PRIVATKUNDENGESCHÄFT

Die Hausbankbeziehung neu gedacht

Thomas Wollmann, Foto: Investors Marketing

Nach wie vor macht die große Mehrheit der Bankkunden die Hausbankbeziehung am Girokonto fest. Allerdings ist diese Hausbank für die Mehrheit der Kunden nicht mehr die erste Anlaufstelle für Finanzprodukte. Um die Hausbankbeziehung zu stärken, plädiert Thomas Wollmann deshalb vor allem dafür, das Girokonto zur Personal-Finance-Plattform auszubauen, um die Multibanking- Schnittstelle zu besetzen. Denn so lassen sich die Kontaktpunkte zu anderen Anbietern reduzieren, um die Hausbankbeziehung wieder stärker auszubauen. Red.

Der Status als Hausbank ist hart umkämpft. Noch sind die traditionellen Banken und Sparkassen klar im Vorteil. Doch neue Anbieter arbeiten bereits an datenbezogenen Ertragsmodellen sowie der Kundenansprache mit Cross-Selling-Produkten. Um dauerhaft im Wettbewerb zu bestehen, gilt es, die gesamte Kundenbeziehung neu zu denken. Im Mittelpunkt steht das Girokonto: zukünftig als Personal-Finance-Plattform.

Seit jeher ist der Status als Hausbank ein starkes Bindeglied zwischen Banken und Sparkassen und deren Kunden. So gilt die Hausbank zum Beispiel für 42 Prozent der Kunden auch als erste Anlaufstelle auf der Suche nach neuen Finanzprodukten - noch vor dem Internet. Mit über 90 Prozent verzeichnen Volks- und Raiffeisenbanken sowie Sparkassen eine besonders hohe Hausbankquote. Dagegen weisen Geschäftsbanken eine Quote von 58 Prozent und Direktbanken von nur 39 Prozent auf. Offenbar gelingt es den Direkt- und Geschäftsbanken erfolgreich Konten am Markt zu gewinnen. Umfassende und tragfähige Kundenbeziehungen konnten sie jedoch bislang weniger häufig aufbauen.

Steigende Akzeptanz für neue Anbieter im Zahlungsverkehr

Doch der Wettbewerb nimmt zu. Die Akzeptanz neuer Anbieter im Zahlungsverkehr steigt stetig. Vor allem Internetanbieter erfreuen sich großer Beliebtheit: Bereits 33 Prozent der Finanzentscheider können sich vorstellen, zukünftig ein Girokonto bei Paypal zu eröffnen. 30 Prozent würden sogar ihr Gehaltskonto verlagern, um weiterhin Apple Pay oder Google Pay nutzen zu können. 2025 wird voraussichtlich jeder dritte Kunde den Zahlungsverkehr über andere Anbieter abwickeln.

Abbildung 1: Sparkassen und VR-Banken mit der höchsten Hausbankquote Quelle: IM Studie Banking 2020

Auch das veränderte Kundenverhalten setzt etablierte Institute zunehmend unter Druck. 45 Prozent der Kunden informieren sich zunächst online, bevor sie sich an ihre Bank oder Sparkasse wenden. Zudem führen bereits 28 Prozent der Kunden neben dem Konto bei der Hausbank ein oder mehrere Konten bei weiteren Instituten. Schon heute gilt die Hausbank für weniger als 50 Prozent der Finanzentscheider als erste Wahl bei der Baufinanzierung, Wertpapieroder Altersvorsorgeprodukten.

In diesem Umfeld setzt die Zahlungsdiensterichtlinie "Payment Services Directive2" (PSD2) neue Leitplanken für den Zahlungsverkehr und Kontoinformationsdienste. Sie definiert klare Regeln für das Initiieren von Überweisungen im Online-Banking, eröffnet aber auch neue Möglichkeiten für die Auswertung aller Zahlungskonten eines Nutzers. Es zeichnet sich ab, dass Google, Apple und Co. sowie etablierte Plattformen wie Check24 die Kunden künftig mit datenbezogenen Ertragsmodellen breiter durchdringen oder gezielt mit Cross-Selling-Produkten ansprechen werden. Dank alltäglicher und vertragsrelevanter Kundeninformationen ist das Girokonto hierfür die ideale Plattform.

Girokonto im Fokus

Für die nachhaltige Verteidigung der Kundenschnittstelle müssen Banken und Sparkassen deshalb die Hausbankbeziehung stärken - und im Zuge einer erfolgreichen Ertrags- und Wachstumsstrategie neu denken. Im Mittelpunkt steht dabei das Girokonto: Über 70 Prozent der Kunden sehen ihre Hausbankverbindung dort, wo sie auch ihr Gehaltskonto haben.

In jüngster Zeit führen die Institute immer wieder sogenannte Hausbankmodelle ein. Über ein Punktesystem sammeln Kunden mit jedem neu abgeschlossenen Bankprodukt Punkte. Je mehr Produkte sie bei der Bank nutzen, desto günstiger wird der Kontoführungspreis des Girokontos. Diese Modelle stärken jedoch die Hausbankbeziehung nicht dauerhaft.

Rabattmodelle sind keine Lösung

Zum einen ist dieser Ansatz komplex, während jedoch 76 Prozent der Privatkunden Einfachheit und Komfort als wichtigste Anforderungen an ihre Bank stellen. Zum anderen setzt der Abschluss von Bankprodukten meist ein rationales Involvement voraus. Es handelt sich nicht um klassische Impulskäufe wie in anderen Branchen, in denen das Punktesammeln bereits etabliert ist. Kunden machen den Abschluss einer Baufinanzierung nicht davon abhängig, ob beispielsweise sechs Euro Ersparnis im Monat auf dem Girokonto entstehen.

Gerade abwanderungsgefährdete Kunden müssen die Institute zunächst emotional zurückgewinnen, bevor es zu Neuabschlüssen kommt. Für diese Kunden sind monetär unwesentliche Rabatte nicht maßgeblich. Stattdessen führt die Rabattierung zur Incentivierung bereits gut gebundener Kunden, für die aber die Kontogebühr keinen Grund für einen Bankwechsel darstellt. Kunden, die ohnehin wenig Bindung aufweisen, sehen keine Motivation, eine Hausbankbeziehung einzugehen. Rabattmodelle sind folglich keine Lösung.

Abbildung 2: 28 Prozent führen mehr als ein Girokonto Quelle: IM Studie Banking 2020

Warnung vor weiteren Preisanhebungen

Wie kann es also gelingen, die Hausbankbeziehung zu gewinnen und zu sichern? Wie lassen sich Konten künftig erfolgreich gestalten, und für welche Dienstleistungen sind Kunden dauerhaft bereit, Geld zu zahlen? Die einfache Antwort lautet: Für alles, was ihnen einen Nutzen oder Mehrwert bringt. Dabei müssen jedoch viele Faktoren berücksichtigt werden. Bei der Gestaltung von Girokonten ist eine gesamthafte Betrachtung wichtig, vom Preis über die Leistungen bis hin zum Serviceerlebnis der Kunden. Dabei gilt es, die Kontowelt zielgruppenspezifisch zu gestalten.

Die optimale Ausnutzung von Preisspielräumen ist kein einfaches Unterfangen. In der Vergangenheit erfolgten häufig Erhöhungen des Grundpreises um ein bis zwei Euro pro Monat über alle Kunden- und Kontengruppen hinweg. Doch diese Strategie sollten die Institute in Zukunft überdenken. Zum einen sind fast überall erste Preisschwellen für preissensible Kunden erreicht. Jede weitere Erhöhung kann folglich von nun an zu deutlicheren Kundenreaktionen führen. Dazu zählen vor allem Abwanderungen zu anderen Anbietern - insbesondere bei den 28 Prozent der Kunden, die dort bereits ein Konto eröffnet haben.

Zum anderen berücksichtigt dieses Vorgehen Veränderungen im Nutzungsverhalten nicht oder nicht ausreichend - zum Beispiel den veränderten Umgang mit Bargeld, Kartenzahlungen oder die massive Zunahme von Kleinstzahlungen. In der Folge verschenken Banken und Sparkassen attraktive Chancen oder verlieren Risiken aus den Augen.

Banken und Sparkassen sollten deshalb Leistungen und Preise prüfen, über verschiedene Kontomodelle und ergänzende Angebote zur weiteren Durchdringung hinweg. Dazu gehören im Zahlungsverkehr zum Beispiel Apps oder Kreditkarten, aber auch weiterführende Bankdienstleistungen wie das Wertpapiergeschäft in einem Bezahl-Ökosystem.

Zusatzangebote ermöglichen Durchdringung

Dabei hat es sich bewährt, unterschiedliche Kontoalternativen anzubieten. Denn ein Konto für alle gibt es nicht: 30 Prozent der Kunden präferieren einen Preisvorteil, wenn sie alles online abwickeln. Mit 29 Prozent legen nahezu ebenso viele Kunden Wert auf einen günstigen Grundpreis, kombiniert mit der Einzelabrechnung genutzter Leistungen. Ein möglichst breites Angebot ist folglich empfehlenswert. Dieses sollte Wahlmöglichkeiten ebenso beinhalten wie einen einfachen Beratungsprozess mit unterstützenden Vermarktungstools, etwa einem Kontofinder.

Zusatzleistungen und weitere Produkte ermöglichen eine bessere Durchdringung und Kundenbindung. Die Bandbreite reicht von klassischen, oft emotional angereicherten Mehrwerten über regionale Cashback-Programme bis hin zu innovativen weiteren Leistungen. Ein Beispiel ist eine eigens kreierte Heimat-App mit innovativen, regionalen Angeboten für Kontokunden inklusive.

Interesse für Produktbündel vorhanden

Die Bündelung dieser Maßnahmen am Girokonto stellt jedoch eine Herausforderung dar. Individualisierbare Pakete erfordern ein erhöhtes Involvement der Kunden sowie einen vertrieblichen Fokus. Immerhin können sich 26 Prozent der Kunden den Abschluss eines Produktbündels vorstellen, das alle relevanten Finanzbedarfe der Familien abdeckt. Dazu gehören das Girokonto, Debit- und Kreditkarten, das Wertpapierdepot, Kfz-Versicherung und vieles mehr.

Zusätzliche Angebote erfordern zudem eine systematische Marktbearbeitung. Bei bankfernen Zusatzleistungen können die Institute auf Angebote von Drittpartnern zurückgreifen, die bereits Plug-and-Play-Lösungen bereitstellen. Das Interesse und damit das Potenzial sind vorhanden. So würden 29 Prozent der Kunden für einen Geldbeutelschutz einen Aufpreis zahlen, 21 Prozent für ein Sparpaket, bei dem sie bei bestimmten Einkäufen Geld zurückerhalten.

Abbildung 3: Kundenprioritäten sprechen für unterschiedliche Preismodelle Quelle: IM Studie Banking 2020

Multibanking-Schnittstelle besetzen

Vor dem Hintergrund neuer Anbieter ist es für Banken und Sparkassen von zentraler Bedeutung, die Nutzung persönlicher Kundendaten und des Personal-Finance-Managements in den Fokus zu rücken. Als Erfolgsfaktor erweist sich das Besetzen der Multibanking-Schnittstelle. Denn Kunden entscheiden sich nur einmal für einen Multibanking. Es folgt die Reduzierung von Kontaktpunkten zu anderen Anbietern. Dies trifft insbesondere auf jene 28 Prozent der Kunden zu, die ein Girokonto bei mehr als einem Institut führen.

Das Interesse der Kunden ist vorhanden: 19 Prozent würden für Multibanking sogar einen Aufpreis zahlen. Derzeit nutzen es aber nur 8 Prozent. Dieses Potenzial lässt sich mit einer systematischen, zielgruppenspezifischen Marktbearbeitung ausschöpfen. Denn nur 14 Prozent derjenigen Kunden, die für das Banking ausschließlich die Filiale besuchen, wären zu einem Aufpreis bereit - aber 23 Prozent der hybriden Kunden, die sowohl die Filiale als auch das Online-Banking nutzen.

Chancen der PSD2 nutzen

Das Girokonto allein ist zwar kein Garant für die Durchdringung des Kundenbestands. Es kann aber als Plattform für eine weitere Ansprache dienen. Dafür gelten verschiedene Voraussetzungen. Die technischen und rechtlichen Möglichkeiten lassen den Einsatz von Kundendaten zu, auch dank PSD2. Diese Chance sollten sich Banken und Sparkassen zunutze machen: mit dem Ausbau des Girokontos zu einer Personal-Finance-Plattform. Zudem ist eine systematische Marktbearbeitung erforderlich, auch in Kooperation mit Vertriebspartnern. Mit Blick auf die Hausbankbeziehung gilt: Die Kunden müssen den Nutzen dieser Maßnahmen beim Management ihrer persönlichen Finanzen über alle Kontaktpunkte hinweg erfahren.

Als Fazit lässt sich festhalten: Banken und Sparkassen sollten das Girokonto nicht nur als reine Ertragsquelle betrachten. Mit einer zukunftsgerichteten Ausgestaltung, der Schaffung positiver Kundenerlebnisse und der Nutzung von Daten zur systematischen Marktbearbeitung kann das Girokonto maßgeblich dazu beitragen, die Hausbankbeziehung neu zu gestalten und diese wertvolle Kundenschnittstelle wirkungsvoll gegenüber anderen Anbietern zu verteidigen.

Thomas Wollmann, Mitglied des Vorstands, Investors Marketing AG, Frankfurt am Main
Xing
Thomas Wollmann , Vorstand , Investors Marketing AG, Frankfurt am Main

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X