Anlageberatung

Ganzheitliche Finanzplanung - kein Auslaufmodell

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Der Markt für Financial Planning hat sich gewandelt - weg von der ganzheitlichen Finanzplanung hin zu Teil- und Themenplänen. Diese Entwicklung ist zum Teil der Kundennachfrage geschuldet, da Kunden in solchen Teilplänen oft schneller einen Mehrwert erkennen. Teilweise ist auch die Regulierung verantwortlich. Als Einstiegspunkt hält Rolf Tilmes solche Themenpläne auch durchaus für nützlich. Die klassische vollumfängliche Finanzplanung ersetzen könne sie jedoch nicht. Zudem birgt die Entwicklung die Gefahr, dass der Begriff von schwarzen Schafen missbraucht wird. Red.

Die gute Nachricht vorweg: Die professionelle Finanzplanung wird hierzulande wieder populärer. Zahlen des FPSB Deutschland zeigen eine verstärkte Nachfrage. Aufgrund der seit Jahren andauernden Vertrauenskrise in die Finanzbranche versuchen Anleger, sich neu zu orientieren. Unsicherheiten an den Kapitalmärkten einerseits und die Suche nach Orientierung in persönlichen Anlage- und Vorsorgeentscheidungen andererseits, führen dazu, dass sie einen Status quo ihrer Finanz- und Vermögensverhältnisse anfertigen lassen wollen. Anleger erkennen aber auch die Komplexität bei vielen Finanzthemen und somit die Notwendigkeit an fachlicher und unabhängige Beratung.

Soweit, so gut. Doch es gibt eine gewaltige Einschränkung: Nicht mehr die ganzheitliche und vollumfängliche Finanzplanung steht im Mittelpunkt des Interesses. Vielmehr fragen die Verbraucher konkret fokussierte Teil- beziehungsweise Themenpläne nach. Nach unseren Schätzungen sind immerhin rund 90 Prozent der durch CFP-Professionals heute in Deutschland erstellten Finanzberatungen Teil- beziehungsweise Themenpläne.

Der Markt hat sich gewandelt

Das zeigt: Der Markt hat sich spürbar gewandelt. Diese enorme Veränderung hat nach unserer Ansicht aber weniger mit der Nachfrage der Kunden, sondern in erster Linie mit dem Angebot zu tun. Denn die Anbieter von Financial Planning haben sich Schritt für Schritt umorientiert. Weg von vollumfänglichen, ganzheitlichen Finanzplänen und hin zu den fokussierten Teil- beziehungsweise Themenplänen.

Das ist übrigens kein typisch deutsches Phänomen, sondern weltweit festzustellen. Der Trend ist bei allen 26 Mitgliedsländern der internationalen Financial-Planning-Community (FPSB) deutlich zu erkennen. Triebfedern für diese Entwicklung sind die veränderte Nachfrage nach schnelleren Antworten, die Notwendigkeit einer zeitnahen Planerstellung und eines Umsetzungserfolgs, aber auch die regulatorisch geänderten Rahmenbedingungen.

Diese Entwicklung wurde selbstverständlich in der FPSB-Deutschland-Gesamtstrategie berücksichtigt. Sie stellt insgesamt auf die Methodik der ganzheitlichen Beratung ab. Wir sind dennoch der Auffassung, dass eine hoch verdichtete und dennoch vollumfängliche Finanzplanung den Grundstein für den finanziellen und auch persönlichen Erfolg der Kunden legt. Eine ganzheitliche beziehungsweise eine vollumfängliche Finanzplanung kann in vielen Kundensituationen einen großen Nutzen stiften. Das können Teil- und Themenpläne nur begrenzt leisten, weil unter Umständen nicht alle Aspekte gleich intensiv betrachtet worden sind.

Professionelle Aufbereitung der Vermögensverhältnisse

Erinnern wir uns: Wofür steht ganzheitliche Beratung eigentlich genau? Der Begriff steht vor allem für die Beratungssystematik, die persönliche und finanzielle Situation des Kunden zu erfassen und abzubilden, Risikopräferenzen und Ziele zu erfassen und den Weg dorthin zu entwickeln. Veränderungen vorschlagen und diese umzusetzen, ist dann der zweite Teil des Auftrages. Der große Vorteil: Die Anleger bekommen durch die professionelle Aufbereitung ihrer Finanz- und Vermögensverhältnisse im Finanzplan häufig erstmals einen kompletten und genauen Überblick über die Werthaltigkeit ihrer einzelnen Vermögensanlagen. Sozusagen ein "Aha"-Effekt, der zu einer optimierten Anlage führt.

Ganzheitliche Finanzplanung beinhaltet dabei viele Teilaspekte, wie die Strukturierung des Vermögensaufbaus und Planung der Altersvorsorge, des Ruhestands sowie des Immobilienerwerbs. Auch die Planung der Nachfolge gehört dazu. Eine professionelle Finanzplanung untersucht die Auswirkungen der Materialisierung unterschiedlicher Risiken, wie etwa Krankheit, Berufsunfähigkeit, Pflegebedürftigkeit oder Tod. Hier werden einfach verständliche Szenariotechniken verwendet und der resultierende Absicherungsbedarf individuell identifiziert.

Zwischen Kundenbedürfnis und realisierbarer Beratungszeit

Die Schwierigkeit besteht jedoch darin, dass in der durch Vertrieb und Verkauf dominierten Finanzwelt offenbar derzeit weder Platz noch Zeit für eine umfängliche Finanzplanung vorhanden sind. Ein solch aufwendiger, sich über eine längere Zeit erstreckender Prozess harmoniert mit den oft kurzfristigen Zielen nicht allzu gut. Sprich: Ertrag und Volumen (und damit der wirtschaftliche Erfolg) stimmen häufig nicht.

Außerdem stellt die Finanzplanung in ihrer umfangreichen Form für den Berater zuerst einmal einen deutlichen zeitlichen Mehraufwand dar, der unter Umständen mit den Zielvorgaben kollidiert. Im Vergleich zu einer umfänglichen Finanzplanung sind Teil- und Themenpläne deshalb schlicht einfacher zu erstellen und umzusetzen. Es ist eine Gradwanderung zwischen Kundenbedürfnis und effektiv realisierbarer individueller Beratungszeit.

Natürlich darf nicht verschwiegen werden, dass viele Kunden den Nutzen von Teil- und Themenplänen schneller realisieren und zunächst den Aufwand zur Erstellung eines umfänglichen Finanzplans scheuen. Einige dieser Kunden fragen nach einem positiven Erlebnis dann doch das "Mehr" an Detail und Vielschichtigkeit nach.

Negative Auswirkungen der Regulierung

Eine Rolle spielt auch die zunehmende Regulierung.

- Zwar ist Financial Planning als solches nicht reguliert und als vernetzte Beratungsdienstleistung auch nicht in ihrer Gesamtheit regulatorisch erfasst.

- Allerdings führt die seit der Finanzmarktkrise immer strengere Regulierung zu einer fokussierten Betrachtung von Teilaspekten, seien es Versicherungen, Finanzanlagen oder Immobilien.

Beratungsprotokolle, Kundeninformationen und anbieterseitige Compliance-Regeln erschweren es Anbietern und Beratern auch ein Stück ganzheitlich vorzugehen. Sie folgen vielmehr der Regulierungs- und Dokumentationslogik. Ein ganzheitliches Financial Planning kommt dabei nicht vor. Statt schriftlicher Finanzpläne gibt es Ergebnisprotokolle.

Von schwarzen Schafen als Marketinganspruch missbraucht

Auch aus diesen Gründen - und das hat sich über einen längeren Zeitraum so entwickelt - wurde die Finanzplanung immer weiter auf fokussiertere Themenpläne reduziert. Das ist zu bedauern. Denn Themenpläne können natürlich nur unzureichend und ausschnittartig alle Wechselwirkungen von wichtigen (Risiko-) Parametern zwischen den verschiedenen Vermögensklassen abbilden. Gravierender noch: Es besteht die Gefahr der Unvollständigkeit und des Übersehens von fundamentalen Risiken.

Und nicht zuletzt kann die beschriebene Entwicklung dazu führen, dass der Begriff Finanzplanung von schwarzen Schafen als Marketingspruch missbraucht wird, und zwar für den simplen Verkauf von Kapital- und Vermögensanlagen oder Versicherungen jeglicher Art.

Gefahren der Informationsreduktion minimieren

Das Hauptanliegen des FPSB Deutschland ist es deshalb, den Wandel der umfassenden Finanzplanung hin zur Methodik der ganzheitlichen Beratung zu begleiten und Standards für die Berufsausübung zu setzen. Der FPSB Deutschland hat aus diesen Gründen den Arbeitskreis "Standards" gebildet. Ziel ist es, ein Regelwerk zu entwickeln und damit verbindliche Leitlinien zu schaffen, die die Gefahren der Informationsreduktion minimieren sollen. Und der Mehrwert einer ganzheitlichen Sichtweise auf die Kundensituation soll deutlicher als bislang kommuniziert werden.

Fakt ist: Oft stehen Verbraucher vor der Frage, wie sie einen Geldbetrag anlegen wollen. Wenn sich nun der Berater durch eine im Vergleich zum umfangreichen Finanzplan schnell erstellte, gezielte Beratungsleistung, sogenannte Teilpläne, im Wettbewerb differenzieren und damit den Kunden gewinnen kann, wird er das tun. Der Aufwand für diese Dienstleistung ist schließlich in der Regel deutlich geringer als bei der klassischen Finanzplanung.

Allerdings ist es wichtig zu berücksichtigen, dass der Aufwand für den Finanzplaner sehr unterschiedlich ausfallen kann. Es kann ein sehr abgegrenzter Bereich sein, wie ein Themenplan für den Vermögensaufbau. Es kann aber auch um umfangreichere Problemstellungen gehen, wie etwa die Nachfolgeplanung, die eine sehr detaillierte Datenaufnahme, -analyse und Planung erfordert. Hier muss der Berater oder der Anbieter strategisch differenzieren, ob es mehr um kurzfristigen Erfolg oder die langfristige Kundenbindung geht. Es hat sich gezeigt, dass Kunden mit einer auf ein Thema fokussierten Beratung sehr zufrieden sind, wenn sie den Eindruck haben, dass die Problemlösung und nicht der Produktverkauf im Vordergrund stehen. Natürlich ist die typischerweise erzielte, hohe Kundenzufriedenheit auch ein wichtiger Wert für den Berater und den Finanzdienstleister. Somit wird über die Teil- und Themenpläne eine Angebotsvariation der ganzheitlichen Beratung erreicht, die den Beratungsalltag deutlich besser widerspiegelt.

Blick auf die Gesamtsituation durch nichts zu ersetzen

Allerdings vertritt der FPSB Deutschland die Meinung, dass der genaue Blick auf die Gesamtsituation des Kunden durch nichts zu ersetzen ist. Deshalb ist die ganzheitliche Finanzplanung weiterhin hochaktuell. Denn je komplizierter und verworrener die Vermögenssituation des Kunden ist, desto mehr sind Planung und Struktur erforderlich, um aufzuräumen und die Situation wieder lebbar für den Kunden zu machen.

Befragungen zur Kundenzufriedenheit mit den Finanzplänen haben erfreulicherweise immer wieder gezeigt, dass Anleger diese Dienstleistung außerordentlich positiv bewerten. Wichtige Lebensfragen, etwa ob ein Hauskauf zurzeit sinnvoll ist, wie der derzeitige Lebensstandard im Alter gehalten werden oder wie man frühzeitig ohne finanzielle Nachteile in Rente gehen kann, können nur mit einer gründlichen Analyse und durch langfristige Planung beantwortet werden. Dabei gilt: Je komplexer das Vermögen und je unsicherer die Einkommenssituation ist, desto schneller ist eine Aktualisierung der Finanzplanung sinnvoll. Besonders dann, wenn sich Veränderungen im privaten Bereich (wie eine neue Familiensituation) ergeben, sollte die Planung zügig angepasst werden.

Viele Einzelaspekte, aber ein großes Ganzes

Bei einer ganzheitlichen Finanzplanung wird jeder einzelne Vermögenswert einer genauen Analyse unterzogen. Statt lediglich eine gute Anlage für die aktuelle Situation zu empfehlen, plant ein professioneller Berater mit dem Kunden langfristige Maßnahmen, bezieht zukünftige Entwicklungen mit ein und stimmt die Einzelaspekte zu einem wohl durchdachten Finanzplan genau aufeinander ab. Statt kurzfristiger Anlagetipps wird ein solider Plan erarbeitet, damit das Vermögen stetig und nachhaltig wachsen kann.

Die Berater zeigen auf Grundlage des Finanzplans Möglichkeiten der Finanzanlagen auf, die aufeinander abgestimmt und auf die Persönlichkeit des Anlegers zugeschnitten sind und damit das Anlageziel erreichbar machen. Sie geben Anstöße zu sinnvollen Investitionen und lösen damit das Dilemma vieler Kunden auf: Stagnation durch übervorsichtiges Anlageverhalten, zum Beispiel hohe Summen auf Festgeldkonten oder in renditeschwachen Geldmarktfonds zu parken, die kaum einen Inflationsausgleich erbringen.

Die große Kunst lag und liegt jedoch darin, als Finanzplaner den Kunden mit seinen Wünschen, Zielen und Emotionen so zu erfassen und zu erkennen, dass mit den "technischen Instrumenten" der Finanzplanung, also der Privatbilanz, der privaten Gewinn- und Verlustrechnung sowie der Einnahmen-/Ausgabenrechnung für den Normal- und Risikofall ein individueller Finanzplan für den Kunden entsteht.

Teil- und Themenplanung nur ein Einstiegspunkt

Ferner ist es eine große Herausforderung, dass die teils doch sehr komplizierten Finanzthemen für den wirtschaftlich weniger vorgebildeten Kunden von einem zertifizierten Finanzplaner in eine Sprache übersetzt werden, dass dieser den Finanzplan auch versteht und im besten Fall Vergnügen daran findet, den Fahrplan für seine finanzielle Zukunft umzusetzen.

Finanzplanung ist Lebensplanung, also individuell. Mit finanziellen Entscheidungen werden Lebensweichen gestellt. Deshalb können die Ansprüche an die eigene Finanzberatung gar nicht hoch genug sein. Financial Planning steht für einen systematischen Beratungs- und Betreuungsprozess, der nach definierten Qualitätsstandards durchgeführt wird und bei dem das Kundeninteresse stets im Mittelpunkt steht. Somit sind Teil- und Themenplanung sicherlich eine Art Einstiegspunkt, ein guter Start für ein Mehr an Lebensplanung. Ersetzen können sie eine umfängliche Planung jedoch nicht.

Zum Autor

Professor Dr. Rolf Tilmes, Vorsitzender des Vorstands, Financial Planning Standards Board Deutschland e.V. (FPSB Deutschland), Frankfurt am Main

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