Bewertung

Beleihungswert versus Marktwert - eine anwendungsorientierte Synopse

Ullrich Werling

Für den Erfolg des deutschen Hypothekenpfandbriefs ist die besondere Ermittlung des Sicherheitenwertes nach der Beleihungswertermittlungsverordnung von großer Bedeutung. In der öffentlichen Diskussion wird aber häufig vermittelt, dass sich zwischen den beiden Wertermittlungswelten Beleihungswert und Verkehrswert ein Graben auftut, der eher breiter als schmaler wird. Der Autor zeigt in seinem Beitrag auf, dass die Unterschiede gar nicht so groß sind wie sie häufig dargestellt werden. Damit soll auch den Gutachtern in der täglichen Praxis die kreditwirtschaftliche Wertermittlung erleichtert werden. Es werden hierbei die Probleme im "Alltagsgeschäft" des Gutachters im Umgang mit beiden Wertermittlungsmethoden dargestellt und konkrete Lösungsvorschläge unterbreitet. Red.

Die Beleihungswertermittlungsverordnung wurde im Mai 2006 erlassen; es gibt also ein kleines Jubiläum zu feiern. Der Hypothekenpfandbrief hat vor dem Hintergrund der globalen Finanzkrise seine Verlässlichkeit und Stabilität bewiesen und wird mit einem großen Vertrauen an den Kapitalmärkten belohnt. Eine Wurzel dieses Erfolges ist die besondere Herangehensweise, den Sicherheitenwert eines Grundstücks für die Pfandbriefdeckung nach Beleihungswertermittlungsverordnung zu ermitteln.

Dem Praktiker, der sowohl in der Welt der Verkehrswerte nach BauGB als auch in der Welt der Beleihungswerte nach PfandBG tätig ist, fallen allerdings die immer größer werdenden Differenzen zwischen den beiden Wertermittlungswelten ins Auge.

Der "Nestor der Verkehrswertermittlung", Professor Wolfgang Kleiber bezeichnet die Beleihungswertermittlung als "Fossil", und der vdp unterstellt dem Ertragswert, im Verfahrensablauf sei es kaum noch möglich, "die Spezifika der konkret zu bewertenden Immobilien in den einzelnen Bewertungsparametern" zu berücksichtigen. Den Beteiligten kann sich das Gefühl vermitteln, hier tue sich ein Graben auf, der eher breiter als schmaler wird. Im nachfolgenden Beitrag wird der Versuch unternommen, wesentliche Unterschiede aufzuzeigen und zugleich nachzuweisen, dass der Graben doch nur ein leicht zu überbrückendes Bächlein ist.

Die Wertermittlung ist in zwei verschiedenen Verordnungen unterschiedlicher Verordnungsgeber geregelt: die Immobilienwertermittlungsverordnung als Regelwerk der Marktwertermittlung einerseits und die Beleihungswertermittlungsverordnung andererseits. Der Beleihungswert ist ein eigenständiger Wert, der nicht an den Marktwert gebunden ist und der unabhängig vom Marktwert nach eigenen Prinzipien ermittelt wird. Gleichwohl ist der Marktwert in der kreditwirtschaftlichen Wertermittlung ein wichtiger Bezugspunkt. Der Beleihungswert darf den Marktwert zum Stichtag nicht überschreiten, Paragraf 16 Absatz 2 Satz 3 PfandBG, und überdies soll der Beleihungswert niedrig genug angesetzt werden, sodass trotz Marktschwankungen auch in der Zukunft der Marktwert nicht unter den Beleihungswert fällt, Paragraf 3 Absatz 1 BelWertV.

Allein aus den hier genannten Bezügen ergibt sich ein ambivalentes Beziehungsgeflecht zwischen den beiden Werten. In der Praxis eines Sachverständigen, der sowohl "normale" Verkehrswertgutachten als auch Beleihungswertgutachten schreibt, kommt noch eine weitere Facette hinzu: die Marktwertermittlung soll nach dem Wunsch vieler Kreditinstitute möglichst bruchlos zur Beleihungswertermittlung passen; Unterschiede sollen sich auf das allernötigste Maß beschränken.

Beispiel Ertragswertermittlung: Es wird in vielen Instituten als Regelfall angesehen, dass sich lediglich die Zinssätze (Liegenschaftszinssatz versus Kapitalisierungszinssatz) unterscheiden und vielleicht noch ein Modernisierungsrisiko hinzutritt, aber ansonsten alle Ansätze vom Rohertrag über die Bewirtschaftungskosten und den Bodenwert bis zur Restnutzungsdauer identisch sein sollen. In der Praxis bedeutet das eine Angleichung der Marktwertermittlung an die Beleihungswertermittlung, und zwar aus folgendem Grunde: Der Gutachter ist bei der Beleihungswertermittlung an zwingende Vorgaben gebunden. Soll nun die Marktwertermittlung zur Beleihungswertermittlung passen, muss der Gutachter die Vorgaben der BelWertV in die Marktwertermittlung übernehmen. Hier wackelt der Schwanz mit dem Hund.

Mindestens eine Ermittlung im Widerspruch zur Norm

In den nachfolgend dargestellten Fällen fallen die regelkonformen Ansätze zwischen den beiden Wertermittlungen besonders deutlich auseinander. Gleicht man die Ansätze einander an, steht mindestens eine Wertermittlung, in der Praxis meist die Marktwertermittlung, im Widerspruch zur dafür maßgeblichen Norm.

Bestimmte Parameter der Wertermittlung werden in der ImmoWertV und in der BelWertV in gleicher Weise benannt, aber unterschiedlich definiert. Am Beispiel des Rohertrages wird dies im folgenden Absatz detailliert dargestellt. So bedarf es im Gutachten immer wieder ausführlicher Begründungen, warum sich die Parameter der beiden Wertermittlungen unterscheiden können, obwohl sie in gleicher Weise bezeichnet werden. Eine begriffliche Differenzierung wäre eine Hilfe, inhaltliche Unterschiede sachgerecht zu berücksichtigen.

So würde es zum Beispiel die Umbenennung des Rohertrags in der Beleihungswertermittlung als "nachhaltiger Rohertrag" dem Gutachter erleichtern, in der Marktwertermittlung den marktüblichen "Rohertrag" und in der Beleihungswertermittlung einen gegebenenfalls geringeren "nachhaltigen Rohertrag" anzusetzen.

Allein der begrifflichen Differenzierung kommt eine große Bedeutung zu. Das zeigt sich in umgekehrter Weise an einer unglücklichen Entscheidung des Gesetzgebers: ohne Grund wurde der Marktwert in Paragraf 16 PfandBG nicht Verkehrswert genannt. Nun stehen zwei Begriffe, Marktwert und Verkehrswert, im Raum. In der Fachliteratur ist weitgehend unumstritten, dass Marktwert und Verkehrswert materiell und quantitativ identisch sind. Trotzdem hält sich in Kreisen der Kreditwirtschaft seit zehn Jahren die irrige Mindermeinung, der Marktwert nach Paragraf 16 PfandBG unterscheide sich vom Verkehrswert. Und der Marktwert sei daher auch nach eigenen Regeln zu ermitteln, gegebenenfalls auch im Widerspruch zur ImmoWertV. Diese Auffassung wird in den genannten Regelungen durch nichts gestützt.

Ansatz des Rohertrages

Der Rohertrag ist in Paragraf 18 Absatz 2 ImmoWertV und in Paragraf 10 Absatz 1 BelWertV unterschiedlich definiert: Einerseits als marktüblich erzielbarer Mietertrag, andererseits als der kleinere Wert von Ist-Miete und nachhaltig erzielbarer Miete. Liegt die Ist-Miete signifikant unter der marktüblich erzielbaren Miete, so ergibt sich aus den oben genannten Vorschriften zwingend, dass sich die Roherträge in der Markt- und Beleihungswertermittlung unterscheiden müssen: hier die niedrige Ist-Miete, da die höhere Marktmiete. Eine solche Differenz ist vom Verordnungsgeber der BelWertV durchaus gewollt.

Aus vielen Bewertungsfällen und Fachgesprächen ist dem Autor bekannt, dass eine solche Differenz von den Bewertungsabteilungen der Kreditinstitute regelmäßig abgelehnt wird. In der Praxis erwarten viele Kreditinstitute ein (Hin-) Rechnen des Marktwerts auf der Basis der nichtmarktüblichen Ist-Miete als Surrogat des eigentlich korrekten, marktüblichen Rohertrags. Ein ähnliches, in der Sache noch gravierenderes Phänomen ist bei der Sachwertermittlung festzustellen. Die Sachwertermittlung nach ImmoWertV hat sich in den vergangenen Jahren - nach Einführung der BelWertV - durch die Sachwert-Richtlinie einschließlich der NHK 2010 und subsidiärer Landes-Richtlinien tief greifend verändert. Besonders augenfällig ist dies beim Umgang mit den Baunebenkosten, die in den Ansätzen der NHK 2010 enthalten sind, laut BelWertV aber gesondert ausgewiesen werden müssen.

Gravierendes Problem bei der Sachwertermittlung

Eine normengerechte Ermittlung des Marktwertes auf der Basis des Sachwerts ist vor allem dort gut möglich, wo der örtliche Gutachterausschuss Marktanpassungsfaktoren abgeleitet hat. Die Ermittlung des (vorläufigen) Sachwerts (vor Marktanpassung) muss sich dabei an das jeweils vom Gutachterausschuss gewählte Modell halten. Nur diese Vorgehensweise wird der Anforderung des Paragraf 16 Absatz 2 Satz 3PfandBG gerecht, den Marktwert nach einem anerkannten Verfahren zu ermitteln.

Daraus folgt, dass sich die normengerechte Ermittlung des vorläufigen Sachwerts in der Marktwertermittlung von der Beleihungswertermittlung unterscheidet. Auch hier, wie bei der Ermittlung des Rohertrags, sind solche Differenzen bei vielen Kreditinstituten unerwünscht, obwohl sie unstrittig den geltenden Regelungen entsprechen. Hinweise wie "Konzernvorgabe geht vor ImmoWertV!" sind in Gegenwart des Autors schon gefallen, um eine Marktwertermittlung zu veranlassen, die den geltenden Normen in wichtigen Punkten widerspricht. Auch der Verweis auf den Wortlaut des Paragraf 16 Absatz 2 Satz 3 PfandBG vermag die Vertreter des "beleihungswertorientierten Marktwerts" nicht von ihrer Auffassung abbringen.

Probleme störend, aber weitgehend lösbar

Die dargestellten Probleme sind im "Alltagsgeschäft" des Gutachters störend aber weitgehend lösbar. Dazu werden hier einige Vorschläge unterbreitet:

Begriffliche Grundlagen: Die Identität von Verkehrs- und Marktwert sollte in Paragraf 16 PfandBG deutlich zum Ausdruck gebracht werden, am einfachsten durch Verwendung des allgemein akzeptierten Begriffspaares "Verkehrswert/ Marktwert".

Ferner sollte für den Rohertrag in der Beleihungswertermittlung ein neuer oder ergänzter Begriff, zum Beispiel "nachhaltiger Rohertrag", eingeführt werden, um die inhaltliche Differenzierung der Roherträge in der Markt- und Beleihungswertermittlung auch begrifflich zu verdeutlichen.

Sachwertermittlung: Ebenso wie beim Rohertrag sind die Differenzierungsprobleme bei der Sachwertermittlung nicht in den Verordnungen vorgegeben, sondern durch kreative Auslegung (vulgo: Bequemlichkeit) zur gelebten Praxis geworden. Diesen Missstand sollte der Verordnungsgeber zum Anlass nehmen, die BdWertV der modernen Sachwertermittlung nach ImmoWertV anzupassen und zugleich deutlich machen, dass Unterschiede zwischen den beiden Bewertungswelten in der Natur der Sache liegen.

Alternativ könnte die BelWertV zwei Va - ri anten der Sachwertermittlung zulassen: der bisherige Verfahrensgang auf der Grundlage regionalisierter Baukosten und zusätzlich eine Methodik auf der Grundlage eines adäquaten Marktanpassungsfaktors als des zugehörigen Ableitungsmodells.

Die Zulässigkeit dieser zusätzlichen Variante der Sachwertermittlung sollte im Wesentlichen an zwei Bedingungen geknüpft sein: Die Marktanpassungsfaktoren wurden aus einer hinreichenden Anzahl von Kauffällen der gleichen Objektart im gleichen regionalen Markt hergeleitet, und das zugrunde liegende Modell der Sachwertermittlung wurde vom Gutachterausschuss nachvollziehbar dargestellt.

Unter diesen Voraussetzungen ist eine Sachwertermittlung möglich, deren Zuverlässigkeit nahe bei der einer Vergleichswertermittlung i.S.d. § 19 Bel-WertV liegt. Es wäre dann gerechtfertigt und auch unter Effizienzgesichtspunkten sinnvoll, direkt aus dem Marktwert unter Abzug eines Sicherheitsabschlags in Analogie zu Paragraf 19 Absatz 1 Satz 2 BelWertV den Beleihungswert abzuleiten. Auf diesem Wege gelänge es, die Fortschritte der Sachwertermittlung auch für die Beleihungswertermittlung nutzbar zu machen und zugleich die Markt- und Beleihungswertermittlung von Sachwertobjekten, vor allem Einfamilienhäusern, insgesamt widerspruchsfrei zu gestalten.

Der Autor

Ullrich Werling FRICS CIS HypZert (F), HWS Werling, Schäfer und Partner Sachverständigengesellschaft, Potsdam

Eigene Bewertung: Keine Durchschnitt: 5 Punkte (1 Bewertung)


X