Gastkommentar

Risiken und Nebenwirkungen

In deutschen Städten stiegen die Neubaumieten in den letzten drei Jahren um rund 4,5 Prozent und die Mieten bei Wiedervermietungen um 3,5 Prozent - pro Jahr. Nun ist Wohnen ein Gut, das sich nicht substituieren lässt, und die Ausgaben für Wohnen stellen regelmäßig den größten Ausgabeposten in einer Haushaltsrechnung dar. Kein Wunder also, dass sich Politiker im Wahljahr mit wohnungspolitischen Fragestellungen beschäftigen. Bei der damit verbundenen Diskussion wird häufig ausgeblendet, dass die Mieten bei Wiedervermietungen in fast der Hälfte aller Städte um weniger als zwei Prozent per annum stiegen und dass die meisten ländlichen Wohnungsmärkte eher unter Überangebot als unter Wohnungsknappheit leiden. Auch wird meistens nicht darauf hingewiesen, dass die Neubaumieten 2010 so ziemlich genau auf demselben Niveau lagen wie 1995 - im Bestand um gerade einmal zwölf Prozent höher als 1995.

Hinter diesen Zahlen verstecken sich zwei wichtige Botschaften: Zum einen gibt es offenbar keine landesweite Wohnungsknappheit und schon gar keine Wohnungsnot. Zum anderen verdeckt der Mittelwert nicht nur den sehr geringen Anstieg der Mieten in vielen Städten, sondern eben auch, dass es tatsächlich ein Problem in einigen Hot Spots gibt. In etwa jeder zehnten Stadt kletterten die Neubaumieten seit 2010 um mehr als sechs Prozent pro Jahr. Dies kann gering verdienende Haushalte rasch vor echte Herausforderungen stellen, und dann beruhigt der Vergleich mit dem Jahr 1995 nicht. Dass die Wohnungspolitik auf diese Entwicklungen - gerade im Wahljahr - reagieren muss, ist daher richtig.

In diesem Beitrag soll es jetzt nicht darum gehen, einzelne aktuell diskutierte Maßnahmen aufzuspießen. Selbstverständlich funktioniert Politik anders als Lehrbuchökonomik. Der Anspruch des Beitrags ist viel geringer als so manche gut gemeinte Kritik an ebenfalls gut gemeinter Wohnungspolitik. In diesem Kommentar geht es allein darum, dass man den Wählern reinen Wein einschenken sollte. Wähler können sich nur dann für eine Mietbremse entscheiden, wenn sie sich der möglichen Risiken und Nebenwirkungen bewusst sind. Solche Nebenwirkungen gibt es quasi für jede Marktintervention: So listet die OECD in einer Studie aus dem Jahr 2011 fein gegliedert mögliche direkte und indirekte Folgewirkungen von üblichen wohnungspolitischen Markteingriffen auf - sowohl für die Wohnungsmärkte als auch für verbundene Märkte wie Arbeits- oder Gütermärkte. Natürlich reduziert eine Mietbremse in einer ersten Runde die Mieterhöhungsmöglichkeiten. Doch dies ist nicht das Ende aller Anpassungsprozesse - auch dann nicht, wenn man die Kappungen nur in einem Teilmarkt vornimmt, denn Wohnungsmärkte sind verbunden. Als Zweitrundeneffekt muss damit gerechnet werden, dass Investitionen unterbleiben. Das gilt sowohl für bestandserhaltende als auch für bestandserweiternde Investitionen. Das eigentliche Knappheitsproblem würde folglich nicht gelöst, und ein Teil der "gesparten Miete" wird durch eine schleichende Qualitätserosion erkauft. Hinzu kommt jedoch - gemäß der OECD-Studie - dass die Arbeitsmarkteffizienz eingeschränkt wird, weil die Mobilität durch Eingriffe in den Wohnungsmarkt beeinflusst wird. Eine Mietbremse in den Hot Spots erhöht eben unter sonst gleichen Bedingungen die Wanderungsneigung gerade in diese Zentren. Diese Risiken und Nebeneffekte treten nicht zwangsläufig auf, und es ist auch nicht gesagt, dass die damit verbundenen negativen Auswirkungen per se für die Bürger die möglichen positiven Effekte überkompensieren. Es wäre aber schon viel geholfen, wenn der Wähler über die möglichen Nebenwirkungen besser Bescheid wüsste.

Diese direkten und indirekten Effekte können zu einer regelrechten Eingriffskaskade führen: Die Mietbremse könnte Investoren abschrecken, also bedarf es Anreize, diesen Schreck zu überwinden. Doch wenn man dies beispielsweise durch eine höhere Abschreibung für Mietwohnungsbauten erreichen möchte, wird wieder der relative Preis zwischen Eigenheim- und Mietwohnungsteilmarkt gestört. Der nächste Schritt wäre dann eine neue Eigenheimförderung. Die Kaskade ist (fast) beliebig ausbaufähig. In den Wahlprogrammen kommt dies in den unterschiedlichen Programmbündeln letztlich auch zum Ausdruck.

Dass bei all diesen Eingriffen niemand die Nettoeffekte auf allen Teilmärkten wirklich beziffern kann, ist naheliegend. Sicher ist zudem, dass man sich schrittweise einer zentralen Funktion von Preisen entledigt: nämlich der Signalfunktion. Wenn der Preismechanismus nicht mehr die richtigen Knappheitsverhältnisse signalisiert, woher wissen wir dann eigentlich in ein paar Jahren überhaupt, ob es regionale oder nationale Wohnungsknappheit oder eine spekulative Übertreibung gibt?

Noch keine Bewertungen vorhanden


X