Regulierung

Spiel ohne Regeln - noch

Marcus Laube, CEO, European Fintech Alliance und Geschäftsführer, crossinx GmbH, Frankfurt am Main

Die Fintech-Branche darf sich nicht in einem gesetzlosen Raum bewegen, so Marcus Laube. Dennoch betont er: Regulierung ja - Daumenschrauben nein. Genau die aber befürchtet die Fintech-Branche bei vielen in der Diskussion stehenden Gesetzesvorhaben. Ihre Forderung: Gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle durch europaweit einheitliche Regelungen, die sich nicht aufs Geschäftsmodell, sondern auf die Produkte konzentrieren und generell technisch neutral sind. Auch der regulatorische Sandkasten nach britischem Vorbild findet sich im Wunschkatalog der Fintech-Branche. Er dürfe aber natürlich auch von den etablierten Anbietern genutzt werden, wenn sie Neues ausprobieren. Red.

Die aktuellen Entwicklungen in der Fintech-Branche sind mehr als erfolgsversprechend. Die Digitalisierung von Finanzprozessen birgt nicht nur ein enormes Potenzial für wirtschaftliches Wachstum, sondern schafft auch zahlreiche neue Arbeitsplätze, die in dieser Form vor zehn Jahren noch nicht existierten.

Die neuen Geschäftsmodelle ermöglichen es Unternehmen, Teile ihrer Finanzprozesse - insbesondere die technischen Komponenten - auszulagern und so Ressourcen freizumachen, die als direktes Investment dem eigenen Kerngeschäft zugutekommen. Davon profitieren ganz besonders kleine und mittelständische Unternehmen, da Fintech-Lösungen in aller Regel auf eine skalierbare und sehr individuelle Herangehensweise setzen. Dadurch sind die Lösungen besonders effizient.

Regulatorischer Hammer?

Als innovative Marktneulinge versuchen Fintechs, mit ihren Angeboten den traditionellen Platzhirschen im Finanzsektor Konkurrenz zu machen. Dabei geraten sie zunehmend ins Visier von Aufsichtsbehörden und Gesetzgebern: Momentan bewegen sich Fintechs teilweise im "gesetzlosen Raum".

Im Rahmen der Bemühungen um eine einheitliche Regelung innerhalb der Europäischen Union (EU), führte die europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) im Spätsommer 2017 eine Analyse der europäischen Fintech-Branche durch. Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass die junge Branche noch weitestgehend vogelfrei am Markt agiert. Bis Anfang November waren Marktteilnehmer dazu aufgerufen, Stellung zum Diskussionspapier der europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) zu beziehen.

Unerfreulicherweise stehen in der Diskussion um eine Regulierung der "jungen Wilden" immer wieder Gesetze zur Debatte, die alles andere als förderlich für die Marktentwicklung sind. Mehr noch: Einige Stimmen fordern eine so strikte Regulierung, dass dies nicht nur die Innovationskraft massiv bremsen, sondern auch ein absolut toxisches Klima der Konkurrenz zwischen Fintechs und klassischen Finanzdienstleistern und Banken fördern würde. Sei es aus Angst oder aus Unwissenheit: Ein solcher Eingriff in den Markt ist eine absolut unhaltbare Forderung.

Spielregeln mit Verstand und Weitsicht

Wie also sollten gesetzliche Regelungen aussehen, die Innovation fördern, aber notwendige Grenzen setzen? Die ein Klima schaffen, in dem Fintechs und traditionelle Finanzplayer ideale Bedingungen für eine produktive und fruchtbare Zusammenarbeit vorfinden und sich nicht gezwungen sehen, einander zu bekämpfen?

Es sind unter anderem solche Fragen, die Vertreter verschiedener Fintechs Mitte 2016 zur Gründung der European Fintech Alliance (EFA) bewogen haben. Ziel der Allianz: die Branche zusammenbringen, eine Plattform für fachlichen Austausch schaffen und Unternehmen beratend zur Seite stehen.

Die Entwicklung der Fintech-Landschaft soll unterstützt werden. Nicht nur, weil die Branche viel wirtschaftliches Potenzial in sich birgt, sondern in erster Linie aufgrund der Tatsache, dass eine Digitalisierung im Finanzsektor längst überfällig und nicht mehr aufzuhalten ist.

Fokus auf Produkte, nicht auf Geschäftsmodelle legen

Eine intensive Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der von der EBA durchgeführten Analyse förderte verschiedene kritische Punkte zu Tage. Um die Hürden, die von der EBA beschrieben und von Marktteilnehmern kritisiert werden, aus dem Weg zu räumen, sind folgende Aspekte von elementarer Bedeutung:

Wenngleich sich die Zuständigkeiten und Ziele der EBA und der EU-Kommission stark unterscheiden, müssen die Behörden auf eine enge Zusammenarbeit setzen. Nur so lassen sich Widersprüche und Unstimmigkeiten im Rahmen der Regulierung auf ein absolutes Minimum beschränken.

Die Regulierungsbemühungen sollten den Fokus auf die unterschiedlichen Finanzprodukte und nicht auf individuelle Unternehmen legen. Dabei sollten für alle Unternehmen, egal ob sie neu am Markt sind oder bereits etabliert, die gleichen Bedingungen gelten.

Identische Voraussetzungen für B2C- und B2B-Fintechs schaffen

Eine Regulierung darf den Markt nicht aus den Augen verlieren. Die aktuelle Diskussion konzentriert sich überwiegend auf B2C-Fintechs. De facto müssen aber identische Entwicklungsvoraussetzungen für B2C- und B2B-Fintechs geschaffen werden, um eine Chancengleichheit zu garantieren. Anstelle eines starren Regelwerks muss eine flexible Plattform geschaffen werden, die als zentraler Informationspunkt für Marktteilnehmer und Behörden dient. Nur so kann garantiert werden, dass neue Marktentwicklungen Seite an Seite mit den entsprechenden Regularien für alle Beteiligten einsehbar sind und alle Informationen stets auf dem neuesten Stand sind.

Eindeutige und verhältnismäßige Rechtsvorschriften sind der Schlüssel für einen erleichterten Markteintritt und gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Marktteilnehmer. In Zukunft sollte auf einen risikobasierten Ansatz gesetzt werden: Neue Produkte sollten für einen festgesetzten Zeitraum niedrigeren Anforderungen genügen müssen als bereits etablierte Produkte. Dazu sind EU-weite und einheitliche Rahmenbedingungen erforderlich.

Um die Innovationskraft der Branche zu fördern, ist eine Technologieneutralität von entscheidender Bedeutung. Anstatt technische Details vorzuschreiben, sollten Aufsichtsbehörden auf einen technischen Anforderungskatalog setzen, der den Fintechs flexible Rahmenbedingungen für technologische Entwicklungen einräumt.

Regulierungsbehörden müssen sich vorbereiten

Aber nicht nur externe Faktoren, also Aspekte, die das Marktgeschehen betreffen, spielen im Rahmen der Regulierungsbemühungen eine Rolle. Auch die EBA und andere Behörden selbst müssen sich intern auf die neuen Marktanforderungen und die entsprechenden Herausforderungen für eine Regulierung vorbereiten.

Die rasante technologische Entwicklung der Branche stellt hohe Ansprüche an die Regulierungsbehörden: Nur wer die Entwicklungen, Prozesse und Produkte wirklich begreift, über entsprechendes Fachwissen verfügt und im Zweifel Kontakt zu den richtigen Experten hat, behält den notwendigen Überblick und ist in der Lage, valide Spielregeln für Fintechs aufzustellen. Dazu sind nicht nur interne Trainings und Workshops erforderlich. Vielmehr müssen von den Behörden außerdem folgende Punkte beachtet werden:

- Die Kommunikation zwischen Behörden und Marktteilnehmern muss auf den Prüfstand gestellt werden, um zu verhindern, dass hier zweierlei Sprachen gesprochen werden.

- Perspektivisch sollten Behörden gezielt Experten aus der Fintech-Branche rekrutieren, um so entsprechendes Fachwissen und Erfahrungswerte für eine noch bessere Regulierungsarbeit zu sichern.

- Die Notwendigkeit einer Etablierung von möglichen Produkttesteinrichtungen wie etwa speziellen Bankkonten muss dringend überprüft werden.

Europaweit einheitliche Regelungen

Für eine einheitliche und adäquate Regulierung der Fintech-Branche spielen viele verschiedene Faktoren eine Rolle - einige davon sind akut, andere für Behörden und Marktteilnehmer noch nicht absehbar. Wichtig ist vor allem, eine europaweit absolut einheitliche Regelung zu finden. Aktuell gibt es bestehende Gesetze, die zwar für dieselbe Branche verpflichtend sind, aber in einzelnen Mitgliedsstaaten der europäischen Union unterschiedlich gehandhabt werden. Dafür gibt es verschiedene, wenngleich schwerwiegende Gründe.

So lässt sich etwa Finanzkriminalität nur auf Basis einheitlicher Spielregeln eindämmen. Anti-Geldwäsche-Gesetze und Bestrebungen zur Bekämpfung von Terrorfinanzierung können nicht umgesetzt werden, wenn das Verhalten eines Marktteilnehmers in einem Land legal und im nächsten kriminell ist. Leider gibt es diesbezüglich aktuell noch große Unterschiede.

Auch vor dem Hintergrund, dass physische Ländergrenzen in Zeiten der Digitalisierung zunehmend an Bedeutung verlieren, muss es zukünftig einheitliche Wettbewerbs- beziehungsweise Marktbedingungen für alle Beteiligten geben. Dazu gehört auch, dass es festgelegte Bestimmungen zur Identitätsfeststellung und Datenüberprüfung geben muss, damit KYC- und KYB-Ansätze, wie etwa Videoidentifikation, funktionieren können. Diese haben nicht nur ein enormes Potenzial zur Kostensenkung, sondern sorgen außerdem für einen äußerst hohen Sicherheitsstandard.

Auch eine konsistente Umsetzung der PSD2-Richtlinien in allen Mitgliedsstaaten ist eine notwendige Basis für eine funktionierende Regulierung der Branche. Die technischen Standards der PSD2 unterstützen den Ausbau eines wettbewerbsfähigen und transparent gestalteten Zahlungsraums, sowohl für etablierte Player als auch Marktneulinge innerhalb der EU.

Cloud-Technologien berücksichtigen

Auch Cloud-Technologien sollten bei der Regulierung unbedingt berücksichtigt werden. Nicht nur für Fintechs sind sie ein höchst effizientes und vor allem kostensparendes Mittel, das sich bei Gründern entsprechender Beliebtheit erfreut. Allerdings werden Cloud-Ansätze ebenfalls von Land zu Land unterschiedlich gehandhabt. Diese Unterschiede sorgen für wenig Entscheidungsfreiraum seitens der Gründer und Unternehmer und für einen Effizienzverlust beim Einsatz der Technologie.

Eine Neuregelung sollte diese Hürden unbedingt aus dem Weg räumen. Dementsprechend begrüßenswert ist auch die aktuelle Entwicklung von Rahmenbedingungen für einen freien Informationsfluss von nichtpersonenbezogenen Daten innerhalb der europäischen Union.

Regulatory Sandbox: Versuch macht klug

Doch auch unter Berücksichtigung all dieser Faktoren kann es für ein neugegründetes Unternehmen schwierig bis unmöglich sein, einen erfolgversprechenden Sprung in den Markt zu wagen. Um kein Potenzial zu verschenken und die ambitionierten Bemühungen der Gründer nicht zu bremsen, sollte es ein europaweit gültiges Konzept für eine "Regulatory Sandbox", angelehnt an das britische Modell, geben. Dieser Ansatz hat sich für die Fintech-Branche in Großbritannien bewährt.

Unter "Sandbox" versteht man eine Umgebung, die Raum zum Ausprobieren lassen soll. Fintechs, aber auch alteingesessene Finanzinstitute, haben dort die Möglichkeit, Geschäftsideen, neue Produkte oder Features risikofrei, aber unter realen Bedingungen zu testen. Dadurch, dass innerhalb der Sandbox bestimmte Gesetze nicht greifen, können autorisierte Unternehmen sich über diese Regelungen hinwegsetzen, ohne dafür belangt zu werden.

Durch diese Herangehensweise werden zum einen Innovationen gefördert. Gleichzeitig wird das Verhältnis zwischen neuen und etablierten Marktteilnehmern verbessert, da man sich hier auf Augenhöhe begegnet und sich so ganz unbefangen neue Kooperationen entwickelt werden können.

Damit sich ein solches System etablieren kann und keine unkalkulierbaren Risiken entstehen, sollte der Zugang zur Sandbox nur einer gesetzlich festgelegten Zahl von Teilnehmern gleichzeitig gewährt werden. Diese müssen strengen Auflagen genügen, um sich für einen Test in der Sandbox zu qualifizieren.

Regulierung ja - Daumenschrauben nein

Allen Beteiligten ist klar, dass die Fintech-Branche nicht im gesetzeslosen Raum spielen darf. Es zeigt sich jedoch deutlich, dass eine einheitliche und adäquate Steuerung zwar zwingend erforderlich, aber keineswegs ein einfaches Unterfangen ist. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Marktanalyse der EBA und den Entwicklungen der Fintech-Branche in den letzten Jahren lässt nur einen Schluss zu: Regulierung ja, Daumenschrauben nein.

In Schockstarre zu verfallen oder, noch schlimmer, mit Ablehnung zu reagieren, aus Angst, Fintechs könnten etablierten Anbietern den Rang ablaufen, ist definitiv die falsche Einstellung. Vielmehr sollten alle Beteiligten - Start-ups, Marktriesen, Finanzinstitute, Gesetzgeber und Behörden - sich der Chancen annehmen, die die Entwicklung der Fintech-Branche mit sich bringt.

Zusammenarbeit von Banken und Fintechs fördern

Der Fokus von Gesetzgebern und Behörden muss in der Folge darauf liegen, mit der entsprechenden digitalen Infrastruktur und dem passenden gesetzlichen Rahmen Innovation und Wachstum im Fintech-Segment zu fördern. Eine Stärkung des Marktes wird die gesamte europäische Finanzbranche voranbringen.

Längst überfällige Schritte in Sachen Digitalisierung, ein notwendiges Umdenken in der Branche und eine Generalüberholung vorhandener Technik können unter diesen Bedingungen nicht weiter auf die lange Bank geschoben werden. Eine Förderung der Zusammenarbeit zwischen Fintechs und etablierten Finanzinstituten wird außerdem dazu führen, dass der europäische Finanzmarkt sich wieder als echtes Gegengewicht zur Konkurrenz in den USA positionieren kann.

Um eine valide Basis zu schaffen, müssen sich alle Fragen der Regulierung auf Finanzprodukte anstelle von Finanzunternehmen konzentrieren. Dafür braucht es einen Spagat zwischen einer angemessenen Regulierung von digitalen Finanzprodukten - die derzeit nicht existiert - und der Förderung von europaweit gleichen Wettbewerbsbedingungen. So werden nicht nur Innovation und Wachstum gefördert, sondern gleichzeitig Anti-Geldwäsche-Gesetzen und anderen sicherheitsrelevanten Aspekten Rechnung getragen. Auch alle zukünftigen Marktregulierungen müssen sich auf Produkte und nicht auf Unternehmen konzentrieren. Besonderes Augenmerk sollte hierbei auf den Themen Informationssicherheit und Verhinderung von Cyber-Kriminalität liegen. Wenn all diese Punkte Beachtung finden - und nur dann - steht einem echten Fortschritt für die europäische Finanzbranche nichts mehr im Weg.

Zum Autor Marcus Laube, CEO, European Fintech Alliance, und Geschäftsführer, crossinx GmbH, Frankfurt am Main
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