Asset Management

Neue Wege im Immobilien-Risikomanagement

Das Klima für Immobilieninvestitionen wurde bis vor Kurzem noch als durchweg positiv bewertet. Die Zeichen standen weltweit auf Wachstum. Durch die Kombination von stabilen Cash-Flows und diversifizierenden Eigenschaften nahm der Anteil von Immobilien in der strategischen Asset Allokation vieler Investoren stetig zu, sie entwickelten sich so zu einer eigenständigen Assetklasse. Auch viele Banken finanzierten diese Expansion dankbar mit und erhöhten ihren eigenen Anteil an Immobilieninvestitionen.

Spätestens im Zuge der Finanzkrise haben sich die Vorzeichen geändert. Die Marktwerte von Objekten sind in einzelnen nationalen Märkten bereits eingebrochen. Die Aktienkurse von börsennotierten Immobilienunternehmen verzeichnen weltweit starke Verluste. Es erscheint nur eine Frage der Zeit, bis Banken einen erhöhten Abschreibungsbedarf auf ihr Immobiliengeschäft anmelden müssen.

In diesem schwierigeren Umfeld entdecken nun viele Marktteilnehmer die Notwendigkeit eines effizienten Risikomanagementsystems. Gleichzeitig wird ihnen jedoch bewusst, dass die Methoden und die Infrastruktur des Risikomanagements im Immobilienbereich - gerade auch im Vergleich zu anderen etablierten Assetklassen wie Wertpapieren und Krediten - noch in den Kinderschuhen steckt. Dieser Entwicklungsrückstand ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Immobilien in den letzten Jahren den Investoren im Vergleich zu anderen Assetklassen stabile Erträge bei relativ geringer Volatilität beschert haben. Somit gab es selbst für skeptische Marktteilnehmer keine unmittelbare Notwendigkeit für ein umfängliches Risikomanagement. Diese Ausnahmekonstellation hat sich jedoch spätestens seit der Finanzkrise überlebt; das radikal veränderte Umfeld macht Anpassungen im Risikomanagement von Immobilien unumgänglich.

Immobilienrisiken - eine Standortbestimmung

Selbst wenn die gegenwärtige Finanzkrise es einen fast vergessen lässt: Das Risikomanagement hat sich in weiten Teilen der Finanzindustrie in den vergangenen zehn Jahren mit rasanter Geschwindigkeit weiterentwickelt. Über verschiedene Assetklassen hinweg haben sich sowohl die Methoden zur Risikomessung als auch die dahinter stehende Infrastruktur kontinuierlich verbessert. In vielen Bereichen, wie beispielsweise im Kredit- oder Marktrisiko wurden Marktstandards entwickelt, die unternehmens- und sogar branchenübergreifend Anwendung finden.

Nicht so in der Immobilienbranche. Hier beschränken sich sowohl die akademische als auch die praktische Diskussion überwiegend noch auf grundlegende Fragen nach den Arten der zu erfassenden Risiken und der dahinter liegenden Treiber oder auf zaghafte Versuche der Quantifizierung. Insgesamt weist das Risikomanagement bei Immobilien einen starken Entwicklungsrückstand auf - insbesondere im Vergleich zu anderen Assetklassen. Dieser lässt sich vor allem an den folgenden Faktoren fest machen:

- Deskriptiv statt analytisch: Die Betrachtung von Immobilien erfolgt regelmäßig eher als eine beschreibende Bewertung. Im Gegensatz dazu steht eine Risikoanalyse im eigentlichen Sinne, bei der Volatilität und Abweichungen analysiert werden. Szenarioanalysen und die Simulation verschiedener Risikotreiber finden sich nur selten, ebenso wenig eine übergreifende Portfoliosicht oder die Vergleichbarkeit zwischen einzelnen Objekten oder Teilportfolios, die bei anderen Assetklassen zum Standard geworden ist.

- Konkurrierende Maße: Bislang existieren keine etablierten Marktstandards zur Beschreibung und Messung von Risiken in der Immobilienbranche - insbesondere nicht solche, die für alle Arten von Marktteilnehmern gleich gut geeignet wären. Es fehlt bereits an der Basis, also an einer einheitlichen Kategorisierung der verschiedenen Risikotypen, die dann einer standardisierten Methode zur Quantifizierung der Risiken zugrunde liegen könnten. Die derzeit allgemein verwendeten Maße sind nur begrenzt geeignet, Risiken zu erfassen und noch weniger dazu geeignet, diese dann auch handhabbar zu machen.

- Fehlende Portfoliosicht: Regelmäßig steht bei der Risikobetrachtung von Immobilienrisiken das Einzelobjekt im Fokus. Betrachtungen über einzelne Objekte hinweg auf Portfolioebene sind typischerweise nur gering oder gar nicht ausgeprägt. Auch wird typischerweise die unterschiedliche Auswirkung von einzelnen Risikotreibern auf die verschiedenen Objekte nicht systematisch abgebildet.

- Fehlende Risikoaggregation: Derzeit bestehen nur wenige Ansätze zur Integration der Assetklasse Immobilien in die gesamte Asset Allokation über verschiedene Klassen hinweg. Um ein ganzheitliches Bild ihres Portfolios zu erhalten, müssen Investoren Immobilien jedoch mit anderen Assetklassen vergleichbar machen können.

Sechs Entwicklungsstufen Nicht erst die gegenwärtigen Marktverwerfungen haben zu einem grundlegenden Überdenken des Immobilien-Risikomanagements und der dazugehörigen Werkzeuge und Infrastruktur geführt. In den letzten Jahren konnte beobachtet werden, dass sich der Markt in einer Reihe evolutionärer Phasen entwickelt. In der Regel führen entweder einzelne externe Ereignisse oder Forderungen von Stakeholdern zu höheren Transparenzanforderungen und zu einem verstärkten Einsatz von analytischen Modellen. Dies resultierte jedoch nicht immer automatisch auch in verbesserter Entscheidungsqualität. In der Praxis lässt sich vielmehr beobachten, dass oftmals innerhalb der schrittweisen Entwicklung des Risikomanagement-Instrumentariums auch Rückschritte in Kauf genommen werden.

Idealtypisch lassen sich sechs Stufen in der Entwicklung von Risikomanagementsystemen im Immobilienbereich beobachten (siehe Abbildung 1): Stufe I: Traditionelles Risikomanagement ("Wir haben nur gute Objekte! "). Eigentlich stellt die erste Stufe des Entwicklungspfades keine wirkliche Ausbaustufe eines systematischen Risikomanagements dar. Vielmehr werden Risikomanagementaktivitäten als implizit in sonstigen Entscheidungen angenommen - so werden im Rahmen von Investitions- und Desinvestitionsentscheidungen gegebenenfalls auf Einzelobjektebene auch Risikobetrachtungen vorgenommen, allerdings unsystematisch, ohne ein eigenständiges Instrumentarium und mit volatiler Entscheidungsqualität.

Stufe II: Risikotaxonomie ("Spezifische Immobilienrisiken und deren Treiber müssen erfasst werden."). Auf der zweiten Stufe lässt sich ein gewachsenes Bewusstsein über das Vorhandensein spezifischer Risikotypen und -treiber feststellen. Dies kann zum einen aufgrund von Verlusterfahrungen aus schlagend gewordenen Risiken erfolgt sein, zum anderen aufgrund gestiegener Transparenzanforderungen verschiedener Stakeholder, insbesondere der Investoren. Unternehmen, die sich auf dieser Stufe befinden, versuchen zunächst, sich durch eine systematische Kategorisierung der immobilienspezifischen Risiken und deren Treiber einen Überblick über die Risikopositionen zu verschaffen.

Der Hauptfortschritt auf der zweiten Entwicklungsstufe ergibt sich durch Schaffung einer entsprechenden Transparenz und eine systematische Erfassung möglicher Risikoquellen. In der Regel bleiben die Anstrengungen auf dieser Entwicklungsstufe vollständig auf die Erfassung von Risiken beschränkt - oftmals ohne spätere Anwendungen, beispielsweise in der Entscheidungsunterstützung, im Auge zu haben.

Stufe III: Qualitative Risikomessung ("Eine Risikoampel wäre schön! ").

Entscheidend für die dritte Stufe ist der Versuch, die identifizierten Risiken und deren Treiber auch für Managemententscheidungen nutzbar zu machen, sei es, um die Risiken verschiedener Objekte zu identifizieren oder um ein Frühwarnsystem zu etablieren. Ein beliebtes Mittel ist dabei ein einfaches ordinales Messsystem, zum Beispiel in Form einer "Risikoampel", die ein Gesamturteil auf Basis der Risikotreiber in Form einer Grün/ Gelb/ Rot-Klassifizierung erstellt. Aufgrund der häufig fehlenden Quantifizierung der Risikotreiber besteht auf dieser Stufe die Gefahr, dass viel Zeit und Energie mit dem Versuch verbracht werden, die Risikotreiber gegeneinander zu gewichten. Das ist aufgrund der fehlenden Quantifizierung allerdings nur eingeschränkt möglich.

Stufe IV: Quantitative Risikomessung ("Wir brauchen eine 'Währung' für unser Risiko."). Der wesentliche Fortschritt der vierten Entwicklungsstufe ist die Einführung einer standardisierten, quantitativen Messgröße, die es erlaubt, auf Basis normierter Informationen die Risikohaftigkeit verschiedener Objekte untereinander zu vergleichen. Das übergeordnete Risikomaß besteht aus einer oder mehreren Größen, in der alle identifizierten Risikoarten normiert werden. Dadurch wird eine Aggregation über verschiedene Risikotreiber für ein Objekt oder über verschiedene Objekte und ultimativ auch Assetklassen hinweg überhaupt erst möglich. Dieses übergeordnete Risikomaß kann dann als Basisgröße für Monitoring und Steuerung des aggregierten Risikos des Portfolios Anwendung finden.

Um zu einer abschließenden Festlegung für ein Immobilienportfolio zu gelangen, ist es notwendig, die verschiedenen möglichen Maße und Konzepte (zum Beispiel Immo Risk Score, Immo-Ratings, Value at Risk, Expected Shortfall, Earnings at Risk) auf möglichen Einsatz hin zu überprüfen. Dabei sind sowohl methodische Vor- und Nachteile abzuwägen als auch praktische Erwägungen wie Datenverfügbarkeit, -qualität und Parametrisierbarkeit zu diskutieren, um das am besten geeignete Maß festzulegen.

Stufe V: Konsequentes Risikomanagement ("Von der Messung zum Management."). Die Messung des Immobilienrisikos allein ist nur der Grundstein für ein umfassendes Risikomanagementsystem. Auf der fünften Entwicklungsstufe weitet sich daher zumeist der Blick auf das Gesamtportfolio und auf die Anwendungsbereiche. An dieser Stelle können vielfältige Anwendungsbereiche erschlossen werden, wie die Schaffung von Risikotransparenz über ein gezieltes Berichtswesen, Szenarioanalysen für strategische Entscheidungen, die Definition von Key Risk Indicators zur Limitierung und Steuerung des Portfoliorisikos oder die Nutzung der Informationen aus der Risikomessung zur Entscheidungsunterstützung bei Investments.

Stufe VI: Risiko-Rendite-Management ("Vergleichbarkeit mit anderen Assetklassen ist entscheidend.").

Am Ende der Entwicklung steht die Einfügung der Immobilien als Assetklasse in das Konzert der anderen Assetklassen und damit eine umfassende Risiko-Rendite-Steuerung. Erst wenn es möglich ist, das Gesamtportfolio oder einzelne Teilportfolios des Immobilienbestandes mit anderen Investitionsalternativen zu vergleichen, kann der Investor eine Abschätzung zwischen den einzelnen Assetklassen treffen. Die Gefahr auf dieser letzten Stufe liegt darin, Konzepte, die für andere Assetklassen entwickelt wurden, ohne die notwendige Anpassung auf Immobilien zu übernehmen und damit den spezifischen Eigenschaften von Immobilien nicht Genüge zu tun.

Die von den verschiedenen Marktteilnehmern im Immobiliensektor genutzten Risikomanagementansätze unterscheiden sich deutlich voneinander. Banken und Finanzinstitute sind, was die systematische Messung und das Management von Immobilienrisiken betrifft, am weitesten. Ein wesentlicher Treiber dafür waren die deutlich erhöhten regulatorischen Anforderungen, die im Rahmen der Einführung der Basel-II-Vorschriften auch für die Immobilienfinanzierung gegriffen haben.

Was Asset Manager von Banken lernen können

Um diesen Anforderungen zu genügen, haben die meisten Banken eigene Ratingsysteme für Immobilien und deren Finanzierung eingeführt. Sie beruhen auf einer Betrachtung des Cash- Flow aus den finanzierten Objekten und einer Simulation der Veränderung dieser Cash-Flows. Im Rahmen dieser Entwicklung haben Banken nicht nur Risikotreiber identifiziert und Modelle zu deren Wirkungsweise entwickelt, sondern auch die Datenqualität und -verfügbarkeit der von ihnen finanzierten Objekte deutlich erhöht. Dies gewährleistet, dass die Banken in der Lage sind, ihre Modelle mit den notwendigen Daten zu befüllen und eine entsprechende Historie aufzubauen. Auch opportunistische Investoren wie Private-Equity-Funds haben begonnen, sich intensiv mit dem Thema Risikomanagement auseinanderzusetzen und nehmen eine führende Position in der Entwicklung von Risikomanagementfähigkeiten ein. Sie holen gegenüber den Banken auf und konnten ihren Vorsprung besonders gegenüber klassischen Asset Managern erheblich ausbauen, die momentan das Schlusslicht in der Entwicklung darstellen.

Demgegenüber weisen die klassischen Immobilieninvestoren wie Pensionskassen und traditionelle Immobilen-Asset-Manager den deutlichsten Rückstand beim Risikomanagement auf. Auf der anderen Seite ermöglicht es diese Position den klassischen Investoren, von dem bereits erarbeiteten Wissen anderer Marktteilnehmer zu profitieren und dies strategisch zu nutzen. Insbesondere die von Banken verwendeten Ansätze zur Modellierung der Cash-Flows aus Immobilien können als Grundlage für die Risikomodelle der traditionellen Investoren genutzt werden. Sie erlauben ihnen eine sprunghafte Entwicklung im Risikomanagement, wie in der Abbildung 2 dargestellt.

Auf zu neuen Ufern! Im Immobilienbereich sind spannende Zeiten angebrochen: Für die fortschrittlichen Wettbewerber bietet sich ein enges Zeitfenster, um sich durch die konsequente Entwicklung ihres Instrumentariums zur Risikomessung und -steuerung einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Während der Umsetzung sollten dabei die beiden folgenden Aspekte beachtet werden: P Zum einen sollten Marktteilnehmer von bestehenden Erfahrungen lernen. Andere Assetklassen bieten hierzu interessante Ansatzpunkte, da sie in der Vergangenheit vergleichbare Entwicklungspfade durchlaufen haben. Aber insbesondere auch Banken sind bei der Beschreibung von Wertentwicklungen und Risiken, die von Immobilienobjekten ausgehen, ihren Wettbewerbern einige Schritte voraus. Ebenso sollten die Trends im Bereich der Alternativen Investoren aufmerksam beobachtet werden.

- Zum anderen müssen trotz der Ähnlichkeiten zu anderen Assetklassen und der Übertragbarkeit von gewissen Konzepten die Besonderheiten von Immobilien berücksichtigt werden, wie geringere Fungibilität und Liquidität. Aufgrund dieser Eigenschaften müssen alle Ansätze zum Risikomanagement speziell auf die besonderen Bedürfnisse für die Assetklasse Immobilien abgestimmt werden.

Für "Early Movers" bietet sich die Gelegenheit, die Marktstandards mitzugestalten und Wettbewerbsvorteile zu schaffen. Ohne die notwendigen Investitionen und rasches Handeln besteht die Gefahr für Marktteilnehmer, ins Hintertreffen zu geraten und zu einem späteren Zeitpunkt diese notwendigen Investitionen unter Zeitdruck und mit höheren Kosten nachholen zu müssen.

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