Direct Banking

Mensch oder Maschine - KI im Kundenservice einer Direktbank

Dr. Sven Deglow, Co-CEO, Consorsbank, Consorsbank/DAB BNP Paribas S.A. Niederlassung Deutschland, Nürnberg
Quelle: Consorsbank

Der Vormarsch des Dirct Banking hat auch die Kundenerwartungen verändert: Kunden erwarten schnelle Reaktionen, am liebsten in Echtzeit. Damit kommt auch im Finanzbereich der Einsatz Künstlicher Intelligenz ins Spiel. Doch auch Chatbots sind ohne Menschen, die sie trainieren, hilflos. Ganz ersetzen werden sie den Menschen ohnehin nicht, ist sich Sven Deglow sicher, auch dann nicht, wenn die generelle Akzeptanz Künstlicher Intelligenz steigt. Wichtig ist in jedem Fall Transparenz, damit der Kunde weiß, mit wem er es zu tun hat. Langfristig ist dann sogar individuelle Beratung auf Basis Künstlicher Intelligenz denkbar - die dann deutlich über Robo Advice hinausgeht. Red.

Seit jeher setzen Direktbanken zur Kommunikation mit ihren Kunden auf elektronische Kanäle. Nutzten die Kunden der Consorsbank in den Anfangsjahren nach der Gründung im Jahr 1994 insbesondere Telefon und Fax, so stand schon wenige Jahre später das Internet im Fokus. Online-Brokerage und -Banking bietet selbstentscheidenden Anlegern die Möglichkeit, zu Hause am PC in Sekundenschnelle ohne Kontakt von Mensch zu Mensch Wertpapiertransaktionen oder Überweisungen zu beauftragen. Gleichzeitig steht den Kunden auch der Weg zum Kundenservice über Telefon, E-Mail oder Chat offen - und damit die Möglichkeit, im Bedarfsfall auch direkt mit einem Mitarbeiter oder einer Mitarbeiterin kommunizieren zu können.

KI als Antwort auf den Wunsch nach Service in Echtzeit

Eines haben aber alle Kontaktkanäle gemeinsam: Da sie dank Smartphone, Tablet und App mehr oder weniger 24/7 zur Verfügung stehen, erwarten Kunden eine schnelle Reaktion, am liebsten in Echtzeit. Lange Antwortzeiten können Banken sich nicht mehr leisten - auch deshalb reden wir über den Einsatz von KI im Kundenservice.

Mit dem Aufkommen Künstlicher Intelligenz (KI) wachsen die Ängste, dass mittel- bis langfristig in vielen Bereichen von Unternehmen - und nicht zuletzt im Kundenservice - Menschen durch Maschinen ersetzt werden. Bei den Mitarbeitern steht dabei die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes im Vordergrund. Für viele Kunden ist es dagegen eine Horrorvorstellung, irgendwann bei Serviceanfrage nicht mehr mit Menschen aus Fleisch und Blut, sondern nur noch mit Maschinen interagieren zu können. Sind diese Ängste berechtigt?

Auch die Consorsbank prüft seit einiger Zeit in Kooperation mit IBM Watson Einsatzmöglichkeiten für KI und entwickelt entsprechende Lösungen. Mitte Juni hat sie die Betaversion eines Chatbots auf ihrer Website live genommen. Den Kunden steht mit diesem persönlichen digitalen Assistenten ein zusätzlicher Kanal zur Verfügung, um sich ihre Fragen zu Wertpapieren und Brokerage schnell und unkompliziert beantworten zu lassen: Was ist ein ETF? Wie ist der aktuelle Kurs von Daimler? Kann ich Rohstoffe an der Börse handeln?

Chatbots müssen trainiert werden

Doch ohne menschliche Begleitung sind die Maschinen hilflos: Vor dem Start des Chatbots musste der digitale Assistent trainiert werden. Das übernahmen speziell dafür ausgebildete Kuratoren. Dabei wurde das System zunächst mit Trainingsdaten gefüttert und für die Beantwortung von rund 4 000 Fragen fit gemacht - jeweils in Verknüpfung mit einer Absicht, einem sogenannten Intent. So soll sichergestellt werden, dass der Chatbot die Fragen unabhängig vom konkreten Wording verstehen und richtig einordnen kann. Denn je mehr sich die Wortwahl von den Trainingsdaten unterscheidet, desto schwerer tut sich der Bot, punktgenau das Anliegen des Fragenden zu erfüllen.

Das System muss permanent weiter trainiert werden - auch im produktiven Einsatz. In den ersten Wochen nach Live-Gang der Betaversion des Chatbots gab es bereits über 10 000 "Unterhaltungen". So erhält das System immer mehr Daten über reale Anfragen zu bestimmten Themenbereichen. Diese Erfahrungen tragen dazu bei, dass die Antworten kontinuierlich optimiert und die Fehlerquoten gesenkt werden.

Individuelle Beratung auf Basis Künstlicher Intelligenz

Für die Zukunft ist denkbar, dass der Chatbot nicht nur Fragen beantwortet, sondern auch Aktionen auslöst. Vergisst ein Kunde beispielsweise seine PIN, erhält er über den Bot nicht nur die Information, was zu tun ist, sondern kann direkt eine neue PIN beantragen.

Auch thematisch soll der Chatbot künftig weiter ausgebaut werden. Dann wird er dank einer sehr viel allgemeineren und besser trainierten Basis ein noch breiteres Spektrum abdecken und auch Fragen zu Themen beantworten, die nichts mit Wertpapieren oder Finanzen zu tun haben - beispielsweise die unvermeidbare Frage nach dem Wetter von morgen. Die Vision ist, dass er in einem weiteren Schritt Kunden bei ihren Anlageentscheidungen unterstützt und damit mehr bietet als viele der derzeit gängigen Robo-Advisors, die den Anlegern lediglich eins von einer Handvoll vorgefertigter ETF-Portfolios zuweisen.

KI bietet das Potenzial, noch viel stärker auf persönliche Gegebenheiten einzugehen und gleichzeitig automatisch und individuell zu beraten - immer unter der Maßgabe, dass der Mensch als Supervisor die wichtigste Rolle im Anlageprozess einnimmt. Der Bedarf ist da: Bei einer Umfrage unter Consorsbank-Kunden vom letzten Jahr zeigten sich über 60 Prozent an solch einer digitalen Finanzberatung interessiert - und mit der Weiterentwicklung der Angebote wird diese Zahl sukzessive steigen. Schon jetzt nutzen viele Kunden die IVR (Interactive Voice Response), um beispielsweise Kurse abzufragen, Wertpapieraufträge zu erteilen oder Zugangsdaten via Sprachmenü zu verwalten.

Mehrheit der Kunden zieht menschlichen Service vor

Sind die Ängste von Kunden vor den Auswirkungen des Einsatzes von KI ganz einfach ad acta zu legen? Ganz sicher nicht, denn wenn Unternehmen auf Dauer erfolgreich sein wollen, müssen sie die Wünsche und Bedürfnisse, aber auch die Ängste ihrer Kunden ernst nehmen. Das bestätigen auch die Ergebnisse einer Studie von Bearing Point mit dem Titel "Mensch & Maschine im Kundenservice" aus dem Jahr 2017: Den befragten Unternehmen, die an KI-Strategien arbeiten, ist in diesem Zusammenhang die Steigerung der Kundenzufriedenheit mit 78 Prozent wichtiger als eine höhere Kosteneffizienz (73 Prozent).

Wenn sie zwischen Mensch und Maschine entscheiden müssen, ist die Präferenz der Kunden eindeutig:

- Im Rahmen der genannten Studie wurden auch Endverbraucher befragt. Von diesen halten rund drei Viertel die Möglichkeit eines persönlichen Kontakts mit einem Servicemitarbeiter für sehr wichtig oder wichtig. Nur ein knappes Viertel kann sich dagegen eine rein digitale, von Robotern gesteuerte Kommunikation vorstellen.

- Laut einer Untersuchung des Digitalverbands Bitkom vom November 2017 hat jeder zweite Bundesbürger sogar Angst davor, dass KI den Menschen entmündigt oder sich die intelligenten Maschinen irgendwann gegen den Menschen richten.

Angesichts solcher Szenarien überrascht es, dass viele Zeitgenossen KI-basierten Anwendungen dennoch grundsätzlich positiv gegenüber stehen - so ein weiteres Ergebnis der Bitkom-Studie. Auf die Frage, ob sie allgemein Künstliche Intelligenz eher als Chance oder eher als Gefahr sehen, entscheiden sich immerhin 48 Prozent für die Chance und nur 47 Prozent für die Gefahr. Über 80 Prozent sind davon überzeugt, dass KI im Straßenverkehr bei der Reduzierung von Staus helfen oder in der Industrie dazu beitragen kann, belastende Tätigkeiten vom Menschen auf Maschinen zu übertragen. Zwei Drittel (64 Prozent) glauben, dass im Kundenservice Anfragen durch KI zuverlässiger bearbeitet werden können.

Gerade die Aussicht, mithilfe Künstlicher Intelligenz schneller eine Antwort zu erhalten als bei einem Telefonanruf, der unter Umständen mit einer längeren Wartezeit verbunden ist, lässt viele Kunden die Entwicklung KI-basierter Kanäle positiv sehen. Voraussetzung ist aber, dass diese zusätzlich angeboten werden und nicht den "menschlichen" Kundenservice er setzen.

Beispiele aus der Bankenpraxis

An diesem Punkt müssen Banken ansetzen, wenn sie KI für interne Prozesse oder im Rahmen ihres Produkt- und Serviceangebots anbieten wollen: Neue Anwendungen schaffen, deren Nutzen die Kunden überzeugt und ihnen das Leben erleichtert. Mittlerweile gibt es in Europa etliche erfolgreiche Beispiele für den Einsatz von KI:

- Einen virtuelle Berater, über den Kunden Kreditkarten sperren oder wieder freigeben lassen können.

- Assistenzsysteme für Kundenberater.

- Systeme für die automatische Beantwortung von Kunden-E-Mails oder auch

- Chatbots für den Kundenservice.

Aber auch die Ängste von Mitarbeitern, dass ihre Jobs durch Maschinen ersetzt werden, sind ernst zu nehmen. Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ist die Zahl der Beschäftigten, die in einem Beruf mit hohem Substituierungspotenzial arbeiten, von 15 Prozent im Jahr 2013 auf 25 Prozent im Jahr 2016 gestiegen. Direkt betroffen sind demzufolge in Deutschland mindestens acht Millionen Menschen. Besonders in Gefahr stehen Helferberufe, für die es keine besondere Qualifikation braucht. Hier liegt die Quote bei 58 Prozent. Aufgeteilt nach Berufssegmenten sind Jobs aus den Bereichen Fertigung, Dienstleistungen, Verkehr und Logistik besonders betroffen.

Künstliche Intelligenz verändert Jobprofile

Auch im Finanzsektor wird es zu Veränderungen bei den Jobprofilen kommen. Die Automatisierung und effizientere Gestaltung der Prozesse bringen veränderte Arbeitsabläufe mit sich. Dabei werden einfachere Tätigkeiten wegfallen, gleichzeitig werden aber auch ganz neue Rollen und Jobprofile entstehen.

In der Consorsbank stehen beispielsweise die bereits erwähnten "Kuratoren", welche den Chatbot betreuen und weiter trainieren, für solch ein neues Jobprofil. Die Bank schafft die Voraussetzungen dafür, dass sich Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen entsprechend weiterentwickeln können.

HSBC hat im Juli unter der Überschrift "The most important intelligence isn't artificial" sechs neue Rollen definiert und will dafür mehr als 1 000 neue Mitarbeiter einstellen. Diese reichen vom "Mixed Reality Experience Designer" bis hin zum "Partnership Gateway Enabler". Der "Universal Service Advisor" beispielsweise geleitet die Kunden durch die Vielzahl von Kanälen und Umgebungen, damit dieser den bestmöglichen Service erhält.

Politik sorgt für Klarheit

Angesichts solcher Entwicklungen verwundert es nicht, dass laut einer neuen Studie von Accenture 60 Prozent der Führungskräfte deutscher Banken damit rechnen, dass KI in den nächsten drei Jahren einen Stellenzuwachs in ihrem Institut generieren wird.

Um die Kunden und Mitarbeiter mitzunehmen und Akzeptanz für KI-Anwendungen zu schaffen, müssen Unternehmen jeden Schritt transparent gestalten und sich an Regeln orientieren. Erste Unternehmen oder Verbände haben solche Leitlinien schon entwickelt, beispielsweise Google mit seinen sieben "AI Commandments" oder in Deutschland die "Empfehlungen für den verantwortlichen Einsatz von KI und automatisierten Entscheidungen" des Verbands Bitkom.

Im April hat die EU-Kommission angekündigt, bis Ende 2018 ethische und rechtliche Leitlinien für die Entwicklung Künstlicher Intelligenz vorzulegen. Solch ein umfassender Rahmen, an dem sich Unternehmen aller Branchen orientieren können, schafft mehr Klarheit und Sicherheit. Im Juli folgten "Eckpunkte der Bundesregierung für eine Strategie Künstliche Intelligenz". Darin bekräftigt sie ihre Entschlossenheit, Deutschland zu einem weltweit führenden Standort für KI zu machen.

Nur Transparenz schafft Vertrauen

Ein Grundsatz wird in diesem Zusammenhang in nahezu allen Leitlinien genannt: Kunden sollten transparent darüber aufgeklärt werden, wo KI eingesetzt wird und aus welchen Gründen dies geschieht. Umgekehrt geht es gar nicht, den Kunden vorzugaukeln, sie interagierten mit einem Menschen, wenn sie es in Wirklichkeit mit einer Maschine zu tun haben. Das zerstört Vertrauen.

Auf einen weiteren wichtigen Aspekt hat kürzlich Felix Hufeld, Präsident der BaFin, in einer Rede über Chancen und Risiken der Digitalisierung hingewiesen. Eine seiner Thesen lautet: "Künstliche Intelligenz kann menschliche Verantwortung nicht ersetzen." Verantwortung für die Unternehmensentscheidungen haben nach wie vor Manager aus Fleisch und Blut. Wenn Fehler passieren und dadurch Kunden Nachteile entstehen, tragen nicht die Algorithmen die Verantwortung, sondern die Menschen, die diese beauftragt, entwickelt oder trainiert haben.

Die Kanäle den Kundenbedürfnissen entsprechend orchestrieren

Auch in Zukunft wird der Kundenservice von Banken nicht komplett an Maschinen delegiert. Zwar prognostizieren Studien wie die von Bearing Point, dass das Telefon als Kontaktkanal an Relevanz zugunsten von E-Mail, Online-Portalen und Social Media verlieren wird. Auch Sprachassistenten wie Alexa oder Google Home werden an Bedeutung gewinnen.

Dennoch wird es weiterhin Kunden geben, die Wert auf ein menschliches Gegenüber legen. Auch heute ziehen es nicht wenige Consorsbank-Kunden immer noch vor, ihre Wertpapierorders telefonisch aufzugeben - und sind bereit, dafür einen Aufpreis zu bezahlen.

Eine zusätzliche Rolle spielt die Komplexität der Fälle: Manche Anfragen werden weiterhin leichter und effizienter durch ein Telefonat mit einem Servicemitarbeiter zu lösen sein als durch einen Roboter. Und bei anspruchsvollen Beschwerden oder wenn es einmal emotionaler wird, können Menschen empathischer auf die Kunden eingehen, als es eine Maschine je lernen wird.

Es gehört in den kommenden Jahren zu den großen Herausforderungen der Finanzbranche, diese verschiedenen Zugangswege und Agenten so zur Verfügung zu stellen und zu orchestrieren, dass Kunden zufrieden bleiben und die Effizienz idealerweise weiter steigt. Dabei sollte der Wunsch des Kunden, wie er Informationen erhalten und über welchen Kanal er mit der Bank kommunizieren will, den Weg weisen.

Zum Autor Dr. Sven Deglow, Co-CEO, Consorsbank, Consorsbank/DAB BNP Paribas S.A. Niederlassung Deutschland, Nürnberg

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