Im Blickfeld

Kein Tabu: Schrumpfung aktiv managen

Jede achte deutsche Kommune schrumpft stark, und einige könnten für immer von der Landkarte verschwinden. "Wüstung" nennt sich das Phänomen, auch von einer teilweisen Wüstung wird gesprochen: Orte oder Ortsteile werden aufgrund massiver Bevölkerungsverluste aufgegeben. Künftig wird sogar eine Art aktive Wüstung gezielt einzuleiten sein, und zwar immer dann, wenn sich das Ende einer Ortschaft oder eines Stadtteils ohnehin nicht mehr aufhalten lässt.

Das Problem hierbei ist momentan, dass es noch an verlässlichen Indikatoren und Grenzwerten mangelt, an einer fundierten wissenschaftlichen Grundlage. Ab wann ist es städtebaulich und kommunalwirtschaftlich nicht mehr zu vertreten, die städtische Infrastruktur aufrecht zu erhalten, sodass ein Ort aktiv aufgegeben werden sollte? Der Frage nähern sich die Betroffenen auf unterschiedlichem Weg, und sie kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Denn mindestens ebenso groß wie die wissenschaftliche Herausforderung ist die politische Dimension des Themas. Viele Kommunen stellen sich den Schrumpfungsproblemen überhaupt nicht. Sie weisen neue Baugebiete aus und hoffen darauf, wieder auf Wachstum umschwenken zu können. Die Raumordnung in Deutschland hält immer noch an der Idee fest, überall gleichwertige Lebensverhältnisse herbeizuführen. Der demografische Wandel ist jedoch soweit fortgeschritten, und er bringt derart ungleiche Rahmenbedingungen mit sich, dass wir uns von dieser zentralen Leitvorstellung lösen müssen.

Statt einer auf Wachstum basierenden Stadtentwicklung muss die qualitätsgesteuerte Standortoptimierung im Vordergrund stehen. Diese sollte dabei in einem übergreifenden Sinne verstanden werden: Die Wüstung eines Stadtteils (oder Orts) kann den benachbarten Stadtteilen (oder Ortschaften) zu neuer Blüte verhelfen. Vor diesem Hintergrund darf auch ein aktives Einleiten der Wüstung kein Tabu sein.

Dr. Frank Burlein, Mitglied der Geschäftsleitung, DSK Deutsche Stadt- und Grundstücksentwicklungsgesellschaft mbH & Co. KG, Wiesbaden

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