WETTBEWERB

EU-Regulierung aus Fintech-Sicht - mehr Europa jetzt!

Lea Maria Siering, Foto: privat

Fintechs sind ein echtes Aushängeschild Europas geworden, sagt Lea Maria Siering. Die Regulierung trägt dem aber noch nicht genug Rechnung. Das viel beschworene "Level Playing Field" ist in der europäischen Praxis - vor allem durch das Gold Plating in den Mitgliedstaaten noch nicht umgesetzt. Defizite beklagt die Autorin vor allem beim praktischen Nutzen des Passporting sowie bei der Geldwäscheprävention, bei der die unterschiedlichen Regelungen zur Identifikation vor allem Fintechs treffen. Den Schlüssel zum Erfolg sieht sie deshalb in einer starken einheitlichen europäischen Regulierung und einer einheitlichen europaweiten Aufsichtspraxis mit gleichen Standards. Red.

In den vergangenen Jahren war eine regelrechte digitale Revolution sämtlicher Finanzdienstleistungen zu beobachten. Europaweit führten technologiebasierte Lösungen zu einer völlig veränderten Branche. Nicht nur Verbraucher, sondern auch Unternehmen profitieren von neuen, innovativen Finanzprodukten und -dienstleistungen. Fintech ist der Schlüsselbegriff, der mitunter als Synonym für Innovation, für Neues, für das "Anders-Denken und -Machen", für Digitalisierung und technischen Fortschritt verwendet werden muss.

Mit jedem Jahr arbeiten Fintechs mehr und mehr mit der bestehenden Wertschöpfungskette im Bereich der Finanzdienstleistungen oder teilen sich den Markt mit den "klassischen" Banken beziehungsweise ergänzen ihn, indem sie neue, digital ausgerichtete Dienstleistungen und Produkte anbieten und darüber hinaus etwa digitale Bezahlmethoden, Mikrofinanzierungen, Robo-Advisor-Dienste in bereits existierende Bankkonten oder Finanzdienstleistungen "white label" integrieren.

Ein Aushängeschild Europas

So hat sich in den letzten Jahren das Segment Fintech zu einem maßgeblichen Wirtschaftsfaktor entwickelt, der zum Aushängeschild Europas geworden ist. Internationale Investoren setzen auf solche Geschäftsmodelle und treiben damit die signifikante Bedeutungszunahme dieses Bereichs an. Die rasanten Entwicklungen wie beispielsweise in den Bereichen Open Banking, Cloud-Computing, Künstliche Intelligenz (KI), Krypto-Währungen und Blockchain lassen auch in der Zukunft starke Wachstumsprognosen zu.

Entscheidend für einen langfristigen Erfolg und insbesondere für eine Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Konkurrenten oder Mitbewerbern aus wirtschaftsstarken Gebieten insbesondere in Asien oder den USA dürfte hier - neben anderen Komponenten - eine passgenaue, mitunter intelligente europäische Regulierung sein, die es einerseits schafft, Sicherheit und Vertrauen zu erzeugen, indem sie Skandalen Einhalt gebietet, und andererseits mit den technischen Neuerungen des Marktes mithält und dabei nicht minder innovativ ist.

Regulierung, ohne zu bremsen sozusagen - aber mit dem klaren Ziel, erfolgreich "aufzupassen", um der Reputation der Branche und damit dem Wirtschaftsstandort Europa nicht nachhaltig zu schaden.

Entsprechend hat sich auch die Europäische Union selbst das Ziel gesetzt, den digitalen Wandel auf den Finanzmärkten auf der Grundlage "europäischer Werte" und einer "gründlichen Regulierung" nachhaltig zu fördern. Dieses grundlegende Ziel versucht die EU-Kommission unter anderem mit ihrer digitalen Finanzstrategie oder mit dem "Fintech Action Plan" umzusetzen.

"Level Playing Field" in der Praxis nicht umgesetzt

In der Praxis zeigt sich jedoch, dass die Anstrengungen noch immer nicht ausreichen. Auch wenn ein Großteil der jeweils anzuwendenden Regularien, Normen, Verordnungen und Gesetze entweder Richtlinien-basiert oder unmittelbar anwendbare Verordnungen sind, existiert noch nicht "die eine" europäische Regulierung. Der viel verwendete Begriff des "Level Playing Field" ist in der europäischen Praxis noch nicht umgesetzt.

Vielmehr schießen Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von Richtlinien in nationales Recht häufig über das Ziel hinaus und regeln mehr als erforderlich. Diese Überregulierung in einzelnen Mitgliedsländern wird auch als sogenanntes "Gold Plating" bezeichnet und zu Recht insbesondere von europaweit tätigen Unternehmen scharf kritisiert.

Einheitliche Regulierung und einheitliche Aufsicht

Die letzten Jahre waren für Fintechs insbesondere in Deutschland und Europa außergewöhnlich. Die Digitalisierung und das veränderte Verbraucherverhalten haben die Gründung vieler europäischer junger Start-ups ermöglicht; Innovationen unter Nutzung neuer Lösungen, effizienteren Prozessen und die Skalierung von Technologien in der gesamten Wertschöpfungskette konnten so vorangetrieben werden und Europa im internationalen Wettbewerb besser positionieren.

Die Europäische Union hat das Potenzial, das Wachstum, das wir in den letzten Jahren erlebt haben, weiter zu fördern. Hierbei spielen staatliche Maßnahmen eine wichtige Rolle, die Fintechs unterstützen und nicht behindern - die global wettbewerbsfähige europäische Champions entstehen lassen (können). Hierzu braucht es eine einheitliche Regulierung und eine einheitliche Aufsicht!

Diese Art des Wachstums ist nur durch die Aufgabe der aktuell noch bestehenden Fragmentierung des digitalen Binnenmarkts für Finanzdienstleistungen, durch den Abbau von Hindernissen für grenzüberschreitende Geschäfte und flankierend dazu mit einer europäisch einheitlichen Aufsichtspraxis, die ein "Level Playing Field" für alle bietet, zu erreichen.

Passporting mit Grenzen

Der EU-Binnenmarkt bietet dem Grunde nach eine solide Grundlage für europaweite Dienstleistungen. Dazu bringt das sogenannte Passporting-Regime Vorteile für regulierte Marktteilnehmer mit sich: In einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) zugelassene Kreditinstitute, Wertpapierinstitute, Zahlungs- und E-Geld-Institute sowie bankenangehörige Leasing- und Factoringinstitute können grundsätzlich ihre Geschäfte auch in anderen EWR-Mitgliedstaaten ohne großen Aufwand durch ein weiteres Lizenzierungsverfahren ausüben. Die grenzüberschreitende Tätigkeit kann entweder durch die Errichtung einer Zweigniederlassung im Wege der europäischen Niederlassungsfreiheit oder durch den freien Dienstleistungsverkehr im Wege der europäischen Dienstleistungsfreiheit erbracht werden. Diese beiden Grundfreiheiten der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit werden im allgemeinen Sprachgebrauch als "Passporting" bezeichnet ("Europäischer Pass").

Beabsichtigt ein Institut, europaweit tätig zu werden und die bestehende Erlaubnis zu "passporten", teilt es dies der Heimat-Aufsichtsbehörde mit ("Notifikation"). Das Verfahren ist demnach zunächst einmal einfach und ohne großen Aufwand und Kosten umzusetzen.

Das Passporting hat aber seine Grenzen. Denn dieser Freifahrtschein in Bezug auf rechtliche Compliance gilt nur im Rahmen der rechtlichen Anforderungen an die erlaubnispflichtige Dienstleistung, die grenzüberschreitend angeboten werden sollen und die auf europäischer Ebene harmonisiert (sic!) sind. Es ist mithin nicht allein mit der Notifikation getan: Vielmehr ist vor jedem Angebot in jedem Mitgliedstaat immer zwingend auch zu prüfen, ob möglicherweise weitere nationale (nicht harmonisierte) Vorschriften einzuhalten sind (wie beispielsweise Verbraucherschutz oder Geldwäsche, IBAN-Diskriminierung oder unterschiedliche Steuervorschriften) oder gar weitere Erlaubnisse oder Registrierungen (beispielsweise Gewerbeanmeldungen) erforderlich sind.

Wären alle Regelungen voll harmonisiert und würde auch die Aufsicht zentral erfolgen, dürfte das europaweite Anbieten von Finanzdienstleistungen einfacher, schneller und unbürokratischer erfolgen. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass solche unterschiedlichen nationalen Regelungen großen und etablierten Akteuren, die über die Ressourcen verfügen, um die verschiedenen Regelungen einzuhalten, einen Wettbewerbsvorteil gegenüber jungen Fintechs verschaffen.

Geldwäschevorgaben treffen vor allem Fintechs

Auch der Bereich der Geldwäschebekämpfung ist zwar in den jeweiligen Mitgliedstaaten im nationalen Recht aufgrund von Richtlinien umgesetzt, aber auch hier zeigen sich in der Praxis erhebliche Unterschiede, die es nicht erlauben, ein Geschäftsmodell ohne Weiteres europaweit zu skalieren. Insbesondere die nationalen Vorgaben in Bezug auf die digitale Identifikation der Kunden - sofern erforderlich - weist starke Unterschiede und lokale Besonderheiten auf. Entsprechend trifft dies insbesondere ausschließlich digital agierende Anbieter wie typischerweise Fintechs ohne eine Vor-Ort-Präsenz.

Neben einer Chancengleichheit für digitale Geschäftsmodelle spricht auch die Erhöhung der Erfolgswahrscheinlichkeit einer Geldwäschebekämpfung für "mehr" Europa: Geldwäsche wird dann besser bekämpft werden können, wenn es europaweit einheitliche Regeln gibt und eine europäische Behörde zuständig ist oder jedenfalls nationale Behörden zielführend zusammenarbeiten.

Entsprechend begrüßenswert ist das Anti-Geldwäsche-Legislativpaket der EU-Kommission, welches seit Sommer 2021 im Entwurf vorliegt. Mit diesem sollen die Geldwäscheprävention und die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung in Europa weiter harmonisiert und ein "Single Rulebook" als ein einheitliches europäisches Regelwerk geschaffen werden. Nicht zuletzt beinhalten die Pläne der Europäischen Kommission, eine europäische Geldwäscheaufsichtsbehörde zu etablieren, die einheitlich zuständig ist.

Konsistente Datenstrategie

Ein weiteres, noch nicht ausdrücklich formuliertes Ziel der EU sollte es überdies sein, eine europaweite interoperable digitale Identifizierung in der gesamten EU zu etablieren, mit der sich Verbraucher schnell und einfach identifizieren und sodann auf digitale Finanzdienstleistungen zugreifen können. Innovativ agierend müssten hierfür zweckmäßig die Vorschriften zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, die Verordnung über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen (eIDAS VO) und die Allgemeine Datenschutzgrundverordnung (GDPR beziehungsweise auf deutsch DSGVO) zusammen betrachtet werden, um Synergien zu schaffen.

Die Aufsicht über mögliche Verstöße gegen die Datenschutzgrundverordnung ist mitunter noch fragmentierter als die nationalen Finanzaufsichten: Zuständig sind nationale Datenschutzbehörden als unabhängige Behörden, die mittels Untersuchungs- und Abhilfebefugnissen die Anwendung der Datenschutzvorschriften überwachen. Bei regulierten Instituten erfolgt keine Aufsicht durch die Bundesanstalt. Die Aufsicht hier sollte ebenfalls zentral europäisch erfolgen.

Auch wichtig zur Innovationsförderung ist die Schaffung eines europäischen Finanzdatenraums auf der Grundlage der europäischen Datenstrategie. Durch einen verbesserten Datenzugriff und einen internen, gesicherten Datenaustausch kann der Finanzsektor weiter wachsen.

Kompetenzen der EU ausweiten

Wie aufgezeigt, ist der einzige Weg der einer starken, einheitlichen europäischen Regulierung, die sicherstellt, dass aus Europa global wettbewerbsstarke Unternehmen hervorgehen können.

Dies ist juristisch nur durch eine erhebliche Ausweitung der Kompetenzen der EU möglich. Schließlich kann die Europäische Union nur in den Bereichen tätig werden, in denen die Mitgliedstaaten der EU diese durch die EU-Verträge dazu ermächtigt haben. Die Verträge legen fest, wer in welchen Bereichen Rechtsvorschriften erlassen kann: die EU, nationale Regierungen oder eben beide gleichermaßen.

Bisher hat die EU lediglich in den Bereichen Zollunion, Wettbewerbsregeln für den Binnenmarkt, Handel und grundsätzlich auch internationale Abkommen sowie im Rahmen der gemeinsamen Fischereipolitik eine ausschließliche Zuständigkeit. Dies müsste konsequenterweise in Bezug auf die Finanzbranche wenigstens deutlich erweitert werden als bisher der Fall.

Europäische Aufsicht stärken

Auch die europäische Aufsicht - derzeit ausgeübt durch die ESMA (European Securities and Markets Authority) -muss in Korrelation zu einem vereinheitlichten Regulierungsrahmen gestärkt werden. Ziel muss es sein, eine einheitliche europaweite Aufsichtspraxis mit gleichen Standards zu etablieren.

In ihrem Papier zur "Strategischen Ausrichtung der ESMA für die Jahre 2020-2022" setzt sich die Behörde ähnliche Ziele: So soll "die aufsichtliche Konvergenz mit Schwerpunkt auf den Ergebnissen der Aufsicht und mithilfe innovativer Instrumente" gefördert werden. Geplant sei die Einführung eines einheitlichen Regelwerks, welches die ESMA als "eine notwendige, aber für sich allein genommen unzureichende Maßnahme zur Verwirklichung eines echten europäischen Kapitalmarktes" ansehe. Die Aufsicht und die aufsichtliche Konvergenz müsse sicherstellen, dass zum einen der Anlegerschutz, geordnete Märkte und Finanzstabilität in der Praxis unter gleichen Wettbewerbsbedingungen erreicht werden. Die konsistente und effektive Umsetzung, Anwendung und Überwachung derselben Regeln will die ESMA nachhaltig fördern und damit schlussendlich europaweit eine gemeinsame, ergebnisorientierte Aufsichts- und Durchsetzungskultur in der EU schaffen.

Wettrennen mit den Tech-Konzernen

Die Abschaffung von Hindernissen im Binnenmarkt ist - wie aufgezeigt - Kernelement für den Erfolg digitaler und grenzüberschreitender Dienstleistungen im Finanzsektor in Europa. Dies kann folgerichtig nur mit einer flankierenden, europaweit einheitlichen Aufsicht funktionieren, die ihre Arbeit anhand von einheitlichen Regelungen durchführt. Denn die Zeit für das Schaffen eines digitalen Level Playing Field rennt: Bei digitalen Finanzdienstleistungen befinden wir uns in einem Wettrennen mit den Tech-Konzernen aus wirtschaftsstarken Ländern wie den USA.

Richard von Weizsäcker hat vor langer Zeit gesagt: "Europa ist für uns und für die Zukunft von entscheidender Bedeutung." Viel kann und muss man dem nicht hinzufügen: Um eine Werte- und Wirtschaftsgemeinschaft zu bleiben, müssen wir stärker zusammenwachsen, vereinheitlichen und die Barrieren abbauen, die dem entgegenstehen. Europa ist unser Tor zu demokratischem Wachstum und Wohlstand, das es (weiter) zu öffnen gilt. Europa als Chance - das gilt nicht nur für die Finanzbranche, sondern für so vieles. Worauf warten wir noch?

Dr. Lea Maria Siering , Chief Risk Officer (CRO) , Finleap Connect GmbH
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