IT im Retail

Wieder mehr Insourcing bei der Comdirect Interview mit Holger Hohrein

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Agilität bei Konzeptionierung und Realisierung neuer Bankprodukte sind mit dem klassischen Outsourcing nicht immer erreichbar, so der IT-Vorstand der Comdirect. Die Direktbank setzt deshalb in IT-Fragen wieder verstärkt auf Insourcing - auch weil dies an einigen Stellen günstiger komme als die Zusammenarbeit mit externen Anbietern. Rund jeder fünfte Mitarbeiter der Bank ist deshalb derzeit in der IT tätig - und ihr Anteil steigt seit zehn Jahren an. Red.

Herr Hohrein, was sind derzeit die größten Herausforderungen für die Comdirect und was bedeutet das für die IT?

Zum einen ist das natürlich das anhaltende Nullzinsumfeld. Und zum anderen sind es die sich infolge der Digitalisierung weiter rasant verändernden Kundenbedürfnisse. Das bedeutet für unsere Strategie, dass wir unsere traditionelle Stärke, das Thema Anlage, noch stärker in den Vordergrund stellen. Denn hier gibt es auch angesichts der niedrigen Zinsen großen Bedarf, gerade bei Anlageformen mit Wertpapieren.

Auf der anderen Seite ist die Digitalisierung in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das heißt, dass es künftig auch für das Thema Geldanlegen ganz neue Lösungen geben wird - so wie wir das aus anderen Lebensbereichen kennen und schätzen. Und deshalb denken wir Bank ganz neu: Wir wollen unseren Kunden ein freieres Leben ermöglichen, indem sie Zeit und Geld sparen durch smarte und intelligente Lösungen - gerade wenn es ums Geldanlegen geht.

Kurz: Wir entwickeln uns von einer Direktbank zum smarten Finanzbegleiter, der seinen Kunden in Finanzfragen das Leben ein Stück weit leichter macht. Unsere IT spielt hier natürlich eine Schlüsselrolle. Wir haben seit jeher eine digitale DNA und sind bei vielen Themen Vorreiter. Und das geht nur, wenn wir extrem schnell sind und technologische Trends frühzeitig aufgreifen.

Welchen Anteil an den Gesamtkosten der Comdirect hat derzeit die IT?

Der reine IT-Aufwand, also der laufende Aufwand für Software und Hardware und externe Unterstützung, macht gut 20 Prozent des Sachaufwands aus. Hinzu kommen unsere Abschreibungen, also die über mehrere Jahre verteilten Investitionen, vor allem für die laufende Weiterentwicklung unseres Leistungsangebots und für innovative Lösungen.

Lange Zeit lag der Fokus von Banken stark auf dem Outsourcing. Warum hat sich das offenbar geändert?

Zum einen haben viele Banken in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass Outsourcing-Projekte nicht zu dem Erfolg geführt haben, den man sich davon versprochen hatte. Es gab häufig weder eine Zeit- noch eine Kostenersparnis. Außerdem stieg der Steuerungs- und Überwachungsaufwand aufgrund zunehmender regulatorischer Anforderungen.

Zum anderen sind die Anforderungen an Agilität in der Konzeption und Realisierung von neuen Bankprodukten deutlich gestiegen. Das ist im klassischen Outsourcing oft nicht wirklich erreichbar.

Wo ist Outsourcing weiterhin sinnvoll - und was sollte eine Bank lieber selbst machen?

Outsourcing ist vor allem bei "Commodities" sinnvoll, also bei Standardprozessen, die vom Kunden von außen kaum wahrnehmbar sind und mit denen sich das Unternehmen daher nicht vom Wettbewerb abgrenzen kann. Ein Beispiel dafür wäre die Maintenance der Infrastruktur oder die Umsetzung von Backoffice-Prozessen. Hiervon spürt der Kunde idealerweise überhaupt nichts, und es gibt die Möglichkeit, industrieweit beziehungsweise bankenüberreifend Skaleneffekte zu erzielen.

Selbst machen sollte eine Bank dagegen immer die Prozesse, die das Kerngeschäft des Unternehmens ausmachen, und das ist insbesondere die Schnittstelle zum Kunden. Hier ist es besonders wichtig, dass die Bank selbst die Systeme voll im Griff hat und entsprechend steuern kann.

In welchen Bereichen setzt die Comdirect auf Insourcing?

Bei Comdirect ist das Kerngeschäft immer bei uns vor Ort geblieben. Wir haben grundsätzlich entschieden, dass sich diese Prozesse in Bezug auf Inhalt, Steuerbarkeit und Komplexität fürs Outsourcing nicht eignen. Bei nicht für Kunden wahrnehmbaren Standardprozessen schauen wir uns regelmäßig die Angebote externer Anbieter an und stellen aber zum Teil auch hier fest, dass wir inhouse günstiger produzieren können. Das machen wir dann natürlich auch.

An welchen Stellen können Sie selbst günstiger produzieren?

Wir haben uns zum Beispiel dafür entschieden, unsere geografisch getrennten Rechenzentren selbst zu betreiben. Außerdem entwickeln wir teilweise die Software selbst, auch wenn hier der Markt gute Angebote liefert, wir aber eben günstiger produzieren. Das betrifft beispielsweise den ganzen Bereich rund um das Brokerage, wo wir inhouse sehr tiefes und spezifisches Know-how haben und es viel zu aufwendig wäre, externe Anbieter erst auf diesen Stand zu bringen.

Welcher Anteil an den Mitarbeitern entfällt auf den IT-Bereich? Wie hat sich das verändert beziehungsweise wie soll sich das verändern?

Rund 20 Prozent unserer Mitarbeiter sind im IT-Bereich beschäftigt. Der Anteil hat sich in den letzten zehn Jahren stetig erhöht. Das sollte auch künftig weiter der Fall sein. Um das sicherzustellen, schauen wir uns genau an, wo wir gute Leute herbekommen. Deshalb haben wir 2014 einen IT-Standort in Rostock aufgemacht. Das Zusammenspiel beider Standorte funktioniert sehr gut, wir erweitern unser Know-how im Unternehmen und stabilisieren die Kosten.

Was für Mitarbeiter braucht eine Bank für die Entwicklung von Innovationen - eher IT-Fachleute mit Blick auf die Umsetzung oder eher kreative Menschen mit Erfahrung an der Kundenschnittstelle?

Beides ist ganz wichtig. Jeder Mitarbeiter bei uns muss ein gewisses Verständnis sowohl für die Anforderungen der Kunden als auch für die digitalen Prozesse haben. Wir brauchen kreative Leute im Produktmanagement, die ein Stück weit verstehen, wie Kundenprozesse digital umsetzbar sind, ebenso wie IT-Fachleute, die einen Blick auf die Kundenschnittstelle haben.

Inwieweit vertragen sich innovative Angebote überhaupt mit Standardsoftware?

Grundsätzlich kann die Software vom Markt Freiräume schaffen. Wir kaufen Software zum Teil ein, um uns mit den freien Kapazitäten auf die Dinge fokussieren zu können, die für den Erfolg unserer Produkte wichtiger sind.

Wichtig ist beim Einkaufen von IT-Lösungen am Ende aber immer, dass der Kunden davon nichts spürt, dass also für ihn ein ganzheitlicher Prozess entsteht ohne irgendwelche Brüche, stabil und sicher.

Wo können Sie in der IT gemeinsam mit der Commerzbank Synergien nutzen? Und wo geht das nicht?

Die größten Synergien mit der Commerzbank haben wir bei Backend-Funktionen, wie zum Beispiel bei der Kontoführung oder der Abwicklung der Wertpapiergeschäfte. Diese Systeme werden von der Commerzbank betrieben. Die Commerzbank profitiert umgekehrt häufig von Innovationen, die Comdirect viel schneller an den Markt bringen kann, und die die Commerzbank dann gegebenenfalls auch einsetzen kann.

Keine Synergien gibt es hingegen dort, wo sich ein voll digitalisierter Prozess von einem Prozess unterscheidet, der die Filiale berücksichtigen muss. 98 Prozent unserer Kundenprozesse sind heute vollständig digital. Das ist bei Banken mit Filialsystem heute natürlich noch ganz anders.

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