bank und technik

Blockchain in der Finanzbranche - eine disruptive Technologie?

Bild 17

Die Blockchain-Technologie hat großes Potenzial, die Finanzbranche zu verändern, meint Jörn Tobias. Noch befindet sie sich jedoch in einem experimentellen Stadium. Bevor es zu einer vollständigen Einführung der Technologie kommen kann, müssen eine Reihe von Herausforderungen gemeistert und Antworten auf offene Fragen gefunden werden - vor allem hinsichtlich Vertrauen in die Technologie, Regulierung und rechtlicher Bedenken sowie der technischen Skalierbarkeit. Die wahre Herausforderung sieht der Autor dabei darin, einen Konsens über branchenweite Standards zu erzielen. Bis das Potenzial der Blockchain-Technologie in der Finanzbranche wirklich genutzt werden kann, wird seiner Einschätzung nach deshalb noch einige Zeit vergehen. Red.

Wer eines Tages auf die ersten beiden Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts zurückblickt, wird diese nicht mit der weltweiten Finanzkrise oder deren Folgen verbinden. Vielmehr werden es die technologiegetriebenen Innovationen sein, die in Erinnerung bleiben. Denn sie haben grundlegend verändert, wie wir leben, arbeiten und kommunizieren.

Wem es als Unternehmen nicht gelingt, rasch und entschieden neue Technologien zu erforschen und zu nutzen, wird von anderen Unternehmen überholt. Eine disruptive Technologie, auch wenn diese bei erster Betrachtung nicht den Eindruck erweckt, kann langfristig weitreichende und am Anfang nicht absehbare Auswirkungen haben. Obwohl sie sich durchaus schleichend und in Form eines "experimentellen" Fortschritts entwickelt, kann sie eine Industrie vollkommen verändern, da durch sie bespielweise nie dagewesene Konzepte der Individualisierung, Kooperation und Standardisierung oder vollständig neue Produkte und Geschäftsmodelle geschaffen werden können. Dies gilt auch für die Finanzindustrie, deren Wertschöpfungskette reif für Veränderungen ist.

Was kann die Blockchain?

Eine Technologie, die derzeit im Finanzsektor besonders im Fokus steht, ist die Blockchain. Diese Technologie ist möglicherweise weitaus effektiver und effizienter als es die gegenwärtigen Methoden erlauben, da sie beispielsweise Verarbeitungs-, Abrechnungs- und Erfassungsvorgänge beschleunigen und vereinfachen könnte. Bei der Blockchain handelt es sich um ein Netzwerk von dezentralen Datenbanken, die jeweils aktualisiert werden, sobald sich die Teilnehmer gemeinsam auf einen neuen Eintrag, wie beispielsweise eine Transaktion, einigen. Sobald dieser hinzugefügt wird, aktualisieren sich alle dezentralen "Datenbankkopien" entsprechend synchron. Somit wird jede Veränderung transparent erfasst und kann stets von jedem Teilnehmer nachvollzogen und überprüft werden.

Die Funktionsweise dieser Technologie bietet für die Finanzbranche einige Vorteile:

- Die Blockchain schafft Vertrauen: Infolge der weltweiten Finanzkrise ist viel Vertrauen in die Akteure des Finanzmarkts verlorengegangen. Die Blockchain hat das Potenzial, das Vertrauen durch größtmögliche Transparenz wiederherzustellen. Sie kann jede Transaktion, die jemals über die Blockchain-Netzwerke verarbeitet wurde, erfassen und damit Transparenz und Sicherheit verbessern. Am Beispiel des Schutzes vor Geldwäsche ermöglicht die Blockchain, nahezu in Echtzeit Transaktionsflüsse nachzuvollziehen. Daher könnte man äußerst leicht feststellen, ob Gelder rechtmäßig bewegt werden oder nicht.

- Die Blockchain minimiert systemische Risiken: Ist ein System nicht länger von einer zentralen Partei oder einem Betreiber abhängig, werden gleichzeitig auch die zentralen Risiko- oder Problemstellen durch Redundanz beseitigt beziehungsweise enorm reduziert, indem die gesamten Daten für alle beteiligten Parteien auf den dezentralen Datenbanken vorliegen. Statt alle Mitteilungen oder Transaktionen zur Verifizierung oder zum Abgleich an eine zentrale Stelle zu senden, könnten verteilte, vollständig synchronisierte Datenbanken das Systemrisiko erheblich reduzieren und damit die Resilienz des Finanzsystems substanziell erhöhen.

- Die Blockchain steigert die Effizienz: Die Aufzeichnung von Transaktionen in dezentralen, verteilten Datenbanken führt möglicherweise zu einer völlig veränderten Struktur der Wertschöpfungsketten und der damit verbundenen Kosten.

Transaktionen vollständig automatisieren

Die Blockchain eröffnet die Möglichkeit, die Abwicklung einer Finanztransaktion und deren Verwahrung vollständig zu automatisieren, und kann dadurch im gesamten Handelsprozess einen echten Mehrwert schaffen. Insbesondere bei außerbörslich gehandelten Vermögenswerten könnte sich die Blockchain-Technologie hervorragend eignen, um Vertragsparteien zusammenzubringen und die dem eigentlichen Handel nachgelagerte Transaktionsabwicklung zu optimieren. Dies betrifft Prozesse wie Matching, Settlement, Clearing und finaler Abgleich. In einer Welt der Blockchain würden diese Schritte aufgrund der Logik des Systems automatisiert und zeitgleich stattfinden.

Der Einsatz von Blockchain beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Automatisierung des Post-Trade-Bereiches, sondern kann sogar auf den gesamten Lebenszyklus einer Transaktion erweitert werden. Ein einfaches Beispiel wäre die Gutschrift von Dividendenzahlungen auf dem Konto des jeweiligen Anteilseigners am Ausschüttungstag unter Berücksichtigung individueller Steuersätze. Dies geschieht mithilfe von intelligenten Verträgen, sogenannten "Smart Contracts", die eine in Programmiercodes übersetzte Vertragssprache darstellen. Basierend auf einem vordefinierten Ereignis kann ein "Smart Contract" vollständig automatisierte Prozesse auslösen, ohne dass es eines manuellen Eingriffs oder einer Überwachung bedarf.

Zudem führt eine dezentrale, aber synchronisierte Datenspeicherung dazu, dass alle Teilnehmer auf dieselben Daten zugreifen und mit diesen arbeiten. Dadurch entfällt die Notwendigkeit, Transaktionen auf voneinander unabhängig betriebenen Buchhaltungen beziehungsweise Datenbanken abzugleichen, wie es derzeit beispielsweise zwischen Clearinghäusern, Depotbanken und CSDs erforderlich ist, wodurch erheblicher Aufwand reduziert wird und Fehlerraten eliminiert werden.

Warum wird die Blockchain noch nicht in der Finanzbranche angewandt? Obwohl die Blockchain viele Befürworter hat, gibt es wahrscheinlich genauso viele Zweifler und Kritiker, die sie für eine überbewertete Technologie mit begrenzter praktischer oder sogar nur esoterischer Anwendung halten.

Bevor es zu einer flächendeckenden Einführung und Nutzung der Technologie im Finanzsektor kommen kann, müssen künftig noch eine Reihe von Herausforderungen gemeistert und Antworten auf offene Fragen gefunden werden - vor allem hinsichtlich Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Technologie, rechtlicher Bedenken und einheitlicher Standards.

Skalierbarkeit und Performanz unter Beweis stellen

Herausforderung Skalierbarkeit und Performanz: Aufgrund der erforderlichen Synchronisierung und Abstimmung sind die dezentralen Datenbanksysteme der Blockchain langsamer als zentrale Datenbanken. Dies wird zudem durch die Komplexität von Methoden verstärkt, die die Technologie vor Manipulation schützen sollen, wie beispielsweise dem "Proof of Work". Dabei handelt es sich um ein Verfahren, in dem derjenige Teilnehmer, der ein komplexes, nur durch ein iteratives Verfahren zu ermittelndes "mathematisches Rätsel" als erster löst, den nächsten Eintrag in der Blockchain vornehmen kann. Hierdurch wird sichergestellt, dass keine einzelne Partei die Daten in betrügerischer Weise manipulieren kann.

Damit die Blockchain in der Finanzbranche implementiert werden kann, muss die Blockchain-Technologie erst nachweisen, dass sie dem bestehenden Transaktionsvolumen, das über die vorhandene Infrastruktur erfolgreich abgewickelt werden kann, gewachsen ist.

Vertraulichkeit als Herausforderung

Herausforderung Vertraulichkeit und dezentrale Datenbanken verwalten den gleichen Datensatz über alle Datenknotenpunkte hinweg. Zwar werden die systemischen Risiken durch den Wegfall einer zentralen Datenbank reduziert, gleichzeitig stellt sich jedoch die Frage, ob Vertraulichkeit und Privatsphäre noch gewährleistet werden. Hedgefonds, Investmentbanken, institutionelle Investoren oder Vermögensverwalter haben vermutlich kein Interesse daran, ihre aktiven Positionen oder Transaktionspartner auf dem Markt offen zu legen.

Trotz kryptografischer Verschlüsselung, die die Blockchain nutzt, gibt es Bedenken, dass zugrunde liegende Algorithmen möglicherweise gehackt oder decodiert werden könnten. Deshalb muss eine auf Blockchain basierende Lösung absolute Vertraulichkeit gewährleisten und das Bankgeheimnis schützen können.

Regulierungskonformität und einheitliche Standards

Herausforderung geltendes Recht und Regulierung: Die ursprüngliche Idee hinter der Blockchain war es, eine Umgebung zu schaffen, die eine gültige Eigentumsübertragung trotz einer fehlenden zentralen Instanz garantiert. Neben einer dezentralen und öffentlichen Infrastruktur könnten bestimmte Aspekte, wie etwa der Zugang und die globale Reichweite mit lokalen und regionalen Gesetzen sowie Interessen von Regulierungsbehörden und Regierungen kollidieren.

Herausforderung einheitliche Standards: Alle Beteiligten einer Blockchain werden am gleichen Datensatz arbeiten, aber voraussichtlich wird es viele verschiedene Blockchains für spezifische Anwendungen und für die Einhaltung regionaler oder lokaler Anforderungen geben. Dennoch müssen diese Blockchains in der Lage sein, Daten miteinander auszutauschen, was wiederum die Festlegung einer Reihe von verbindlichen Industriestandards erfordert.

Noch im experimentellen Stadium

Es wird noch einige Zeit vergehen, bis das volle Potenzial der Blockchain in der Finanzbranche genutzt werden kann. Die Blockchain befindet sich nach wie vor in einem experimentellen Stadium und in einer frühen Entwicklungsphase. Bevor es zu einer vollständigen Einführung der Technologie kommen kann, müssen eine Reihe von Herausforderungen gemeistert und Antworten auf offene Fragen gefunden werden - vor allem hinsichtlich Vertrauen in die Technologie, Regulierung und rechtlicher Bedenken sowie der technischen Skalierbarkeit.

Wie können Institutionen privatwirtschaftlicher als auch öffentlich-rechtlicher Natur mit grundlegend veränderten Anforderungen an Vertrauen und Sicherheit umgehen? Welche rechtlichen Rahmenbedingungen müssen erfüllt werden? Wie kann die Blockchain die erforderliche Skalierbarkeit erreichen, um die gegenwärtigen und zukünftigen Volumina der Wertpapiertransaktionen zu bewältigen? Wie werden die Regulierungs- und Steuerungsmodelle der Zukunft aussehen - auch über Staatsgrenzen beziehungsweise Regionen hinweg? Was werden die Auswirkungen auf Mitarbeiter und deren erforderliche Kompetenzen in der Finanzindustrie sein, wenn die Automatisierung noch weiter voranschreitet?

Technische, rechtliche und regulatorische Hindernisse können mittelfristig überwunden werden. Die Schaffung einer kritischen Masse an Teilnehmern und Betreibern einer Blockchain innerhalb der Finanzbranche und das Erzielen eines Konsenses über branchenweite Standards wird jedoch die wahre Herausforderung sein.

Unter dem Strich hat die Blockchain großes Potenzial, die Finanzbranche zu verändern, aber die Technologie muss erst zeigen, dass dieses Versprechen eingehalten werden kann.

Zum Autor

Jörn Tobias, Managing Director, EMEA Product Management, State Street Bank GmbH, Frankfurt am Main

Noch keine Bewertungen vorhanden


X