PLATTFORMEN

Zinsplattformen - die Chance der Kleinsparer?

Prof. Dr. Hans-Peter Burghof, Foto: privat

Kleinsparer sind in der Vergangenheit in Sachen Konditionen von den Banken oft schlecht behandelt worden, sagt Prof. Dr. Hans-Peter Burghof. Durch das Mehr an Transparenz haben Zinsplattformen das Zeug dazu, das zu verändern. Und doch sind sie seiner Einschätzung nach mit Vorsicht zu betrachten. Denn da Banken letztlich die "Auftraggeber" sind, handelt es sich um eine gesteuerte Transparenz. Und weil Sparer im Vertrauen auf die Einlagensicherung nur auf den höchsten Zins schauen, führt dies zu einer Verlagerung von Einlagen auf riskantere Institute und damit zur Sozialisierung von Risiken. Hier, so Burghof, fehlt es an Aufklärung und Risikobewusstsein. Red.

Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank hat uns fest im Griff. Vor allem Kleinsparer leiden darunter, da sie schon aus Kostengründen zumeist kein über verschiedene Anlageklassen diversifiziertes Anlageportfolio aufbauen können. Während also Großinvestoren immer noch etwa über Aktien- oder Immobilienanlagen eine gute Risikoprämie verdienen und die Verluste aus verzinslichen Anlagen kompensieren können, bleibt der Kleinsparer auf die Anlage bei der Bank angewiesen.

Zum Glück haben die Banken - in Erwartung besserer Zeiten - das tatsächliche Zinsniveau bisher nur eingeschränkt an die Retailkunden weitergereicht. Aber mit der Fortdauer der Niedrigzinsphase können sie sich diese Rücksicht auf deren Befindlichkeit immer weniger leisten.

Tatsächlich wurden die Sparer aber auch schon beim bisherigen "Schongang" der Banken belastet: Der Realzins auf Bankeinlagen ist dauerhaft negativ. Wer spart, kann dank des Wertverlustes des Geldes durch die Inflation mit dem angelegten Geld später weniger kaufen als heute. Der Bedarf für eine bessere Geldanlage wird immer drängender, geht es dabei doch auch um die Alterssicherung und den finanziellen Spielraum vieler Menschen. Ganz abgesehen davon, dass sich jeder ärgert, der ein "Verwahrentgelt" für seine Einlagen zahlen muss, anstatt für den Konsumverzicht und die Bereitstellung von Kapital für die Wirtschaft belohnt zu werden.

Aber vielleicht liegt das Problem ja gar nicht bei der europäischen Geldpolitik, sondern bei den Banken. Die haben in der Vergangenheit ihre Sparer oft schlecht behandelt, haben die Trägheit ihrer Kunden ausgenutzt und schlechte Sparkonditionen geboten, besonders augenfällig, wenn sie Zinserhöhungen am Markt nur verspätet und unvollständig weitergaben.

Mehr Transparenz und Flexibilität hätten damals die Situation der Kleinsparer durchaus verbessern können. Entsprechende Marktplattformen könnten den Sparern erleichtern, die günstigste Bank zu finden. Sie würden die Banken dazu zu zwingen, sich den allgemeinen Marktkonditionen anzunähern. Und solche Plattformen könnten auch einen Beitrag zur Integration des europäischen Kapitalmarktes leisten, indem sie Kunden und Banken aus verschiedenen europäischen Ländern zusammenführen.

Ökonomen müssten also die Entstehung entsprechender Angebote im Internet (Weltsparen, Zinspilot, Check24, und sicher noch einige andere) eigentlich begrüßen. Allerdings stellen sich hier zwei Fragen:

  • Ist die ausbeutungsoffene Situation der Kleinsparer heute noch gegeben?
  • Und leisten die Plattformen für die Sparer das, was sie versprechen?

Die erste Frage ist rasch beantwortet: Während größere Anlagen mit dem negativen Marktzins belastet wurden, haben die deutschen Banken relativ zum aktuellen Zinsniveau den Kleinsparern unter ihren Bestandskunden eher günstige Konditionen geboten. Da dies teuer ist, war man bemüht, neue Einlagen möglichst abzuschrecken.

Kein Potenzial für bessere Konditionen

Das Potenzial für bessere Konditionen ist damit nicht vorhanden. Vielmehr erweitern gegenwärtig viele Institute das Spektrum derjenigen Einlagen, für die sie einen Negativzins ansetzen. Die einfache Idee, dass Kunden auf dem Markt für Spareinlagen durch eine Marktunvollkommenheit geschädigt werden, der die Plattformen abhelfen können, lässt sich unter den gegenwärtigen Marktverhältnissen jedenfalls nicht aufrechterhalten.

Aber warum funktioniert dann das Geschäftsmodell der Einlagenplattformen? Hierfür lassen sich drei Gründe ausmachen, von denen leider nur der erste im engeren Sinne zur wirtschaftlichen Effizienz beiträgt:

1. Die Plattformen könnten ein sinnvolles Instrument für bestimmte Typen von Kreditinstituten sein, ihre Refinanzierung auf eine solidere Basis zu stellen.

2. Es kann aber auch daran liegen, dass für das tatsächliche Risiko der Anlage den Kunden keine Risikoprämie zu zahlen ist, weil die Einlagenversicherung mögliche Verluste abdeckt.

3. Und schließlich könnten die Kunden über die tatsächlichen Risiken der Geldanlage falsch informiert sein.

Einlagenplattformen als Refinanzierungsquelle

Betrachtet man die Institute, die mit besonders attraktiven Angeboten auftreten, fällt auf, dass einige davon Teil von internationalen Finanzgruppen sind, die im Inland über keine umfängliche Kundenbasis oder gar ein Zweigstellennetz zur Attrahierung von Einlagen verfügen. Eigentlich würde man erwarten, dass diese Institute sich im Konzernverbund auf dem internationalen Kapitalmarkt günstiger refinanzieren könnten. Aber einige dieser Konzerne sind auch international wenig bekannt, und gerade der deutsche Markt für Bankeinlagen ist angesichts der ungebrochenen Sparneigung der Deutschen sehr ergiebig.

Daneben kann es insbesondere in Krisensituationen für Tochterunternehmen hilfreich sein, über ein eigenes Funding zu verfügen und nicht allein am Geldtopf der Zentrale zu hängen. Und schließlich kann es aus Sicht der Zentrale sinnvoll sein, die Refinanzierung über die Märkte hinweg zu diversifizieren.

Solche Plattformen können also für bestimmte Institute beziehungsweise Institutsgruppen ein hilfreiches Instrument sein, um die Refinanzierung flexibel und breit aufzustellen. Dafür zahlt die Bank eine Provision an die Einlagenplattform, die nach Angaben von Insidern auch in etwa den wirtschaftlichen Vorteil dieser Aktivitäten vereinnahmt. Viel bleibt bei den Banken also nicht hängen, aber der Beitrag zu Stabilität und Flexibilität in sonst so starren und durch die intensive Regulierung gehemmten Strukturen der Finanzwirtschaft ist wohl ausreichend, um eine entsprechende Nachfrage nach den Leistungen der Zinsplattformen zu erzeugen.

Ausarbitrierung der Einlagenversicherung

Die Überlegung verdeutlicht aber auch, in wessen Auftrag die Plattformen letztlich aktiv werden: Nicht die Sparer, sondern die Banken sind der Auftraggeber der Plattformen. Denn sie bezahlen und bestimmen die angebotenen Konditionen. Und sie können daher auch mit einiger Präzision steuern, welche Einlagesumme sie in welchem Zeitfenster auf diesem Wege aufnehmen wollen.

Durch den Zusammenbruch der Bremer Greensill Bank sind die Einlagenplattformen erstmals in einer breiteren Öffentlichkeit diskutiert worden. Ihre Vertreter beeilten sich zu versichern, dass kein von ihnen vermittelter Einleger mit einer versicherten Einlage zu Schaden kommen würde. Tatsächlich werden Einleger, soweit versichert, von der Einlagenversicherungen nach Feststellung des Entschädigungsfalls rasch entschädigt. Insofern ist der Hinweis richtig, und er ist sinnvoll, um die Einleger zu beruhigen und unnötige Panik am Markt zu vermeiden.

Aus Sicht einer interessierten Öffentlichkeit ist allerdings ein anderer Aspekt mindestens ebenso interessant: Gerade weil die Anleger ihr Geld so schnell und unproblematisch zurückbekommen, werden sie sich über die Risiken der Anlage keine Gedanken machen. Was also nach Eintritt des Schadensfalls für Stabilität sorgt, verstärkt die grundlegenden Anreizkonflikte dieser speziellen Form der Geldanlage. Die Anleger werden bei der Geldanlage nur nach dem Zins schauen. Dies führt zwangsläufig zu einer Verlagerung von Einlagen auf besonders riskante Institute, für die ein höherer Zins eine angemessene oder sogar günstige Kondition für die Refinanzierung darstellt.

Kosten riskanter Geschäftsmodelle werden sozialisiert

Man darf daher auch davon ausgehen, dass Einlagen, die über eine Plattform vermittelt werden, mit einer höheren Wahrscheinlichkeit von einer Einlagenversicherung herausgehauen werden müssen als "normale" Einlagen. Im Ergebnis würden mehr Mittel in riskante Geschäftsmodelle fließen, und die Kosten dafür würden über das gesamte Bankensystem und seine Kunden sozialisiert.

Leider sind mir dazu keine Zahlen bekannt. Diese würden allerdings durch die wenigen Schadensfälle getrieben und wären insoweit ohnehin nur mit Vorsicht zu genießen, zumal es auch Substitutionseffekte zwischen normalen Einlagen und über Plattformen vermittelten Einlagen geben mag: Wer früher bei der Suche nach mehr Rendite einfach die Bank gewechselt hat, nutzt bei gleicher Präferenzlage heute dafür eine der digitalen Plattformen.

Die Problematik als solche ist aber nicht zu leugnen. Sie besteht übrigens auch unabhängig von der Vermittlung von Einlagen über Zinsplattformen. Die Rolle der "brokered deposits" in der amerikanischen Savings-and-Loan-Krise in den achtziger Jahren verdeutlicht, welche zerstörerischen Kräfte die von einer Einlagenversicherung ausgehenden Fehlanreize entfalten können.

Zinsplattformen beschleunigen den Prozess

Der besondere Beitrag der Zinsplattformen ist darin zu sehen, dass sie den Prozess beschleunigen und demokratisieren. Im Fall der Savings-and-Loan-Krise waren es vor allem Großinvestoren, die durch die Aufspaltung ihrer Einlagen unter den Schutz der Einlagenversicherung krochen und diese ausbeuteten. Nun aber sind viele Kleinanleger beteiligt, die ganz zu Recht den Schutz der Einlagenversicherung in Anspruch nehmen, deren risikovergessenes Renditestreben aber gleichwohl eine destabilisierende Wirkung entfaltet.

Im erstgenannten Fall ist es relativ leicht, geeignete Regeln gegen den Missbrauch zu finden. Das wird im Fall der Kleinanleger sehr viel schwieriger, wenn man dabei nicht grundlegende Prinzipien der Marktwirtschaft zur Disposition stellen möchte.

Problematische Risikomessung

In einer idealen Welt ließe sich dieses Problem über eine risikogerechte Bepreisung der Einlagenversicherung lösen. Riskante Banken könnten dann keinen Zuschlag auf den risikogerechten Marktzins (und wohl auch keine Vermittlungsprovision) zahlen, da das Geschäft für sie entsprechend teurer würde. Und die Kunden könnten in einem unverzerrten Umfeld nach ihren passenden Geldanlagen suchen.

Leider scheitert das Vorhaben an der Schwierigkeit der Risikomessung. Risiken, die niemand erkennt, können per se nicht bepreist werden. Und für Risiken, die man erkennt, aber nicht quantifizieren kann, ist es schwer, einen rechtlich haltbaren Risikozuschlag bei der Einlagenversicherung zu erheben. Dem Konzept der risikogerechten Bepreisung sind damit enge Grenzen gesetzt. Aber vielleicht würde schon helfen, wenn man die tatsächlich vorhandenen Risiken ohne Scheuklappen ins Auge fassen könnte.

Unter einer Kapitalmarktintegration scheinen viele europäische Vertreter zu verstehen, dass auf allen Märkten die gleichen Zinsen herrschen sollten. Eine Differenzierung nach dem politischen Risiko ist nicht erwünscht: Europa steht und fällt zusammen und lässt sich nicht auseinanderdividieren.

In dieser sehr deutschen Traumwelt wird allerdings übersehen, dass die politischen Risiken weiterhin da sind. Alle europäischen Staaten haben ihre ganz spezifischen Interessen, und auch das Ausmaß der Loyalität gegenüber der Union fällt von Land zu Land sehr unterschiedlich aus. Demnach ist es zwar nicht sehr wahrscheinlich (und ganz bestimmt nicht erstrebenswert), aber eben doch möglich, dass die Union in einer krisenhaften Zuspitzung der politischen oder wirtschaftlichen Lage auseinanderbricht. Das hätte aber Auswirkungen auf die Sicherheit von im europäischen Ausland angelegten Spargeldern.

Verbindet sich die wirtschaftliche und politische Krise der Union mit einer Bankenkrise, ist zu erwarten, dass sich die Regierungen zunächst um die Sicherheit der Einlagen inländischer Investoren kümmern. So wurden bei der isländischen Bankenkrise ausländische Anleger nur eingeschränkt und mit Mitteln des jeweiligen Heimatlandes der Anleger entschädigt.

Man könnte behaupten, dass dies innerhalb der Europäischen Union als Haftungsgemeinschaft nicht passieren kann. Aber alle Haftung hat Grenzen, die auszutesten man den Europäischen Institutionen nicht anempfehlen kann, und im schlimmsten Fall können Länder aus der Eurozone und der Union auch ausscheiden. Wenn das betreffende Land dann Euro-Valuta am Markt kaufen müsste und sie dringend für die eigene Wirtschaft benötigte, würde man wohl kaum mit Priorität an die Kompensation ausländischer Sparer gehen.

Risikobewusstsein und falsche Aufklärung

Offensichtlich beschäftigen wir uns hier mit einem Risiko mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit und hoher Schadenssumme, oder, in der Sprache der populären Wirtschaftspresse, mit einem "Black Swan". Auch wenn eine solche krisenhafte Zuspitzung selten vorkommt, sollte sie wegen der hohen Schadenssumme erhebliche Auswirkungen darauf haben, welcher Zins eine angemessene Kompensation für das Risiko darstellt. Jeder Anleger muss sich fragen, ob das halbe Prozent mehr, dass man in einem anderen Land verdienen könnte, als Ausgleich für das damit eingegangene politische Risiko ausreicht. Aber dafür müssten sich die Anleger des Risikos bewusst sein.

Leider finden sich auf den Webseiten der Zinsportale, soweit für mich erkennbar, über ein paar Angaben zum Heimatland der Bank und die Nennung des Länderratings hinaus dazu keine Hinweise. Es sei dahingestellt, wie viele Sparer diese Angaben oder das Rating sachgerecht werten können. Die spezifische Risikosituation wird jedenfalls nicht beleuchtet, und dies weder bei Ländern, die Mitglieder der Eurozone sind, noch bei solchen, in denen sich die Banken mit der vermittelten Einlage in Euro in einer Fremdwährung verschulden. Stattdessen finden sich ausführlichere Ausführungen dazu, warum die Anlage durch eine Einlagenversicherung uneingeschränkt abgesichert ist. Ob die Plattformen damit eine Form der Anlageberatung betreiben, müssen die Juristen der Aufsicht entscheiden. Sicher ist aber, dass wesentliche Dimensionen des Risikos in der Kundeninformation fehlen.

Nur gesteuerte Transparenz

Sollte man Zinsplattformen also verbieten? Dass sicher nicht, denn sie leisten einen Beitrag zur Markttransparenz und sind in bestimmten Situationen ein hilfreiches Instrument der Refinanzierung von Banken. Aber man sollte sie richtig einordnen. Sie sind eben kein Marktplatz und kein bloßer Vermittler, sondern auch Vertriebsplattform und Informationsintermediär. Alle Transparenz, die sie erzeugen, ist eine gesteuerte Transparenz, für die sie von den auf diesem Wege Einlagen einwerbenden Banken bezahlt werden.

Damit stellen sich Fragen der Haftung und Regulierung, die meines Erachtens bisher weitgehend übergangen wurden. Wie viel allerdings vom Geschäftsmodell der Zinsplattformen übrig bleibt, wenn man die Möglichkeiten der Regulierungsarbitrage sachgerecht beschneidet, wäre abzuwarten.

Prof. Dr. Hans-Peter Burghof , Inhaber des Lehrstuhls für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen , Universität Hohenheim, Stuttgart
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