Wertpapiergeschäft

MiFID, PRIIPs & Co. - das Ende der Anlageberatung?

Thomas Kohrs, Leiter Competence Center Vermögensberatung, Wertpapieranalyse und -technik, Frankfurt School of Finance & Management gemeinnützige GmbH, Frankfurt am Main

Quelle: Frankfurt School of Finance & Management

Zumindest an einer Stelle bringt MiFID II für die Anlageberatung Entlastung: Bei der Geeignetheitsprüfung muss, anders als im Beratungsprotokoll, nicht der ganze Gesprächsverlauf festgehalten werden. An anderer Stelle sind die Anforderungen dagegen deutlich gestiegen. Umsetzungsprobleme sieht Thomas Kohrs vor allem für die Aufzeichnung telefonischer Beratungsgespräche. Bei den Anlegerinformationen bewertet er das Ergebnis der Regulierung sogar als kontraproduktiv, da die vom Kunden kaum noch zu bewältigende Informationsflut Misstrauen weckt. Unter dem Strich fürchtet auch Kohrs, dass sich immer mehr Banken aus der Anlageberatung zurückziehen werden - mit dramatischen Folgen für die Altersvorsorge. Red.

Anfang 2018 haben die neuen Regelungen nach MiFID II Einzug in die Bankenwelt gehalten. Zeit für ein kurzes Resümee und einen Blick auf die Praxis. Welche Fortschritte hat es gegeben, wo muss noch nachgebessert werden? Was hat zu Reibungsverlusten bei den Banken, den Beratern und nicht zuletzt bei den Kunden geführt? Da es sich um eine ganze Reihe von Änderungen handelt, bietet es sich an, die Themen etwas zu gliedern und zum Schluss einen Ausblick in die nahe Zukunft zu wagen:

Geeignetheitserklärung - eine spürbare Erleichterung für die Berater

Zunächst zu den organisatorischen Änderungen. Bemerkenswert ist vor allem, dass das Beratungsprotokoll der Geeignetheitserklärung gewichen ist. Vielleicht haben die neuen Regeln zumindest für deutsche Anlageberater im Retail und Private Banking ein paar Vorteile hervorgebracht. So musste im Beratungsprotokoll der komplette Gesprächsverlauf wiedergegeben werden, was einen erhöhten Arbeitsaufwand bedeutet hat. Nicht nur die Empfehlungen mussten umfangreich erläutert werden, sondern auch die Produkte, von denen im Beratungsgespräch abgeraten wurde. Nicht jeder Berater konnte diesen Text rechtssicher formulieren.

Zudem musste er sich auch noch so ausdrücken, dass der Text vor dem Vorgesetzten, den Compliance-Verantwortlichen Bestand hatte und - ganz wichtig - vom Kunden verstanden wurde.

Insoweit ist mit der Einführung der Geeignetheitserklärung eine spürbare Erleichterung eingetreten. Es muss nur noch das Ergebnis der Empfehlung aufgeführt werden. Da die Begründungen vorgegeben sind, gibt es eigentlich keine "Beraterprosa" mehr. Die BaFin sieht jedoch hier noch Nachholbedarf, da sie im Beratungsjournal von Mai 2018 feststellt, dass Textbausteine alleine nicht ausreichen. Allerdings vermerkt sie positiv, dass bei den Programmen der Banken die Möglichkeit von individuellen Angaben bestehe.

Telefonaufzeichnungspflicht mit Umsetzungsproblemen in der Praxis

In anderen Bereichen sind die Anforderungen jedoch deutlich gestiegen. Das betrifft zum Beispiel die Aufzeichnungspflicht für telefonisch durchgeführte Beratungsgespräche. Der Aufwand und das Regelwerk in diesem Zusammenhang sind enorm. Auch interne Telefonate zwischen dem Vorgesetzten und einem Berater über einen konkreten Beratungsfall sind aufzuzeichnen.

Die ratio legis liegt auf der Hand, gleichwohl ist das in der Praxis nicht ganz leicht umzusetzen.

- Ein kurzes Telefonat über das Mobiltelefon ist zum Beispiel nur dann gestattet, wenn die Aufzeichnung der Gespräche im Mobilfunk auch technisch für die Bank möglich ist. In diesem Bereich gibt es in der Praxis zum Teil erhebliche Probleme, zum Beispiel wenn Telefonanlagen Gespräche nicht aufzeichnen können.

- Oder aber die Berater und nicht zuletzt die Kunden üben eine individuelle Zurückhaltung in den Fragen der Aufzeichnung des eigenen gesprochenen Wortes aus. Viele Berater sind deshalb dazu übergegangen, Beratungsgespräche nur noch von Angesicht zu Angesicht zu führen und auf Telefonate möglichst zu verzichten beziehungsweise Spezialisten hinzuzuziehen, mit deren Hilfe ein Telefonat auf ein Mindestmaß reduziert wird.

Auch die BaFin hat sich - zur Überraschung vieler - schon sehr früh für die Umsetzung dieser Maßnahme interessiert. Bereits im Februar gab es eine Anfrage an ausgewählte Institute zu den Erfahrungen mit den neuen Regeln seit Jahresanfang. Auch Aufzeichnungen von Gesprächen waren im Anforderungskatalog der Aufsicht enthalten. Mittlerweile liegen auch Antworten vor, wie die BaFin selbst in dem bereits erwähnten Journal berichtet. In Teilen wird jedoch auch hier noch Nachholbedarf angemahnt.

Kosteninformation - eine argumentative Herausforderung für die Berater

Außerdem müssen dem Kunden vielfältige Informationen zur Verfügung gestellt werden. Das betrifft nicht nur die Basisinformationen für das Wertpapiergeschäft (bei der Erstberatung), sondern auch die Geeignetheitserklärung und - als Neuerung - eine dezidierte Kostenaufstellung. Diese Regel sieht vor, dem Kunden auf den Cent genau zu erläutern, an welcher Stelle welche Kosten entstehen und wie sie für die nächsten fünf bis zehn Jahre prognostiziert werden. Diese Ex-ante-Simulation ist für die Berater eine Herausforderung, die den Ausgabeaufschlag bisher mit den Worten rechtfertigten: "Das ist für die Fondsgesellschaft für die Managementleistung. Die Bank hat da nichts von!" Das ist zwar schlichtweg falsch, aber für viele Berater immerhin eine Möglichkeit gewesen, unangenehme Nachfragen der Kunden vermeintlich im Keim zu ersticken.

Die Simulation ist aber nur der erste Schritt. Bei der Abrechnung von durchgeführten Käufen- oder Verkäufen werden dem Kunden die tatsächlich entstandenen Kosten genau mitgeteilt. Zu Beginn des jeweiligen Folgejahres erhält der Kunde dann in einem dritten Schritt eine Gesamtaufstellung der Beträge vor Augen geführt, die er im vergangenen Jahr für die Wertpapiergeschäfte aufgewandt hat. Natürlich wird es diesbezüglich Fragen an die Berater geben, wie sich die Summen zusammensetzen. Vermutlich wird auch die Höhe der Kosten infrage gestellt sowie thematisiert werden, was die Bank mit dem Geld macht. Das stellt für viele Berater - auch argumentativ - eine Herausforderung dar.

Anlegerinformationen sorgen bei vielen Kunden für Verärgerung

Zudem müssen den Kunden auch die wesentlichen Anlegerinformationen und die PRIIPs (Packaged Retail and Insurancebased Investment Products) ausgehändigt werden, wenn es sich um "verpackte" Produkte handelt. Dies liegt dann vor, wenn der Kunde zum Beispiel ein Zertifikat erwirbt oder auch nur eine fondsgebundene Lebensversicherung. Auch wenn es gut gemeint und gewollt ist, sorgt dieses Vorgehen bei vielen Kunden eher zur Verärgerung. Es gibt kaum einen Kunden, der sich gerne einer Papierflut stellt, die Unterlagen in Ruhe liest und sie dann auch im Detail versteht.

Das Ergebnis ist leider für alle Beteiligten kontraproduktiv. Es ist kein Wunder, wenn auf Kundenseite der Eindruck entsteht, die Bank würde im Kleingedruckten etwas verbergen, selbst wenn der ganze Text gut zu lesen ist. Die schiere Menge an Papier überfordert viele Kunden.

Sachkundenachweis: Lektüre der Wirtschaftspresse wird zur Pflicht

Zusätzlich ergeben sich neue Herausforderungen aus den erweiterten Sachkundevorschriften. Zwar hat sich an der Begründung der Sachkunde kaum etwas geändert, jedoch ist der Anforderungskatalog an die Aktualisierung des Fachwissens nun umfangreicher gefasst. Die gesetzlichen Vorgaben lauten, dass der Berater dem Kunden auch eine versierte Auskunft in Bezug auf die (volks-)wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geben muss.

Was passiert also, wenn der Kunde fragt, welche Folgen die protektionistische Politik des amerikanischen Präsidenten oder der Brexit für seine Anlagen hat? Auch hier muss der Berater ein gutes und vor allem aktuelles Fachwissen vorhalten. Das bezieht sich nicht nur auf die Produktkenntnis, sondern auch auf die aktuelle Tagespolitik. Vorausgesetzt, ein versierter Berater beschäftigt sich auch nach der eigentlichen Tätigkeit mit diesen Themen.

Die regelmäßige Lektüre der einschlägigen Wirtschaftspresse und die zusätzliche Information über andere Medien sind im Prinzip Pflicht. Produktschulungen der Investmentfondsanbieter helfen nicht in jedem Fall weiter, da sie häufig nur der Ankurbelung des Vertriebs dienen. Dabei fehlen auf jeden Fall die Wechselwirkungen und der Gesamtkontext der Kundenportfolios.

Anforderungen an Banken und Berater erheblich gestiegen

Insgesamt erhöhen sich die Anforderungen an die Banken und die Berater erheblich. Es ist nicht mehr nur damit getan, ein Produktportfolio zu haben und eine Vertriebskampagne aufzusetzen, um die Produkte an die Kunden zu bringen. Es müssen eine Vielzahl von Aufgaben erfüllt werden:

- Zunächst ist die Zielmarktbestimmung schon aufseiten der Kapitalanlagegesellschaft durchzuführen.

- Anschließend sind die Kundendaten zu analysieren.

- Darauf aufbauend muss eine rechtssichere Ansprache der Kunden erfolgen.

- Nicht zuletzt ist das Wissen der Berater auf dem neuesten Stand zu halten, um alle Kundenfragen richtig zu beantworten. Und in diesem Kontext ist das nicht mehr eine Frage des privaten Interesses des Beraters. Es muss elementarer Bestandteil der Sachkunde und der Betreuung der Kunden sein, sich auch im volkswirtschaftlichen Rahmen entsprechend auszukennen.

Rückzug aus der Anlageberatung?

Leider ist zu befürchten, dass manche Banken diese Entwicklungen zum Anlass nehmen, sich aus der Anlageberatung vor allem im Retail-Banking zurückzuziehen. Der organisatorische und monetäre Aufwand steht in vielen Fällen in einem deutlichen Missverhältnis zu den Einnahmen.

Das ist nicht nur schade, sondern auch folgenreich: für die Ertragslage der Bank, für die schlechte Performance der Geldanlagen im Kundenportfolio und für die Altersvorsorge generell. Gerade die Kunden aus dem Retailbereich benötigen eher mehr denn weniger Beratung. Selbst wenn Anleger mit relativ kleinem Geld bei einer Bank eine Beratung erbeten (was leider selten genug vorkommt), steht zu befürchten, dass ihnen in Zukunft wohl eher standardisierte Produkte angeboten werden. Oder aber sie bleiben bei dem traditionellen Sparkonzept des Sparbuches oder dem Festgeld. All dies ist aber in Zeiten niedriger Zinsen und ansteigender Inflation eine eher kaufkraftvernichtende Anlageform. Einen Ausweg bieten dann aber Robo-Advisory-Angebote. Auch Banken, die bisher gut betuchten Anlegern vorbehalten waren, widmen sich neuerdings diesen Aspekten.

Robo Advice nur bedingt ein Ausweg

Unter dem Strich ist das natürlich positiv. Eine Anlage über einen Robo-Advisory- Anbieter ist allemal und auf jeden Fall besser als gar keine Anlage. Hauptsache, die Kunden beschäftigen sich mit ihrer Altersvorsorge und legen Geld mit einer ordentlichen Rendite zurück. Ich bezweifle jedoch, dass viele Kunden, vor allem aus dem Retailbereich, dies aus eigenem Antrieb angehen.

Dramatische Folgen für die Altersvorsorge

Gerade hier sehe ich dramatische Folgen für die Altersvorsorge weiter Bevölkerungsteile. Wenn die Banken sich aus dem Wertpapiergeschäft zurückziehen, werden noch weniger Kunden proaktiv auf die Anlagen und Vorsorgeprodukte angesprochen. Damit bricht ein Standbein der individuellen Altersvorsorge weg.

Die Folgen und Auswirkungen zeigen sich leider erst in Jahren. Mit dramatischen Folgen für die Sozialsysteme und den Steuerzahler, denn hier werden auch vom Gesetzgeber völlig falsche Weichen gestellt. Nicht immer ist mehr Regulatorik das Gebot der Stunde, sondern im Grunde genommen zwei Themen:

- Erstens muss etwas zur Verbesserung des leider nur rudimentären Wissens in der Bevölkerung zu finanziellen Fragen getan werden. Hiermit sollte man bereits in der Schule beginnen.

- Zweitens muss die individuelle Vermögensbildung gefördert werden, vor allem im Bereich der Aktienanlage. Die Riester-Rente ist leider weniger als der Tropfen auf den heißen Stein.

Zum Autor Thomas Kohrs, Leiter Competence Center Vermögensberatung, Wertpapieranalyse und -technik, Frankfurt School of Finance & Management gemeinnützige GmbH, Frankfurt am Main
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