Digitalisierung

Mehr Experimentierfreude gefragt

Noch sind etwa 52 Prozent der Verbraucher in Deutschland vergleichsweise wenig an Online- und Mobile Banking interessiert - und das sind nicht nur die älteren Jahrgänge. Immerhin 22 Prozent der Bevölkerung gehören zu den "Jungen Traditionalisten" mit einem Durchschnittsalter von 28 Jahren, die eine eher geringe Affinität für Online-Banking und Online-Shopping haben. Das sind sogar mehr als die gleichaltrigen "Digital Trendsetters (Durchschnittsalter ebenfalls 28), die nur 13 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Roland-Berger-Studie in Zusammenarbeit mit Visa. Daraus abzuleiten, Digitalisierung sei für Finanzdienstleister vielleicht doch kein so vordringliches Problem, wäre gleichwohl ein Fehlschluss. Denn die Studie zeigt auch, dass mittlerweile 60 Prozent des Gesamteinkommens bei den onlineaffinen Zielgruppen liegen.

Digitalisierung ist also ein Muss - aber bitte nicht nach dem Gießkannenprinzip, so Prof. Dr. Björn Bloching von Roland Berger. Entscheidend ist nicht die Anzahl der vernetzten Kanäle. Denn die Kunden springen eher selten zwischen Kanälen hin und her - es sei denn, auf dem gewählten Kanal fehlen vernünftige Abschlussmöglichkeiten. Das heißt gleichwohl nicht, dass die Filiale tot ist. Schließlich wollen sich 65 Prozent aller Kunden zu komplexen Themen in der Filiale beraten lassen - es kommt nur aufs richtige Konzept an. An dieser Stelle wird es jedoch bekanntlich schwierig.

Bei der Filialgestaltung wie auch bei den digitalen Kanälen müssen die Banken jedoch umdenken. "Perfektionismus ist die Stärke der deutschen Wirtschaft und eine Schwäche in der digitalen Welt", so Björn Bloching. Seine Schlussfolgerungen: Banken und Sparkassen müssen sich von dem Gedanken verabschieden, neue Filialkonzepte oder digitale Services gewissermaßen am Reißbrett zu entwerfen, einmalig zu pilotieren und dann mehr oder weniger und genauso in der Fläche auszurollen. Vielmehr müssten sie sich an Internetunternehmen orientieren, die ihre Websites oder Apps unablässig an Nutzergewohnheiten oder -wünsche anpassen, um sie so immer weiter zu optimieren. Hier ruft Bloching die Kreditwirtschaft zu mehr Experimentierfreude auf.

Ganz so einfach umzusetzen sein wird dieser gute Ratschlag indessen nicht. Natürlich gibt es gute Gründe für noch kürzere Innovationszyklen bei den digitalen Services. Doch darf man dabei diejenigen Kunden nicht aus dem Blick verlieren, denen das Innovationstempo gerade bei Finanzdienstleistungen heute schon zu hoch ist. Der Übergang zum einem Try-and-Error-Verfahren bei den Innovationen, wie es in anderen Branchen üblich ist, muss bei Banken deshalb nicht unbedingt auf die gleiche Akzeptanz stoßen. Hinzu kommen SIcherheitsbedenken, die es so etwa bei Online-Händlern nicht gibt. Viele Kunden könnten nämlich durch eine zu hohe Schlagzahl bei den Anpassungen verunsichert werden, weil die Gefahr, auf eine gefälschte Seite umgeleitet zu werden, umso mehr steigt, je weniger sicher man sich sein kann, die echte Bankseite zu erkennen.

Last, but not least gibt es zweifellos auch noch die personellen und finanziellen Ressourcen zu bedenken. In einer Zeit, in der IT-Abteilungen großenteils damit ausgelastet sind, regulatorische Vorgaben umzusetzen, bleibt für Innovationen ohnehin vergleichsweise wenig Spielraum. Ein permanentes Drehen an vielerlei Stellschräubchen wird in diesem Kontext zu einer ganz besonderen Herausforderung.

Ähnliches gilt auch für die Filiale: Natürlich sind die Kundenanforderungen und die Erfahrungen, welches Konzept gut läuft und welches weniger, nicht überall gleich, und natürlich sind diese Erkenntnisse einem permanenten Wandel unterworfen. Längst hat sich deshalb die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Filialgestaltung modular sein muss, um Anpassungen mit möglichst geringem Aufwand umsetzen zu können. Die Zyklen, in denen Filialen modernisiert werden, sind heute deshalb schon viel höher als noch vor 20 oder 30 Jahren. Doch selbst bei einem höchstmöglichen Maß an Modularität sind Umgestaltungen immer noch mit beträchtlichem Aufwand verbunden.

Nicht alles, was wünschenswert wäre, wird sich deshalb so ohne Weiteres umsetzen lassen. Und vielleicht ist das auch gar nicht so entscheidend - trotz aller Umfrageergebnisse, wonach sich Kunden beispielsweise Filialen im Starbucks-Ambiente vorstellen können. Denn derjenige, der wirklich die Beratung sucht, wird diese vermutlich auch in einer "klassischen" Geschäftsstelle in Anspruch nehmen. Und wer rein auf Online-Geschäfte setzt, dürfte nur in den seltensten Fällen allein deshalb eine Filiale aufsuchen, weil sie modern aufgemacht und mit innovativer Technik ausgestattet ist. Red.

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