Schwerpunkt: Rating und Bewertung

Internationale Herausforderungen in der Immobilienbewertung

Der folgende Beitrag enthält einen Überblick über neue Erkenntnisse auf dem Gebiet der Immobilienbewertung zu bankaufsichtsrechtlichen Zwecken und fasst die aktuellen Entwicklungen auf dem Gebiet des Bewertungswesens auf europäischer und internationaler Ebene zusammen.

Die Immobilienbewertung im Bankaufsichtsrecht

Das europäische Bankaufsichtsrecht erlaubt unter bestimmten Voraussetzungen eine bevorzugte Eigenkapitalgewichtung für Hypothekarkredite1). Bekanntlich knüpfen die Eigenkapitalerleichterungen für Immobilienfinanzierungen unmittelbar an den Wert der als Sicherheit dienenden Immobilie an. Zur Realisierung der Eigenkapitalersparnis müssen bestimmte Bewertungsvorschriften eingehalten werden, die als Mindestvoraussetzungen für alle Risikogewichtungsansätze einer Bank, das heißt sowohl für den modifizierten Standardansatz (KSA), als auch für den internen Ratingansatz (IRBA), gelten. Im Einzelnen umfassen die Vorschriften Wertdefinitionen, Wertüberwachungs- und Neubewertungspflichten sowie Anforderungen an die Qualifizierung von Gutachtern.

Der deutsche Gesetzgeber hat diese Systematik bei der Umsetzung der CRD in nationales Recht konsequent nachvollzogen. Die Bewertungsvorschriften finden sich im deutschen Aufsichtsrecht in erster Linie in der Solvabilitäts-Verordnung (SolvV) und im Kreditwesengesetz (KWG). Einschlägig sind § 35 SolvV für den Standardansatz, § 159 SolvV für den internen Ratingansatz und auch § 20a KWG, auf den die SolvV verweist.

Der optionale Wertansatz der europäischen Bankenrichtlinie wurde über die Verweise der §§ 35 Abs. 1, 159 Abs. 1 SolvV auf Art. 16 Abs. 2 Pfandbriefgesetz (PfandBG) in deutsches Recht übertragen. Für die Kreditwirtschaft kommen demnach sowohl der Marktwert als auch der Beleihungswert für die Immobilienbewertung zur Anwendung. An dieser Stelle bietet der Gesetzgeber eine Alternative an, indem § 35 SolvV auch auf einen "anders ermittelten nachhaltig erzielbaren Wert" Bezug nimmt, der den Anforderungen an den Beleihungswert im Sinne des § 16 Abs. 2 des PfandBG genügt. Allerdings ist noch nicht einheitlich geklärt, wie dieser anders ermittelte nachhaltig erzielbare Wert methodisch unterlegt werden soll.

Eine Erleichterung wird darin gesehen, dass es für den "anders ermittelten nachhaltigen Wert" durch den fehlenden Verweis des § 35 SolvV auf § 16 Abs. 4 PfandBG nach allgemeiner Meinung zu keiner Allgemeinverbindlichkeit der Beleihungswertermittlungsverordnung (BelWertV) kommt.

Die in der Bankenrichtlinie enthaltene Pflicht zur Überwachung der Immobilienwerte2) wurde in § 20a Abs. 6 KWG implementiert, auf den die §§ 35, 159 SolvV verweisen. Demnach müssen die Immobilienwerte häufig, mindestens jedoch einmal jährlich bei Gewerbeimmobilien und alle drei Jahre bei Wohnimmobilien überprüft werden. Sind die Märkte starken Schwankungen ausgesetzt, muss die Überprüfung häufiger stattfinden. Zur Feststellung starker Schwankungen kommen die von der BaFin für die Messung eines wesentlichen Wertverlustes definierten Kriterien entsprechend zur Anwendung. Ein wesentlicher Wertverlust löst eine Neubewertungspflicht aus. Die Nutzung von statistischen Verfahren erfolgt auf Einzelinstitutsebene oder institutsübergreifend, etwa auf der Grundlage des vom Zentralen Kreditausschuss (ZKA) entwickelten Marktschwankungskonzepts.

Erfordernis der Neubewertung

Auch die Neubewertungspflicht der Bankenrichtlinie3) ist in § 20a Abs. 6 KWG geregelt. Ein Neubewertungsanlass entsteht dann, wenn der Wert der Immobilie gegenüber dem allgemeinen Marktwert für vergleichbare Immobilien wesentlich gesunken ist. Die BaFin hat mit Schreiben vom 9. Juli 2008 festgelegt, dass eine negative Wertschwankung innerhalb eines Zeitraums von bis zu drei Jahren bei Gewerbeimmobilien von über zehn Prozent und bei Wohnimmobilien von über 20 Prozent innerhalb von drei Jahren einen solchen Neubewertungsanlass darstellt.

Eine Neubewertung setzt dabei mindestens voraus, dass eine sach- und fachkundige Person, bei der es sich um einen nicht mit der Kreditbearbeitung befassten Mitarbeiter der darlehngewährenden Bank handeln darf, überprüft, ob die ursprünglichen Einschätzungen der Rahmenbedingungen und die übrigen Annahmen über den betreffenden Markt, auf denen die Gutachten beruhen, weiterhin Gültigkeit haben und dies in nachvollziehbarer Weise dokumentiert. Auch bei Hypothekarkrediten, die die Drei Millionen-Euro-Grenze überschreiten beziehungsweise mehr als fünf Prozent des haftenden Eigenkapitals der Bank ausmachen, muss die als Sicherheit dienende Immobilie mindestens einmal alle drei Jahre neu bewertet werden.

Schließlich müssen über die Verweise der §§ 35, 159 SolvV auf §§ 20a Abs. 5 KWG, 16 Abs. 2 Pfandbriefgesetz auch die in den §§ 6 und 7 der BelWertV enthaltenen Anforderungen an Ausbildung und Unabhängigkeit der Gutachter eingehalten werden. Dies gilt ebenso für die Ermittlung des sogenannten "anders ermittelten nachhaltigen Wertes", der sich möglichst nah an den Vorschriften der BelWertV orientieren sollte.

Die dargestellte Rechtslage macht deutlich, dass strenge Bewertungsvorschriften nicht nur bei Fragen der Pfandbriefdeckung eine Rolle spielen, sondern dass sie spätestens seit 2007 auch zum festen Bestandteil des europäischen Bankaufsichtsrechts geworden sind.

Dieser Umstand löst wiederum zwei weitere Entwicklungen aus, nämlich die Konvergenz von Bewertungsstandards in Europa und die europaweite Einführung von hohen Standards für die Ausbildung und Qualifizierung von Gutachtern.

Der europäische Bewerterverband Tegova (The European Group of Valuations' Associations) hat am 1. April 2009 die 6. Ausgabe der Europäischen Bewertungsstandards EVS veröffentlicht. Die Neuauflage wurde völlig neu konzipiert und konzentriert sich nunmehr auf die europäischen Bewertungsstandards und deren Anwendungsempfehlungen im engeren Sinn. Die Zahl der EVS wurde von neun auf fünf zurückgenommen. Auch wurde das Spektrum auf Immobilien reduziert, unter Ausschluss der bisher auch behandelten Bewertung von immateriellen Vermögenswerten und Geschäftsbetrieben. Die darüber hinaus in Leitlinien und Anhängen dargestellten Spezialthemen wurden ausgegliedert und werden zukünftig getrennt bearbeitet.

Europäische Bewertungsstandards EVS 2009

EVS 2009 sollen auf diese Weise nicht nur übersichtlicher und praxisrelevanter werden. Es wird auch eine weitgehende Konvergenz mit den Internationalen Bewertungsstandards IVS des IVSC (International Valuation Standards Council) angestrebt. Dieser Trend wird nicht zuletzt von internationalen Investoren und grenzüberschreitend finanzierenden Banken vorangetrieben. Abweichungen von IVS sind in erster Linie durch europäische Rechtsvorschriften wie zum Beispiel der Bankenrichtlinie verursacht. Auch führt die Bedeutung, die Tegova der Ausbildung und Qualifizierung von Gutachtern beimisst dazu, dass sich die Struktur der EVS leicht von den IVS unterscheidet.

Dennoch sollte die zunehmende Annäherung der europäischen und internationalen Standards auch in der Gliederung der EVS 2009 zum Ausdruck kommen: In Anlehnung an IVS adressiert EVS 1 den Marktwert und EVS 2 die Nicht-Marktwerte. EVS 3 behandelt den qualifizierten Gutachter, EVS 4 den Bewertungsprozess und EVS 5 das Wertgutachten. Ergänzt werden die EVS durch fünf Anwendungsempfehlungen, die Bewertungsfragen im Zusammenhang mit Rechnungslegung, Finanzierung, Verbriefung, Versicherung und Investments diskutieren.

Recognised European Valuer REV

Um dem steigenden Bedarf an gut ausgebildeten und hoch qualifizierten Gutachtern pro-aktiv zu begleiten, vergibt Tegova seit Anfang 2008 den Titel "Recognised European Valuer", abgekürzt REV. Es handelt sich um ein Gütesiegel für Gutachter, deren Ausbildung bestimmte, von Tegova gesetzte Standards erfüllt.

In einem 3-stufigen Verfahren formuliert Tegova zunächst die zu erfüllenden Ausbildungsstandards. Steht nach eingehender Prüfung fest, dass das nationale Ausbildungssystem die europäischen Standards erfüllt, erhält der nationale Mitgliedsverband die Erlaubnis, die Bezeichnung REV zu vergeben. In einem zweiten Schritt prüft der nationale Gutachterverband den individuellen Gutachter, ob seine Ausbildung mit den gesetzten Standards übereinstimmen. Schließlich erhält der Gutachter, der Mitglied des nationalen Verbandes sein muss, die REV-Anerkennung für eine Laufzeit von fünf Jahren in Form eines Zertifikates, das gemeinsam von Tegova und dem nationalen Gutachterverband ausgestellt wird. Das Zertifikat berechtigt den Gutachter, die Bezeichnung "REV" hinter seinem Namen zu führen. Für die Erneuerung des Gütesiegels nach fünf Jahren muss eine kontinuierliche berufliche Weiterbildung von mindestens 20 Stunden pro Jahr nachgewiesen werden.

Die Ausbildungsstandards sind flexibel formuliert und knüpfen an Fachabschlüsse und Berufserfahrung der Gutachter an. Es handelt sich um eine Art Ausbildungsmatrix, bei der sich die Kriterien je nach Einzelfall unterschiedlich stark gewichten lassen. Die Einzelheiten können auf der Tegova-Webseite (www.tegova.org) eingesehen werden.

Die rege Nachfrage nach diesem Gütesiegel belegt den Trend zu hohen Ausbildungsstandards für Gutachter in Europa und befördert deren Konvergenz. Dies kann aus kreditwirtschaftlicher Sicht nur begrüßt werden, nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der dargestellten bankaufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Qualifizierung und Unabhängigkeit dieses Berufsstandes.

Bekanntlich werden im "Weißbuch Hypothekarkredit" der EU-Kommission vom Dezember 2007 mögliche Maßnahmen zur besseren Integration der europäischen Hypothekarkreditmärkte für den privaten Wohnungsbau vorgestellt und diskutiert. Die Kommission kritisiert vor allem ein niedriges grenzüberschreitendes Geschäft, eine schwach ausgeprägte Produktvielfalt, niedriges Verbrauchervertrauen und geringe Kundenmobilität.

Großes Interesse an hoher Qualifikation

Auch die Immobilienbewertung ist Gegenstand der Untersuchung. Die EU-Kommission stellt die Frage, ob sich aus dem Bewertungswesen nicht Hindernisse für die weitere Integration der Hypothekarkreditmärkte ergeben. Solche Hindernisse könnten insbesondere in national unterschiedlichen Bewertungsgrundsätzen, divergierenden Bewertungsmethoden und in unterschiedlichen Standards oder Vorschriften für die Ausbildung und Qualifizierung von Gutachtern bestehen. Die Schwachstellen bei der Erstellung von Gutachten für im Ausland belegene Immobilien würden nach Ansicht der EU-Kommission in der Verlässlichkeit und Verwendbarkeit von ausländischen Gutachten durch den Auftraggeber (inländisches Kreditinstitut) liegen.

Empfehlung der EU-Kommission

Die Kommission sieht im Wesentlichen fünf alternative Reaktionsmöglichkeiten: Beibehaltung des Status quo, Selbstregulierung, Verabschiedung einer Kommissionsempfehlung, Legislativmaßnahmen auf der Grundlage der gegenseitigen Anerkennung der nationalen Vorschriften/Usancen oder Legislativmaßnahmen auf der Grundlage einer Harmonisierung von nationalen Bewertungsstandards.

In einer zu diesen Szenarien erstellten sogenannten Auswirkungsstudie wird die Verabschiedung einer Kommissionsempfehlung favorisiert. In der Tat erscheinen vor dem Hintergrund der Komplexität des Bewertungswesens rechtlich zwingende Vorschriften kaum geeignet, die mit der Erstellung grenzüberschreitender Gutachten verbundenen Fragestellungen zu adressieren. Das eher politisch konzipierte und ausreichend flexible Instrument der Empfehlung bietet demgegenüber die Möglichkeit, zunächst ein Problembewusstsein für diese Thematik zu schaffen und eine Diskussion auf mitgliedstaatlicher Ebene in Gang zu bringen.

Es wäre sicherlich sinnvoll, mithilfe einer Kommissionsempfehlung die Mitgliedstaaten aufzufordern, für ihre Märkte verlässliche Bewertungsstandards zu entwickeln, etwa mittels verbindlicher Vorschriften, zumindest aber in Form berufsständischer Selbstregulierungen. Hierbei müsste eine Übereinstimmung mit den EVS oder IVS angestrebt werden. Die Mitgliedstaaten sollten des Weiteren sicherstellen, dass Mindeststandards für die berufliche Qualifikation von Gutachtern, wie sie etwa von Tegova formuliert wurden4), in ihrem Land existieren und eingehalten werden. Voraussichtlich wird sich die Europäische Kommission noch im laufenden Jahr zu dieser Thematik positionieren.

Das bisherige International Valuation Standards Committee hat sich 2008 unter leicht verändertem Namen neu strukturiert. Anlass für die Neustrukturierung war, die Unabhängigkeit des IVSC zu stärken, um dadurch die internationale Anerkennung der IVS zu verbessern. Ziel der Restrukturierung war vor allem die Anerkennung als internationaler Standardsetzer durch das International Accounting Standards Board, IASB. Im Ergebnis entspricht die neue Struktur des IVSC weitgehend derjenigen des IASB.

Ein Board of Trustees ist für strategische Fragen und das Budget zuständig. Das für die Erarbeitung beziehungsweise Weiterentwicklung der IVS zuständige Standard Board ist das wichtigste Fachgremium; es setzt sich zukünftig aus unabhängigen Experten zusammen, die nicht zwingend Mitglied des IVSC sein müssen. Schließlich widmet sich ein Professional Board dem Marketing der IVS und Fragen der Ausbildung und Qualifizierung von Gutachtern.

Mit der Umstrukturierung des IVSC geht auch eine neue fachliche Schwerpunktsetzung einher. Fragen der klassischen Immobilienbewertung geraten zunehmend aus dem Fokus; das Interesse der Standardsetzer konzentriert sich nunmehr auf die Bewertung von immateriellen Vermögenswerten für Bilanzierungszwecke. Damit reagiert IVSC nicht zuletzt auch auf die Finanzkrise und die damit verbundenen Bewertungsprobleme bei der Rechnungslegung (Fair Value Accounting). Konsequenterweise besteht die Mehrheit der Mitglieder des Board of Trustees seit kurzem aus Wirtschaftsprüfern und teilweise ehemaligen Mitarbeitern von nationalen Wertpapieraufsichtsbehörden.

Aus kreditwirtschaftlicher Sicht wäre es zu begrüßen, wenn deutsches Bewer-tungs-Know-how auch weiterhin in IVSC vertreten wäre und die Immobilienbewertung für Finanzierungszwecke wieder an Bedeutung gewinnen würde. Hierbei sollten Wirtschaftsprüfer und weiterer Sachverstand aus dem Bewertungswesen gleichmäßig vertreten sein.

Europäischer Hypothekenverband

Abschließend sei erwähnt, dass der Europäische Hypothekenverband im Juli 2008 eine Neuauflage der Studie über nationale Bewertungssysteme zu Beleihungszwecken veröffentlicht hat. Die Studie enthält Länderberichte zu 15 Mitgliedstaaten, die detaillierte Informationen zum makro-ökonomischen Umfeld, zum Immobilienmarkt, zum Gutachterwesen und zu den Bewertungsvorschriften der jeweiligen Staaten bieten. Darüber hinaus beinhaltet die Studie auch eine Übersicht und Empfehlungen zur Nutzung von automatisierten Bewertungsmodellen sowie einen Appendix zur Unabhängigkeit von Gutachtern. Das Dokument ist über die Webseite des Europäischen Hypothekenverbandes (www.hypo.org) abrufbar.

Fußnoten

1) Richtlinie 2006/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute (Bankenrichtlinie), Abl. L 177/1 vom 30. Juni 2006, Anhang VI, VII und VIII.

2) Vergleiche Anhang VIII, Teil 2, Nr. VIII (b) der Richtlinie 2006/48/EG.

3) Bankenrichtlinie, Anhang VIII, Teil 2, Nr. 8 (b). 4) Tegova Minimum Educational Requirements, MER (abrufbar unter www.tegova.org).

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