BANKING OHNE ZINS

Negativzinsen bei VR-Banken - Möglichkeiten und Grenzen

Thomas Schwendrat, Foto: AWADO

Mehr als 200 Kreditinstitute in Deutschland verlangen von ihren Privat- und/oder Geschäftskunden schon Negativzinsen, manche bereits ab dem ersten Euro. Gerade für regionale Banken und Sparkassen ist es überaus wichtig, sich frühzeitig mit dem Thema zu beschäftigen, um nicht durch die Einführung in anderen Häusern verstärkten Einlagenzuflüssen ausgesetzt zu sein. Für Genossenschaftsbanken hat der BVR ein umfangreiches Unterstützungspaket erarbeitet, das neben rechtlichen und technischen Aspekten insbesondere auch Material für interne und externe Kommunikationsmaßnahmen bereitstellt. Als besondere Herausforderung sehen die Autoren aber das notwendige Umdenken bei allen Beteiligten, dass die Bank keine Einlagensammelstelle mehr ist, sondern sich vor übermäßigen bilanziellen Einlagenzuflüssen schützen sollte. Red.

Viele bedeutende Themen sind angesichts der Corona-Krise in den Hintergrund gerückt, andere vermeintlich erledigte Angelegenheiten drängen stärker in den Vordergrund. Das gilt allerdings nicht für das Thema Negativzinsen, das auch in Zeiten von Corona stets präsent ist. Erst Anfang April meldete sich der Präsident des Bundesverbandes der deutschen Banken (BdB), Hans-Walter Peters, zu Wort und forderte in der Corona-Krise das Ende der Strafzinsen für Banken und eine Aussetzung der Bankenabgabe. Die Banken bräuchten im Moment ihre ganze finanzielle Kraft, um das gesamte Wirtschaftssystem zu stützen.

Ob es wirklich zu der erhofften Erleichterung kommt, ist ungewiss. Die Bankenaufsicht hat den Kreditinstituten in der Corona-Krise bereits zahlreiche Erleichterungen gewährt, damit diese die Kreditvergabe am Laufen halten können. Beispielsweise wurden die Kapitalanforderungen an die Banken gelockert und die Einführung bereits beschlossener strengerer Kapitalvorschriften (Basel III) wurde um ein Jahr verschoben.

Spätestens mit Ende der Corona-Krise wird sich die deutsche Kreditwirtschaft jedoch wieder sehr intensiv mit dem Thema Negativzinsen beschäftigen müssen. Denn die Phase der Null- und Negativzinsen wird sich in Europa voraussichtlich noch einige Jahre weiter fortsetzen, sodass sich Banken und Sparkassen auf eine dauerhafte Belastung dadurch einstellen und vorbereiten müssen.

Verwahrentgelte immer normaler

Zahlreiche Institute haben deshalb bereits Negativzinsen beziehungsweise Verwahrentgelte eingeführt. Mitte März verlangten laut dem Verbraucherportal biallo.de mehr als 210 Geldhäuser einen Negativzins, gut 110 Institute davon von ihren Privatkunden.

Für Aufmerksamkeit sorgen die Häuser dabei weniger mit dem Einführen von Negativzinsen an sich, sondern vielmehr mittlerweile mit der Höhe der Freibeträge. Inzwischen verzichten einige Kreditinstitute vollständig auf Freibeträge, sodass Negativzinsen ab dem ersten Euro auf dem Giro- oder Tagesgeldkonto berechnet werden. Sobald das Bankgeschäft nach Corona wieder in geordneten Bahnen verläuft, werden weitere Banken und Sparkassen folgen und ebenfalls Verwahrentgelte einführen.

Wolfgang Zender, Geschäftsführer des Ostdeutschen Sparkassenverbands, konstatierte Ende Februar, der Markt werde immer nervöser, auch im Hinblick auf die privaten Kleinkunden. Verwahrentgelte würden in der Kreditwirtschaft "immer normaler". Man wolle aber nicht zu den ersten gehören, sondern sähe es gerne, wenn alle beteiligten Marktakteure die Nerven behielten.

Gefahr hoher Einlagenzuflüsse

Gerade im regionalen Wettbewerb zwischen Genossenschaftsbanken und Sparkassen ist die Frage, wer als erster im Geschäftsgebiet die Preise anhebt, schon immer eine sehr bedeutende gewesen, so auch bei den Negativzinsen.

Falls beispielsweise eine Sparkasse Negativzinsen für Einlagen privater Kunden einführt, so droht der genossenschaftlichen Bank im Geschäftsgebiet ein verstärkter Zufluss an Einlagen. Ein solcher Zufluss kann ohne angemessenes Agieren die Ergebnissituation der Genossenschaftsbank erheblich belasten.

Sofern die genossenschaftliche Bank Negativzinsen in Betracht zieht, sollte dieser Schritt allerdings wohl überlegt sein. Awado hat hierzu eine Vorgehensweise entwickelt, die die Volksbanken Raiffeisenbanken im Gebiet des Genossenschaftsverbands - Verband der Regionen e.V. bei ihren Überlegungen zu unterschiedlichen Optionen im Umgang mit Negativzinsen beziehungsweise Verwahrentgelten vielfältig unterstützt.

Dabei sind im Rahmen des Projekts die folgenden sechs Themenschwerpunkte zu beleuchten:

1. Kunden und Produktgruppen: Welche Zielkunden rücken in den Fokus bei der Einführung von negativen Zinsen, wie ist die Konditionsgestaltung beziehungsweise an welchen Bedingungen orientiert sich die Erhebung von Negativzinsen aus (Freibetrag versus Freigrenze)?

2. Wettbewerb: Wie sieht die regionale und überregionale Wettbewerbssituation aus?

3. Rechtliche Fragestellungen: Welche rechtlichen Erfordernisse sind bei einer Einführung zu beachten?

4. Technische Umsetzung: Was ist im Hinblick auf die technische Umsetzbarkeit bei Negativzinsen im Bankverfahren seitens Fiducia & GAD IT AG zu beachten?

5. Kommunikation: Wie erfolgt die interne und externe Kommunikation der Thematik, um gegebenenfalls unerwünschte Folgewirkungen frühzeitig zu vermeiden?

6. Umsetzungsplanung inklusive Quickwins - wie hoch ist das Ergebnispotenzial mit der Einführung beziehungsweise welche weiteren Aspekte zur Stärkung des Vertriebsergebnisses können (kurzfristig) initiiert werden?

Grundsätzlich bestimmt dabei jede Bank für sich abhängig von der individuellen Situation einen möglichen Handlungsbedarf. In jedem Fall sollte das Vorgehen sorgfältig geplant sein, sodass sich ein schrittweises und strukturiertes Vorgehen empfiehlt, wie beispielsweise das in Abbildung 1 dargestellte Stufenkonzept.

- Angefangen bei den technischen Möglichkeiten zur Hinterlegung der negativen Zinssätze respektive Verwahrentgelte.

- über die Frage nach rechtlichen Themenstellungen (in Bezug auf die Zielgruppe und Konditionen)

- bis hin zum Aufbau eines Kommunikationsplanes für die externe und interne Kommunikation

können mit dieser Vorgehensweise die Themen Stück für Stück erarbeitet werden. Durch diese Reihenfolge kann gleichzeitig auch sichergestellt werden, dass die Diskussionen sehr fokussiert geführt werden und Themen, die durch die Beantwortung der ersten drei Punkte ausgeklammert werden, im weiteren Projektverlauf erst gar nicht diskutiert werden müssen.

Wettbewerbsinstitute mit Schutzschilden identifizieren

In einem ersten Schritt erfolgt zunächst die grundsätzliche Planung des Projektes zur Einführung von Negativzinsen: In einem gemeinsamen Auftakt-Workshop wird ein Umsetzungsplan erarbeitet und die jeweils Verantwortlichen werden zugeteilt, erste Handlungsfelder werden bereits identifiziert, und übergreifende und aufsichtsrechtliche Themenstellungen werden aufgenommen. Wichtig ist in dieser Phase bereits, die im Hinblick auf die technische Umsetzbarkeit bei Negativzinsen im Bankverfahren seitens Fiducia & GAD IT AG zu beachtenden Rahmenbedingungen zu thematisieren.

Im Rahmen einer Wettbewerbsanalyse werden Institute identifiziert, die bereits Negativzinsen erheben und somit ihre "Schutzschilde" hochgefahren haben. Gegebenenfalls lassen sich auch bereits erste Quick-Wins umsetzen, indem beispielsweise Spareinlagen grundsätzlich aus der Hausmeinung genommen und dafür Anlagealternativen für Kunden im Rahmen der Hausmeinung definiert werden oder Neukunden keine Spareinlagen mehr anlegen können. Falls noch nicht geschehen, sind die Verträge für das Neugeschäft hinsichtlich der Formulierungen so anzupassen, dass Negativzinsen verbucht werden dürfen.

Betragsgrenzen auf Basis von Szenarioberechnungen festlegen

Bereits in dieser vorbereitenden Stufe sollten ausgewählte Stakeholder über das Vorhaben der Bank informiert werden, so etwa die Führungskräfte über die geplante Einführung von Negativzinsen und die Berater bezüglich der Veränderungen im Neugeschäft. Aufsichtsrat und Eigentümer sollten auf mögliche Negativzinsen vorbereitet werden.

Ein überaus bedeutender Faktor zur Beurteilung der zukünftigen Aufstellung des Instituts im Niedrigzinsumfeld bildet darüber hinaus die Analyse der aktuellen Einlagenstruktur nach Laufzeiten, Kundensegmenten und Volumina. Getrennt nach Privat- und Firmenkunden und nach den einzelnen Produktarten (Kontokorrent, Sparkonto, Termingeld) liefert die Untersuchung der Einlagevolumina auf Einzelkundenebene in der zweiten Stufe des Projekts erste Anhaltspunkte für sinnvolle Freibeträge.

Aber auch andere Bestandteile des Geschäfts mit dem jeweiligen Kunden (zum Beipsiel Volumina Verbundgeschäft Passiv und Aktivgeschäft oder Deckungsbeiträge) sollten in die Überlegungen mit einfließen, um ein ganzheitliches Bild der Kundenbeziehungen zu ermöglichen. Auf Basis dieser Analysen können im Rahmen von Szenarioberechnungen unter Berücksichtigung von Umschichtungseffekten mögliche Ergebnispotenziale anhand von Betragsgrenzen und unterschiedlich hoher negativer Zinssätze berechnet werden.

Nur mit entsprechender Vereinbarung zulässig

In diesem Zusammenhang sind auch unbedingt die rechtlichen Fragestellungen (in Bezug auf die Zielgruppe und Konditionen) zu klären. Generell ist hierzu folgendes festzuhalten:

- aus rechtlicher Sicht ist auf Basis entsprechender vertraglicher Vereinbarungen die Erhebung negativer Zinsen im Kundeneinlagengeschäft grundsätzlich zulässig;

- sowohl im Neugeschäft als auch im Bestandsgeschäft muss mit den Kunden eine Vereinbarung getroffen werden, aus der die Möglichkeit der Berechnung negativer Zinsen unmissverständlich und optisch hervorgehoben hervorgehen muss;

- ein bloßer Hinweis der Bank auf geänderte Vertragsbedingungen als Kundeninformation über den Kontoauszugsdrucker oder ein Aufführen negativer Zinsen im Preis- und Leistungsverzeichnis ist aus rechtlicher Sicht nicht ausreichend;

- zur Vermeidung von Negativzinsen zulasten der Bank im Aktivgeschäft bei variabel verzinslichen Verträgen ist mit den Kunden eine nachträgliche Vereinbarung über die Nullzinsbremse für den Referenzzins zu treffen.

Viele weitere vertrags-, steuer- und handelsrechtliche sowie steuerungstechnische Rahmenbedingungen im Zusammenhang mit Negativzinsen hat der BVR in einer Anlage zu einem Rundschreiben im September 2019 an seine Mitgliedsbanken verteilt.

Gespräch mit betroffenen Kunden suchen

Auf Basis der Entscheidungslage zu Negativzinsen in der Genossenschaftsbank und des Abgleichs mit den technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen ist im Rahmen der Kommunikationsstrategie festzulegen, welche Zielgruppen zu welchem Zeitpunkt über welche Kanäle mit welchen Botschaften versorgt werden. Sollen zum Beispiel alle Kunden über die Einführung von Negativzinsen informiert werden oder ausschließlich die betroffenen Kunden? Abhängig von der Ausgangssituation und Projektzielsetzung ist es zum Beispiel sinnvoll, alle Kunden im allgemeinen Kontext der Niedrigverzinsung anzuschreiben, um auch Kunden mit Volumina knapp unterhalb der Beitragsgrenzen für die Thematik zu sensibilisieren.

Bei der Vorbereitung der internen Kommunikation zeigt sich immer wieder, dass ein sehr großer Anteil der betroffenen Kunden nur ganz wenigen Beratern zugeordnet ist. Diese Konzentration ist im Rahmen der Vorbereitung der betreffenden Beraterinnen und Berater unbedingt zu berücksichtigen, da diese nach Kundeninformation stärker in Kundengesprächen gebunden sein werden als andere (zum Prozess der Gesprächsvorbereitung bis zur abschließenden Kontobearbeitung siehe Abbildung 2). Ohnehin ist begleitend zu einem Kundenmailing bei den betroffenen Kunden in jedem Fall das persönliche Gespräch durch den Berater empfehlenswert, um den Kunden noch einmal die Beweggründe der Genossenschaftsbank ausführlich darlegen und gemeinsam nach alternativen Lösungen suchen zu können.

Mitarbeiter für private Stammtischfragen rüsten

Begleitend zu Kundenmailings und persönlichen Ansprachen kann es abhängig von der Strategie der Bank sinnvoll sein, zu dem Thema Negativzinsen entsprechende Informationen auf der Homepage zu veröffentlichen, wobei dann auch die Social-Media-Kanäle nicht außer Acht gelassen werden sollten.

Intern sollten im Rahmen von Teamrunden die Vertriebsmitarbeiter über die weiteren Schritte und technischen Abläufe informiert werden, FAQ-Listen im Intranet können für die Vertriebsmitarbeiter noch einmal zusätzliche Sicherheit geben hinsichtlich der Abläufe und Kundengespräche. Darüber hinaus sollte aber auch für alle Mitarbeiter eine FAQ-Datenbank angelegt werden, um für "private Stammtischfragen" entsprechende Informationen parat zu haben und somit grundlegend gesprächsfähig zu sein.

Paradigmenwechsel ist eine große Hürde

Insgesamt hat der BVR für den Umgang mit und die Einführung von Negativzinsen ein umfangreiches Unterstützungspaket geschnürt und seinen Mitgliedsbanken zahlreiche Hilfsmittel an die Hand gegeben. In den Projekten der Awado tauchen jedoch immer wieder drei Themenfelder auf, die für die Umsetzungsbanken die größten Hürden darstellen:

1) Der Kopf: Die Einführung von Negativzinsen stellt einen Paradigmenwechsel dar und erfordert ein grundlegendes Umdenken aller Beteiligten: weg von der Einlagensammelbank hin zu einem Institut, das sich vor übermäßigen bilanziellen Einlagenzuflüssen schützen sollte. Diese Veränderung respektive angepasste Grundhaltung bei den Beteiligten zu verfestigen, stellt im Projekt eine der größten Herausforderungen dar. Ein solch "heikles" Thema erfordert in den Workshops sowie von den Vorständen und Führungskräften Fingerspitzengefühl, das eine oder andere Mitarbeitergespräch kann zur Unterstützung notwendig werden.

2) Die Zielgruppe: Von vergleichbarer Brisanz ist die Festlegung der Zielkunden. Berater, die eine Kundenbeziehung mitunter mühsam aufgebaut und über viele Jahre gepflegt haben, sind alles andere als mit der notwendigen Offenheit dabei, Zielkunden aus ihrem Bestand zu identifizieren und - damit einhergehend - über Freibeträge respektive Freigrenzen zu diskutieren. Sie haben zu Recht Angst, dass sich dies letztlich auf die lang gepflegte Kundenbeziehungen auswirkt. Gleichwohl ist es ein notwendiger Schritt, um koordiniert und einheitlich vorzugehen.

3) Der Wettbewerb: Der Blick zu den Mitbewerbern ist unbedingt notwendig und stellt einen elementaren Faktor bei der Analyse der Ausgangssituation des eigenen Hauses dar. Gleichzeitig führt die Wettbewerbsbetrachtung allerdings für die Umsetzung zu einem hohen Maß an Unsicherheit. Wie wird der Wettbewerb reagieren? Wie entwickelt sich der regionale Markt? Welche Kundenreaktionen werden durch die Einführung von Negativzinsen vor Ort ausgelöst? Diese Unsicherheiten dürfen aber nicht dazu führen, dass man nicht proaktiv mit dem Thema Negativ zinsen umgeht, da ansonsten die Gefahr besteht, zur Einlagensammelstelle zu werden.

Es wird in der gesellschaftlichen Debatte viel mehr über die Weitergabe von Negativzinsen diskutiert als über den ausbleibenden Vermögensaufbau für die Altersvorsorge der Menschen - und das, obwohl die Weitergabe der Negativzinsen nur eine sehr kleine Gruppe betrifft, die Probleme im Vermögensaufbau aber breite Schichten unserer Gesellschaft. Diese hohe Sensibilität erfordert vorab eine genaue Analyse möglicher Reaktionen und eine sorgfältige Planung der Botschaften sowie Kommunikationskanäle.

Sobald diese Aspekte geklärt sind und die Mitarbeiter hinter den Veränderungen stehen, bestehen die restlichen Schritte eigentlich "nur noch" aus der operativen Umsetzung.

Thomas Schwendrat, Geschäftsführer, AWADO Vertriebsberatung GmbH, Neu-Isenburg
Patrick Stolbrink, Regionalleiter, AWADO Vertriebsberatung GmbH, Neu-Isenburg
Thomas Schwendrat , Geschäftsführer, AWADO Vertriebsberatung GmbH, Neu-Isenburg
Patrick Stolbrink , Regionalleiter, AWADO Vertriebsberatung GmbH, Neu-Isenburg

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