DIGITALISIERUNG

"Wir sind das einzige funktionierende Insurtech-Unternehmen in Deutschland" - Interview mit Stefan Knoll

Dr. Stefan Knoll, Foto: DFV

Der Markt für Insurtechs in Deutschland bietet noch viel Potenzial. Die Deutsche Familienversicherung sieht sich hier bestens positioniert. Denn das Unternehmen besitzt eine BaFin-Zulassung wie klassische Versicherer, hat aber die gesamte Wertschöpfungskette digitalisiert und KI in die Schaden- und Leistungsregulierung integriert. 2018 hat die DFV als erster Versicherer den Abschluss per Sprachassistenten eingeführt. Dass gleichwohl Digitalisierung für 2019 auf der Agenda steht, erklärt Stefan Knoll mit dem weiteren Ausbau der Automatisierung in der Regulierung. Red.

Sie beschreiben die DFV als "das einzige funktionierende Insurtech in Deutschland". Wie ist das gemeint? Was machen Sie anders als andere, was sind die Erfolgsfaktoren eines Insurtechs?

Insurtech bedeutet für uns die Verbindung aus Versicherung und Technologie. Wir sind ein vollumfängliches funktionierendes Versicherungsunternehmen, das alle Vorgänge selbst abbildet. Das bedeutet: Wir haben eine Zulassung als Versicherer bei der BaFin, verfügen über ein eigenes Aktuariat und kalkulieren und entwickeln unsere eigenen Produkte. Der gesamte Vertrieb, Customer Service sowie die Schaden- und Leistungsregulierung werden inhouse realisiert.

Gleichzeitig haben wir unsere gesamte Wertschöpfungskette digitalisiert. Ermöglichen können wir dies mit unserem inhouse entwickelten Event- und Java-basierten IT-System, auf dessen Grundlage wir als Insurtech in der Lage sind, schnell, flexibel und autark zu agieren. So können wir Prozesse in Echtzeit bearbeiten und neue Produkte innerhalb weniger Wochen auf den Markt bringen beziehungsweise in wenigen Stunden Produktänderungen umsetzen. Zusätzlich nutzen wir Künstliche Intelligenz und automatisierte Prozesse in der Schaden- und Leistungsregulierung.

Daher bezeichnen wir uns als das einzige funktionierende Insurtech-Unternehmen Deutschlands. Wir verfügen mit einem Bestand von über 474 000 Verträgen über eine hinreichende Versichertenbasis. Dieses Gesamtpaket ist es, was uns zum Vorreiter aller Insurtechs macht.

Welche Produkte beziehungsweise Produktkategorien eignen sich für Insurtechs?

Alle. Die einzige Frage, die sich hier stellt, ist die nach dem Zulassungsumfang des jeweiligen Insurtechs. Für die Deutsche Familienversicherung eignet sich grundsätzlich jedes Produkt, weil wir in der Lage sind, die Policen im Zuge der Digitalisierung stark zu vereinfachen und damit als digitalisierungsfähiges Produkt zu verkaufen.

Hierbei setzen wir auf das "alles drin"-Prinzip: Der Kunde versichert alles, was im Schaden- beziehungsweise Leistungsfall abzusichern ist, und entscheidet lediglich über die Höhe der Absicherung. Auf dieser Basis haben wir die 16er Matrix Kranken entwickelt. Kunden geben auf unserer Website nur noch ihr Alter ein und erhalten vier Preise für vier Kategorien des Produkts. Jetzt muss der Kunde nur noch zwischen den Tarifstufen Basis, Komfort, Premium oder Exklusiv wählen. Das ist gelebte Digitalisierung.

Bei Fintechs ist es häufig so, dass sie zwar charmante Lösungen bieten, ihnen jedoch der Kundenzugang fehlt, sodass die Kooperationen mit Banken Konjunktur haben. Wie ist das bei Insurtechs?

Ich kann nur für uns selbst sprechen. Wir setzen auf einen hoch skalierbaren Vertriebsmix: 70 bis 80 Prozent unserer Kunden generieren wir über den Online-Vertrieb, weitere 15 bis 20 Prozent über Kooperationen und 5 bis 10 Prozent über Makler.

Die Anzahl der neuen Verträge werden wir 2019 verdoppeln. Möglich ist das, weil wir die besten Versicherungslösungen anbieten. Das bestätigt auch Stiftung Warentest, die unsere Produkte regelmäßig mit Bestnoten auszeichnet. Mit diesen Policen sowie einer einzigartigen, volldigitalen Customer Journey gewinnen wir die Kunden für uns.

Wie sehen Sie den Markt für Insurtechs: Ist hier noch Luft nach oben - oder gibt es bereits eine Konsolidierung?

Zunächst einmal ist Insurtech kein fest definierter Begriff. Unter der Bezeichnung sammeln sich Unternehmen, die sich zum Teil sehr stark voneinander unterscheiden. Insofern ist bereits der direkte Vergleich nicht ganz leicht. Grundsätzlich gilt: Der Markt - insbesondere in Deutschland - hat noch extremes Wachstumspotenzial. Das zeigen auch die Investitionen in Start-ups und Insurtechs in jüngster Vergangenheit.

Die DFV hat ihre Kernkompetenz im Bereich Zahn-, Kranken- und Pflegezusatzversicherungen. Welches Potenzial sehen Sie hier - und an welchen Wettbewerbern orientieren Sie sich? Welchen Marktanteil können Sie hier mittelfristig erreichen?

Das Potenzial im Bereich der Krankenzusatz- sowie Sachversicherungen ist enorm. Zuletzt haben wir 2018 über 50 000 neue Policen abschließen können. 2019 werden wir diese Zahl auf 100 000 Neustück verdoppeln. Bei Erreichen dieses Ziels schließen wir im Neugeschäft im Bereich der Krankenzusatzversicherungen auf die fünf größten deutschen Versicherungsgesellschaften auf.

Ein weiteres Beispiel für das Marktpotenzial zeigt sich an der Pflegezusatzversicherung: Nur sechs Prozent der Bundesbürger verfügen bislang über eine solche Police. Allein in diesem Segment ist also das Potenzial für den Vertrieb enorm!

In der betrieblichen Zusatzversicherung haben Sie eine Kooperation mit Henkel. Wie sieht die aus? Und wie viel Geschäft generieren Sie über diese Partnerschaft?

Gemeinsam mit Henkel und der IG BCE haben wir im Bereich der betrieblichen Pflegezusatzversicherung eine beispielhafte Lösung für Arbeitnehmer entwickelt. Im Rahmen der Kooperation erhalten alle rund 8 000 Beschäftigte von Henkel eine Basisabsicherung für die Pflegevorsorge. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit zur individuellen Aufstockung dieser Basisabsicherung. Mitarbeiter können außerdem Familienangehörige mitversichern.

Die Kooperation ist zum 1. Januar 2019 gestartet, somit konnten wir per Jahresbeginn bereits mehrere Tausend Verträge policieren. Auch das Angebot zur Aufstockung wird genutzt, hier konnten wir bereits etwa 3 000 Policen zusätzlich abschließen. Die Kooperation mit Henkel zeigt die Kompetenzen der DFV in der Realisierung sozialpartnerschaftlicher Modelle. Wir stellen das Produkt zur Verfügung und sind gleichzeitig Risikoträger.

Ganz allgemein: Wie wichtig sind Kooperationen für das Unternehmen? Sind weitere geplant?

Wie gesagt erreichen wir 15 bis 20 Prozent unserer Kunden über diesen Vertriebsweg. Im Rahmen der Kooperation mit der IG BCE eröffnet die Ausschließlichkeitspartnerschaft die Option für tarifbezogene Branchenlösungen. Das Modell ist für uns Vorbild für weitere potenzielle Kooperationen in diesem Segment.

Welche weiteren Kooperationen hat die DFV?

Seit vergangenem Jahr haben wir mit ProSieben Sat.1 Digital, der größten deutschen Sendergruppe, einen starken Kooperationspartner für den Vertrieb. Unter der Marke Maxcare wird der DFV-Zahnschutz sehr erfolgreich vertrieben. In diesem Jahr wurde diese Vertriebskooperation auf den Bereich der Sachversicherungen ausgeweitet. Gemeinsam vermarkten wir die Tierkrankenversicherung Petprotect.

Im Bereich der betrieblichen Krankenversicherung kooperieren wir zudem mit Siemens, BMW und Nestlé. Seit 2013 zählt die KKH Kaufmännische Krankenkasse zu unseren Partnern. Mit ihr sowie der Knappschaft werden Kunden individuelle Ergänzungen zu den gesetzlichen Leistungen geboten.

Wie sieht der Markt für die Tierkrankenversicherung aus?

In Deutschland leben etwa 9,2 Millionen Hunde und 13,7 Millionen Katzen. Bislang haben nur 17 Prozent aller Hundehalter und 6 Prozent aller Katzenbesitzer eine Tierkrankenversicherung, doch die Nachfrage steigt rasant. Wir treten also mit Petprotect in ein vielversprechendes Marktsegment ein. Zunächst bieten wir das Produkt für Hunde an. Auf Basis unserer flexiblen und hochmodernen IT-Plattform ist es gelungen, die Tierkrankenversicherung nach Logik der 16er-Matrix auf den Markt zu bringen. Es werden also alle Risiken abgedeckt, mit denen die Hundebesitzer im Falle einer Erkrankung des Haustieres konfrontiert werden können. Für 2019 haben wir uns das Vertriebsziel von 6 000 Verträgen gesetzt.

Die Tierkrankenversicherung wird den Sachversicherungen zugeordnet, die bei der DFV bisher 3,5 Prozent des Neugeschäfts ausmachen. Wie wollen Sie diesen Anteil steigern - sind weitere neue Produkte geplant?

Ziel ist es, den Anteil der Sachversicherungen von 3,5 Prozent auf 10 Prozent zu steigern. Die Tierkrankenversicherung ist Teil dieser Strategie. Seit letztem Jahr haben wir eine erfolgreiche Partnerschaft mit ProSiebenSat.1 Digital. Für den Vertrieb der Tierkrankenversicherung wurde diese Kooperation nun weiter ausgebaut.

Um den Vertrieb von Sachversicherungen schrittweise auszubauen, werden wir darüber hinaus ab Mitte des Jahres eine überarbeitete Version der Kombi-Versicherung 5+ anbieten. Diese war zu Beginn der Geschäftsaufnahme im Jahr 2007 Vertriebsschwerpunkt und bestand aus einer Unfall-, Hausrat-, Glas-, Haftpflicht- und Rechtsschutzversicherung. Im vergangenen Jahr haben wir damit begonnen, die bestehenden Sachversicherungen schrittweise zu erneuern und zu digitalisieren. Mit der Erneuerung der Rechtsschutzversicherung im Sommer dieses Jahres ist dieser Prozess abgeschlossen.

Sind Produkte aus der Lebensparte für die DFV perspektivisch ein Thema? Wenn nein - weshalb nicht?

In Zukunft planen wir, Produktkonzepte unter Einbeziehung von Lebensversicherungskomponenten anzubieten. Die Rolle als Risikoträger soll VPV Versicherungen übernehmen, hierzu ist der Abschluss einer strategischen Kooperation geplant. Im Rahmen des Börsengangs ist die VPV als Aktionärin in das Unternehmen eingestiegen. Wir freuen uns sehr, dass dieses seinerzeit finanzielle Investment zu einem strategischen Investment ausgebaut wird. In diesem Bereich sehen wir enormes Wachstumspotenzial.

Für 2018 sprechen Sie von "strategischen Produktoptimierungen". Unter anderem wurde der Bestand an Elektronikversicherungen reduziert. Warum? Gerade Elektronikversicherungen müssten - weil nicht beratungsbedürftig - doch ein Paradeprodukt für ein Insurtech sein? Hätte man den hohen Schadenquoten nicht durch Beitragsanpassungen begegnen können?

Als Insurtech zeichnet uns vor allem aus, dass unsere Produkte digital sind - nicht, dass wir elektronische Geräte versichern. Wir haben uns aus verschiedenen Gründen für den Ausstieg aus der Elektronikversicherung entschieden, unter anderem ist dieser Bereich schlicht sehr schadenintensiv. Außerdem hatte es zum damaligen Zeitpunkt Priorität, den Schwerpunkt auf die Krankenzusatzversicherungen zu verlegen.

Für 2019 haben Sie das Vorantreiben der Digitalisierung auf der Agenda. Wie ist das zu verstehen - ist ein Insurtech nicht per se digital?

Neben der Digitalisierung unserer Wertschöpfungskette haben wir Künstliche Intelligenz in unsere IT-Systeme integriert und können dadurch Prozesse in Echtzeit bearbeiten. Dies sollen 2019 und in den folgenden Jahren weiterentwickelt werden. Im Wesentlichen geht es dabei um den weiteren Ausbau der Automatisierung in der Schaden- und Leistungsbearbeitung. Der Rekord zur Regulierung einer Zahnarztrechnung liegt dank Künstlicher Intelligenz und Automatisierung bei 45 Sekunden!

Zusätzlich haben wir 2018 als erstes Insurtech und Versicherungsunternehmen weltweit den vollständigen Abschluss einer Versicherung über den digitalen Sprachassistenten von Amazon Alexa realisiert. Während dies zunächst für Hausrat- und Haftpflichtversicherungen möglich war, bieten wir mit dem Zahnzusatztarif seit kurzem auch als erstes Unternehmen eine Krankenzusatzversicherung zum Abschluss über einen digitalen Sprachassistenten an! Über diesen Kanal werden weitere Produkte folgen, unter anderem soll in diesem Jahr der Abschluss einer Pflegezusatzversicherung über Alexa ermöglicht werden.

Darüber hinaus planen wir in den nächsten Jahren, unsere IT-Plattform drittvermarktungsfähigen zu machen: Ein vollständig digitalisiertes und ebenso voll integriertes System zur Gesamtbestandsführung.

Auch die klassischen Versicherer sind derzeit auf Digitalisierungskurs. Büßen Insurtechs dadurch an Vorsprung ein?

Natürlich werden sie irgendwann nachziehen, deshalb wollen wir unseren aktuellen Vorsprung geschickt nutzen - beispielsweise durch die geplante Drittvermarktung unserer IT-Plattform. Zusätzlich konzentrieren wir uns weiterhin darauf, die besten Produkte zu entwickeln und anzubieten.

Wie bekannt ist die Marke DFV inzwischen? Was hat das Sponsoring-Engagement bei Eintracht Frankfurt hierbei gebracht?

Bei der Frankfurter Eintracht engagieren wir uns im Rahmen einer Partnerschaft inzwischen seit neun Jahren. Im letzten Jahr wurde diese Kooperation auf eine Premiumpartnerschaft ausgeweitet. Als einzige unabhängige Versicherung mit Sitz in Frankfurt am Main ist es uns eine Herzensangelegenheit, den Verein zu unterstützen. Darüber hinaus stellen wir fest, dass das Engagement zur Bekanntheit der Deutschen Familienversicherung beiträgt.

Wo sehen Sie die DFV in fünf Jahren?

Für die nächsten fünf Jahre planen wir aktuell eine lineare Fortschreibung der Neugeschäftszahlen von 100 000 Neustück sowie das erneute Erreichen der Gewinnzone im Jahr 2021.

Wann war die DFV schon einmal in der Gewinnzone - und weshalb danach nicht mehr?

Von 2012 bis 2017 war die Deutsche Familienversicherung mit Ausnahme des Jahres 2014 durchgehend profitabel. 2018 haben wir zwar mit einem Verlust abgeschlossen, dennoch war es das bislang erfolgreichste Jahr der Firmengeschichte! Denn im Neugeschäft wurde ein überdurchschnittliches Wachstum von 37,6 Prozent in den Stückzahlen und 90 Prozent im Beitrag gegenüber 2017 erreicht. Der Verlust ist zurückzuführen auf die Vertriebsinvestitionen, die sich im Neugeschäft widerspiegeln, sowie Personalkosten, aber vor allem auf die Aufwendungen für den Börsengang.

Dr. Stefan Knoll, Vorsitzender des Vorstands, DFV Deutsche Familienversicherung AG, Frankfurt am Main

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