Chancen und Perspektiven der Quartiersentwicklung aus Sicht einer Förderbank

Abbildung 1: In Gelsenkirchen wird mit einem neuen Konzept die Quartiersentwicklung vorangetrieben.

Für die Menschen in der Stadt ist ihr Quartier ein Stück Heimat - zumindest solange die demografischen, wirtschaftlichen und damit sozialen Strukturen stimmen. Verschieben sich hier die Gewichte, kommt es zu Wegzügen, droht die Gefahr einer Abwärtsspirale und des Verfalls ganzer Viertel. Daher plädiert der Autor dafür, frühzeitig alle Beteiligten - Bewohner und Stadtverwaltung, Wohnungsunternehmen und private Eigentümer, Initiativen, Architekten, Stadtplaner, Politik und Banken - an einen Tisch zu bringen. Am Beispiel Gelsenkirchen zeigt er auf, welche Rolle dabei den kommunalen Wohnungsunternehmen zuteil werden muss, die als Initialzündung fungieren können. Auch für Förderbanken ist die Quartiersentwicklung Teil des Geschäfts und bietet die Möglichkeit, zielgerichtet in die Aufwertung, Modernisierung und Energieeffizienz des Gebäudebestands zu investieren. Red.

Heimat liegt vor der Haustür. Das gilt nicht nur für Dorfgemeinschaften, sondern ebenso für Bewohner von Städten. Für sie ist ihre Nachbarschaft die Heimat - ihr Quartier. Es umfasst die Gesamtheit des nachbarschaftlichen Beziehungsgefüges - sozial und ökonomisch, gesellschaftlich und kulturell. Zum Quartier gehören nicht nur Wohnungen und Straßen, sondern ebenso Sport- und Spielplätze, Schulen und Vereine, Unternehmen und Geschäfte. Quartiere und ihre Probleme spiegeln die zentralen Themen unserer Gesellschaft wider - wie die demografische Entwicklung, den Strukturwandel, die Energiewende und Wanderungsbewegungen.

Dementsprechend muss die Quartiersentwicklung genau diese Themen im Blick haben. Auch "förderökonomisch" ist dies sinnvoll: Auf Quartiersebene lassen sich die drei wohnungspolitischen Ziele bezahlbaren, energetisch effizienten und generationengerechten Wohnraums am wirtschaftlichsten erreichen. Denn die energieeffiziente Sanierung einer Einzelimmobilie ist im Regelfall aufwendig und hat fast unweigerlich deutliche Mieterhöhungen zur Folge - und damit zumeist den Wegzug insbesondere einkommensschwacher, hier häufig älterer Mieter. Demgegenüber erlaubt der Blick auf das Quartier ganzheitliche Investitionsstrategien: So kann nach Maßgabe etwa von Alter und baulicher Beschaffenheit des Bestandes differenziert werden - mit dem Ergebnis, dass Energieeffizienz und Generationengerechtigkeit des Quartiers sich verbessern, die Mieten aller Einzelobjekte aber nicht flächendeckend drastisch steigen.

Quartiere dauerhaft stabilisieren

Quartiere müssen im Ganzen in den Blick genommen werden, um sie baulich umzustrukturieren und ökonomisch und sozial dauerhaft zu stabilisieren. Um gegenläufige Entwicklungen möglichst früh adressieren zu können, ist präventive Quartiersentwicklung wichtig. Das bedeutet: Maßnahmen sollten ergriffen werden, solange es noch reelle Ansatzpunkte für sie gibt. Solche Ansatzpunkte können in ganz unterschiedlichen Fakten gegeben sein - zum Beispiel darin, dass der Wohnungsbestand noch Potenzial hat, dass Eigentümer grundsätzlich noch investitionsbereit sind oder dass sozial engagierte Bewohner ihrem Quartier treu bleiben wollen. Frühzeitig gilt es, jeweils alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen - Bewohner und Stadtverwaltung, Wohnungsunternehmen und private Eigentümer, Initiativen, Architekten, Stadtplaner, Politik und Banken. Standardlösungen gibt es freilich auch in der Quartiersentwicklung nicht. Jedes Viertel hat seinen eigenen Charakter und braucht einen individuellen Ansatz. "Alternde Quartiere" zum Beispiel machen Anforderungen wie Barrierefreiheit, fußläufig erreichbare Einkaufsmöglichkeiten, Gemeinschaft und Hilfsangebote immer dringender. Die Wohnungsanbieter sind in einem solchen Fall gut beraten, langjährige, verlässliche Mieter zu halten, indem sie das Quartier an die sich wandelnden Anforderungen anpassen. An Orten hingegen, wo finanzstarke Bewohner beispielsweise in Bürgervereinen aktiv sind und sich für ihr Wohnumfeld engagieren, läuft die Quartiersentwicklung gewissermaßen fast von selbst. Woanders müssen die Chancen erst eröffnet werden - möglichst bevor sich die "Spirale nach unten" zu drehen beginnt und ein Quartier "abrutscht".

Gefahr einer Abwärtsspirale

Die Gründe für eine solche Negativentwicklung sind vielfältig. Meist ist die Entwicklung schleichend, und ihre Faktoren verstärken sich ab einem gewissen, kritischen Punkt gegenseitig. Unternehmen wandern ab, aktive Leistungsträger ziehen weg, die Sozialstruktur wandelt sich, Eigentümer investieren nicht mehr - weil sie sich die fälligen Sanierungen nicht leisten können oder weil Eigentümergemeinschaften sich nicht auf die notwendigen Maßnahmen einigen können. Häufig kommt es auch vor, dass Eigentümer schlichtweg keine Perspektive mehr für ihre Immobilie und das Quartier sehen und deshalb vor einer vermeintlich sinnlosen Investition zurückschrecken.

Eine derartige Situation entwickelte sich in Gelsenkirchen-Ückendorf entlang eines Abschnitts der Bochumer Straße. Immer mehr Einwohner zogen dort weg. In der Folge standen Wohnungen, Häuser und Ladenlokale leer, und der Zustand vieler Gebäude verschlechterte sich weiter. Ein Großteil des Wohnungsbestands gehörte Privatleuten. Hier kaufte die eigens von der Stadt und dem kommunalen Wohnungsunternehmen gegründete Stadterneuerungsgesellschaft Gelsenkirchen (SEG) gezielt Problemimmobilien mit der Zielsetzung, zu investieren und so die Quartiersentwicklung in positive Bahnen zu lenken. Mit der "Einer-geht-voran-Mentalität" setzte die SEG ein Zeichen, das auch andere Eigentümer in der Nachbarschaft motivieren soll, wieder in ihre Immobilie und in das Umfeld zu investieren. Ein Beispiel für ein gelungenes neues Stadtviertel ist das Quartier Phoenix-See in Dortmund, das seit 2010 auf dem Gelände des stillgelegten Stahlwerks Phoenix Hütte entsteht. Grundlage der Quartiersentwicklung ist ein Planungskonzept der Stadt Dortmund sowie die Renaturierung der Emscher und des Hörder Bachs. Das 100-Hektar-Areal, auf dem mehr als 150 Jahre lang Stahl gekocht wurde, verwandelt sich in eine Freizeit-, Wohn- und Dienstleistungslandschaft.

Insgesamt werden rund um den See weit über 1 000 Wohneinheiten gebaut. Neben exklusiven Einfamilienhäusern entstanden und entstehen Doppel- und Reihenhäuser sowie Mehrfamilienhäuser mit Eigentums- und Mietwohnungen in hervorragender Lage und mit Blick auf den See. Öffentlich geförderter Wohnraum und Stadthäuser schließen die Lücke zum alten Stadtteil Hörde. Dieser gewinnt durch die neue Kaufkraft in direkter Nachbarschaft an Attraktivität, mit der Folge, dass private Eigentümer wieder in ihre Immobilien investieren.

Der Strukturwandel der vergangenen Jahrzehnte traf in Nordrhein-Westfalen nicht nur einzelne Viertel, sondern offenbarte sich ebenso in stillgelegten Zechen und leer stehenden Industriebauten. Private Initiativen, Künstler und Kreative funktionierten die Gebäude zu Ateliers und Wohnraum, Geschäften und Freizeitstätten um. Ein Beispiel für diese Variante der Quartiersentwicklung sind die Elbershallen in Hagen. Aus der ehemaligen Textilfabrik schneiderten sich Kreative innerhalb von zehn Jahren ein neues Ausgehviertel. Es begann mit einer großen Diskothek, darauf folgten ein Indoorspielplatz sowie zahlreiche Restaurants und Kneipen. Mittlerweile siedelten sich Agenturen, die städtische Musikschule, ein Tanzzentrum und das "Theater an der Volme" an.

Besondere Bedeutung der Förderbanken

Förderbanken kommt bei der Quartiersentwicklung eine besondere Bedeutung zu. Die NRW Bank zum Beispiel ist insbesondere durch ihre Wohnungsmarktbeobachtung und durch die Wohnraumförderung ganz nah am Thema. Die Wohnungsmarktbeobachtung stellt die nötige Markttransparenz für alle Akteure her. Sie trägt so dazu bei, die Entwicklung politischer Strategien sowie die Investitionsentscheidungen der Bau-, Wohnungs- und Kreditwirtschaft auf eine objektive und aktuelle Informationsgrundlage zu stellen - in Nordrhein-Westfalen bereits seit mehr als 20 Jahren.

Marktentwicklungen werden so auf möglichst allen Ebenen - landesweit, regional, kommunal und im Quartier - präzise, differenziert und frühzeitig erkannt. Auf dieser Grundlage können zum Beispiel die Rolle der geförderten Bestände im Gesamtmarkt sowie der Erfolg und die Treffsicherheit der Förderprodukte bewertet werden. Und nicht zuletzt bilden die Analysen auch das Fundament für die Entwicklung neuer Förderprodukte auch in der Quartiersentwicklung. Auch mit den Instrumenten klassischer Bankförderung tragen Förderbanken zur Quartiersentwicklung bei. Dazu gehören zum einen zinsgünstige Förderkredite zur Neuschaffung barrierefreier Mietwohnungen, für die energetische Verbesserung und bauliche Umstrukturierung des Wohnungsbestandes und vorhandener Wohnheime sowie zum Bau barrierefreier Studentenwohnheime. Zum anderen können aber auch die Programme der Gründungs- und Mittelstandsförderung zum Einsatz kommen, wenn es darum geht, Quartiere zu entwickeln.

Und das Instrumentarium wird weiterentwickelt, neue Instrumente kommen hinzu - bei der NRW Bank zum Beispiel der für 2015 projektierte Stadtentwicklungskredit für Kommunen. Damit können Gesamtprojekte gefördert werden, zu denen auch städtebauliche Umbaumaßnahmen der Quartiersentwicklung zählen. Das verbindende Ziel all dieser Produkte ist, lebenswerten und bedarfsgerechten Wohnraum im Quartier zu entwickeln und zu sichern. Förderbanken können dabei entscheidende Impulse für Lebensqualität im Quartier geben.

Der Autor

Dietrich Suhlrie Mitglied des Vorstands, NRW.Bank, Düsseldorf

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