 am Ende der Halbzeitpause des Super Bowls der Strom ausfiel, reagierte Nabisco mit einer auf die Situation angepassten Werbung "You can still dunk in the dark" ("Dippen kann man auch im Dunkeln") und schloss den Werbeclaim mit dem passenden Hinweis "Power out? No problem" ("Strom weg? Kein Problem!").

Der Trend geht in Richtung Automation des Real-Time-Marketing, das heißt ohne Zeitverzögerung die richtigen Kommunikationsmaßnahmen zu erkennen, zu analysieren und dynamisch auszusteuern. Mithilfe neuer Technologien versuchen Unternehmen, auf vorher festgelegte Ereignisse mit einem passenden Wording zu reagieren und diese dynamisch anzupassen.

Konkrete Umsetzungsbeispiele zeigen sich im Geofencing, wo Kunden, die sich in der Nähe eines Ladengeschäfts befinden mithilfe von App-Notification aktuelle Sonderangebote auf ihrem Smartphone angezeigt werden. Auch Facebook nützt die Möglichkeiten der Automation beispielsweise im Rahmen der ersten Anmeldung des Tages. Je nach Tageszeit wünscht Facebook einen Guten Morgen oder Guten Tag und gibt direkt Auskunft über die aktuelle Wetterlage am derzeitigen Standort.

Die Zukunft lässt noch weitere Entwicklungen erwarten. So ist es denkbar, dass im CRM-System erfasste Kunden, die im jeweiligen Online-Shop nach einer bestimmten Produktsorte suchen, umgehend einen Newsletter rund um diese Produktkategorie erhalten. Öffnet ein Kunde diesen Newsletter während der Geschäftszeiten, erhält er weitere Sonderangebote aus der nächstgelegenen Filiale. Wenn er außerhalb der Geschäftsöffnungszeiten einsteigt, erscheinen die Angebote aus dem Online-Shop.

Datenaktualität als Herausforderung

Eine große Herausforderung beim Real-Time-Marketing betrifft die Aktualität der Daten. Eine laufende Datenpflege ist unbedingt notwendig. Es müssen nicht nur die Kontaktdaten aktuell sein, sondern auch die der Zielgruppe übermittelten Produktangaben. Um dies zu erreichen, ist eine starke Vernetzung zwischen Marketing und Vertrieb notwendig.

Ein weiterer zentraler Punkt betrifft die Aufbereitung von neuen Daten. Die Daten müssen in Echtzeit zusammenlaufen und die Inhalte dynamisch angepasst werden. Das ermöglicht zum Beispiel bei einem Newsletter, dass dieser nicht mit festen, sondern mit dynamischen Inhalten (Platzhaltern) verschickt werden kann. Damit der Leser seinen Customized Content vorfindet, muss der Newsletter während des Öffnens innerhalb weniger Sekundenbruchteile auf die kundenbezogenen Daten zugreifen können.

Die Vorteile von Real-Time-Marketing liegen in einer maximalen Aktualität und Relevanz für den Empfänger, verbunden mit einer höheren Reaktionswahrscheinlichkeit und positiven Beeinflussung der Kundenbindung. Real-Time-Marketing kann das Unternehmensimage (tagesaktuell, relevant, dynamisch) unterstützen und Streuverluste aufgrund der Individualkommunikation verhindern.

Als Nachteile von Real-Time-Marketing muss beachtet werden, dass die Erfolge im Vergleich zu einer geplanten und langfristigen Kampagne oftmals kurzlebiger sind, dass es eine Überlappungsgefahr zur normalen Kommunikation geben kann und dass die Reaktionen und somit Inhalte und Ergebnisse nicht oder nur bedingt gesteuert werden können.

Einer der größten Nachteile ist, dass es sich um eine Strategie mit hohem Risiko handelt. Der falsche Ton oder das falsche Event können eine Gegenreaktion bewirken. Aufgrund der kurzen Zeit, die zum Verfassen bleibt, besteht die Gefahr von Fehlern und Misserfolgen, wie beispielsweise die Entscheidung von American Apparels, einen Hurrikan- Sandy-Sonderverkauf zu bewerben. Zu beachten ist, dass Real-Time-Marketing die Grenzen der Privatsphäre zwischen den Konsumenten und dem Brand kontinuierlich aufhebt, was vom Empfänger negativ wahrgenommen werden könnte ("Big Brother").

Bei Finanzdienstleistern oft digitales Stückwerk

Real-Time-Marketing bietet für Finanzunternehmen eine interessante Möglichkeit, um die Kundenzentriertheit in der Marktbearbeitung zu erhöhen. Zu beachten ist dabei, dass Finanzdienstleister, die erfolgreiches Real-Time-Marketing betreiben wollen, entsprechende Ressourcen bereitstellen müssen, um die dafür notwendige Datenbasis zu entwickeln, um schnell agieren zu können.

Die Realität im Marketingalltag zeigt nämlich allzu oft, dass statt datengestützter algorithmischer Abläufe in vielen Unternehmen digitales Stückwerk dominiert und die vorhandenen Daten daher nicht optimal für das Marketing genützt werden können. Dennoch sehen Marketing-Experten Real Time als neue Zauberformel im Marketing und Daten als das neue Öl.

Dr. Ewald Judt ist Honorarprofessor der Wirtschaftsuniversität Wien, ewald.judt[at]wu.ac[dot]at

Dr. Claudia Klausegger ist Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien, claudia.klausegger[at]wu.ac[dot]at

Dr. Claudia Klausegger , Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien
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