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Potenziale einer genossenschaftlichen Leadership

Dr. Yvonne Zimmermann, Foto: ADG

Genossenschaftliche Leadership, also die Übertragung genossenschaftlicher Werte in die Mitarbeiterführung, sind in Genossenschaftsbanken keine Selbstverständlichkeit. Sondern teilweise finden sich im Führungsverhalten kaum Unterschiede zu den Privatbanken. Wo es jedoch gelingt, den ideellen Kern des genossenschaftlichen Wertekanons in werteorientierte Führungs- und Partizipationsstrukturen zu übersetzen, dort zahlt es sich auch aus. Denn genossenschaftliche Leadership, so die Autorinnen, kann zu einer erfolgreichen Geschäftsentwicklung wesentlich beisteuern. Red.

Der Begriff der Führung ist keineswegs einheitlich bestimmt. Vielmehr lassen sich im Organisations- und Unternehmensbereich verschiedene Modellbildungen im Bereich Führung nachweisen. Folgerichtig hat eine ganze Reihe von unterschiedlichen Führungstechniken Eingang in Managementmethoden gefunden. Zu nennen sind hier beispielsweise Schlagworte wie "Management by Objectives", also Führen mittels Zielvereinbarungen, oder "Management by Delegation" (Führen durch Aufgabenüberlassung beziehungsweise -übertragung). Ferner wurden Modelle flexibler Führung wie etwa die "Situational Leadership Theory" entwickelt, bei denen in Abhängigkeit von unterschiedlichen Situationen und Bedürfnislagen aufseiten von Mitarbeitern für ein gezielt adaptierendes Führungsverhalten plädiert wird.

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Auch Genossenschaften weisen Arbeitsteilung auf und bedürfen der Führung. Zugleich unterscheiden sie sich aber der Idee nach von solchen Unternehmen, die als Ziel eine Gewinnmaximierung verfolgen, indem die genossenschaftlichen Prinzipien demokratischer Teilhabe (Mitgliederpartizipation: "ein Genossenschaftsmitglied - eine Stimme", unabhängig von der Einlagenhöhe), soziale Orientierung und Solidarität einen entscheidenden Stellenwert einnehmen. Ferner repräsentieren Selbstverwaltung, Selbsthilfe und Mitgliederförderung genossenschaftliche Kernprinzipien.

Genossenschaftlicher Leadership gilt nicht mehr als altbacken

In Genossenschaften variieren und auch beim Führungsverständnis von Genossenschaften gibt es nach jüngeren Forschungsergebnissen offenbar je nach Geschäftszweig Unterschiede. Dennoch kann sich insbesondere unter Genossenschaftsbanken der Kern einer genuin genossenschaftlichen Leadership zeigen. Dieser Leadership wird sich aber nur dann konkret herausbilden, wenn die genossenschaftlichen Leitbilder und Werte klar repräsentiert sind und von Führungskräften, die sich mit dem Genossenschaftsgedanken identifizieren, jeden Tag aufs Neue vorgelebt werden.

Allein die formale Autorität von Vorständen in Genossenschaftsbanken reicht nicht aus, um von genossenschaftlicher Leadership sprechen zu können. Relevant ist also die tatsächliche Ausrichtung an den bewährten Leitbildern und Werten: Demokratische und transparente Entscheidungen sowie Partizipation, Förderauftrag (für die Genossenschaftsmitglieder und für soziale Zwecke, ebenso in Bezug auf die Mitarbeiterentwicklung), intensive Kommunikation mit den Mitarbeitern, Selbstorganisation und Selbsthilfe, Stärkung der Solidarität unter den Genossenschaftsmitgliedern, Orientierung auf die Region und Bodenständigkeit, Gerechtigkeit und Fairness, ferner Nachhaltigkeit und Subsidiarität.

Die Integration dieser Werte und Leitbilder in den Führungsalltag von Banken mag noch vor 15 oder 20 Jahren als "altbacken" oder sogar überholt bezeichnet worden sein. Eine solche Wahrnehmung hat sich allerdings mit der Finanzkrise um das Jahr 2008 grundlegend verändert, was wesentlich auch darauf zurückzuführen ist, dass - anders als so manche Privatbanken - die genossenschaftlichen Institute die Krise weitgehend unbeschadet überstanden haben.

Nicht überall gelebt

Auch die Akademie Deutscher Genossenschaften (ADG) und das Forschungsinstitut ADG Scientific - Center for Research and Cooperation (ARC) haben sich in jüngerer Zeit auf Basis empirischer Erhebungen intensiv mit Fragen des genossenschaftlichen Leaderships in deutschen Genossenschaftsbanken befasst. Nach diesen empirischen Daten zeigt sich, dass die genossenschaftlichen Werte und Leitbilder als Grundlage des beruflichen Handelns hohe Akzeptanz unter den Führungskräften in Genossenschaftsbanken aufweisen. Teilweise werden laut Datenlage jedoch - auf das konkrete Führungsverhalten bezogen - kaum Unterschiede zwischen der zugeschriebenen Situation in Privatbanken und jener in Genossenschaften erkannt (quasi Gleichsetzung), was mit dem Konzept eines genossenschaftlichen Leaderships nicht vereinbar ist.

Dies wiederum deckt sich mit kritischen Hinweisen in der Fachliteratur, wonach in manchen Genossenschaftsbanken genossenschaftliche Werte und Leitbilder zwar im Namen geführt, allerdings nicht wirklich gelebt werden. Und unter solchen Bedingungen dürften die Führungsstrukturen tatsächlich kaum von jenen in Privatbanken unterscheidbar sein (also lediglich nominelle Genossenschaftsbanken ohne Vitalität und eine erfolgreiche Revitalisierung genossenschaftlicher Werte).

Eine solche Konstellation findet sich nach weiteren Datenerhebungen des ARC ebenfalls in manchen Agrar-, Dienstleistungs-, Gewerbe- und Handelsunternehmen mit einem genossenschaftlichen beziehungsweise kooperativen Hintergrund. Allerdings tendieren hier Führungskräfte noch stärker als Führungskräfte aus Genossenschaftsbanken zu der Einschätzung, dass hinsichtlich des Führungsverständnisses und der Anforderungen an die Mitarbeiterführung ausgeprägte Parallelen zwischen Unternehmen mit einer genossenschaftlichen beziehungsweise kooperativen Prägung und nicht genossenschaftlich geprägten Unternehmen bestehen (Generalisierungseffekt). Trotz einer nach den erhobenen Daten prinzipiell gegebenen Wertschätzung der sozial fairen und gemeinwohldienlichen Attribute des genossenschaftlichen Wertekanons finden diese somit nur bedingt Eingang in das Führungsverständnis.

Kooperativ geprägte Werte revitalisieren

Wenn der Transfer von genossenschaftlichem Leadership in den Führungsalltag von Genossenschaftsbanken und auch genossenschaftlichen Unternehmen anderer Sektoren angeregt und schließlich gefestigt werden soll, gilt es Gründe für die genannte Generalisierung (Genossenschaften/ andere privatwirtschaftliche Unternehmen) kritisch zu hinterfragen und Handlungsimpulse zu ermöglichen. Möglicherweise haben - was sich mit Schilderungen in Fachbeiträgen jüngeren Datums deckt - manche Mitarbeiter in genossenschaftlichen Organisationen im Rahmen ihrer frühen beruflichen Sozialisation teils Glaubwürdigkeitsdefizite bei der faktischen Führungsrealität erleben müssen und entwickelten später gewisse resignative Tendenzen in diesem Bereich. Bemühungen um genossenschaftliche Leadership sollten eine solche Möglichkeit berücksichtigen und auf ein Revirement zielführender Genossenschaftswerte hinwirken.

In der genossenschaftlichen Management-Forschung und -Weiterbildung (ADG, ARC) wird vor diesem Hintergrund intensiv daran gearbeitet, genossenschaftliche Leadership zu stärken und weiter auszubauen. Handlungsleitend ist dabei die Erkenntnis, dass solch eine Leadership nicht etwa eine vorübergehende "Mode" darstellt, sondern Führungskräften zu einer klaren inneren Orientierung, zu einem höheren Grad an Selbstreflexion und Kritikfähigkeit, im Ergebnis also auch zu einem flexiblen statt kontrollorientierten Führungsverständnis verhilft.

Ziel sollte es sein, den ideellen Kern des genossenschaftlichen Wertekanons in konkrete Handlungsfelder zu überführen, die innerhalb von genossenschaftlichen Banken wirksam werden und bei einer konsequenten Umsetzung tatsächlich Wettbewerbsvorteile entfalten können. Interessanterweise zeigt sich bei einer nachgelagerten Betrachtung, dass sich die klar werteorientierten Führungs- und Partizipationsstrukturen nach neueren Hinweisen aus der Forschung insbesondere bei wirtschaftlich erfolgreichen und wachstumsfähigen Genossenschaften unter anderem aus dem Kredit- und Konsumsektor finden.

Die Anwendung von Prinzipien genossenschaftlicher Leaderships in der Führungspraxis von Genossenschaftsbanken und anderen Genossenschaften wird sicherlich auch in Zukunft eine anspruchsvolle Aufgabe sein. Genossenschaftliche Leaderships können dabei zu einer erfolgversprechenden Geschäftsentwicklung wesentlich beisteuern, indem kooperativ geprägte Werte revitalisiert werden und sozusagen einer Beliebigkeit (Kritik an "Genossenschaften lediglich dem Namen nach") entgegengearbeitet wird. Eine solchermaßen motivierende Leadership wird eine wichtige Rolle insbesondere für Führungskräfte in Genossenschaftsbanken einnehmen, denn das Geschäftsmodell dieser Banken sollte wie kein zweites auf die Menschen und die Gemeinschaft ausgerichtet sein. Ein ausschließlich an der Ökonomie festgemachtes Denken, Handeln und Managen, das Sachzwänge oder gar eine wirtschaftliche "Verzweckung" des Menschen betont, würde diesem Anspruch nicht gerecht.

Dr. Yvonne Zimmermann, Vorsitzende des Vorstands, Akademie Deutscher Genossenschaften, Montabaur
 
Dr. Viktoria Schäfer, Vorsitzende des Vorstands und wissenschaftliche Leiterin, ADG Scientific - Center for Research and Cooperation, Montabaur
Dr. Yvonne Zimmermann , Mitglied des Vorstands , VR Bank Südliche Weinstraße-Wasgau eG, Bad Bergzabern
Dr. Viktoria Schäfer , Vorsitzende des Vorstands und Wissenschaftliche Leiterin , ADG Scientific - Center for Research and Cooperation (ARC)

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