SPEZIALBANKEN

Autobanken - bleibt das Geschäftsmodell profitabel?

Prof. Dr. Frank Stenner, Foto: F. Stenner

Technologische und regulatorische Entwicklungen in der Automobil- und Bankwirtschaft sowie ein sich wandelndes Kundenverhalten verlangen mehr Digitalisierung und Flexibilisierung bei Dienstleistungen und Geschäftsprozessen der Captives. Gefragt sind flexible, digitale Problemlösungen rund um die automobile Mobilität. Dann ist das Geschäftsmodell weiterhin profitabel. Ob die Autobanken ihre Führungsrolle im Management der Kundenbeziehung jedoch tatsächlich ausfüllen können, ist nicht zuletzt eine Frage der strategischen Ausrichtung der Herstellerkonzerne, sagt Frank Stenner. Denn die Abhängigkeit vom Mutterkonzern ist für die Captives Chance und Belastung zugleich. Red.

Die Idee der Fahrzeughersteller, den Finanzbedarf von Handel und Kunden im eigenen Haus abzudecken, entwickelt sich seit den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts rasch zu einem Erfolgsfaktor. Zunächst liegt der Fokus der Autobanken1) auf der Einkaufsfinanzierung für den Autohandel sowie auf Raten- und Ballonkrediten in der Kundenfinanzierung. Ziel ist es, über die zeitliche Streckung des Kaufpreises die Fahrzeuganschaffung zu erleichtern. Mit dem Slogan "Nutzen ist besser als Besitzen" gewinnt ab dem Jahr 1966 das Leasing an Popularität.2) Der Kunde zahlt nur noch für die gefahrenen Kilometer innerhalb eines vereinbarten Kontingents, und der verbleibende Restwert des Fahrzeugs wird am Vertragsende zur Rückführung der noch nicht amortisierten Anschaffungskosten verwendet. Die niedrigen laufenden Tilgungen führen dazu, dass die monatlichen Leasingraten bei gleicher Laufzeit kleiner sind als die Ratenzahlungen für einen Annuitätenkredit, und das kurbelt den Neuwagenverkauf der Hersteller weiter an.

Am Anfang der "Customer Journey" steht die emotionale Entscheidung für ein Fahrzeugmodell, dann folgt die rationale Frage nach den Kosten, insbesondere den laufenden Ausgaben für die Fahrzeugnutzung, also Versicherung, Steuern, Betriebskosten (Kraftstoff und Pflege) und Werkstattkosten für Wartung und Reparatur. Im Gegensatz zu den Anschaffungskosten sind diese Kosten hinsichtlich Höhe und Fälligkeit beim Kaufabschluss nicht vollständig bekannt. Schutz gegenüber diesen Unwägbarkeiten bieten ergänzende Dienstleistungsverträge. So haben sich 56 Prozent der Neuwagenkäufer im Jahr 2019 für einen Serviceoder Wartungsvertrag und 46 Prozent für eine Neuwagengarantieverlängerung entschieden.3)

"Auto-Flatrate" neues Geschäftsmodell

Die Absicherung von Risiken rund um das Auto eröffnet ein neues, schnell wachsendes Geschäftsfeld in Zusammenarbeit mit Versicherern. Die Captive übernimmt die Vermarktung der Policen, der Versicherer trägt das Risiko und verantwortet das Schadenmanagement. So gelang es der Volkswagen Versicherung AG, ein Joint Venture mit der Allianz Versicherung, das Volumen an Versicherungsverträgen innerhalb von fünf Jahren zu verdoppeln, während die Kredit- und Leasingverträge nur um ein Drittel zulegten. Dass diese Dynamik kein Einzelfall ist, zeigt auch die RCI Bank: Auf jeden neuen Finanzierungsvertrag entfallen inzwischen 2,8 neue Versicherungsverträge (Abbildung 2). Die Vermittlung von Dienstleistungen verspricht für die Autobank zusätzliche Gewinnbeiträge ohne Risiko und fördert die Kundenbindung an die Fahrzeugmarken; dem Versicherer eröffnet sich ein weiterer Vertriebskanal. Am Point of Sale bedienen Finanzierungs- und Dienstleistungsangebote gleichermaßen den Wunsch nach planbarer, kostensicherer Mobilität. Werden diese sich ergänzenden Leistungen zu einem Produktbündel verknüpft und in einem pauschalen Beitrag abgegolten, ist die Flatrate der automobilen Mobilität geboren. In der vollen Ausprägung sind darin alle Kosten der Anschaffung und Nutzung, ausgenommen die Tankkosten, abgedeckt.

Abbildung 1: Kennzahlen ausgewählter Autobanken (2019) Quelle: Geschäftsberichte

Vertriebsleistung treibt Verkauf und Bilanz

Dieser Ansatz ist im Fuhrparkmanagement als Serviceleasing schon lange eingeführt; jetzt revolutioniert er beim Einzelkunden die Einstellung zum Auto: Der Eigentümer mit allen Verpflichtungen und Risiken wandelt sich zum Vollkasko-Mieter. Da die echten Total Cost of Ownership, insbesondere der "nicht spürbare" Wertverlust des Fahrzeugs, aber regelmäßig von Privatkunden unterschätzt werden, ist es für den Markterfolg entscheidend, dass die Vorteile dieses Konzepts im Kostenvergleich gegenüber dem Fahrzeugeigentum herausgestellt werden.

Kredit- und Leasingangebote für gewerbliche und private Kunden machen den Kern des Leistungsprogramms der Autobanken aus. Mit innovativen Offerten haben sie einen neuen Markt kreiert. Lag die Barkaufquote im deutschen Privatkundengeschäft im Jahre 2009 noch bei 40 Prozent, so ist sie im Jahr 2019 auf 23 Prozent gesunken, das heißt, 77 Prozent aller Neufahrzeuge werden ganz oder teilweise finanziert beziehungsweise geleast.

Im Fuhrparkmanagement dominiert seit vielen Jahren das Leasing. Die Vertriebsleistung der Captives für den eigenen Hersteller ist an den Penetrationsraten erkennbar. Sie liegen im Premiumbereich für das Kredit- und Leasinggeschäft bei rund 50 Prozent der globalen und bei 70 Prozent der deutschen Auslieferungen und im Volumensegment zwischen 30 Prozent und 44 Prozent (Abbildung 2).

Die Leistungsstärke der Captives führt dazu, dass die Konzernbilanzsummen und insbesondere die Anteile der Bankaktiva am Konzernvermögen expandieren. Bei der BMW Group liegt diese Quote inzwischen bei fast 70 Prozent. Gemessen an ihren weltweiten Bankaktiva (Abbildung 1) fallen die deutschen Fahrzeughersteller inzwischen unter die Top 10 Banken in Deutschland. Allein die Volkswagenbank weist zum 31. Dezember 2019 eine Bilanzsumme von 68 Milliarden Euro auf und zählt zu den systemrelevanten Instituten.

Abbildung 2: Key Performance Indicators ausgewählter Autobanken (2019) in Prozent Quelle: Geschäftsberichte

Schlüsselkompetenzen stärken die Profitabilität

Der Erfolg der Autobanken lässt sich auch an den Kennzahlen der Profitabilität und Wirtschaftlichkeit ablesen. So wächst der Jahresüberschuss im Bankgeschäft im Jahr 2019 bei allen deutschen Herstellern auf Rekordhöhe; auf Vorsteuerbasis liegt der Anteil bei durchschnittlich rund 35 Prozent des Konzernergebnisses (Abbildung 1). Der Anteil fällt aber je nach der wirtschaftlichen Konstitution des Fahrzeugherstellers höher und niedriger aus. Mit einer zweistelligen Eigenkapitalrendite haben sich die Spezialisten für die Automobilfinanzierung deutlich besser entwickelt als so manche Universalbank (Abbildung 2). Es wäre aber voreilig, die Profitabilität allein dem Markterfolg zuzuschreiben. Denn gerade bei gemeinsamen Verkaufsaktionen mit Hersteller und Handel zu Sonderkonditionen muss sich die Captive durch herausragende Leistungen im operativen Geschäft beweisen. Die Zielvorgaben nehmen die schlanken Abläufe im Industriegeschäft der Hersteller zum Vorbild. Ein regelmäßiges Überprüfen der Key Performance Indicators (KPI) sichert die erreichten Leistungsstandards. Unter dem Strich werden hier Topwerte erzielt. So erreicht die RCI Bank für das Jahr 2019 einen Cost Income Ratio von 29 Prozent.4)

Strategische Vorteile ergeben sich auch im Risikomanagement. Die schnelle und treffsichere Prüfung des Ausfallrisikos hält Ausfallwahrscheinlichkeiten und Forderungsausfälle auf niedrigem Niveau. Eine abschlussorientierte Gestaltung der Sicherheitsauflagen unterstützt die verbundenen Handelsorganisationen. Die erzielten Kreditausfallquoten (Abbildung 2) bestätigen die Richtigkeit dieses Vorgehens. Tatsächlich beweisen die Kunden selbst in konjunkturellen Krisenzeiten eine hohe Zahlungsmoral.

Eine wichtige Schlüsselkompetenz liegt in der Steuerung des Restwertrisikos. Das Leasingvermögen macht bis zu einem Drittel des gesamten Absatzfinanzierungsvolumens aus. Der Gewinn oder Verlust aus dem Leasinggeschäft hängt wesentlich davon ab, ob das Preisrisiko richtig eingeschätzt wird und sich der kalkulierte Restwert am Gebrauchtwagenmarkt realisieren lässt. Die Verwertung der Leasingrückläufer durch den assoziierten Markenhandel erweist sich als weiterer Vorteil für die Autobanken, weil die Preise im fein gesteuerten Verkauf an Endkunden über den Preisen an Wiederverkäufer liegen.

Abbildung 3: Automobile Finanzdienstleistungen - vom Fahrzeugkauf zur Mobilitätslösung Quelle: Geschäftsberichte

Bindung an den Konzern kann Vorteil oder Last sein

Topkonditionen am Kapitalmarkt sind notwendig, um günstige Zinssätze für die Kredit- und Leasingofferten kalkulieren zu können. Als konzerngebundene Institute sind die Captives grundsätzlich auf das Rating der Muttergesellschaft angewiesen. Je nach Produktprogramm, wirtschaftlichem Erfolg und den Zukunftsaussichten im Fahrzeuggeschäft der Hersteller kann diese Abhängigkeit zu einem Vorteil oder zu einer Belastung werden. Auf diesem Feld konnten gerade die Institute deutscher Hersteller bisher mit Bestnoten punkten (Abbildung 1).

Das ratingunabhängige Einlagengeschäft und die innovative Verbriefung von Kredit- und Leasingforderungen komplettieren das Instrumentarium der Finanzmittelbeschaffung zu niedrigen Einstandskosten. Gemessen an der Eigenkapitalverzinsung und den operativen Leistungsindikatoren gehören die Captives in die Champions League der europäischen Bankwirtschaft. In der Automobilwirtschaft ist ihre Rolle als Katalysator und Stabilisator der automobilen Wertschöpfung allgemein anerkannt. Es ist jedoch zu fragen, ob das aktuelle Geschäftsmodell auch in Zukunft Bestand haben wird.

"Mobilität auf Zeit" verdrängt Statusdenken

Die großen Zukunftstrends unter der Abkürzung "Case" (Connected, Autonomous, Shared, Electric) stellen die Automobilwirtschaft auf den Kopf. Die Fahrzeuge werden elektrisch angetrieben, können autonom fahren und setzen in Komfort, Sicherheit und Unterhaltung neue Maßstäbe. Eine Vielzahl von Nutzern wird sich das Fahrzeug teilen, und die komfortable Ausgestaltung der Fahrgastzelle wird für die Wahl des Automobils wichtiger als die Art des Antriebs oder die Leistungsstärke des Motors.

Wenn der Fahrer die Fahrzeit als Arbeits-, Informations-, Kommunikationsoder Entertainmentzeit" versteht, zum Beispiel im Verkehrsstau oder im autonomen Fahrmodus, dann kann die Autobank das Fahrzeug als technische Plattform für neue digitale Dienstleistungen und telematische Dienste einsetzen. Dazu gehören Telefonie und Datenaustausch etwa für Büro- oder Entertainment-Anwendungen wie Videokonferenzen oder das Streaming von Präsentationen, Musik oder Filmen.

Eine gezielte Auswertung der vom Fahrzeug generierten Daten führt weiter zu neuen On demand Angeboten, wie "Over the Air" Updates von Software, pushgetriebene Wartungstermine in der Werkstatt, zeitlich limitiertes Freischalten von zusätzlichen PS und dynamische Lichtpakete für eine Nachtfahrt sowie Finanzierungs- und Versicherungsangebote nach dem Pay-as-you-drive-Prinzip. Damit wird die Beherrschung der "Car Connectivity" zum differenzierenden Wettbewerbsfaktor nicht nur für den OEM, sondern auch für die Bereitstellung von Dienstleistungen seiner Captive.

In der Mobilitätswelt von morgen verlagert sich der Selling Point" aus Kundensicht weg von der physikalischen Hardware des Fahrzeugs hin zum digitalen Erlebnis während der Fahrt. Automobile Mobilität auf Zeit bedeutet, der Kunde zahlt nur für gefahrene Kilometer, Fahrzeiten und/oder den in Anspruch genommenen digitalen Content bei minutengenauer Abrechnung. Die Mobilität der Zukunft wird so flexibel sein wie nie zuvor. Das lässt sich an der Methodik des Carsharing und des Autoabonnements verfolgen. Die konventionellen stationären Mietstationen werden durch das mobile Telefon ersetzt. Das hat in zweifacher Sicht Konsequenzen. Wer es gewohnt ist, Informationen und Videos gegen Zahlung einer Monatsgebühr ohne langfristige Vertragsbindung zu nutzen, der möchte auch das Fahrzeug seinen Lebensumständen anpassen. Zweitens ist das Smartphone ein technologischer Enabler, ohne dessen Leistungsstärke keines der digitalen Mietmodelle zu realisieren wäre. Gegen eine Service gebühr sind Leistungen für beliebige Zeiträume über eine digitale Vermittlungsplattform buchbar. Informationsaustausch, Abrechnungen sowie Zahlungen werden ebenfalls darüber abgewickelt (Abbildung 3).

Das begeistert vor allem die jüngeren, digitalaffinen Kunden, die oft eine höhere Zahlungsbereitschaft als herkömmliche Leasing oder Finanzierungsnehmer aufweisen.5) Prognosen von Frost & Sullivan machen deutlich, dass für solche Problemlösungen Nachfrage besteht. Das in Nordamerika und Europa im Jahr 1925 für Autoabonnements eingesetzte Fahrzeugvolumen wird auf rund 16 Millionen Neu- und Gebrauchtwagen geschätzt.

Diese Entwicklung löst ein Umdenken auch beim Autokauf aus. War bisher der Handel der erste Kontaktpunkt des Kunden, der das "schrankfertige" Geschäft an die Autobank übergab, so dreht sich jetzt diese Aufgabenverteilung um 180 Grad. Der Finanzdienstleister bahnt als "Türöffner" das Geschäft online an, um es dann "schrankfertig" dem Hersteller oder Händler zur physischen Abwicklung zu übertragen.

Wenn der Kredit- und Leasingvertrag genauso kurzfristig kündbar ist wie ein Mietvertrag, dann können der persönliche Besuch im Autohaus und die Probefahrt des Wunschfahrzeugs entfallen. Stattdessen orientiert sich der Kunde hinsichtlich Händlerleistungen und Fahrzeugeigenschaften an den Zufriedenheitsurteilen seiner "Freunde" in den einschlägigen Peer-Groups im Internet. Neue Technologien wie VR (Virtual Reality) und 360-Grad-Videos machen das Auto außerdem digital erfahrbar. Damit läuft der Autohandel Gefahr, seine Beratungs- und Verkaufshoheit in der Kundenbeziehung völlig zu verlieren.

Prozesskompetenz vor Produkt-Know-how

Zur Erfüllung ihres strategischen Auftrags haben die Autobanken bisher ihr Leistungsprogramm kontinuierlich ausgeweitet. Die neue Aufgabenverteilung in der Kundenbeziehung verlagert nun den Schwerpunkt des Geschäftsmodells auf die Ausgestaltung der Vertriebswege. Die Kunden wollen über digitale Touch Points in die Leistungserbringung einbezogen werden; dazu gehören die Websites des Handels und der Hersteller, Social Media, Vermittlungsplattformen oder Smartphone Apps. Diese Berührungspunkte müssen leicht verständlich, transparent und bedienerfreundlich gestaltet sein. Denn aus dem Erlebnis des ersten Kontakts schließt der Kunde auf die Kompetenz des Anbieters. Qualität und Umfang des Leistungsprogramms können noch so gut sein, es kommt nur zu einem Kaufabschluss, wenn die technologischen Stärken der Autobank überzeugen.

Mobilitätsdienstleistungen sollen für den Kunden maßgeschneidert, aber auch kostengünstig sein. Im Massengeschäft gelingt das nur über den Einsatz moderner Softwaretools - wie etwa intelligente Algorithmen beziehungsweise KI - bei gleichzeitiger Beschränkung auf eine überschaubare Anzahl standardisierter Leistungsblöcke. Da Finanz- und Mobilitätsdienstleistungen unabhängig von Fahrzeugmodell und -marke erbracht werden können und allein der Kunde den von ihm bevorzugten Vertriebskanal bestimmt, stoßen die Autobanken plötzlich auf neue Wettbewerber, die Fintechs, Insurtechs und Mobilitytechs wie Cluno, Faaren, Vivelacar oder Like2D-rive. Groß geworden in der Informationstechnologie und ohne Belastung durch Altsysteme, zeigen sie, welche Möglichkeiten die Digitalisierung der Vertriebswege bietet.

Markenidentität bleibt wichtiges Differenzierungsmerkmal

Im unpersönlichen digitalen Universum bleibt die Markenidentität jedoch ein wichtiges Differenzierungsmerkmal für die Kundenbeziehung. Die Newcomer haben zwar beim Aufbau neuer Vertriebswege einen technologischen Vorsprung, doch die Autobanken profitieren unverändert von der Imagestärke ihrer Herstellermarken.

Zwar sind Apps für mobile Endgeräte schnell und kostengünstig zu programmieren, doch ihre durchgängige Anbindung an die eigenen Banksysteme, vom CRM bis hin zur Vertragsverwaltung und Buchhaltung, ist nicht trivial. So reichte es bei einer Übereinstimmung zwischen Fahrzeugnutzer und Eigentümer bisher aus, auf die Fahrgestellnummer des Herstellers zurückzugreifen. Das garantierte die eindeutige Zuordnung des Kunden zum Fahrzeug und zu den verbundenen Dienstleistungen. Wird das Auto im Share Modus von vielen Nutzern gefahren, sind zusätzliche Kundenidentitäten einzuführen, um die Dienstleistungen unabhängig vom Fahrzeug mit den Kunden zu verknüpfen - keine leichte Aufgabe in einer historisch gewachsenen IT-Landschaft.

Das Zusammenspiel zwischen Front- und Backoffice und der Datenaustausch mit den an der Leistungserstellung beteiligten Partnern kann nur mit einer offenen, flexiblen Informationstechnologie gelingen, vor allem wenn die Kundenanfrage ohne Zeitverzug bearbeitet werden soll. Sie läuft im Hintergrund der Wertschöpfungskette und verknüpft die richtigen Daten zum richtigen Zeitpunkt zu relevanten Informationen. Mit einer prozessorientierten Vorgehensweise lassen sich Produktbeziehungsweise Serviceinnovationen rasch auf den Markt bringen, wie eine zeitaktuelle Preisanpassung von Mobilitätsdienstleistungen und eine fahrerspezifische Tarifierung in der Kfz Versicherung mithilfe telemetrischer Daten. Die IT wird also zum Rückgrat des Geschäftsmodells. Die für die Umsetzung erforderlichen Investitionen sind allerdings beträchtlich und lassen manche Autobank vor diesem als richtig anerkannten Ansatz zurückschrecken. Daher ist die Kooperation mit einem branchenfremden Anbieter manchmal die Ultima Ratio, um die neuen, umsatzstarken Marktsegmente nicht zu verlieren.

Optionen für ein Geschäftsmodell der Zukunft

Auf die sich abzeichnenden Veränderungen müssen die Autobanken rechtzeitig durch einen Umbau ihrer bewährten Geschäftsmodelle reagieren. Mit unterschiedlichen Schwerpunkten im Kundenmanagement beziehungsweise im Kerngeschäft werden hier bewusst zwei gegensätzliche strategische Optionen aufgezeigt, die bei der konkreten Implementation je nach Situation zu modifizieren sind.

Szenario "Ökosystem": Die traditionelle Finanzierung der Vermögenswerte im Handel und beim Kunden wird fortgeführt und das Gewicht volumenstarker Flottenkunden im Portfolio zunehmen. Von den zusätzlichen Kundeninteraktionen profitieren die Penetrationsraten und lassen die Konzernbilanz noch banklastiger werden. Das Kredit- und Leasinggeschäft stabilisiert die Ergebnisrechnung; Mobilitätsdienste, Serviceleistungen und neue digitale Angebote geben dem Bankergebnis einen zusätzlichen Schub. Eine quantitative Hochrechnung dieses Szenarios bestätigt die skizzierten wirtschaftlichen Konsequenzen.6) Das Wachstum der Bankaktiva führt tendenziell zu größeren Ausfall und Restwertrisiken. Eine Aufstockung des Risikokapitals wird insbesondere dann erforderlich, wenn die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Kapitalunterlegung weiter verschärft werden. Die bisherigen operativen Stärken bleiben auch in Zukunft wichtig, um die guten Performancestandards und Profitabilitätsziele zu halten.

Aber neue Kompetenzen müssen erlernt werden, vor allem in der Prozessorganisation und -digitalisierung. Die Verantwortung dafür übernimmt ein Chief Digital Officer. Er führt die Anforderungen der Geschäftsfelder Bank und Fahrzeug zusammen und verantwortet deren Umsetzung gegenüber der Konzernleitung. Die Newcomer am Markt werden dafür sorgen, dass diese Transformation eher disruptiv als evolutionär erfolgt. Auch der Autohandel muss seine Rolle neu definieren. Dass dieses Szenario nicht zukunftsfern ist, zeigt die Neuausrichtung des Daimler-Konzerns. Die Daimler Financial Services AG arbeitet seit Juli 2019 unter dem Namen Daimler Mobility AG gleichberechtigt neben der Mercedes-Benz AG und der Daimler Truck AG an der Schaffung eines Mobilitäts-Ökosystems für den Konzern. Es ist aber auch eine andere Weichenstellung vorstellbar.

Szenario "Leere Hülle": Die für die Transformation des Geschäftsmodells benötigten Ressourcen und das für die Risikounterlegung erforderliche Kapital stehen nicht zur Verfügung. Der hohe Verschuldungsgrad der Konzernbilanz und die fehlende Rentabilität des Industriegeschäfts führen zu einer Abstufung im Rating. Die spezialisierten digitalen Wettbewerber erobern wertvolle Teile der Wertschöpfungskette. Die Modernisierung der gewachsenen IT-Systeme ist zu kostspielig, und die Restwertrisiken zukünftiger Fahrzeuggenerationen erscheinen unüberschaubar.

In diesem Szenario kann sich der Hersteller die Fortführung oder gar den Ausbau des traditionellen Geschäftsmodells seiner Captive nicht mehr leisten. Er entscheidet sich dafür, die Bilanzaktiva der Bank herunterzufahren und das freigesetzte Kapital umzuwidmen, etwa in den Elektroantrieb, in die Verminderung des Schadstoffausstoßes und Vernetzung der Fahrzeuge.

Die Aufgaben der Konzernbank werden in die Hände eines Joint-Venture-Partners gelegt. Der Hersteller verzichtet auf die alleinige strategische Führung; die Intensität der Marktbearbeitung, die Umsetzung der digitalen Transformation und die Einführung neuer Dienstleistungen werden Verhandlungssache. Beim Partner sind fachliche Kompetenz, finanzielle Solidität und Kapazität sowie die Fähigkeit gefragt, auf Marktveränderungen rasch zu reagieren.

Im Außenverhältnis tritt die Captive weiterhin in Erscheinung, um die Bindung der Kunden an die Fahrzeugmarken zu gewährleisten, im Innenverhältnis ist der Partner für die operative Performance verantwortlich. Das betrifft Risikomanagement, Vertragsabwicklung und Mittelbeschaffung. Hier kann die Autobank Konditionsvorteile aus einer besseren Ratingnote des Partners realisieren. Paritätisch besetzte Gremien sollen die Umsetzung der vereinbarten Geschäftsziele überwachen. Doch auf eine proaktive Absatzunterstützung, wie es typisch für eine "echte" Captive ist, muss der Hersteller verzichten. Denn die unabhängigen Bankpartner bevorzugen Kreditfinanzierungen mit langen Laufzeiten zulasten des Leasinggeschäfts, Restwertrisiken werden nicht eingegangen.

Modellrechnungen für diese Option 7) zeigen einen deutlichen Rückgang der Penetrationsraten. Auch der Ausbau der Mobilitäts- und Servicedienstleistungsangebote kann den Ergebnisrückgang nicht kompensieren, und die Profitabilität der Autobank nimmt ab. Eine Rückbesinnung auf das industrielle Fahrzeuggeschäft lässt sich am Beispiel der PSA-Gruppe beobachten. Das operative Bankgeschäft liegt seit 2014 für die Marken Citroën, Peugeot und DS in den Händen eines Joint Ventures mit Banco Santander, seit 2017 werden die Marken Opel und Vauxhall von einem Joint Venture mit BNP Paribas betreut.

Das Geschäftsmodell bleibt profitabel

Zur Absicherung des Markterfolgs ist der Hersteller auf eine unterstützende Fahrzeug und Händlerfinanzierung angewiesen. Das zeigt auch der Sanierungsfall General Motors. Nach dem Verkauf seiner Captive (GMAC) 2008/ 2009 wurde schnell klar, dass damit auch die Wertbeiträge ausbleiben und Loyalitätsraten einbrechen. Daher ließ der Start einer neuen eigenen Bank nicht lange auf sich warten. Die Trends zur Digitalisierung und Urbanisierung sowie das sich wandelnde gesellschaftliche Mobilitätsverhalten erfordern jedoch eine Neuausrichtung des Geschäftsmodells der Autobanken. Gefragt sind flexible, digitale Problemlösungen rund um die automobile Mobilität. Gelingt der Strategie schwenk zur stärkeren Interaktion mit dem Endkunden, dann können die Autobanken ihren Ruf als kreative Katalysatoren der automobilen Wertschöpfungskette bestätigen, für den Herstellerkonzern eine Führungsrolle im Kundenmanagement übernehmen und ihre Erfolgsstory fortsetzen. Das setzt jedoch ein profitables Automobilgeschäft der Hersteller voraus. Ist dies nicht der Fall, bleibt der Autobank nichts anderes übrig, als sich mit Unterstützung kompetenter externer Partner auf eine möglichst effiziente Ausführung des klassischen Geschäftsmodells, also Kredit und Leasingfinanzierung sowie die damit verbundenen Dienstleistungen, zu konzentrieren. Das sichert dem Hersteller ein Minimum an Ergebnisbeiträgen und Kundenbindung.

Tatsächlich zeigen die kürzlich abgeschlossenen oder angekündigten Fusionen und Kooperationen sowie der

technologische Wettbewerb, unter welchem Veränderungsdruck das Industriegeschäft der Hersteller steht. Ob der Ausbau der Autobank in Richtung digitaler Mobilitätsdienstleistungen unter diesen Rahmenbedingungen trotzdem gelingen kann und die zukünftigen Wertschöpfungspotenziale ausgeschöpft werden können, bleibt abzuwarten.

Fußnoten

1) Autobank bezeichnet die konzerneigene Bank, Finanzierungs- oder Leasinggesellschaft beziehungsweise aus Konzernsicht die Geschäftssparte eines Fahrzeugherstellers.

2) Im Jahr 1966 wird die Volkswagen Leasing GmbH gegründet.

3) DAT Report 2020, S. 47.

4) Zum Vergleich: Die Banco Santander Gruppe zeigt im Jahr 2019 einen Cost Income Ratio von 47 Prozent für das globale Geschäft.

5) Das Durchschnittsalter der Abo-Kunden der Faaren GmbH liegt bei 35 Jahren. Vgl. Autohaus Newsletter vom 9. September 2020.

6) Schell, B.: Smart Technology: Katalysator der Kundeninteraktion, in; Stenner, F. (Hrsg.): Handbuch der Automobilbanken 2. Auflage, Berlin, Heidelberg 2015, S. 12.

7) Deloitte: Future of Captives, What will be the core business for automotive Captives in 2030? in: Deloitte's Global Automotive Finance Practice, 2/2018, Future of Captives, Scenario 3 Empty Shell, S. 41-45.

Literaturhinweise

Diez, W. Wohin steuert die deutsche Automobilindustrie, 2. Auflage, Berlin, Boston 2018. Stenner, F.: Das Restwertrisiko in der Fahrzeugfinanzierung, in: Risikomanager 10/2013, S. 11-13.

Stenner, F./Häcker, J.: Die Bedeutung der herstellerverbundenen Finanzdienstleistung für den Automobilkonzern, DICF, Frankfurt a. M. 7/2013.

Stenner, F. / Wimmer, K.: Geschäftsmodelle auf dem Prüfstand - Beispiel Autobanken, in: FLF, Heft 2/2018, S.124-12.7

Stenner, F.: Autobanken in Bestform für neue Mobilitätsservices, in: FLF Heft 5/2019, S. 24-26.

Prof. Dr. Frank Stenner , Honorarprofessor und Lehrbeauftragter , Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) Nürtingen-Geislingen

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