Neue Diskussion um Riester: Rendite als KO-Argument?

Die Diskussion um die Riester-Rente reißt nicht ab. Öl ins Feuer gegossen hat zuletzt der Bund der Versicherten (BdV) e.V., Henstedt-Ulzburg, als er am 8. Februar dieses Jahres provokativ das Kopfkissen zur Alternative zur versicherungsförmigen Riester-Rente erklärt hat. Selbstredend will der BdV damit nicht dem Sparen unter der Matratze oder dem Kopfkissen das Wort reden. Sondern es geht um die Rendite von Riester-Versicherungen.

Auf Grundlage von durch Finanztest erhobenen Werten zu Rentenhöhen klassischer Riester-Renten habe man nachgerechnet. Das Ergebnis: Die versicherungsförmigen Riester-Renten sind noch schlechter, als wenn die Versicherten ihre Eigenbeiträge unterm Kopfkissen sparen würden. "Betrachtet man die versicherungsförmigen Riester-Renten unter dem Gesichtspunkt der garantierten Leistungen, so sind Verluste in allen Fällen vorprogrammiert", so Axel Kleinlein, Vorstandssprecher des BdV.

BdV: Riester-Renditen immer negativ

Im Rahmen der Kurzstudie hat der BdV untersucht, welche Renditen von derzeit angebotenen versicherungsförmigen Riester-Renten als garantierte Leistungen zu erwarten sind, das heißt wie erfolgreich die Versicherer mit den gezahlten Versicherungsprämien wirtschaften. Untersucht wurde dabei nicht nur die "erzielte Rendite", sondern auch die "gefühlte Rendite", bei der der vermeintliche wirtschaftliche Erfolg auf die Eigenbeiträge ausdrücklich den Subventionseffekt als Renditeerfolg beinhaltet. Zusätzlich wurde errechnet, wie sich die Alternativanlage "unter einem Kopfkissen" entwickeln würde, würden während des Sparens die eingehenden Gelder unter ein Kopfkissen gelegt und später die festen monatlichen Beträge als Rentenersatz herausgenommen.

Das Fazit: Unabhängig von Anspardauer, Geschlecht und Variante sind die "erzielten" Renditen der am Markt erhältlichen Riester-Produkte stets negativ. So erzielt die höchste Rente für eine Frau nach einer Anspardauer von 12 Jahren eine Negativ-Rendite von -0,9 Prozent, nach 20 Jahren Anspardauer -0,8 Prozent und nach 40 Jahren -0,3 Prozent. Für den Mann liegt die erzielte Rendite in den gleichen Ansparzeiträumen bei -2,5 Prozent, -2,0 Prozent beziehungsweise -0,9 Prozent. Sie fällt bei Männern durchweg deutlich geringer aus als bei Frauen.

Die "gefühlten Renditen" sind der Untersuchung zufolge zwar durchweg höher, bleiben bei den untersuchten Varianten jedoch weiter fast immer negativ. Kleinlein warnt jedoch vor der Verwendung dieser Werte: Sie seien "Kampfwerte, mit denen Versicherer die steuerliche Förderung als eigenen Erfolg umdeuten wollen." Finanzmathematisch gingen bei dieser Berechnung die Zulagen fälschlich so ein, als wären sie von den Versicherern als Zusatzrendite erwirtschaftet worden.

Würde man die Eigenbeiträge stattdessen unter dem Kopfkissen sparen, müssten die Sparer der Berechnung zufolge stets überdurchschnittlich alt werden, um das Kopfkissen zu schlagen. Je nach Konstellation sind zum Zeitpunkt der durchschnittlichen Lebenserwartung noch erhebliche Werte unter dem Kissen übrig.

Riester-Kritik - ein Volkssport?

Würden die Versicherten nur die Eigenbeiträge unter ein Kopfkissen legen und dann einen monatlichen Beitrag, der der garantierten Rente aus dem Riester-Rentenversicherungsvertrag entspricht, herausnehmen, so würde dieses "zulagenfreie Kopfkissen" bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung bei Männern in allen Konstellationen und bei Frauen in fast allen Konstellationen ausreichen, um eine Rente in Höhe der Riester-Renten auszahlen zu können. Dies sei eine "sehr bittere Bilanz für Riester-Versicherungskundinnen und -kunden, aber auch für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler", so Kleinlein.

Dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) e.V., Berlin, ist diese Veröffentlichung naturgemäß sauer aufgestoßen. "Es ist unter manchen Verbraucherschützern zum Volkssport geworden, die Riester-Rente schlecht zu schreiben", so GDV-Geschäftsführer Peter Schwark. "Unabhängige Untersuchungen bereits erfolgter Auszahlungen belegen eine Nachsteuerrendite der Produkte zwischen 3 und 4 Prozent. Sie zeigen, dass sich die Riester-Rente für die Kunden sehr wohl lohnt."

Zu den Negativrenditen kommt der BdV nach GDV-Einschätzung vor allem "durch einen simplen Trick": Der BdV gehe nämlich davon aus, dass die Lebenserwartungen zu vorsichtig kalkuliert sind. Wenn aber die Annahmen tatsächlich zu vorsichtig sein sollten, entstehen zwingend Überschüsse, an denen die Kunden zu mindestens 90 Prozent zu beteiligen sind. Das aber berücksichtige die Untersuchung nicht. Negative Renditen entstehen so durch die Untersuchungsmethode, nicht durch die Produkte, sagt GDV-Geschäftsführer Schwark.

Rendite ist nicht der Hauptzweck

Schwerwiegender ist hingegen ein anderer Kritikpunkt des Branchenverbandes an der Publikation: der nämlich, dass bei Rentenversicherungen immer wieder nur die Renditefrage gestellt wird. Der Hauptzweck einer Riester-Rente (wie auch einer privaten Rentenversicherung) ist es eben nicht, möglichst hohe Renditen zu erwirtschaften, sondern den Versicherten lebenslang verlässlich ab zusichern, ganz egal, wie alt er wird. Das kann - um im Bild zu bleiben - das Kopfkissen nicht leisten.

Bei einer immer weiter steigenden Lebenserwartung kommt dieses biometrische Risiko, die Langlebigkeit nämlich, in der öffentlichen Diskussion noch immer viel zu kurz. Schließlich werden 25 Prozent der 2009 geborenen Jungen und fast 38 Prozent der Mädchen voraussichtlich wenigstens 95 Jahre alt, über acht Prozent der Männer und knapp 14 Prozent der Frauen erreichen sogar ein Alter von 100 Jahren oder mehr.

Ein hausgemachtes Problem

An der Tatsache, dass der Ursprungsgedanke von Garantien in Vergessenheit geraten ist, ist die Branche nicht ganz unschuldig. Zum einen wurde die Absicherung des "Langlebigkeitsrisikos", das keine andere Anlage in dieser Form leisten kann, viel zu lange gar nicht thematisiert. Zum anderen haben Versicherer in Zeiten des hohen Garantiezinses ihre Produkte selbst über die hohe Verzinsung beworben. Fred Wagner, Professor am Institut für Versicherungslehre der Universität Leipzig, rät der Branche deshalb dazu, den Wert der mit den Garantien verbundenen Sicherheit in den Vordergrund zu stellen, die das zentrale Alleinstellungsmerkmal der Branche darstellt.

An der Tatsache, dass Garantien im Niedrigzinsumfeld teurer geworden sind, führt freilich kein Weg vorbei. Jochen Ruß, Geschäftsführer der Gesellschaft für Finanz- und Aktuarwissenschaften in Ulm verweist deshalb auf die beiden unterschiedlichen Garantien bei Rentenversicherungen: eine in der Ansparphase zur Absicherung der Beiträge, eine zweite während des Auszahlungszeitraums. Letztere ist aus seiner Sicht die entscheidende.

Vorbild Kasko-Versicherung

Genau hier setzen die neuen Produktvarianten an, die nur noch Garantien für das Ende des Einzahlungszeitraums versprechen. So können sie vorher flexibler investieren und haben gute Chancen auf eine höhere Rendite. Jede zweite neu verkaufte Rentenversicherung ist inzwischen ein solcher "Hybrid", Tendenz steigend.

Ruß rät hierbei dazu, die Garantien so zu gestalten, dass die Kunden im schlimmsten Fall Verluste von zehn bis 20 Prozent tragen müssten. Das Risiko existenzbedrohender Kurseinbrüche sei damit ausgeschaltet, gleichzeitig gebe es gute Chancen auf eine deutlich höhere erwartbare Rendite als bei einem garantierten nominalen Kapitalerhalt. Vorbild sei die Kaskopolice mit Selbstbehalt, bei der kleine Schäden selbst getragen werden, um im Gegenzug ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis für das Gesamtpaket zu erhalten.

Mittlerweile entfallen dem Branchenverband zufolge 58 Prozent des Neugeschäfts der Lebensversicherer - gemessen in APE (Annual Premium Equivalent, definiert als die Summe der laufenden Beiträge plus 10 Prozent der Einmalbeiträge) - auf Angebote, die auf modifizierte Garantien setzen, sowohl solche der "Neuen Klassik" als auch fondsgebundene Konzepte mit Garantien. Im Vergleich zu 2017 ist dies ein Anstieg um acht Prozentpunkte. In dieser Entwicklung sieht der GDV ein Zeichen dafür, was die Deutschen von Altersvorsorgeprodukten erwarten: Renditechancen, ohne dabei komplett auf Sicherheiten zu verzichten.

Garantieverbot ein Hemmschuh im Vertrieb

Die Bedeutung der Garantien sieht die Branche auch durch die Entwicklung in der bAV bestätigt: Hier führe das im Betriebsrentenstärkungsgesetz festgeschriebene Garantieverbot zu kritischen Nachfragen der Arbeitnehmer und einem erheblich höheren Kommunikationsbedarf bei der Vermarktung möglicher Sozialpartnermodelle

Ob das Garantieverbot deshalb zwingend auf Riester übertragen werden muss, wie es immer wieder gefordert wird, ist vor diesem Hintergrund fraglich. Denn wo aus Steuergeldern die private Vorsorge gefördert wird, da ist es nur zu verständlich, dass der Staat einem Verlust der gezahlten Förderleistungen einen Riegel vorschieben will. Dass diese Garantien Rendite kosten - d'accord. Aber ob dies das Einzige ist, was die Attraktivität von Riester schmälert?

Ehe ausschließlich auf diesem Aspekt herumgeritten wird, gälte es vielleicht einmal gründlich zu untersuchen, woran die zunehmende Zurückhaltung beim Abschluss von Riester-Verträgen wirklich liegt. Bürokratie und seit Jahren stagnierende Zulagen spielen vermutlich eine mindestens ebenso große Rolle. Dafür spricht die Tatsache, dass 2018 die gesetzlichen Nachbesserungen bei den Versicherern die Anzahl der Riester-Abschlüsse um 5 Prozent steigen ließ. Die Garantien müssen ja auch nicht unbedingt ganz fallen. Denkbar wäre schließlich auch, die Anbieter zu einer Sowohl-als-auch-Strategie zu verpflichten, damit einerseits mehr Flexibilität möglich ist, der Kunde aber weiterhin die Wahl hat, ob der zugunsten einer Beitragsgarantie auf Rendite verzichten möchte. So wäre für jeden Kunden etwas dabei. Im Vertrieb wäre das zweifellos erklärungsbedürftiger. Das K.o.-Argument Rendite wäre damit aber vom Tisch.

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