Privatkundengeschäft

Vom Konto zum Kunden - die Kundenschnittstelle nicht verlieren

Dr. Oliver Mihm, Vorstand (CEO), Investors Marketing AG, Frankfurt am Main
Quelle: Investors Marketing

Im Wettbewerb mit den großen Internetunternehmen drohen Finanzdienstleister zu bloßen Produktlieferanten degradiert zu werden. Um die Kundenschnittstelle zu verteidigen, so die Autoren, darf deshalb nicht länger das Konto im Fokus stehen, sondern muss es der Kunde sein. Bei der Kundenzentrierung klaffen Anspruch und Wirklichkeit aus Kundensicht aber noch weit auseinander. Verbesserungsbedarf gibt es besonders bei Fairness und Wertschätzung. Mit beidem lässt sich bei der Preisstrategie ansetzen: Sonderkonditionen für loyale Kunden vermitteln Wertschätzung, der Verzicht auf Lockvogelangebote und versteckte Kosten Fairness. Red.

Girokonto und Zahlungsverkehr sind zentrale Treiber der Provisionserträge und Anker der Geschäftsbeziehung. Lange Zeit konnten Banken und Sparkassen sich darauf verlassen, mit dem Girokonto auch die Kundenbeziehung zu haben. Doch inzwischen wird der Wettbewerb nicht mehr nur unter Finanzdienstleistern ausgetragen - neue Wettbewerber greifen bevorzugt beim Zahlungsverkehr an.

Der Markteintritt der großen Internetanbieter hat bereits begonnen. Nachdem sich Anbieter wie Paypal und Amazon beachtliche Marktanteile im Online-Handel gesichert haben, will nun Google Pay dem mobilen Bezahlen mit dem Smartphone zum Durchbruch verhelfen.

Abschlussbereitschaft bei Google fast verdoppelt

Die Ergebnisse der Befragung von über 2 000 Finanzentscheidern in Deutschland im Rahmen der IM-Privat- und Firmenkundenstudie 2018 sprechen eine deutliche Sprache: Schon heute nutzen 59 Prozent der Befragten Paypal (siehe Abbildung 1). Gegenüber 2016 ist die Bereitschaft gestiegen, Bankprodukte bei bankfremden Anbietern wie Paypal (43 Prozent) oder Amazon (21 Prozent) in Anspruch zu nehmen. Die Abschlussbereitschaft bei Google hat sich sogar von 7 auf 13 Prozent fast verdoppelt (siehe Abbildung 2).

Die regelmäßige Nutzung etabliert eine parallele Kundenbeziehung und schwächt die Kundenbindung an die Bank. Für den Kunden wird immer unwichtiger, wo er sein Girokonto hat - er zahlt mit Paypal, das Konto dient nur noch zur Zahlungsabwicklung. Durch die Bezahlfunktion erhalten die neuen Wettbewerber Daten über Zahlungsströme, Nutzungsverhalten und Präferenzen, die sie einsetzen können, um Kunden mit weiteren Angeboten zu durchdringen. Für Finanzdienstleister besteht das Risiko, auf die Rolle des Produktlieferanten reduziert zu werden und den direkten Kontakt zum Kunden zu verlieren.

Sich auf der Produktseite gegen die neuen Wettbewerber durchzusetzen ist nicht einfach. Positiv stechen zum Beispiel die mehrfach ausgezeichnete Sparkassen-App und die Bezahlfunktion Kwitt hervor. Paydirekt und Yomo dagegen zeigen, wie schwierig es ist, Innovation in Verbundsystemen zu betreiben.

Die Kundenschnittstelle verteidigen

Ob die angekündigten Lösungen der Verbünde für das mobile Bezahlen erfolgreich sein werden, ist noch offen. Die großen Internetanbieter, aber auch die agilen Fintechs wie N26, setzen Maßstäbe bei der Gestaltung (digitaler) Kundenerlebnisse und die Big Techs haben die Markenstärke und Reichweite, diese im Markt zu etablieren. Durch Produktdifferenzierung allein wird man den Kampf um den Kunden nicht gewinnen. Finanzdienstleister können im Wettbewerb nur bestehen, wenn sie sich nicht auf das Konto, sondern auf den Kunden fokussieren.

Das Ziel muss sein, die Kundenschnittstelle gegenüber den Angreifern zu verteidigen und dauerhaft zu behalten. Um das zu erreichen ist es zentral, dass der Kunde sich bei seiner Bank wohlfühlt, Bankgeschäfte für ihn einfach und komfortabel sind, er sich fair behandelt und wertgeschätzt fühlt - damit er gar nicht das Bedürfnis hat, Alternativen zu suchen.

Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander

In der Kundenwahrnehmung sind Anspruch und Wirklichkeit weit voneinander entfernt. Nur 40 Prozent der Finanzentscheider halten ihre Hausbank für besonders kundenorientiert. Mit großem Abstand vorn liegt die ING-Diba (71 Prozent), dicht gefolgt von der DKB (61 Prozent). Volksund Raiffeisenbanken (38 Prozent) und Sparkassen (37 Prozent) schneiden leicht unterdurchschnittlich ab.

Wie können Banken ihre Kundenzentrierung verbessern und was bedeutet das speziell für Girokonto und Zahlungsverkehr? Um diese Frage zu beantworten, muss Kundenzentrierung zunächst operationalisiert und messbar gemacht werden. Anhand von acht empirisch ermittelten Faktoren und 35 Merkmalen wurde analysiert, was Kunden von ihrer Hausbank erwarten - und was sie tatsächlich erleben. Diese acht Faktoren sind kurz mit Komfort, Kompetenz, Individualität, Service, Beziehung, Fairness, Wertschätzung und Innovation beschrieben.

Wenn man die Bedeutung der Faktoren und deren Erfüllung durch die Hausbank gegenübergestellt, werden die Defizite aus Kundensicht offensichtlich (Abbildung 3). Die Anforderungen an Komfort, guten Service und individuelle Behandlung werden überwiegend gut erfüllt, Innovation sogar übererfüllt. In den für die Kundenbindung wichtigen Faktoren Fairness und Wertschätzung herrschen jedoch große Lücken.

Kunden vermissen Fairness

Beim Thema Fairness fallen Kundenerwartung und Wirklichkeit besonders weit auseinander: 56 Prozent der Befragten erwarten, dass ihre Hausbank sie fair behandelt, aber nur 35 Prozent finden, dass dies auf ihre Bank zutrifft. Die höchsten Bewertungen für Fairness erreichen die Sparda-Banken (61 Prozent), ING-Diba (56 Prozent) und DKB (52 Prozent). Commerzbank und Volks- und Raiffeisenbanken schneiden durchschnittlich ab, die Deutsche Bank mit 21 Prozent unterdurchschnittlich.

Das Girokonto hat erheblichen Einfluss auf die Kundenwahrnehmung von Fairness. Ein fairer Preis und ein angemessenes Preis-Leistungs-Verhältnis sind mit großem Abstand die wichtigsten Merkmale, an denen Kunden die Fairness ihrer Bank festmachen. Daneben ist es den Kunden wichtig, dass die Bank ihnen einen übersichtlichen, leicht verständlichen Vergleich der Produkte ermöglicht und ihnen das am besten geeignete Produkt anbietet. Deutlich weniger Kunden erwarten dagegen, dass ihre Bank auch Produkte anderer Anbieter bereithält oder sich mit diesen vergleicht.

Vor allem junge Kunden von 18 bis 29 Jahren sind hier kritisch: Nur 30 Prozent glauben, dass ihre Bank sie fair behandelt. Wer der Versuchung widersteht, die relative Unerfahrenheit dieser Kundengruppe auszunutzen, hat gleichzeitig die Chance, sie besser zu binden.

Mit Preis und Leistung selbstbewusst umgehen

Finanzdienstleister sollten daher den Mut haben, ihre Angebote klar zu strukturieren, Preise offen zu kommunizieren und auf Lockvogelangebote und versteckte Kosten zu verzichten. Dabei kommt es nicht darauf an, immer den günstigsten Preis zu bieten. Mindestens genauso wichtig ist es, die gebotene Leistung klar zu positionieren. Statt zu warten, bis der Gesetzgeber auch noch die letzten Schlupflöcher schließt, sollten Institute mit Preis und Leistung selbstbewusst umgehen. Chancen zur Differenzierung bestehen zum Beispiel durch einen aktiven Umgang mit Preis und Leistung bei jungen Kunden und Geschäftskunden.

Bedarfsgerechte Kontomodelle in Verbindung mit einer klaren Preis-Leistungs-Argumentation können hier ansetzen. Stimmen Betreuung und Service, dann ist auch die Zahlungsbereitschaft für diese Leistungen vorhanden.

Wertschätzung erfordert Kulanz und Offenheit

Gerade Hausbankkunden wollen sich zudem bei ihrer Bank wertgeschätzt fühlen - doch nur 32 Prozent haben das Gefühl, ihrer Hausbank wichtig zu sein. Besonders kritisch: Zukunftsträchtige Zielgruppen wie Online-Kunden und Studenten, aber auch Selbstständige und Freiberufler fühlen sich unterdurchschnittlich, Rentner dagegen überdurchschnittlich wertgeschätzt. Sparda-Banken und ING-Diba erreichen die höchsten Werte und treffen die Erwartungen ihrer Kunden am besten.

Kulanz der Bank bei Meinungsverschiedenheiten trägt am stärksten dazu bei, dass sich Kunden bei ihrer Bank wertgeschätzt fühlen. Kundenfreundliche Regelungen und Kulanz sind gerade im Zahlungsverkehr gefragt, der häufiger Anlass für Kundenbeschwerden ist. Bessere Angebote und Leistungen für langjährige Kunden, wie die Besserstellung von Aktivkunden bei der DKB, tragen ebenfalls zur Wertschätzung bei. Interesse für die Wünsche und Anregungen der Kunden ist ein weiterer Aspekt von Wertschätzung.

Alle Aspekte der Wertschätzung profitieren von einem strukturierten Vorgehen. Kunden regelmäßig nach ihren Wünschen und Anregungen zu fragen beziehungsweise diese systematisch aufzunehmen und umzusetzen, sollte für alle kundenzentrierten Organisationen selbstverständlich sein. Auch eine klare Logik für bessere Preise und Angebote für gute Kunden (inklusive Sonderkonditionen) ist wichtig. Dies gibt Mitarbeitern Sicherheit und unterstützt sie in der Argumentation. Auch die Kunden sind zufriedener, wenn sie merken, dass Entscheidungen nicht willkürlich, sondern nach nachvollziehbaren Regeln getroffen werden.

Innovation: Kundenerwartungen übererfüllt

Angesichts des Innovationstempos der neuen Wettbewerber mag es überraschen, dass Innovation aus Kundensicht der unwichtigste der acht untersuchten Faktoren der Kundenzentrierung ist. Nicht nur die Direktbanken, auch Volks- und Raiffeisenbanken und die Targobank übererfüllen die Ansprüche ihrer Kunden. Sparkassen und Commerzbank treffen die Erwartungen ihrer Kunden.

Daraus sollte nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass sich die Finanzbranche beim Thema Innovation nun zurücklehnen kann. Innovation bleibt wichtig, sie muss aber vor allem dem Kunden nützen. Es ist naheliegend, dabei zuerst an intuitive Benutzeroberflächen, intensivere Vernetzung der Kommunikationskanäle und fallabschließende Prozesse zu denken, also Verbesserungen in Komfort und Service. Aber Innovation kann auch für die emotionalen Aspekte der Kundenbeziehung eingesetzt werden, also Fairness, Beziehung und Wertschätzung. Zum Beispiel durch individuell passende Empfehlungen, nützliche Tipps und Hinweise oder einfach durch die Möglichkeit zu unkompliziertem Feedback. Diese Elemente sind wichtig, um die Schnittstelle zum Kunden auch emotional und mit wahrgenommenem Mehrwert zu sichern.

Wenn das Geschäftsmodell der Finanzbranche Zukunft haben soll, müssen Finanzdienstleister statt auf Konten wieder mehr auf Kunden schauen. Denn ähnliche Herausforderungen bestehen auch in anderen Produktbereichen, zum Beispiel durch das Vordringen von Vergleichsportalen und Plattformen in der Baufinanzierung oder die zunehmende Bedeutung von Robo Advisors im Wertpapiergeschäft.

Kundenzentrierung hat ökonomische Wirkung

Zu oft noch wird die konsequente Ausrichtung auf den Kunden als konträr zur verbreiteten Kosten- und Effizienzstrategie empfunden. Dabei ist Kundenzentrierung kein Selbstzweck, sondern hat klare ökonomische Ziele. Eine am Kunden ausgerichtete Unternehmensstrategie und die konsequente Umsetzung positiver Kundenerlebnisse wirken über die Verbesserung der oben beschriebenen Faktoren positiv auf Weiterempfehlungsbereitschaft und Kundenbindung. Loyale Kundenbeziehungen in Verbindung mit erhöhter Zahlungs- und Abschlussbereitschaft ermöglichen mehr Ertrag oder zielkonforme Kostensenkungen.

Echte Kundenzentrierung ist Denkhaltung und Managementansatz zugleich. Sie setzt zunächst die ernsthafte und selbstkritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Tun voraus. Hierbei hat es sich bewährt, mit einem gut strukturierten Audit zu beginnen (Customer Centricity Audit, CCA). Entlang der kundenzentrierten Wertschöpfungskette wird im Sinne einer Inside-Out-Betrachtung der eigene Status quo mit dem Managementteam erhoben. Parallel erfolgt eine Befragung der eigenen Kunden (Outside-In-Betrachtung). Im Unterschied zu den üblichen Kundenzufriedenheitsbefragungen erfasst sie die Wahrnehmung der acht empirisch ermittelten Faktoren individuell für das eigene Haus und erlaubt somit die Einordnung in ein bundesweites Benchmarking.

Die Gegenüberstellung von Inside-Out- und Outside-In-Perspektive liefert die Basis, um konkrete Initiativen zur Verbesserung der Kundenzentrierung abzuleiten. Dies lässt sich nicht mit einem einzelnen Großprojekt erreichen, sondern erfordert die dauerhafte Verankerung im gesamten Unternehmen. Damit sich Führungskultur, Zusammenarbeit, Herangehensweise, Team-Zusammenstellung und nicht zuletzt die Fehlerkultur entwickeln können, empfehlen wir, zunächst mit überschaubaren Initiativen zu starten. Je nach Ausgangssituation und Zielsetzung variieren die ausgewählten Initiativen von Haus zu Haus.

Gemäß dem Prinzip des Design Thinking wird lediglich das Ziel und nicht der Weg definiert - also zum Beispiel Steigerung der Zahlungsverkehrserträge statt Anpassung der Kontopreismodelle zur Steigerung der Zahlungsverkehrserträge. Anschließend entscheidet das Projektteam, welcher Weg am besten zum Ziel führt. Die Lösungsfindung erfolgt zunächst in einem offenen Kreativprozess, der sich immer weiter verdichtet, bis eine kleine Anzahl möglicher Lösungen gefunden und getestet worden ist. Im Ergebnis entstehen durch diesen Prozess neue Ideen, die ein konkretes, reales Kundenproblem lösen und zur Zielerreichung beitragen.

Gleichzeitig lernt das Projektteam eine vollkommen neue Herangehensweise durch den Perspektivwechsel hin zur Kundensicht, die frühe bereichsübergreifende Lösungsfindung und nicht zuletzt den Spaß und die Freude am eigenen Tun. Das Vorgehen liefert also nicht nur rein fachliche Ergebnisse, sondern hat auch direkten Einfluss auf die Kultur des Hauses.

Kundenzentrierung ist kein Luxus, sondern folgt der harten ökonomischen Logik, dass nur die Erhöhung von Zahlungs-, Abschluss- und Weiterempfehlungsbereitschaft der Kunden nachhaltig zu mehr Ertrag führt. Die Finanzbranche darf die Gestaltung von Kundenerlebnissen nicht länger dem Zufall überlassen, wenn sie die Kundenschnittstelle gegen neue Wettbewerber sichern will.

Zu den Autoren Dr. Oliver Mihm, Vorstand (CEO), und Thomas Wollmann, Vorstand, beide Investors Marketing AG, Frankfurt am Main
Dr. Oliver Mihm , Vorsitzender des Vorstands, Investors Marketing AG, Frankfurt am Main
Thomas Wollmann , Vorstand , Investors Marketing AG, Frankfurt am Main

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