Vertriebspolitik

Zukunft der Bankfiliale - Auslaufmodell oder Erlebniswelt?

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Im Zeitalter des immer stärkeren Vordringens digitaler Services scheinen Bankfilialen vom Aussterben bedroht. Auch weiterhin dienen sie jedoch für viele Kunden der Emotionalisierung der Bankbeziehung. Damit die Geschäftsstelle auch weiterhin diese Funktion übernehmen kann, ist aber eine ganze Reihe von Anpassungen nötig, so die Autoren. Im Multikanalmanagement muss die Rolle der Filiale endlich neu definiert und eine systematische Kanalintegration implementiert werden. Gleichzeitig gilt es Filialkonzepte in Funktion, Ausstattung und Gestaltung anzupassen. Dann hat die Zweigstelle auch weiterhin eine Zukunft, sind sich die Autoren sicher. Red.

"We need banking, but no banks" prophezeite Bill Gates bereits in der Mitte der neunziger Jahre und stellte mit dieser Aussage die Filiale als traditionellen Vertriebsweg der Kreditinstitute massiv in Abrede. Wirft man in der heutigen Zeit einen Blick auf die steigende Zahl an Online-Konten sowie auf die rückläufige Zahl von Kreditinstituten und Filialen, scheint sich die damalige Prognose, dass im Internetzeitalter zur Abwicklung von Bankgeschäften kein flächendeckendes Filialnetz mehr vonnöten ist, zu bewahrheiten.

Um ein Aussterben der Bankfiliale zu verhindern, ist es notwendig, nicht nur auf die aktuellen Herausforderungen wie die Digitalisierung, den demografischen Wandel und steigende regulatorische Anforderungen zu reagieren, sondern umfassende und zugleich vorausschauende Strategien zu entwickeln, die das Angebot aus Kundensicht optimieren. Dabei ist es entscheidend, vor allem die Alleinstellungsmerkmale der Filiale, nämlich die Kundennähe und eine gute Marktexpertise in der persönlichen wie auch der fachkompetenten Beratung, als Werthebel im Wettbewerb zu nutzen.

Kundenbindung durch Beratung

Der Filiale als Ort der Begegnung und der Beratung kommt auch weiterhin eine wichtige Rolle im Kundenbeziehungsmanagement zu. Obwohl Kunden immer selbstständiger agieren, wird der Wunsch nach Nähe, Kompetenz und menschlicher Interaktion insbesondere bei komplexeren Finanzthemen zukünftig weiter bestehen. Um die Filiale als strategischen Wettbewerbsfaktor in der Bank der Zukunft einsetzen zu können und eine Verbindung zwischen den traditionell gewachsenen Strukturen und der notwendigen Innovationskultur herzustellen, bedarf es allerdings einiger Veränderungen hinsichtlich der Kundenausrichtung, des Leistungsspektrums und der Vertriebsstrategie.

Filialbanken verfügen über die notwendige Infrastruktur, um Kunden gezielt und persönlich beraten zu können und sich somit ein neues verheißungsvolles Marktprofil zu erarbeiten. Der Kunde selbst muss im Mittelpunkt aller Überlegungen stehen, denn schließlich entscheidet er durch seine Akzeptanz über den Erfolg einer Geschäftsstelle. Um die vorhandenen Potenziale von Filialen auszuschöpfen, muss es daher den Kreditinstituten gelingen, sowohl die Kundenakquise als auch die Kundenbindung zu verbessern.

Im Zentrum der Kundenbindungsstrategie steht die maßgeschneiderte Beratung, die von den individuellen Bedürfnissen, Risikoneigungen und Motiven der Kunden bestimmt sein muss, da das Bankgeschäft auf zwischenmenschlichen Beziehungen basiert und primär Vertrauenssache ist. Nur hierdurch kann ein Kreditinstitut zu einem Ort werden, welcher Verlässlichkeit und Sicherheit bietet.

Eine solche Beratung beruht wiederum auf einer hohen Qualifikation der Mitarbeiter. Die Mitarbeiter entscheiden im Kundenkontakt über die Anerkennung, die Loyalität und das Empfehlungsverhalten der Kunden und tragen somit maßgeblich zur Kundenzufriedenheit als dem entscheidenden Faktor der Kundenbindung bei.

Da ein Teil der Kunden jedoch trotz aller Bindungsmaßnahmen abwandert, muss auch auf die Gewinnung von attraktiven Neukunden Wert gelegt werden. Die Filiale fungiert hierbei als Aushängeschild und wichtigster Kontaktpunkt zu potenziellen Neukunden. Unabhängig von Kundenbindung oder -akquise muss die Filiale die Emotionalisierung der Bankbeziehung fokussieren; den Kunden muss im Wege einer qualitativ hochwertigen Beratung durch sozial kompetente Mitarbeiter, kombiniert mit einer erlebnisorientierten Gestaltung des Filialinneren, ein emotionaler Mehrwert geboten werden.

Kostensituation der Filiale entschärfen

In Zukunft wird es entscheidend sein, die Kostensituation der Filialen im Spannungsfeld zwischen der permanenten Verbesserung der internen Effizienz und einer konsequenten Kundenorientierung zu entschärfen. Neben einer Verbesserung der Prozessqualität sowie einer Reduktion der Prozesskosten zur Absicherung des bestehenden Geschäfts, zum Beispiel durch die Digitalisierung, kann durch eine individualisierte aktive Kundenansprache und ein frühzeitiges Erkennen von Kundenbedürfnissen eine Steigerung des Vertriebserfolgs bei bestehenden Leistungsprofilen und somit eine Potenzialausschöpfung bei existierenden Kundenbeziehungen erreicht werden.

In Abhängigkeit von den Bedürfnissen des individuellen Kunden ist es ebenfalls möglich, die kostenintensive persönliche Filialberatung durch eine telefonische Beratung, eine Beratung per Video oder durch eine persönliche, aber standardisierte Systemberatung zu ersetzen und hierbei Kosten einzusparen. Wichtig ist jedoch, dass die Kundenbedürfnisse trotz Einsparungen jederzeit im Vordergrund stehen, denn die Bank der Zukunft muss eine Bank der Kunden sein.

Wandel zum Dienstleistungszentrum mit Bankfunktion

Da ungeeignete und mit hohen Provisionen verbundene Produkte tendenziell zu einer Abkehr der Kunden von der Filiale führen, wird in der Bank der Zukunft der Weiterentwicklung der Leistungsprofile eine wichtige Bedeutung zukommen. Sämtliche durch die Digitalisierung ermöglichten Innovationen müssen das bestehende Angebot, ausgehend vom konkreten Bedarfsfeld des Kunden, wertschöpfend ergänzen und modifizieren.

Großes Erfolgspotenzial bietet hierbei ein simultanes Angebot von Bankdienstleistungen, banknahen Produkten (zum Beispiel Versicherungs- oder Immobilienprodukte) sowie bankfernen Produkten (zum Beispiel Kooperationsgeschäfte mit Einzelhandelspartnern oder Reiseveranstaltern). Die Filiale wandelt sich zu einem Dienstleistungszentrum mit Bankfunktion.

Kooperationen intensivieren

Um eine solche Breite der Produktpalette gewährleisten zu können, ist eine Intensivierung der Kooperation mit finanzdienstleistungsnahen sowie -fremden Wertschöpfungspartnern vonnöten. Ziel ist es einerseits, durch Outsourcing von Leistungen Kapazitäten freizusetzen, um sich auf den unmittelbaren Kundenkontakt und die Kernfunktionen der Filialen konzentrieren zu können, sowie andererseits, ein umfassendes Produktportfolio anzubieten, um die Attraktivität gegenüber den Kunden zu steigern. Zudem kann durch den Rückgriff auf die Erfahrungen und das Wissen in unterschiedlichen Branchen ein neues Serviceniveau erreicht werden, durch welches ein spürbarer Mehrwert generiert werden kann.

Neben der reinen Ausweitung des Produktportfolios muss jedoch auch das bestehende Produktangebot optimiert werden. Von der Komplexität der Produktwelt verunsichert, braucht der Kunde für den einfachen Bedarf verständliche und eingängige Produkte, die für Kundenprofile und Bedarfsfelder standardisiert angeboten werden können. Erfordert hingegen der einzelne Kunde ein sehr individuelles Produktangebot, kann dies durch dessen Integration in den Wertschöpfungsprozess erreicht werden.

Die Einbindung des Kunden in die Produktentwicklung innerhalb des Beratungsgesprächs ermöglicht beispielsweise eine optimale Gestaltung der Produkte im Hinblick auf bestehende Transparenz-, Rendite- und Risikowünsche und bekämpft gleichzeitig die Entfremdung des Kunden und erhöht somit dessen Bindung an das Kreditinstitut.

Multikanal heißt systematische und konsistente Kanalabstimmung

Der Kunde entwickelt sich immer mehr zum multioptionalen Kunden. Dabei wollen Kunden einerseits verschiedene digitale Kanäle nutzen, andererseits aber auch eine persönliche Beratung in der Filiale in Anspruch nehmen können. Um in Zukunft auch weiterhin im steigenden Wettbewerb bestehen zu können, darf dieser Trend nicht ignoriert werden. Jede Bank muss analysieren, welche Kanäle ihre Kunden in welcher Phase des Kontakts zur Bank einsetzen wollen, und muss dementsprechende Angebote zur Verfügung stellen. Das reine Hinzufügen von neuen Kanälen reicht indessen nicht aus; bei der hybriden Kundeninteraktion geht es vielmehr um eine systematische und konsistente Kanalabstimmung zwischen den stationären und digitalen Kanälen, wobei auch ein jederzeitiger Kanalwechsel möglich sein muss.

Aufgabe des Multikanalmanagements ist es, eine wertschöpfende Vernetzung der Filiale zu gewährleisten, um auch in Zukunft deren Stärken voll ausspielen zu können. Neben der Erschließung der Vertriebspotenziale über alle Kanäle hinweg verspricht das integrierte Miteinander der Vertriebswege positive Effekte für Kundenbindung und Kundenneugewinnung und bietet daher auch eine Chance für die Sicherung und den Ausbau der Marktstellung.

Neupositionierung der Filiale im Gesamtkonzept

Da durch die Dominanz der Filiale bisher jedoch eine kanalübergreifende Optimierung verhindert wurde, wird eine Neupositionierung im Gesamtvertriebskonzept notwendig. Dabei wird grundsätzlich zwischen dem filialzentrierten und dem kundenzentrierten Multikanalmanagement unterschieden:

- Im filialzentrierten Multikanalmanagement bildet die Filiale selbst als einzige kundenbetreuende Einheit das Zentrum der Multikanalkonzeption. Die verschiedenen Kanäle neben der Filiale haben lediglich die Aufgabe, grundlegende Informationen bereitzustellen, eine erste Verbindung zu dem Kreditinstitut aufzubauen und den Kunden dann konsequent in die Filiale überzuleiten, in der dieser umfassend und persönlich durch einen Berater betreut und bis zum Produktabschluss begleitet wird.

- Im kundenzentrierten Multikanalmanagement hingegen stehen alle anderen Kanäle der Filiale gleichberechtigt gegenüber, während der Kunde im Zentrum der Konzeption verweilt. Durch die Vernetzung aller Prozesse herrscht Angebots- und Leistungsidentität in allen Kanälen, sodass der Kunde unabhängig von der gegenwärtigen Phase der Kunde-Bank-Interaktion die freie Kanalwahl ohne jegliche bankbezogene Restriktionen hat. Da der Kunde jederzeit unabhängig vom gewählten Kanal die Möglichkeit hat, Kontakt zu einem Berater aufzunehmen, der als Kanalnavigator fungiert und den Kunden bis zum Produktabschluss begleitet, entstehen neben der Filiale weitere gleichgestellte kundenbetreuende Einheiten, in denen das gesamte Leistungsspektrum von der Information über die Beratung bis hin zum Produktabschluss angeboten wird.

Bedarfsgerechte Filialkonzepte

Um den aktuellen Herausforderungen an Kreditinstitute gerecht werden zu können, sind Filialschließungen im Rahmen von Kostensenkungsprogrammen unvermeidbar. Die Herausforderung besteht allerdings darin, die Filialnetze nicht nur quantitativ zu reduzieren, sondern in bedarfsgerechte Filialtypen zu überführen. Die richtige Wahl des Filialtyps in Abhängigkeit von Standort und Kundenbedürfnissen kann dabei zu einer gezielteren Kundenansprache und einer deutlichen Kostenreduktion beitragen. Als Konsequenz haben sich folgende Filialformate differenziert:

An Standorten mit geringer Kundenfrequenz wird es in Zukunft vermehrt Selbstbedienungsfilialen mit begrenztem Leistungsprogramm und überwiegender Beschränkung auf Kontoverwaltung und Zahlungsverkehr geben. Zur Vertriebsstärkung sollen Kunden an den Geräten aktiv angesprochen werden. Hier wird es zukünftig entscheidend sein, über Bargeld alternativen, mobile Filialen und stärkere Kooperationen nachzudenken.

- Im Gegensatz hierzu kommt die starke Ausrichtung auf die persönliche Kundenberatung in reinen Beratungsfilialen ohne Geld- und Serviceleistungen zum Ausdruck. Durch eine umfassende und differenzierte Beratung durch qualifiziertes Personal richtet sich dieses Konzept vor allem an vermögende Privatpersonen und Firmenkunden.

- Ein stark erlebnisorientiertes Filialformat stellt das Shop-in-Shop-Konzept dar. Hierbei werden die Standorte von starken Partnern aus dem Einzelhandel genutzt, um durch ein Angebot von völlig unabhängigen Dienstleistungen beziehungsweise Waren in gemeinsamen Räumlichkeiten an der Kundenfrequenz der Partner zu partizipieren.

- Dem klassischen Filialbetrieb kommt die Voll-Service-Filiale am nächsten, die im Rahmen der Multikanalkonzeption als regionales Kompetenzcenter für das gesamte Leistungsspektrum eine bedeutende Rolle einnimmt. Einerseits soll durch die Integration der SB-Geräte in den Innenraum der Filiale der Kontakt zu den Kunden wiederbelebt werden, andererseits bieten Diskretionszonen die Möglichkeit einer vertiefenden Beratung.

- Um eine individuellere Kundenansprache zu ermöglichen, werden immer mehr Zielgruppenzweigstellen eröffnet, in denen das Leistungsspektrum, die Öffnungszeiten, der Filialinnenraum sowie eventuelle Zusatzangebote vollständig auf die Zielgruppe ausgerichtet sind. Ein Beispiel hierfür sind Jugendfilialen, in denen junge Menschen in einer zwanglosen Atmosphäre innerhalb einer modisch-jugendlich eingerichteten Filiale von jüngeren Mitarbeitern beraten werden und Zusatzdienste wie Internet und Infobörsen zu lebensnahen Themen (zum Beispiel Studium oder Karriere) nutzen können.

Konzept der Erlebnisfiliale

Bankgeschäfte sind heutzutage für die meisten Kunden rein funktionale Abläufe ohne jeglichen Einbezug von Leidenschaft und Emotionen. Um dies zu ändern und den Kunden zum Verweilen einzuladen, werden Konzepte einer atmosphärischen Raumgestaltung für Kreditinstitute immer interessanter. Seit der Jahrhundertwende werden SB-Geräte in den Filialen reintegriert, um durch ein Zerfließen der Grenzen zwischen SB-, Service- und Beratungszonen Offenheit und Transparenz auszustrahlen und gleichzeitig Diskretion zu wahren. Offene Gestaltungselemente und Betreuungsinseln sollen die Distanz zum Kunden weiter verringern.

In sogenannten Flagshipstores wird der Bankbesuch emotionalisiert, indem das Produkt und seine Marke aufwendig inszeniert und somit für den Kunden erlebbarer gestaltet werden. In einer offenen Atmosphäre sollen neue Kontaktpunkte durch hochmoderne technische Innovationen das Kundenerlebnis steigern und dazu führen, dass sich die Filiale zum sozialen Treffpunkt wandelt.

Das Beratungsgespräch selbst wird in allen Phasen maßgeblich von der Technik unterstützt, sodass sowohl Prozessqualität und -effizienz als auch Servicequalität erhöht werden, während der Prozess für den Kunden transparent und nachvollziehbar wird. Daneben lassen attraktive bankfremde Events und das Angebot von bankfremden Produkten oder Zusatzleistungen wie Kinderbetreuung oder Restaurants den Bankbesuch zum Erlebnis werden.

Permanente Weiterentwicklung

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass ein zukünftiger Markterfolg nur durch die permanente Weiterentwicklung hin zu einem zeitgemäßen Multikanalmanagement rund um eine wirtschaftlich tragfähige Filiale mit klarem Fokus auf der individuellen Beratungsleistung erreicht werden kann.

Im Ergebnis bedeutet dies einen Trend hin zu modern ausgestatteten Zweigstellen, welche durch quantitativ reduziertes, aber hochqualifiziertes Personal sowie eine stärkere Automatisierung und Digitalisierung eine optimale Befriedigung der Kundenbedürfnisse anstreben.

Ein simultanes Angebot von zahlreichen elektronischen und mobilen Interaktionsformen wird aufgrund der zunehmend hybrider werdenden Kunde-Bank-Interaktion unausweichlich, wenngleich es diesen nicht gelingen wird, die klassischen Kanäle vollständig zu substituieren. Solange Geld eine derart herausragende Rolle im Leben der Menschen spielt, wird Sicherheit und Vertrauen im gesamten Bankensektor ein zentrales Thema bleiben. Die Filialwelt wird sich grundlegend verändern - aussterben wird sie jedoch nicht, denn keinerlei Technik kann bei Geldgeschäften so viel Vertrauen und Sicherheit vermitteln wie die persönliche Mensch-zu-Mensch-Kommunikation in einer erlebnisorientiert gestalteten Bankfiliale.

Zu den Autoren

Prof. Dr. Gerd Waschbusch, Lehrstuhlinhaber, Robin Blaß, wissenschaftlicher Mitarbeiter, Susen Claire Berg, alle Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Bankbetriebslehre, Universität des Saarlandes, Saarbrücken

Univ.-Prof. Dr. Gerd Waschbusch , Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Bankbetriebslehre , Universität des Saarlandes
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