Schwarzer Schwan

Dr. Ewald Judt, Honorarprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien

Quelle: Wirtschaftsuniversität Wien

Der Schwarze Schwan ist eine Metapher, die ein Ereignis bezeichnet, das äußerst selten, höchst unwahrscheinlich und kaum vorhersehbar ist und weitreichende folgenschwere Konsequenzen für alle Betroffenen hat. Die Bezeichnung geht in ihrem Ursprung darauf zurück, dass die Kenner der Fauna vor der Entdeckung Australiens überzeugt waren, dass alle Schwäne weiß seien, was sich auch evidenzbasiert zeigte. Als sich in Australien nach dessen Entdeckung zeigte, dass es schwarze Schwäne gibt, hat sich mit dieser Beobachtung die bis dahin allgemeingültige Feststellung, dass alle Schwäne weiß sind, als falsch herausgestellt. Diese Entdeckung war nicht nur eine Überraschung für Vogelliebhaber, sondern zeigte die Zerbrechlichkeit des empirischen Wissens.

Das Bild beziehungsweise der Ausdruck des Schwarzen Schwans für ein gänzlich unerwartetes Ereignis geht erstmalig auf den römischen Dichter Juvenal (Satiren VI, 161) zurück. Nach der tatsächlichen Sichtung schwarzer Schwäne in Australien durch Willem de Vlamingh 1697 wurde der Ausdruck Black Swan zu einer Metapher in der englischen Sprachwelt für ein zwar unwahrscheinliches, aber mögliches Ereignis. John Stuart Mill und Karl Popper nutzen den Schwarzen Schwan im kritischen Rationalismus als Beispiel für eine deduktive Falsifizierung.

2007/2008 erreichte der Begriff des Schwarzen Schwans Popularität durch die beiden Bücher von Nassim Nicholas Taleb "The Black Swan - The Impact of the Highly Improbable" (Random House, New York 2007) und "Der Schwarze Schwan - Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse" (Carl Hanser Verlag, München 2008). Mit dem Schwarzen Schwan verbindet Taleb neben der Seltenheit und massiven Auswirkungen auch das Attribut der Vorhersagbarkeit im Rückblick, da die menschliche Natur im Nachhinein Erklärungen für sein Eintreten konstruiert, um es vorsehbar zu machen. Laut Taleb haben Schwarze Schwäne wesentlich zu gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen, wirtschaftlichen Ereignissen sowie persönlichen Erlebens beigetragen.

Auslöser der Finanzkrisen als Schwarze Schwäne?

Als exemplarische Beispiele lassen sich die Spanische Grippe 1918/19, die kommerzielle Nutzung des Internets (ab 1990), der Terror des 11. September 2001, die Nuklearkatastrophe von Fukushima 2011 oder der Dieselskandal (ab 2015) anführen. Die Frage, inwieweit die Auslöser aufgetretener Finanzkrisen als Schwarze Schwäne bezeichnet werden können, lässt sich nicht eindeutig beantworten, da sie auch als Ausdruck eines systemischen Mangels oder realwirtschaftlicher Probleme gesehen werden können.

Angesichts der derzeitig existierenden Pandemie - die der Auslöser für diesen Glossarbeitrag war - stellt sich die Frage, ob Covid-19 als Schwarzer Schwan eingestuft werden kann. Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, wie der Ausbruch von Covid-19 eingestuft wird. Die Antwort der Experten fällt unterschiedlich aus. Die einen bejahen die Frage, die anderen verneinen sie mit der Argumentation, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Virus Auslöser für eine weltweite Pandemie sein könnte, angesichts Sars CoV (2002/03), Schweinegrippe (2009/10) und Mers CoV (nach 2012) gegeben war, da Pandemien zu den ständigen Begleitern der Menschheitsgeschichte zählen.

Risk Management auf Unerwartetes ausrichten

Unabhängig von der Beantwortung dieser Frage hat diese Krise gezeigt, dass das vorbeugende staatliche Risk Management in vielen Fällen nicht in ausreichender Form auf diese Pandemie vorbereitet war.

Da Schwarze Schwäne direkt oder indirekt auch für Unternehmen und insbesondere auch für die Finanzwirtschaft von großer Bedeutung sind, sollte das Risk Management darauf ausgerichtet werden. Der Schwarze Schwan beziehungsweise das Eintreten derartiger Ereignisse kann im Risk Management unter dem Begriff Restrisiko subsumiert werden. Er zeigt auf, dass ein Risiko - trotz höchst unwahrscheinlicher Eintrittswahrscheinlichkeit - jederzeit schlagend werden kann, auch wenn dies nur ganz selten der Fall sein wird.

Für die Unternehmensführung bedeutet dies, dass dem Risk Management im Hinblick auf Schwarze Schwäne größere Bedeutung beigemessen werden sollte. Derartige Risiken, die höchst selten und schwer vorhersehbar sind, aber den Unternehmenserfolg drastisch beeinträchtigen können, müssen aufgedeckt und analysiert werden, damit geeignete Strategien entwickelt werden können, um diese Risiken im Eintrittsfall bestmöglich zu meistern.

Oft zu wenig beachtet

Im derzeit gelebten Risk Management wird diesen auf Schwarze Schwäne zurückgehenden Risiken oftmals zu wenig Beachtung geschenkt. Das strategische Risikodenken weist zumeist blinde Flecken auf und erkennt derartige Inkonsistenzen nicht. Beides kann - wenn ein Schwarzer Schwan auftritt - zu Existenzkrisen führen.

Für das Risk Management (Security Management, Business Continuity Management) gilt es daher, jenseits des klassischen Risk Managements auch an das Undenkbare zu denken, blinde Flecken und Inkonsistenzen in der Unternehmensstrategie zu identifizieren und entsprechende Vorsorge für einen etwaigen Eintrittsfall zu betreiben.

Finanzielle Reserven entscheidend

Im Risk Management müssen Fragen zu den Restrisiken gestellt werden, um sie im Hinblick auf das Bewältigen der Risiken zu beantworten. Bedeutend, wenn nicht am bedeutendsten ist es, ausreichend finanzielle Reserven anzulegen. Es muss die Frage gestellt werden, ob die Liquidität ausreichend ist, um über eine zu definierende Zeit mit unzureichenden Erträgen, aber bestehenden Aufwendungen auszukommen beziehungsweise Vorsorge zum Beispiel durch entsprechende Kreditlinien zu treffen.

In diesem Zusammenhang muss auch geklärt werden, ob das Eigenkapital ausreicht, um eine gewisse Zeit mit Verlusten zu überstehen beziehungsweise ab wann auf Eigenkapitalmaßnahmen, zum Beispiel durch Verzicht/Teilverzicht auf Gewinnausschüttung, gesetzt werden muss. Je mehr Eigenkapital vorhanden ist, desto höher ist die Kreditwürdigkeit und desto höher sind die Chancen, Schwankungen bei den Erträgen zu überstehen. Ein vorher möglicherweise nicht für notwendig gehaltener Kapitalpuffer kann beim Eintritt eines Schwarzen Schwans die Existenz eines Unternehmens sichern.

Abseits der finanziellen Reserven ist auch auf andere mögliche, den Fortbestand des Unternehmens gefährdende, Risiken Bedacht zu nehmen. Die Covid-19-Pandemie hat deutlich gezeigt, wie rasch Totalausfälle von Lieferketten und Vertriebswegen eintreten können.

Die Herausforderung für das Management besteht darin, einerseits gegenüber scheinbar unumstößlichen Wahrheiten Skepsis walten zu lassen und andererseits Robustheit gegenüber dem Zufall zu entwickeln, da das Theoretische jederzeit zur Realität werden kann. Nach jedem neu aufgetretenen Schwarzen Schwan muss das Risikopotenzial neu bewertet und eine krisenfeste Strategie entwickelt werden, da die als Restrisiko eingestuften Ereignisse nie in Jahren oder bereits morgen eintreten können.

Dr. Ewald Judt ist Honorarprofessor der Wirtschaftsuniversität Wien, ewald.judt[at]wu.ac[dot]at. Dr. Claudia Klausegger ist Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien, claudia.klausegger[at]wu.ac[dot]at.

Dr. Claudia Klausegger , Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien
Dr. Ewald Judt , Honorarprofessor , Wirtschaftsuniversität Wien

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