Marktstrategien

Das Kundenerlebnis entscheidet

Dr. Oliver Mihm, Vorsitzender des Vorstands, Investors Marketing AG, Frankfurt am Main

Quelle: Investors Marketing AG

Die Ertragserwartungen der Kreditwirtschaft sinken, so eine Studie von Investors Marketing. Sorgenkind ist dabei primär das Mengengeschäft im Privatkundensegment. Und die Branche geht von einer Verschiebung der Ertragsquellen aus, die wiederum in vielen Fällen eine strategische Neuaufstellung erfordert. Während die Sparkassen den großen Kraftakt üben, setzt die Genossenschaftsorganisation stärker auf fortlaufende kleine Verbesserungen. Oberste Prämisse aller Veränderungen, so der Autor, ist die Kundenzentrierung. Davon wird zwar überall gesprochen. Umgesetzt ist sie aber noch selten. Red.

Eine wachsende Zahl von Führungskräften in der Finanzbranche sieht das eigene Haus nicht optimal aufgestellt für die Herausforderungen im Privat- und Firmenkundengeschäft. Jeder Zweite geht von der Notwendigkeit aus, das Geschäftsmodell zu überdenken. Der entscheidende Hebel wird dazu in den nächsten Jahren die Gestaltung der Kundenbeziehung sein.

Auf Preiswettbewerb, Ertragsdruck, Digitalisierung und Regulatorik reagieren Banken und Sparkassen seit Jahren mit immer gleichen Maßnahmen: Filialen abbauen, Digitalisierung vorantreiben, Kosten senken. Doch die laufenden Initiativen schließen zwar wichtige Lücken im Status quo, reichen aber auf Dauer nicht aus. Jeder zweite Entscheider in der Branche sieht daher die Notwendigkeit, das eigene Geschäftsmodell für die Zukunft grundsätzlich zu überdenken.

Das ist eines der zentralen Ergebnisse der IM-Trendstudie 2017 "Banken 2025: Zukunftsszenarien und Strategiealternativen", für die mehr als 100 Führungskräfte von Privatbanken, Sparkassen und Genossenschaftsinstituten befragt wurden. Gegenüber dem Jahr 2015 ist die Stimmungsverschlechterung deutlich erkennbar. So fühlt sich nur knapp ein Drittel der Befragten bestens für die Herausforderungen im Privatkundengeschäft aufgestellt, im Firmenkundengeschäft sind es sogar nur 18 Prozent und auf dem Weg zum Multikanalangebot sehen sich nur 12 Prozent weit fortgeschritten.

Sinkende Ertragserwartungen

Auch die Ertragsaussichten für die kommenden Jahre sehen die befragten Führungskräfte kritisch. 43 Prozent rechnen mit sinkenden Erträgen aus dem Privatkundengeschäft bis 2025, nur 38 Prozent mit steigenden. Im Jahr 2015 hofften noch 56 Prozent der Befragten auf wachsende Erträge. Im Durchschnitt erwarten die Entscheider im Privatkundengeschäft ein Nullwachstum.

- Das klassische Retail-Mengengeschäft ist besonders betroffen: Dem erwarteten Ertragsrückgang um 3,8 Prozent bis 2025 wollen die Finanzinstitute durch eine Kostenreduzierung um vier Prozent begegnen. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die unter anderem von den Sparkassen aktiv verfolgte Effizienzstrategie.

- Im gehobenen Privatkundengeschäft sollen dagegen die Erträge deutlich um sieben Prozent gesteigert werden. Nicht nur die Sparkassen verfolgen in diesem Segment eine Wachstumsstrategie.

- Das Firmenkundengeschäft ist neben den vermögenden Privatkunden der Hoffnungsträger der nächsten Jahre. Über alle Teilzielgruppen hinweg sollen die Erträge um rund fünf Prozent steigen. Vor allem bei kleinen Unternehmen sehen die Befragten noch Ertragspotenziale. Die alleinige Fokussierung auf attraktive Kundensegmente ist angesichts des Ertragsdrucks naheliegend, aber nicht ohne Risiko. Denn immer mehr Wettbewerber entdecken vermögende Privatkunden und Selbstständige als Zielgruppe, namentlich genannt seien hier die Sparda-Banken oder Fintechs wie N26 und Kontist.

Ertragsquellen verschieben sich

Die Entscheider sehen zudem eine massive Verschiebung der Ertragsquellen. Stammten im Jahr 2015 rund 75 Prozent der Erträge aus dem Zinsüberschuss, werden es im Jahr 2025 nach Einschätzung der Entscheider nur noch 54 Prozent sein. Ausgleichen soll dies in erster Linie ein auf 31 Prozent steigender Provisionsüberschuss. Das ist ein ambitioniertes Ziel, denn die Provisionserträge im Girokonto und Zahlungsverkehr, im Wertpapiergeschäft und in der Vermittlung von Bauspar- und Versicherungsverträgen standen bereits in den vergangenen Jahren im Fokus. Die sonstigen Erträge, die zuletzt bei einigen Großbanken noch für Verluste sorgten, sollen durch neue Geschäftsfelder oder Dienstleistungen auf 10 Prozent steigen.

Eine derartige Verschiebung der Zielgruppen- und Ertragsstruktur stellt neue Anforderungen an die strategische Aufstellung und erfordert teilweise ein völlig neues Geschäftsmodell. Aktuell jedoch sind viele Institute noch damit beschäftigt, Lücken im Status quo zu schließen und das Wettbewerbsniveau zu erreichen.

Umbau der Vertriebswege im Fokus

Über alle Branchengruppen hinweg steht der Umbau der Vertriebswege, das heißt die Straffung der Filialnetze und Ausbau medialer Kanäle, ganz oben auf der Agenda. Für 78 Prozent der befragten Entscheider hat dieses Thema hohe Priorität.

Ähnlich hohe Priorität hat die Senkung von Sach- und Prozesskosten. Kundenbezogene Maßnahmen wie Vertriebsaktivierung und Kundensegmentierung werden ebenfalls von 75 Prozent der Befragten verfolgt. Hintergrund ist die Ausrichtung auf ertragsstarke Segmente im Privat- und Firmenkundengeschäft und die Intensivierung der vertrieblichen Aktivitäten in diesen Bereichen.

Auch die Qualifikation und Motivation der Mitarbeiter gewinnen an Bedeutung angesichts der Herausforderungen der Digitalisierung. Multiplikatorenteams, Digitalführerscheine, Hausmessen und Road shows gehören zum festen Programm vieler Häuser.

Die Produktpolitik wird immerhin von 62 Prozent der Entscheider als ein wichtiger Hebel gesehen. Die Möglichkeiten sind nicht auf die Verschlankung der Produktpalette beschränkt. So hat die Commerzbank in der Niedrigzinsphase den Ratenkredit als Kernprodukt für sich entdeckt, die Targobank hat eine emittentenunabhängige Fonds- und ETF-basierte Wertpapierberatung mit Volumenentgelt eingeführt.

Das Thema Preispolitik hat noch für 54 Prozent der Entscheider Priorität, von anderen werden die Aktivitäten der letzten Jahre vorerst als ausreichend gesehen. Dabei bietet die Preisgestaltung durchaus noch Potenzial, wenn den Kunden vermittelt wird, was die Dienstleistung der Bank ist und was diese wert ist.

Genossen zufriedener als die Sparkassen

Die Sparkassen-Finanzgruppe hat unter dem Titel "Vertriebsstrategie der Zukunft" Leitlinien für die zukünftige vertriebliche Aufstellung definiert. Derzeit ist der grundlegende Umbau der Zugangswege in vollem Gange.

- Stationäre und mediale Kanäle sollen besser miteinander verzahnt, das Geschäftsstellennetz weiter gestrafft werden.

- Die verbleibenden Filialen sollen vor allem qualifizierte Beratung und Information vorhalten.

- Services und Transaktionen wandern ins Netz, die medialen Zugangswege werden massiv ausgebaut.

Gleichzeitig sollen die Kosten sinken, auch der Abbau von Arbeitsplätzen ist kein Tabu mehr. Zentrales Thema ist die neue Kundensegmentierung, die den Ausbau der Individualkundenberatung mit einer effizienteren Aufstellung im Mengengeschäft verbindet.

Diese Schwerpunkte spiegeln auch die Entscheider aus den Sparkassen wider. Der Umbau der Vertriebswege ist für 83 Prozent der Institute das Topthema, gefolgt von Kostensenkung bei Sach- und Personalkosten (79 Prozent) sowie kundenbezogenen Maßnahmen, konkret die Umsetzung der neuen Segmentierung. Dass die befragten Entscheider aus den Sparkassen trotz all dieser Aktivitäten mit der Aufstellung im Privatkundengeschäft unzufriedener sind als noch im Jahr 2015, mag damit zusammenhängen, dass die Umsetzung der Vertriebsstrategie einen großen Kraftakt erfordert und sich die Implikationen für die operative Marktbearbeitung erst nach und nach abzeichnen.

In der genossenschaftlichen Finanzgruppe steht die Zukunftsinitiative unter dem Titel "KundenFokus 2020". Auch hier ist das Ziel der Umbau zur Omnikanalbank. Filiale und Online-Banking sollen künftig nicht mehr isoliert nebeneinander stehen, der Kunde soll nahtlos wechseln können. Wichtig ist der Gruppe, dass nicht nur die digitalen Kanäle, sondern auch die dahinter liegenden Prozesse optimiert werden - "oneanddone" ist das interne Schlagwort. Die verschiedenen Themenkomplexe werden sukzessive mit Unterstützung der Verbundunternehmen abgearbeitet. Statt eines großen Wurfs erleben die Genossenschaftsbanken also fortlaufende kleine Verbesserungen. Die Entscheider aus dem genossenschaftlichen Lager sind insgesamt zufriedener mit der Aufstellung im Privatkundengeschäft. Der Umbau zur Omnikanalbank und die Einstimmung der Mitarbeiter darauf haben erwartungsgemäß hohe Priorität. Kostensenkung, kundenbezogene sowie produkt- und preispolitische Maßnahmen werden mit mittlerer Priorität verfolgt.

Direktbanken wachsen ertragreich

Während sich große Teile der Finanzbranche mit stagnierenden oder rückläufigen Erträgen im standardisierten Mengengeschäft abgefunden haben, gibt es Marktteilnehmer, die gerade in diesen Segmenten wachsen und auch zukünftig steigende Erträge erwarten. Die führenden Direktbanken gehören inzwischen zu den größten Privatkundenbanken in Deutschland - und sie wollen weiter wachsen. Angesichts der aktuellen Wachstumsraten scheint eine Zahl von 22 Millionen Direktbankkunden bis zum Jahr 2020 realistisch.

Und dieses Wachstum ist ertragreich: ING-Diba, DKB und weitere Direktbanken erzielten 2016 Rekorderträge. Bis 2025 erwarten die befragten Entscheider einen Ertragszuwachs von 3,3 Prozent im Privatkundengeschäft und liegen damit deutlich über den Schätzungen der Filialbanken.

Aber nicht nur Direktbanken wachsen erfolgreich. Auch die Targobank erwirtschaftet Rekorderträge mit dem in vielen Häusern eher als Stiefkind betrachteten Konsumentenkredit. Gleichzeitig erschließt die Bank neue Segmente wie Vermögenskunden sowie Geschäfts- und Firmenkunden. Trotz der Wachstumsstrategie wurde der Verwaltungsaufwand kontinuierlich gesenkt.

Erfolgsfaktor Beschränkung

Woran liegt es, dass diese Banken dauerhaft erfolgreicher sind als andere?

- Der erste Faktor ist Beschränkung: nicht alles machen zu wollen, sondern sich zu beschränken, sich zu konzentrieren, die bestehenden Prozesse besser zu machen.

- Der zweite Faktor ist das Thema Konsequenz: die Strategie konsequent umzusetzen und kontinuierlich weiterzuentwickeln.

- Der dritte und wichtigste Faktor ist Kundenzentrierung: Als Angreifer muss man für potenzielle Kunden attraktiv sein. Darum machen sich Angreifer viele Gedanken darüber, wie sie den Kundennutzen transportieren, den Kunden Mehrwert liefern und das Kundenerlebnis optimal gestalten.

Kundenzentrierung noch selten umgesetzt

Branchenfremde Angreifer sind daher ein nicht zu unterschätzendes Risiko: 55 Prozent der Entscheider erwarten den Eintritt eines führenden Internetunternehmens in den Finanzdienstleistungsmarkt bis zum Jahr 2025. Es gibt keine Garantie, dass die aktuellen Beziehungen zwischen Kunde und Bank die nächsten Jahre übersteht. Je stärker das Effizienzstreben der Banken und je höher die Akzeptanz der Kunden für Online-Service und Robo-Advice, desto größer ist das Risiko, dass Wettbewerber mit starken Kundenbeziehungen genau hier angreifen. In diesem Szenario würde die klassische Universalbank mehr und mehr in die Rolle des Produkt- und Infrastrukturanbieters gedrängt und die Kundenbeziehung verlieren.

Kundenzentrierung ist ein viel benutztes Schlagwort, wird aber selten wirklich verstanden und umgesetzt. Letztlich ist Kundenzentrierung ein Mittel zum Zweck. Ein Finanzdienstleister muss attraktiv sein für Kunden - damit sie mehr kaufen, mehr Leistungen nutzen oder mehr dafür bezahlen. Es geht hier nicht darum, dem Kunden "alles recht zu machen", sondern Leistungsaspekte gezielt einzusetzen. Dazu sind die rationalen Dimensionen wie Qualität, Service, Preis oder auch Bequemlichkeit ebenso geeignet wie die emotionalen Aspekte Fairness, Sicherheit, Einfachheit oder Leidenschaft. Die Kenntnis des Kundenverhaltens, insbesondere der Präferenzen und Motive, ist entscheidend, um Kundenverhalten und Wahrnehmung zu beeinflussen. So können Kunden in digitale Angebote gelenkt werden, wenn dies für sie einfach und bequem ist. Der Wegfall des persönlichen Ansprechpartners wird dagegen als schmerzhafter Einschnitt empfunden.

- Es macht einen Unterschied, ob isoliert der Preis einer beleghaften Buchung erhöht wird oder ob dem Kunden verschiedene, nachvollziehbar abgegrenzte Kontomodelle angeboten werden.

- Ebenso, ob alternativlos Orderprovisionen erhöht und kostenlose Realtime-Kurse abgeschafft werden oder stattdessen die Möglichkeit besteht, in ein attraktives Flatrate-Modell mit Beratung zu wechseln.

Nur das Erleben des Kunden entscheidet letztlich, ob man dauerhaft erfolgreich am Markt agieren kann. Ausgangspunkt ist die Definition der relevanten Soll-Kundenerlebnisse. Man kann zum Beispiel ausgewählte Prozesse und Dienstleistungen herausgreifen und diese konsequent am Kundenerlebnis ausrichten. Dabei ist die Herausforderung, die gesamte Wertschöpfungskette zu gestalten, von der Verankerung in Zielen und Strategie über Organisation, Prozesse und Infrastruktur bis hin zu Produkt, Preis, und Vertrieb.

Der entscheidende Erfolgsfaktor in den nächsten Jahren wird sein, die Beziehung zu den Kunden zu festigen. Banken und Sparkassen können dauerhaft erfolgreich sein, wenn sie sich als echte Dienstleister verstehen und den Wechsel zu einer kundenzentrierten Perspektive vollziehen. Nur so wird es der Branche gelingen, dauerhaft attraktiv zu sein, starke Kundenbeziehungen aufzubauen und diese vor Angriffen Dritter zu schützen.

Zu den Autoren Dr. Oliver Mihm, Vorsitzender des Vorstands, und Thomas Wollmann, Mitglied des Vorstands, Investors Marketing AG, Frankfurt am Main
Dr. Oliver Mihm , Vorsitzender des Vorstands, Investors Marketing AG, Frankfurt am Main
Thomas Wollmann , Vorstand , Investors Marketing AG, Frankfurt am Main

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