DIGITALE ÖKOSYSTEME

Baufinanzierung - der Trend geht zur Plattform

Dr. Oliver Mihm, Foto: Investors Marketing

Längst ist nicht mehr die Hausbank erste Anlaufstelle in Sachen Baufinanzierung, sondern eine Suchmaschine. In fünf Jahren dürfte fast jede zweite Baufinanzierung in Deutschland über eine Plattform abgeschlossen werden, so die Autoren. Obwohl Banken und Plattformen unterschiedliche Zielgruppen erreichen, müssen Kreditinstitute deshalb definieren, wie sie mit den Portalen umgehen wollen. Entweder gilt es, den Vertrieb über Plattformen zu erweitern. Alternativ können sich Banken und Sparkassen als freie Vermittler positionieren, um die Quote der Beratungen ohne Abschluss zu reduzieren. Red.

Die Zeiten, in denen die Hausbank als erste Adresse für die private Immobilienfinanzierung galt, sind heute vorbei: Denn digitale Anbieter, Vertriebswege und Vergleichsmöglichkeiten haben das Kaufverhalten nachhaltig verändert. Doch Banken und Sparkassen sind dieser Entwicklung keinesfalls schicksalhaft ausgeliefert. Mit der passenden Strategie können sie ihre Rolle als Kundenbeziehungsmanager auch in einer digitalisierten Welt aktiv gestalten.

In fünf Jahren jeder zweite Abschluss über eine Plattform

Schon heute liegt der Online Anteil im Neugeschäft mit Baufinanzierungen bei rund 30 Prozent - mit steigender Tendenz. Prognosen zufolge dürfte im Jahr 2025 sogar jede zweite Baufinanzierung in Deutschland über eine Vertriebsplattform im Internet vermittelt werden. Neben Zahlungsverkehr und Wertpapierhandel gehört die Baufinanzierung damit zu den Geschäftsbereichen von Banken, in denen die digitale Transformation weit vorangeschritten ist.

Als elektronische Marktplätze und Drehscheibe zwischen Produktgebern und Vertrieben spielen Plattformen dabei eine zentrale Rolle. Zwei große Plattformbetreiber in Deutschland teilen sich den Markt: Europace, mit den Schwestergesellschaften Finmas und Genopace, sowie Interhyp (eHyp). Neben Banken und Sparkassen nutzen die rund 20 000 freien Immobiliendarlehensvermittler die Plattformen, die ihnen Zugang zu einem offenen und umfassenden Produktangebot bieten.

Die großen Plattformanbieter sind zudem durch eigene Vertriebsgesellschaften wie Dr. Klein oder Interhyp im Endkundengeschäft aktiv. Durch ihre hohe mediale Sichtbarkeit sind sie bei Kunden als relevanter Anbieter für Baufinanzierungen bekannt. Auch Vergleichsportale wie Check24 entwickeln sich immer mehr vom reinen Tippgeber zur Vertriebsgesellschaft.

Doch wie konnte sich das Plattformgeschäft, noch 2010 eher ein Nischen oder Ventilangebot, so rasant zur zweiten Säule im Baufinanzierungsgeschäft und zum ernst zu nehmenden Wettbewerber von Banken und Sparkassen entwickeln? Gründe dafür liegen nicht nur in den neuen technischen und prozessualen Möglichkeiten durch die Plattformen, sondern insbesondere auch in dem spezifischen Vertriebsansatz und dem gebotenen Kundenerlebnis.

Um zu verstehen, wie Kunden die verschiedenen Anbieter entlang ihrer Customer Journey erleben und wie sie ihre Entscheidungen treffen, hat Investors Marketing im Jahr 2019 eine Umfrage unter 200 Kunden durchgeführt, die in den vorausgegangenen 36 Monaten eine Baufinanzierung abgeschlossen hatten. Die Antworten stammen von echten Baufinanzierungskunden mit aktuellem Kauferlebnis, nicht von potenziellen Interessenten. Ziel der Befragung war es zu erfahren, wer erster Ansprechpartner für Interessenten an einer Baufinanzierung ist und wie sie typischerweise auf dessen Angebot aufmerksam werden; welche Erwartungen die Interessierten an Banken und Vermittler haben; und welches die relevanten Entscheidungsparameter für den Abschluss sind.

Suchmaschinen sind der Einstieg zur Baufinanzierung

Die Kundenreise in der Baufinanzierung ist wesentlich komplexer als oft angenommen - das ist die zentrale Erkenntnis der Kundenbefragung. Statt wie früher bei der Hausbank beginnt sie heute immer online oder bei freien Vermittlern. Suchmaschinen sind der typische Einstieg auf dem Weg zur Baufinanzierung - 66 Prozent der Befragten sind so auf Angebote aufmerksam geworden. Hier profitieren Online Vertriebe und Plattformen von ihrer hohen Online Präsenz. Nur noch ein Viertel der privaten Baufinanzierer steuert zuerst die Hausbank an, 12 Prozent gehen zunächst zu einer anderen Bank, 19 Prozent zum Berater der Bausparkasse. Für immerhin 45 Prozent der Befragten sind Online Plattformen oder freie Vermittler inzwischen die erste Station auf dem Weg zur Baufinanzierung.

In dem Moment, in dem der Kunde bei seiner Hausbank nach einem konkreten Angebot fragt, hat die Kundenreise folglich längst begonnen. Und selbst wenn der Kunde zuerst seine Hausbank aufsucht, ist ein erfolgreicher Abschluss nicht garantiert: Interessenten holen Angebote von durchschnittlich drei verschiedenen Anbietern ein, und beinahe ein Drittel der Kunden schließt nicht bei dem Anbieter ab, bei dem der Erstkontakt stattfand. Vermittlern gelingt es dabei oft deutlich besser, den Kunden zu überzeugen und zu binden: Die Absprungquote von Banken hin zu Vermittlern ist 44 Prozent höher als umgekehrt.

Regionalbanken häufiger die erste Wahl

Die Konkurrenz der Vermittler ist in den Sektoren unterschiedlich stark spürbar: Während Regionalinstitute häufiger als der Durchschnitt erste Wahl bei ihren Kunden sind (mehr als 60 Prozent der Kunden schließen bei ihrer Bank die Baufinanzierung ab), verlieren die großen Geschäftsbanken mehr als 60 Prozent der Hausbankkunden an Vermittler. Von den Hausbankkunden der ING hat weniger als die Hälfte die Baufinanzierung bei Vermittlern abgeschlossen.

Diese Situation ist für Banken und Sparkassen Chance und Risiko zugleich. Plattformen und Vermittler führen einerseits signifikantes Neugeschäft und damit auch Neukunden zu. Andererseits sind sie Konkurrenten - um Bestandskunden und Kundenbeziehungen.

Aus Kundensicht bieten Online Plattformen und Vermittler mehr als günstige Konditionen. Sie verstehen sich als Begleiter des Kunden von Anfang bis Ende - und arbeiten kontinuierlich da ran, das Kundenerlebnis immer weiter zu optimieren. Längst setzen sie Maßstäbe, was Schnelligkeit und Kundenorientierung im Kaufprozess angeht. Dies drückt sich auch in Kompetenzwahrnehmung und Image aus.

Beratung, Preis und Vergleich zählen

Die Hauptkriterien für den Abschluss einer Baufinanzierung sind durchweg eine kompetente Beratung, ein günstiger Preis sowie umfassende Vergleichsmöglichkeiten.

Für Kunden, die bei einer Bank ab geschlossen haben, sind daneben die Beratung vor Ort und das Image des Anbieters entscheidend. Gegen den Abschluss bei einem freien Vermittler sprechen aus ihrer Sicht ein zu langwieriger Kreditprozess und mangelndes Vertrauen, bei Online Vertriebsgesellschaften kommt noch das Fehlen eines persönlichen Ansprechpartners hinzu.

Für diejenigen Kunden, die bei einem freien Vermittler oder auf einer Online Plattform abgeschlossen haben, sind der günstige Preis und umfassende Vergleichsmöglichkeiten ausschlaggebend dafür. Gegen die Finanzierung bei einer Bank sprechen für sie zu hohe Zinsen, ein schlechtes Preis Leistungsverhältnis oder ein nicht bedarfsgerechtes Angebot.

Unabhängig von der konkreten Kaufentscheidung gilt für 80 Prozent der Finanzierungskunden die Vertrauenswürdigkeit als wichtigste Eigenschaft eines Anbieters von Baufinanzierungen, gefolgt von Kompetenz mit 72 Prozent und einem guten Preis Leistungsverhältnis mit 71 Prozent.

Banken und Vermittler sind nicht austauschbar

Alles in allem verbinden Kunden mit Banken ein positives Image, den festen, persönlichen Ansprechpartner, Vertrauenswürdigkeit und Kompetenz. Vermittler und Plattformen stehen dagegen für ein breites Angebot, das beste Preis Leistungsverhältnis, günstige Preise und umfassende Vergleichsmöglichkeiten. Banken und Vermittler sind also aus Kundensicht nicht austauschbar, sondern bedienen unterschiedliche Kundenerwartungen und Kundentypen. Dies bietet Banken und Sparkassen die Möglichkeit, ihre Positionierung im Markt aktiv zu gestalten. Sie können hier auf bestehende Stärken wie Vertrauenswürdigkeit und Image setzen - oder durch ein breiteres Angebot und mehr Vergleichsmöglichkeiten neue Akzente setzen.

Um sich in einer digitalisierten Welt als Kundenbeziehungsmanager zu positionieren, ist zunächst eine systematische, strategische Auseinandersetzung mit dem Geschäftsfeld Baufinanzierung erforderlich. Ausgangspunkt ist in der Regel eine Standortbestimmung der eigenen Marktposition, im direkten Kundengeschäft sowie im Vermittler und Plattformgeschäft. Auch eine klare Einschätzung der eigenen Stärken und Schwächen gehört dazu.

Für viele Institute ist es hilfreich, ihre Innensicht durch eine externe Perspektive zu ergänzen. Darauf aufbauend lässt sich dann die strategische Positionierung nach innen und außen formulieren. Dazu gehört auch, Ziele, Zielgruppen und das Leistungsangebot klar zu kommunizieren sowie eindeutige Messgrößen zu definieren, zum Beispiel für die Schnelligkeit der Finanzierungszusagen. Ein wesentliches Element ist die Auseinandersetzung mit der Kundenreise, denn Strategie wird nur wirksam, wenn sie der Kunde auch erlebt - von der Information bis zum Abschluss und darüber hinaus.

Eine differenzierende Produktgestaltung bietet die Chance, sich vom Wettbewerb über mehr als nur den Preis abzuheben, zum Beispiel indem Kunden Lösungen für aktuelle Probleme im Zusammenhang mit dem Immobilienerwerb angeboten werden, die sich jenseits des Kapitalbedarfs bewegen. Zudem lassen sich kaufentscheidende Faktoren wie Preis, Flexibilität, Beratung oder Schnelligkeit gezielt bespielen und je nach Kanal variieren. Hinzu kommen eine systematische Marktbearbeitung sowie die Kundenansprache im eigenen Bestand, um ihn zu sichern und besser zu durchdringen - inklusive eines aktiven Prolongationsmanagements, um die Abwanderung von Kunden bei der Refinanzierung zu verhindern.

Den Umgang mit Plattformen definieren

Die Aufstellung im Vermittler und Plattformgeschäft stellt aber die zentrale Fragestellung in der strategischen Auseinandersetzung dar. Dies hängt stark davon ab, welche strategische Position eine Bank in der Zukunft einnehmen möchte und was sie als ihre Stärke sieht. Kurz gesagt: sieht die Bank ihre Rolle eher als Produzent oder als Manager der Kundenschnittstelle.

Die Entscheidung über den Umgang mit Plattformen sollten Banken und Sparkassen bewusst treffen, statt sich von den Entwicklungen am Plattformenmarkt treiben zu lassen. Grundsätzlich bieten sich zwei Stoßrichtungen.

1. Die Intensivierung des Plattform und Vermittlergeschäfts verfolgt das Ziel, die eigene Vertriebsoberfläche zu erweitern und auszubauen, das durch Vermittler eingelieferte Baufinanzierungs Volumen zu steigern und nicht zuletzt den Anteil am vermittelten Geschäft je Vermittler zu erhöhen.

2. Die eigene Vermittlertätigkeit geht noch darüber hinaus. Offene Beratung kann ein Ventilangebot sein, um preissensible Kunden zu überzeugen. Echte Multi Produkt Strategien ermöglichen eine bedarfsgerechte Beratung, wie Kunden sie sich heute wünschen. Dabei berät das Institut - sich selbst als Begleiter durch die Multikanal Kundenreise positionierend - nicht nur sein eigenes Bilanzprodukt, sondern navigiert seinen Kunden durch den relevanten Angebotsmarkt und bietet ihm damit einen umfassenden Lösungsansatz. Es gestaltet den Vergleich, erzeugt Markttransparenz und findet so immer die passende Lösung für den individuellen Bedarf des Kunden. In der Konsequenz gibt es für den Kunden keinen rationalen Grund mehr, weitere Anbieter aufzusuchen - er kann seine Reise beenden.

Für die Bank oder Sparkasse birgt das die Aussicht auf eine enorm steigende Konversionsquote, indem der Anteil der Leerberatungen ohne Abschluss reduziert wird. Sie sichert sich darüber hinaus die Kundenbeziehung und damit die Chance, mit dem Kunden auch in anderen Produktbereichen Erträge zu erzielen.

Bei der Entscheidung für eine Strategie im Plattformgeschäft gibt es kein pauschales Richtig oder Falsch. Ob sich ein Haus in erster Linie als Produktgeber und Partner der freien Vermittler positioniert, ob offene Beratung als Ventilangebot oder als echte Multi Produkt Strategie zum Einsatz kommt, ist abhängig von vielen Faktoren. Wichtig ist jedoch, die Optionen frühzeitig zu prüfen und zu bewerten - um sich auch in einer digitalisierten Welt als Kundenbeziehungsmanager zu positionieren.

Dr. Oliver Mihm, Gründer und CEO, Investors Marketing AG, Frankfurt am Main
Hendrik Pelckmann, Partner, Investors Marketing AG, Frankfurt am Main
Dr. Oliver Mihm , Vorsitzender des Vorstands, Investors Marketing AG, Frankfurt am Main
Hendrik Pelckmann , Partner, Investors Marketing AG, Frankfurt am Main

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