FIRMENKUNDENGESCHÄFT

Die Geschäftskundennorm stärkt die Bankberatung

Dr. Klaus Möller, Foto: Defino

Geschäftskunden bieten weit mehr Potenzial als lange vermutet, deshalb wächst in der gesamten Bankenbranche das Interesse an dieser Zielgruppe, so die Autoren. Genau für dieses Kundensegment gibt es jetzt eine neue Finanznorm. Sie hilft Beratern und Kunden, den tatsächlichen Bedarf des Unternehmens zu identifizieren. Dabei dient die DIN-Norm gewissermaßen als Gütesiegel und schafft das nötige Vertrauen. Für Berater sehen die Autoren hierin eine große Chance. Red.

Für viele Selbstständige und kleinere Mittelständler in Deutschland ist es eine große Herausforderung, die Folgen der Corona-Pandemie zu verarbeiten. Kundenorientierten Banken eröffnen sich dadurch neue geschäftliche Chancen. Wer sie nutzen will, tut gut daran, von sich aus in engem Kontakt mit seinen Geschäftskunden zu stehen. Nur so wird er einen eventuellen Bedarf an Bankdienstleistungen früher erkennen als sein Wettbewerber. Sehr hilfreich kann dabei die neue DIN-gestützte Finanzanalyse für Geschäftskunden sein.

Individuellen Finanzbedarf erkennen und verstehen

Alltag eines Geschäftskundenberaters in einer Bankfiliale: Der Geschäftsführer eines Gewerbebetriebs hat einen Termin. Es geht um eine Finanzierung. Die Firma hat auf dem Höhepunkt der Covid-19-Pandemie Investitionen aufgeschoben, weil die Umsätze einbrachen und die betriebliche Liquidität knapp wurde. Jetzt hat sich die Führung des Betriebes entschlossen, Investitionen nachzuholen.

Obwohl die Zukunft im Verarbeitenden Gewerbe immer noch als durchwachsen gilt, sieht sie eine Bankfinanzierung als wichtigen Treiber für künftiges Umsatzwachstum und hat einen entsprechenden Darlehensantrag gestellt.

Der Besucher könnte wahlweise auch ein freiberuflicher Einzelunternehmer oder eine Ärztin sein. Bekannt sind Kontostände, laufende Kredite, die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung - alles, was die Bonität ausmacht. Weniger bekannt ist, welche Maßnahmen zur Risikoabsicherung das Unternehmen getroffen hat und, welche Risiken nicht abgedeckt sind. Die Folge: Aus Sicht der Bank bleiben erhebliche geschäftliche Potenziale unbeachtet. Die Absicherung beispielsweise gegen Hochwasser für die Apothekerin, das Cyber-Risiko des Start-ups, der Krankheitsfall der mitarbeitenden Inhaberin oder anderer Schlüssel-Mitarbeiter - alles Finanzthemen und Bedarfe, die auch ein Bankberater ansprechen kann und mit denen die Bank auch das Kreditausfallrisiko bei sich selbst senkt. An genau diesem Punkt setzt die neue Finanzanalyse für Geschäftskunden nach DIN-Norm 77235 an. Sie ermöglicht, Kunden "richtig zu lesen" und ihre Bedarfe professionell zu ergründen.

Fokus auf Geschäftskunden wird wichtiger

Mit der neuen Geschäftskunden-Norm kann der Fokus auf Geschäftskunden zum Herzstück für eine überlegene Position der Bank im Wettbewerb werden. Das Interesse an Kunden aus diesem Segment wächst gerade in der ganzen Branche. Immer mehr Banken wird klar, dass Geschäftskunden als Zielgruppe deutlich vielversprechender sind als lange vermutet. Zu dieser Erkenntnis haben auch jene innovativen Geschäftsmodelle beigetragen, die inzwischen neue Antworten auf vorhandene "Schmerzpunkte" und Lücken im Angebot für Geschäftskunden geben.

Geschäftskundenfokus heißt, sich voll auf die Belange eines individuellen Geschäftskunden zu konzentrieren. Das bedeutet, seinen wirklichen Finanzbedarf verstanden zu haben. Umgekehrt muss sich der Kunde gut beraten fühlen. Diese Brücke zwischen Bank und Gewerbekunde baut die "Basis-Finanz- und Risikoanalyse für Selbstständige und KMUs" - auf Basis der neuen DIN-Finanznorm. Denn DIN-Normen genießen eine hohe Glaubwürdigkeit als Indikator für Qualität, vor allem in Unternehmenskreisen, wo Normen im Sinne von Reproduzierbarkeit und Effizienzsteigerung alltäglich sind.

Normgestützte Analyse als Fundament für Vertrauen

Die Herausforderung für ein Bankinstitut liegt darin, Interessenten mit "maßgeschneiderten" Angeboten auf sich aufmerksam zu machen. Allerdings: In der frühen Themenphase der "Kundenreise" fürchten Geschäftskunden, sich vorschnell auf irgendeinen Produktkauf einzulassen, obwohl sich ihr Berater noch überhaupt nicht mit der jeweiligen betrieblichen Situation vertraut gemacht hat. Vielen Selbstständigen und Mittelständlern ist klar, dass zunächst ein solides Fundament geschaffen werden muss.

Kaum eine Situation eignet sich besser, um positive Erlebnisse für den Geschäftskunden zu bieten, als eine vertrauensvolle Ist-Aufnahme der Firmensituation. Bei einer normgestützten Analyse von Opportunitäten und Risiken beschäftigen sich Berater und zum Beispiel der Inhaber sehr tiefgehend mit den individuellen Motiven und Emotionen sowie den Notwendigkeiten der jeweiligen Firma. Ist durch die saubere Herausarbeitung das Vertrauen hergestellt, lässt sich im Anschluss etwa der Finanzierungs-, Anlage- oder Absicherungsbedarf seriös beurteilen.

Die Finanzregulierung fordert, dass Kunden nur solche Finanzprodukte erhalten, die zu ihren Zielen und Wünschen passen. Bankberater müssen deshalb den Status quo und den Bedarf ihrer Kunden zuverlässig analysieren, bevor sie ihnen in der anschließenden Beratung ein oder mehrere Produkte empfehlen. Eine DIN-Norm gilt im Falle von Rechtsstreitigkeiten als eine Art "vorweggenommenes Gutachten". Die professionelle Aufbereitung der gesamten Situation des Geschäftskunden nach der Norm kann Berater und Banken helfen, die Bedarfsermittlung noch haftungssicherer als in der Vergangenheit vorzunehmen.

Eine große Chance für Berater

Auf Basis der Norm die ganze Aufmerksamkeit auf die betriebliche Situation und die Ziele der Geschäftsführung zu richten, eröffnet dem Berater eine große Chance: Den Kunden in puncto Kompetenz zu beeindrucken - und sodann auf Augenhöhe gleichsam bei der Suche nach Lösungen mitzunehmen. Für Topberater von Geschäftskunden heißt Vertrieb heutzutage mehr denn je, sich um die Belange jedes einzelnen anspruchsvollen Kunden zu kümmern: Gute Berater sind deshalb aufmerksame Zuhörer, sie stellen mit der Analyse nach DIN 77235 die richtigen Fragen und erkennen die kritischen Themen eines Kunden. Dabei berücksichtigen sie folgende wichtigen Dimensionen: Geschäftlicher Status quo, Herkunft und Herausforderungen sowie Mission, Werte, Motivation, Lebensziele und Situation der Inhaber beziehungsweise des Managements.

Die einzelnen Ergebnisse zur Situation und den Zielen verschmelzen im Gespräch zu einem Gesamtbild. Der Berater versteht, was seinem Gesprächspartner am Herzen liegt und welchen Bedarf er hat. Da er in diesen Prozess voll integriert ist, kann der Geschäftskunde nachvollziehen, wie die ganz individuelle, neutral ermittelte Problemlösung für ihn aussieht. Im Rahmen eines Betreuungsverhältnisses verstehen die Kunden auch, wie wichtig es ist, dass ihre finanzielle Situation im Zeit ablauf regelmäßig neu auf den Prüfstand kommt - auf Grundlage einer Finanz- und Risikoanalyse nach DIN-Norm 77235. Das Ziel: Auf eine veränderte Situation angemessen und flexibel zu reagieren und den Finanzbedarf entsprechend anzupassen.

Ein Beispiel: Eine sich abzeichnende Krisensituation könnte für den Geschäftskunden und seinen Berater eine Gelegenheit sein, mithilfe der Norm das Unternehmen krisenfest aufzustellen. Denn die DIN-Regeln helfen, Risiken zu erkennen und zu managen, indem sie per Situationsanalyse etwa einen Absicherungsbedarf feststellen. Betriebliche Risiken abzusichern, war immer schon ein wichtiges Bedarfsfeld. Seit der Pandemie werden Risiken von den Kunden jedoch als bedrohlicher wahrgenommen. Selbstständige, Gewerbekunden und Mittelständler zeigen daher heute eine höhere Bereitschaft, sich mit betrieblichen Risiken wie der Insolvenzsicherung zu beschäftigen und eventuell vorhandene Lücken zu schließen. Mit der Geschäftskunden-Norm haben auch Bankberater ein Instrument zur Hand, um dieses attraktive Bedarfsfeld für sich und ihr Bankinstitut zu erschließen.

Finanzgutachten zeigt Lücken in der Bedarfsdeckung auf

Das Gesamtergebnis der Analyse von Opportunitäten und Risiken fließt ein in eine Art "Finanzgutachten". Dieses dokumentiert die finanziellen Bedarfe eines Geschäftskunden. Transparente Soll-Ist-Abgleiche zeigen darin eventuelle Lücken in der Bedarfsdeckung auf, die Kunde und Berater gemeinsam angehen. Hierfür ist es nützlich, dass die DIN-Finanzanalyse die Prioritäten von 52 Einzelthemen definiert. Nachvollziehbare Orientierungsgrößen oder Sollwerte geben Sicherheit bei der Bestimmung des Bedarfs in der täglichen Geschäftskundenpraxis.

Es ist genau diese Professionalität durch Anwendung der Norm und die ganzheitliche Betrachtung des Geschäftskunden, die der Bankfiliale vor Ort den entscheidenden Wettbewerbsvorteil und die tiefe Kundenbindung verschafft. Das zeigt sich bereits bei ihrer Vorläufernorm zur Privatanalyse von Privatkunden. Alles spricht dafür, dass auch die von Geschäftskundenberatern erstellten Finanzanalysen sehr positiv aufgenommen und hohen Nutzen stiften werden.

Dr. Klaus Möller , Vorstand , DEFINO Institut für Finanznorm AG, Heidelberg
Dr. Herbert Walter , Beiratsmitglied , FondsFinanz

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