Immobilien an der Börse

Einfluss der Kapitalstruktur auf die Streuung der NAV-Spreads deutscher Immobilienbestandshalter

Für bestandshaltende Immobilienkapitalgesellschaften wird in Praxis und Wissenschaft der Net Asset Value (NAV) als Ansatz zur Bestimmung des "fairen" Unternehmenswerts empfohlen. Ein deutlicher Abschlag auf den NAV erschwert beispielsweise die Eigenkapitalaufnahme im Rahmen einer Kapitalerhöhung über die Börse nachhaltig und

kann damit Wachstum durch attraktive Investitionen verhindern. Ein Verständnis der Ursachen für Abweichungen des NAV vom Kurswert an der Börse ist daher essenziell. Empirische Studien zur Erklärung dieser Spreads für deutsche Immobilienkapitalgesellschaften gibt es bisher allerdings kaum. Allein Teilmengenbetrachtungen im Zuge europäischer Analysen erfassen auch deutsche Immobilienaktiengesellschaften, deren Ergebnisse allerdings aufgrund der geringen Anzahl an betrachteten Unternehmen nicht als robust angesehen werden können.

Bisher vermag auch keiner der zahlreich theoretisch hergeleiteten Erklärungsansätze mehr als nur Teilaspekte des NAV-Spread-Rätsels zu lösen. In diesem Spannungsfeld der zahlreichen Ansätze interessiert nachfolgend insbesondere der Einfluss der Kapitalstruktur auf die Bewertung der Immobilien-AG am Kapitalmarkt. In Praxis und Wissenschaft wird der gewählten Finanzierungspolitik eine außerordentliche Bedeutung für den Unternehmenserfolg attestiert (vergleiche Zajonz 2010, Seite 231). Bisherige immobilienspezifische Studien zu diesem Problemfeld ergeben kein einheitliches Bild. Während beispielsweise Barkham und Ward (1999) den Einfluss der Kapitalstruktur für eine Gruppe britischer Unternehmen als vernachlässigbar einstufen, stellen Morri, MacAllister und Ward (2005) einen signifikant positiven Einfluss eines steigenden Verschuldungsgrades auf die NAV-Spreads fest. Die länderspezifischen Besonderheiten sowie bisher fehlende einheitliche Ergebnisse machen eine Untersuchung der Auswirkungen der Kapitalstruktur auf die NAV-Spreads deutscher Immobilien-Aktiengesellschaften sinnvoll. Diese Lücke der wissenschaftlichen Forschung wird mit der vorliegenden Untersuchung adressiert.

Theoretische Erklärungsmodelle

Die wissenschaftliche Literatur hat eine Vielzahl an Ursachen diskutiert, die zur Klärung der Streuung von NAV-Spreads beitragen sollen. Diesen identifizierten Einflussfaktoren liegen unterschiedliche theoretische Ansätze mit teilweise abweichenden Modellannahmen zugrunde. Zu differenzieren sind vor allem die sogenannten "rationalen" und "irrationalen" Erklärungsansätze.

- Der rationale Erklärungsansatz beruht mit der Effizienzmarkthypothese (EMH) auf einer zentralen These der Finanzierungstheorie (vergleiche Fama 1970, Seite 383). So werden Differenzen zwischen NAV und dem Börsenkurs als gerechtfertigte Anpassung spezifischer Umstände des Unternehmens durch die Marktakteure betrachtet. Solche unternehmensspezifischen Faktoren (zum Beispiel Unternehmensgröße, Managementqualität) können die zukünftig erwarteten Zahlungsströme einer Immobilien-AG stark beeinflussen, ohne dass dies in der NAV-Ermittlung berücksichtigt ist. Der NAV kann somit als "fairer" Ausgangswert der Unternehmensbewertung angesehen werden, der berechtigterweise in Form von Auf- oder Abschlägen an der Börse modifiziert wird (vergleiche Zajonz 2010, Seite 207).

- Der irrationale Ansatz, auch als "Noise Trader Approach" bezeichnet, stammt aus der Behavioral Finance. Er gehört zur Gruppe der externen Modelle, die Ursachen für NAV-Spreads untersuchen, die sich der Kontrolle des Unternehmens entziehen. Es werden zwingend Abänderungen zu den Modellannahmen der EMH notwendig, die allerdings nicht den rationalen Ansatz verneinen, sondern vielmehr eine Erweiterung darstellen. Im Wesentlichen geschieht dies über die zusätzliche Aufnahme irrationaler Marktakteure in das Kapitalmarktmodell. Noise Traders lassen im Gegensatz zu rationalen Marktakteuren fundamental nicht gerechtfertigte Daten in ihren Entscheidungsfindungsprozess mit einfließen. Das Resultat stellt eine in der Regel abweichende Bewertung eines Wertpapiers von seinem fundamental gerechtfertigten Wert durch den Noise Trader dar (vergleiche DeLong/Shleifer/ Summers/Waldmann 1990, Seite 704ff.). Aus dieser fehlerhaften Erwartungshaltung über den Unternehmenswert ergeben sich wiederum fehlerhafte Handlungsaktivitäten auf dem Kapitalmarkt. Ist nun der durch irrationale Akteure an der Börse durchgeführte Transaktionsumfang groß genug, so führt dies insbesondere dann zu einer Abweichung des Börsenwerts von dem "fairen" Unternehmenswert der Immobilien-AG, wenn theoretisch sinnvolle Arbitragestrategien aufgrund von Marktunvollkommenheiten wie etwa Leerverkaufsbeschränkungen nicht implementiert werden können (ver gleiche Zajonz 2010, Seite. 298).

Die Forschung hat sich zunächst auf unternehmensspezifische Einflüsse konzentriert (vergleiche Capozza/Lee 1995, Seite 369 ff.). Eine sich abzeichnende beschränkte Erklärungskraft hat dann aber dazu geführt, in neueren Studien zusätzlich externe Einflussfaktoren zu integrieren. Barkham und Ward (1999) sowie Zajonz (2010) können so die Modellgüte jeweils erheblich steigern. Es existieren für börsennotierte deutsche Immobiliengesellschaften keine robusten empirischen Belege für NAV-Spreads. Die Aufnahme einzelner deutscher Unternehmen in europäische Untersuchungen bei Zajonz (2010), Bond und Shilling (2004) sowie Brounen und Laak (2005) und die damit verbundenen Ergebnisse können bestenfalls als Indiz für etwaige Annahmen gelten. Vor diesem Hintergrund wird für deutsche bestandshaltende Immobilienaktiengesellschaften die Existenz von NAV-Spreads erwartet, welche auch auf unternehmens- und marktspezifischen Einflussfaktoren zurückzuführen sind.

Stand der empirischen Forschung

Durch Abkehr von der neoklassischen Modellwelt hin zu Märkten mit asymmetrischen Informationsverteilungen, Informations- und Anreizproblemen, Steuervorteilen der Fremdfinanzierung und Insolvenzkosten führen unterschiedliche Kapitalstrukturen demnach zu unterschiedlichen Kontrollkosten und Investitionsentscheidungen. Hierzu wurden zahlreiche Konzepte wie die Trade-off-Theorie, Agency-Ansätze und die Pecking-Order-Hypothese entwickelt, die durch Aufhebung einzelner Modellannahmen des vollkommenen Marktes einen Zusammenhang zwischen Kapitalstruktur und Unternehmenswert erklären (vergleiche Gantenbein 2004, Seite 164 ff.). Allerdings kann keines dieser Konzepte für sich alleine vollständig befriedigen, da jeweils nur Einzelaspekte aufgegriffen werden. Bislang liegt kein ganzheitlicher Ansatz vor, der theoretisch überzeugt und gleichzeitig der Praxis konkrete Handlungsempfehlungen bereitstellt (vergleiche Rehkugler 2007, Seite 289 ff.). Ungeachtet dessen bietet sich eine Vielzahl an Erklärungsansätzen für die Relevanz der Kapitalstruktur für das Auftreten von NAV-Spreads.

Es gibt zahlreiche mögliche Wirkungszusammenhänge zwischen Kapitalstruktur und Unternehmenswert. Für einen erhöhten Verschuldungsgrad werden sowohl positive wie auch negative Auswirkungen auf NAV-Spreads diskutiert. Die Tradeoff-Theorie betrachtet die Aufnahme von Fremdkapital unter Berücksichtigung von steuerlichen Konsequenzen und Insolvenzrisiken. Ein erhöhter Verschuldungsgrad führt demnach zu einem erhöhten Insolvenzrisiko für ein Unternehmen, aber durch das Fremdkapital wird auch die Steuerlast reduziert (Tax Shield).

Zusätzlich ist der Grad der Finanzierung mittels Fremdkapital aus Sicht der Principal-Agent-Theorie von Interesse, wie bereits Jensen und Meckling (1976) feststellen. Die asymmetrische Informationsverteilung zwischen Management und Kapitalgebern führt zu Agency-Kosten auf Seiten der Kapitalgeber. Vorteile eines hohen Fremdkapitalanteils ergeben sich daraus, dass die Einzahlungsüberschüsse des Unternehmens gebunden werden und somit die Gefahr einer suboptimalen Verwendung durch das Management verhindert wird. Myers und Majluf (1984) erarbeiteten die sogenannte Pecking-Order-Theorie. Dabei wählt das Management die jeweils günstigste Finanzierungsform und zieht Fremdkapital einer Eigenkapitalerhöhung vor (vergleiche Rehkugler 2007, Seite 294).

Im Rahmen der Entwicklung theoretischer Erklärungsansätze für das Auftreten von NAV-Spreads haben nahezu alle bisherigen empirischen Studien auch den Einfluss der Kapitalstruktur untersucht. Während Barkham und Ward (1999), Brounen und Laak (2005) sowie Zajonz (2010) keinen Zusammenhang zwischen der gewählten Kapitalstruktur einer Immobilien-AG und den entsprechenden NAV-Spreads feststellen können, finden Morri, MacAllister und Ward (2005), Bond und Shilling (2004) sowie Clayton und MacKinnon (2000) einen signifikanten Zusammenhang. Allerdings führt bei Bond und Shilling (2004) ein erhöhter Verschuldungsgrad zu Abschlägen auf den NAV, während bei Morri, MacAllister und Ward (2005) und Clayton und Mac-Kinnon (2000) ein gegensätzlicher Zusammenhang beobachtet wird. Es ergibt sich also zunächst ein uneinheitliches Bild der bisherigen empirischen Untersuchungen, was eine detaillierte Betrachtung notwendig werden lässt.

Einflüsse des Marktes

Morri, MacAllister und Ward (2005) verweisen auch auf die Möglichkeit einer wechselnden Wirkungsrichtung der Kapitalstruktur je nach vorherrschenden Marktbedingungen. Während eines Marktaufschwungs wäre ein höherer Verschuldungsgrad zur Wahrnehmung interessanter Investments zu bevorzugen, wohingegen in einer Abschwungphase gegensätzliches zu erwarten sei. Clayton und MacKinnon (2000) untersuchen diesen Sachverhalt und finden auch je nach Marktphase voneinander abweichende Ergebnisse. Aber ein erhöhter Fremdkapitalanteil beeinflusst hier während einer Abschwungphase die NAV-Spreads positiv. Ähnliches beobachten Morri, MacAllister und Ward (2005). Barkham und Ward analysieren NAV-Spreads britischer Immobilienaktiengesellschaften. Im Untersuchungszeitraum 1993 bis 1995 befand sich der Markt in einer Aufschwungphase, weswegen das insignifikante Ergebnis der Analyse von Clayton und MacKinnon nicht widerspricht.

Es ist festzuhalten, dass die Ergebnisse bisheriger empirischen Studien der etablierten Hypothese eines negativen Zusammenhangs widersprechen. Auch die diskutierte Abhängigkeit des Wirkungszusammenhangs von der vorherrschenden Marktphase scheint sich bisher nicht zu bestätigen. Daher wird nachfolgend eine Abkehr von diesen Hypothesen vollführt.

Datenerhebung

In den USA bieten beispielsweise Green Street Advisors einen detaillierten Datensatz über sämtliche REITs inklusive deren Geschäftstätigkeit und NAV-Angaben. Im Gegensatz zu angelsächsischen Märkten gibt es in Deutschland keine Datenquelle, die eine direkte Identifikation sämtlicher bestandshaltender Immobilienaktiengesellschaften ermöglicht. Außerdem mangelt es vielfach an einer Veröffentlichung der notwendigen NAV-Angaben. Hier wurden daher nur Unternehmen in den Datensatz aufgenommen, die folgende Anforderungen erfüllen:

- Zugehörigkeit zum Dimax,

- Bestandshaltung ist Hauptgeschäftstätigkeit gemäß festgelegter Kriterien,

- Ermittlung des NAV durch Datenquellen möglich,

- NAV muss für mindestens drei Betrachtungsperioden ermittelbar sein.

In Deutschland existiert keine gesetzliche Definition einer Immobilien-AG, was unterschiedliche Auffassungen über die Begrifflichkeit in Literatur und Praxis zur Folge hat (vergleiche Striewe/Streckel 2008, Seite 203, Rehkugler 2003, Seite 5 f., Rebitzer 2005, Seite 25, Schäfers/ Haub/Stock 2002, Seite 313). Aufgrund dessen ist bisher keine eindeutige Zuordnung von Unternehmen möglich. Eine vollständige Erfassung des deutschen Markts der Immobilienaktiengesellschaften erfordert aber gerade eine exakte Identifikation der zugehörigen Unternehmen. Daher bleibt bisher nur der Rückgriff auf von privatwirtschaftlichen Institutionen bereitgestellte Immobilienaktienindizes. Hier sind vor allem der Epra/Nareit Germany, der RX Real Estate Index der Gruppe Deutsche Börse sowie der E&G-Dimax (Deutscher Immobilienaktienindex) zu nennen. Der seit 1995 vom Bankhaus Ellwanger & Geiger veröffentlichte Dimax hat sich dabei bisher als Benchmark der Immobilienaktiengesellschaften in der Praxis etabliert und dient als Grundlage der Auswertungen.

Im zweiten Schritt wurde die heterogene Titelliste des Dimax auf die Bestandshalter reduziert. Dabei erfolgte eine Orientierung an zwei konstruierten Kennziffern. Erstere setzt den Marktwert des Immobilienbestands ins Verhältnis zur Bilanzsumme. Bei einer bestandshaltenden Immobilien-AG sollten sich wesentliche Anteile der Bilanzsumme gerade aus den Vermögenswerten der im Bestand gehaltenen Immobilien ergeben. Die andere Kennziffer ist der Quotient aus Mieterlösen und Umsatzerlösen aus gewöhnlicher Geschäftstätigkeit. Nur wenn ein wesentlicher Anteil der Umsatzerlöse aus den Mieten des Bestands erzielt wird kann von einer bestandshaltenden Immobilien-AG ausgegangen werden.

Neben der Identifikation der Bestandshalter stellt die Information über den unternehmensspezifischen NAV eine weitere kritische Hürde zur Aufnahme einer Immobilien-AG in den Datensatz dar. Basierend auf publizierten Angaben wäre nur ein sehr beschränkter Datensatz die Folge. Unterschiedliche Berechnungsansätze der Unternehmen verhindern zudem die Vergleichbarkeit der sich daraus ergebenden NAV-Spreads. Daher wurden die NAVs für jedes Unternehmen und jede Berichtsperiode standardisiert ermittelt. Eine Vergleichbarkeit zwischen den Unternehmen ist somit gewährleistet. Außerdem wird hierdurch ein größerer Datensatz generiert, der in seinem Umfang bisher einzigartig für den deutschen Markt ist.

Die selbstständige Berechnung beruht auf der Ermittlung des "ursprünglichen" NAV (siehe Formel 1). Als Berechnungsansatz wird die Summe aus Eigenkapital zuzüglich gegebenenfalls stiller Reserven des Immobilienbestandes gewählt. Stille Reserven ergeben sich, falls der Immobilienbestand in der Bilanz nicht mit dem Marktwert ausgewiesen ist (zum Beispiel unter Anwendung des Anschaffungskostenmodells nach IAS 40). Es wurde sich damit gegen den NNAV und den NNNAV entschieden.

NAV / Aktie = (bilanzielles Eigenkapital + stille Reserven) / Aktienanzahl (1)

Mit der gewählten Berechnungsgrundlage wird eine zu starke Beschränkung der Datensatzgröße verhindert, und diese entspricht auch einer in der Praxis gebräuchlichen Vorgehensweise der Unternehmensbewertung. Für die identifizierte Gruppe an Unternehmen ist ein möglichst langfristiger Analysezeitraum wünschenswert, um die Robustheit der Ergebnisse gegenüber zeitlichen Einflüssen zu gewährleisten. Jedoch fehlen für das deutsche Segment vor 2005 vielfach notwendige Angaben in den Geschäftsberichten der Unternehmen zur Ermittlung des NAV oder die Unternehmen waren oft noch gar nicht an der Börse notiert.

Wesentliche Ursache für diese Beschränkung des Datensamples ist die erst seit 2005 verpflichtende Anwendung von IFRS als Rechnungslegungsstandard für Konzernabschlüsse. Hinzukommend hat in Deutschland erst mit der Jahrtausendwende und dem sich danach einstellenden Aufschwung eine umfangreiche Ausweitung der Segmentgröße stattgefunden. Deutlich wird dies an der Tatsache, dass 17 der im Jahr 2010 im Dimax enthaltenen Unternehmen erst nach 2005 in diesen aufgenommen wurden. Der gewählte Zeitraum entspricht ungefähr einem Marktzyklus und ist auch im Vergleich zu bisherigen NAV-Studien als ausreichend anzusehen. Als Ergebnis der beschriebenen Vorgehensweise ergibt sich ein Datensample von 140 Datenpunkten für den betrachteten Zeitraum von 2005 bis 2009 (siehe Tabelle 1). Auch dies kann im Vergleich zu bisherigen Studien als ausreichende Größe bewertet werden.

Methodik

Orientiert an bisherigen Studien zu der Thematik der NAV-Spreads wird auch hier als statistisches Verfahren die multiple lineare Regressionsanalyse angewendet. Die Abweichung des Börsenkurses vom NAV der jeweiligen Immobilien-AG als abhängige Variable wird folgendermaßen berechnet:

NAVSPREAD = 100 * (Börsenkurs - NAV) / NAV (2)

Ein negativer (positiver) Wert der Zielvariablen stellt somit einen Discount zum (Premium auf den) NAV dar. Eine Erfassung der historischen Börsenkurse ist aufgrund vielfacher unabhängiger Datenanbieter sowie der mehrheitlichen Veröffentlichung in den Geschäftsberichten der Unternehmen problemlos zu bewerkstelligen. Hier wurden die kostenfreien historischen Zeitreihen der Gruppe Deutsche Börse genutzt, um die Börsenkurse am jeweiligen Bilanzstichtag zu erhalten. Als Schwerpunkt wird die "Kapitalstruktur" als unabhängige Variable in das Regressionsmodell aufgenommen. Der Verschuldungsgrad kann durch das Verhältnis zwischen Fremdkapital und Gesamtkapital erfasst werden. Neben diesem Einflussfaktor wurden weitere in Theorie und Praxis diskutierte Größen für eine mögliche Aufnahme in das Regressionsmodell geprüft.

Es erfolgte eine Vorselektion mittels einfacher linearer Regression der jeweiligen Variable mit der Zielvariable NAVSPREAD. Die Vorgehensweise einer Vorselektion der Variablen entspricht der üblichen wissenschaftlichen Praxis, siehe hierfür zum Beispiel Morri/MacAllister/ Ward (2005). Eine im Vorfeld festgelegte Relevanzgrenze dient in Verbindung mit dem sich ergebenden Scatterplott als Entscheidungskriterium über die Aufnahme in das Modell. Ziel dieser Vorgehensweise ist ein Modell ausreichender Güte zu erzeugen, das jedoch nicht durch eine zu hohe Variablenanzahl den Einfluss einzelner Variablen verwässert. Aus diesem Prozess ergibt sich folgende Regressionsfunktion:

NAVSPREAD = f (Konstante, Steuerstatus, Größe, Liquidität, Kapitalstruktur, Managementeffizienz, Produktion) (3)

"Steuerstatus" stellt eine nominal skalierte Variable dar, die die Unternehmen nach der Besteurung auf Unternehmensebene in REITs und Non-REITs differenziert. Es wird aufgrund der steuerlichen Benachteiligung von Non-REITs ein negativer Zusammenhang mit NAVSPREAD erwartet. Die Unternehmensgröße einer Immobilien-AG ("Größe") wird durch die jeweilige Bilanzsumme gemessen. Die Möglichkeit der Nutzung von Größeneffekten sollte zu einer positiven Bewertung am Kapitalmarkt führen. Der gleiche Wirkungszusammenhang ist für eine erhöhte Liquidität anzunehmen. Gemessen wird "Liquidität" mittels Berechnung des durchschnittlichen täglichen Handelsvolumens. Anhand des Quotienten zwischen EBIT und dem Wert des Immobilienbestands kann die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens ("Managementeffizienz") gemessen werden (vergleiche Zajonz 2010, Seite 426). Je größer der Quotient dieser Messzahl, desto effizienter wird von der Immobilien-AG der zur Verfügung stehende Immobilienbestand genutzt. "Produktion" erfasst Immobilienaktiengesellschaften, welche sich insbesondere auf Logistikund Produktionsimmobilien fokussiert haben. Die Zuordnung einer Immobilien-AG zu einem Nutzungstyp erfolgt anhand der prozentualen Verteilung des Immobilienbestands auf die jeweiligen Segmente (Anteil des Segment größer als 50 Prozent).

Motiviert durch die in anderen Analysen nachgewiesene stark beschränkte Erklärungskraft des "rationalen" Ansatzes erfolgt eine Erweiterung des Modells um die zusätzliche Betrachtung exogener Einflussfaktoren. Entsprechend der Vorgehensweise von Barkham und Ward (1999) wird daher eine Marktvariable integriert (siehe Tabelle 2), die den durchschnittlichen branchenweiten NAV-Spread am Bilanzstichtag der jeweiligen Periode misst (vergleiche Barkham/Ward 1999, Seite 298). So kann zwar keine Kausalität bezüglich NAV-Spreads nachgewiesen werden, aber es wird überprüft, ob weitere bisher unbekannte externe Einflussfaktoren zur Erklärung der Streuung der NAV-Spreads existieren.

Analyseergebnisse und Interpretation

Zunächst wird anhand einer deskriptiven Analyse die Existenz und Entwicklung der NAV-Spreads deutscher Immobilienaktiengesellschaften dargestellt (siehe Tabelle 3). Es lassen sich deutliche Unterschiede zwischen den NAV-Spreads der einzelnen Unternehmen feststellen. Beispielsweise weist 2007, das Jahr mit der geringsten Standardabweichung der betrachteten Spreads, die Informica Real Invest AG einen Discount von 50,90 Prozent auf, während die Youniq AG mit einem Premium von 99,32 Prozent an der Börse bewertet wird. Die relativ hohen Standardabweichungen lassen bereits auf unternehmensspezifische Faktoren als Ursache auftretender Spreads schließen.

Auf Branchenebene liegt im betrachteten Zeitraum ein Premium von 11,04 Prozent vor, was allerdings aufgrund des begrenzten Zeitraums keine Aussage über eine langfristige Bewertung deutscher Immobilienaktiengesellschaften durch den Kapitalmarkt zulässt. Die Differenz zwischen Maximum im Jahr 2006 und Minimum im Jahr 2007 der durchschnittlichen NAV-Spreads beträgt 91,85 Prozent. Bei der Betrachtung der Entwicklung der branchenweiten NAV-Spreads im Zeitverlauf lassen sich während der Aufschwungphase vor der Finanzkrise 2005 und 2006 branchenweite Aufschläge auf den NAV erkennen.

Die sich dann verschlechternden Rahmenbedingungen führen zu einem deutlichen Rückgang bis hin zu einem durchschnittlichen Discount von 18,88 Prozent. Diese Ergebnisse decken sich mit Überlegungen, zu denen auch der "irrationale" Ansatz zu zählen ist, wonach neben unternehmensinternen Faktoren auch externe Einflussfaktoren für die Entwicklung der NAV-Spreads verantwortlich sind. Es werden somit erstmals NAV-Spreads auch am deutschen Markt beobachtet mit zum Teil signifikanten Unterschieden zwischen den jeweiligen NAV-Spreads der Unternehmen. Zusätzlich lässt sich auch eine stark volatile Entwicklung des Branchendurchschnitts im Zeitverlauf erkennen.

Die Ergebnisse der verschiedenen Regressionsanalysen zeigt Tabelle 4. Ausgangspunkt bildet das Regressionsmodell ohne Einbezug der Marktvariable (REG1). Hier bestätigt dieses nur unternehmensspezifische Faktoren einbeziehendes Modell mit einem Bestimmtheitsmaß von R² = 16,4 Prozent die erwartete begrenzte Erklärungskraft, die auch andere empirischen Studien berichten. Die Aufnahme der "Marktvariablen" in das Modell steigert die Erklärungskraft signifikant. Mit einem Bestimmtheitsmaß von R² = 27,01 Prozent lassen sich etwa 40 Prozent des Erklärungsgehalts des erweiterten Modells (REG2) allein auf externe Einflussfaktoren zurückführen. Ein bedeutender Anteil der Ursache für NAV-Abweichungen ist also in marktspezifischen Einflüssen begründet. Es wird an dieser Stelle eine auch für den deutschen Markt geltende Notwendigkeit eines ganzheitlichen Modellansatzes, das heißt einer Analyse basierend auf unternehmens- und marktspezifischen Einflussfaktoren, belegt.

Die Ergebnisse der aufgestellten Regressionsmodelle zeigen einen signifikanten Zusammenhang zwischen Kapitalstruktur und abhängiger Variable, die die Irrelevanz der Kapitalstruktur für den Unternehmenswert deutscher bestandshaltender Immobilienaktiengesellschaften am Kapitalmarkt widerlegen. Um die durch die Ergebnisse von Clayton und MacKinnon (2000) aufgestellte Hypothese der Abhängigkeit des Einflusses von der vorherrschenden Marktphase zu überprüfen, wird der Datensatz in die Phase des Aufschwungs vor der Finanzkrise (REG3) und die Abschwungphase danach (REG4) aufgeteilt.

Beide Modelle (siehe Tabelle 5) werden stark in den Freiheitsgraden beschränkt, können aber trotzdem noch als signifikante Erklärungen der Streuung der NAV-Spreads dienen. Trotz der eingeschränkten Modellgüte (R2 = 15,83 beziehungsweise 15,70 Prozent) weist die Kapitalstruktur in beiden Fällen erneut einen signifikant positiven Einfluss auf. Eine Abhängigkeit des Wirkungszusammenhangs bezüglich der vorliegenden Marktphasen ist somit für den deutschen Markt nicht gegeben.

Die weiteren in das Modell einbezogenen Variablen geben sehr unterschiedliche Ergebnisse wider. Für das Verhältnis EBIT/ Portfoliowert als Merkmal der Managementeffizienz kann ebenfalls ein signifikanter Zusammenhang nachgewiesen werden. Für die weiteren im Gesamtmodell integrierten Variablen Unternehmensgröße, steuerlicher Status und insbesondere Liquidität lassen sich keine empirischen Nachweise einer Erklärungskraft bezüglich der Zielvariablen erkennen. Diese Ergebnisse decken sich mit der Vorselektion bezüglich Unternehmensgröße und Liquidität.

Höhere Verschuldung positiv

Die durchgeführte Analyse hatte zum Ziel, die Höhe der NAV-Spreads für das Segment der deutschen Immobilienaktiengesellschaften zu erklären. Hierzu wurde ein Datensatz von 32 Bestandshaltern über den Zeitraum 2005 bis 2009 erstellt. Insbesondere sollte der bisher in der wissenschaftlichen Theorie sowie empirischen Studien nicht eindeutig geklärte Zusammenhang zwischen Kapitalstruktur und den Streuungen der jeweiligen Abweichungen vom NAV überprüft werden.

Die deskriptive Analyse der NAV-Spreads zeigt starke Divergenzen zwischen den einzelnen Abweichungen vom NAV der Unternehmen und zwischen den durchschnittlichen NAV-Spreads der einzelnen Perioden. Die Entwicklung des Branchendurchschnitts zeichnet dabei eindeutig die gesamtwirtschaftliche Entwicklung nach. Die Streuung der NAV-Abweichungen hat sowohl unternehmensinterne als auch externe Ursachen. Die Modellgüte kann durch die Integration einer Marktvariablen um zirka 40 Prozent gesteigert werden. Marktakteure sollten sich daher bei ihrer Entscheidungsfindung der Existenz von NAV-Spreads bei deutschen Immobilienaktiengesellschaften bewusst sein und mit dem komplexen Gebilde der Einflussfaktoren auseinandersetzen, um optimale Entscheidungen zu treffen.

In den hier präsentierten Ergebnissen lässt sich ein signifikanter positiver Zusammenhang zwischen erhöhter Verschuldungsrate und NAV-Spreads nachweisen. Dieser gilt unabhängig von den vorherrschenden Marktbedingungen. Aufgrund möglicher länderspezifischer Differenzen kann daher zumindest für deutsche Immobilienaktiengesellschaften eine Überlagerung der positiven Auswirkungen erhöhter Fremdkapitalquoten gegenüber den damit verbundenen möglichen Nachteilen aus Sicht des Kapitalmarkts festgestellt werden.

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Prof. Dr. Dirk Schiereck , Leiter des Fachgebiets Unternehmensfinan­zierung , Technische Universität Darmstadt
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