REGULIERUNG UND RISIKOMANAGEMENT

WIE SICH DIE DEUTSCHEN KLIMASCHUTZZIELE NOCH ERREICHEN LASSEN

Dr. Christine Lemaitre Quelle: DGNB

Über 30 Prozent des Kohlendioxidausstoßes entfallen in Deutschland aktuell noch immer auf den Gebäudesektor. Das Ziel eines nahezu klimaneutralen Immobilienbestands bis zum Jahr 2050 erscheint vor diesem Hintergrund mehr als ambitioniert. Beispielhaft zeigt sich dies an einer nach wie vor chronisch niedrigen Sanierungsquote von nur rund einem Prozent. Damit die Energiewende an dieser Stelle endlich in Gang kommt, bedarf es also dringend neuer Impulse, gerade vonseiten des Gesetzgebers. Ob der im vergangenen Jahr erarbeitete Entwurf für das "Gebäudeenergiegesetz" (GEG) die richtigen Weichen stellt? Die Autorin des folgenden Beitrags ist äußerst skeptisch. Anstelle des 150 Seiten umfassenden Dokuments plädiert sie für einen deutlich kompakteren Alternativansatz ihrer Organisation, der jüngst um ein Rahmenwerk zur Umsetzung in der Praxis ergänzt worden ist. Red.

Die globalen Klimaschutzziele, die seit dem Paris-Abkommen eine neue Form der Verbindlichkeit erhalten haben, und auch die daraus abgeleiteten Ziele für Deutschland sind ehrgeizig. Ihr Erreichen ist aber auch unbedingt notwendig. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass wir auf dem Weg dahin bei weitem noch nicht die Fahrt aufgenommen haben, die benötigt wird. Das gilt auch für den Bau- und Immobiliensektor, dem beim Thema Klimaschutz eine besondere Bedeutung zukommt. Wir bauen heute die Gebäude für 2050. Mit anderen Worten: Wir müssen heute damit anfangen, Dinge anders und vor allem besser zu machen, wenn wir einen Beitrag leisten wollen.

Ziele in Gefahr

Ob dies mit den aktuellen gesetzgeberischen und fördertechnischen Gegebenheiten gelingen kann, ist mehr als zweifelhaft. Um die Auswirkungen des menschgemachten Klimawandels auf ein "verträgliches Maß" zu begrenzen, muss unsere Gesellschaft in den kommenden Jahren die Treibhausgasemissionen drastisch reduzieren. Da die globalen CO2-Emissionen nach wie vor ansteigen und die Zeit bis zur Überschreitung der kritischen CO2-Konzentration nach aktuellen Berechnungen nur noch knapp 20 Jahre beträgt, müssen ab sofort Politik, Wirtschaft, öffentliche Institutionen, Nicht-Regierungsorganisationen, Wissenschaft und Bildungseinrichtungen gemeinsam alle Potenziale ausschöpfen. Dazu bedarf es gesetzgeberischer Vorgaben für den Gebäudebereich, die auf die Klimaschutzziele angepasst sind.

2017 wurde mit der Zusammenlegung des Energieeinsparungsgesetzes (EnEG), der Energieeinsparungsverordnung (EnEV) und des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes (EEWärmeG) ein Entwurf des neuen "Gebäudeenergiegesetzes" (GEG) erarbeitet. Noch in diesem Jahr soll dieses verabschiedet werden. Die Lösung kann jedoch nach Meinung der DGNB nicht nur darin bestehen, mit der gleichen Denkweise auf Bestehendes aufzusetzen. Stattdessen haben wir jetzt die Chance, das Gelernte der vergangenen Jahre zu nutzen, um einen neuen, zielorientierten Ansatz zu wählen. Die lange Nutzungsdauer unserer Gebäude bedingt, dass wir heute zukunftsfähige Gesetze brauchen, die bis 2050 Bestand haben. Dies ist möglich, weshalb die DGNB statt eines 150-seitigen Dokuments einen dreiseitigen GEG-Diskussionsvorschlag erstellt hat, der eine wirksame Fokussierung auf die Klimaschutzziele beinhaltet.

Diskussionsvorschlag mit vier Kernforderungen

Wichtig ist, dass wir vom Ziel her denken, dieses auch klar formulieren und diskutieren. Nur so wird es möglich sein, alle Akteure bei der gemeinsamen Aufgabe zu vereinen. Eine verfrühte technische Diskussion würde nur dazu führen, dass das eigentliche Ziel aus dem Fokus gerät. In dem DGNB-Vorschlag für ein "Gebäude-Emissions-Gesetz 2050" (GEG 2050) sind die folgenden vier Kernforderungen formuliert:

1. Die Zielgröße muss die CO2-Emission und nicht der Primärenergiebedarf sein.

2. Die Bewertung muss anhand absoluter CO2-Emissions-Grenzwerte erfolgen und nicht über theoretische Referenzgebäude.

3. Bei Nichterfüllung der Zielvorgaben ist eine CO2-Abgabe zu leisten.

4. Die Grundlage aller Bewertungen, Vorgaben und Steuerungsmechanismen muss auf real gemessenen Verbrauchsdaten basieren.

Mit gezielten Forderungen und Förderungen lassen sich auf dieser Grundlage die richtigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bereitstellen, um nachhaltig in die Wertsteigerung der Gebäude investieren zu können und die überfällige Sanierung des Gebäudebestandes endlich attraktiv zu machen.

Rahmenwerk für die Umsetzung in der Praxis

Genauso wichtig wie ein funktionierender Gesetzesentwurf ist ein funktionierender Rahmen, der die Umsetzung der Vorgaben in der Praxis umsetzbar und transparent nachvollziehbar macht. Darauf zielt das Rahmenwerk für klimaneutrale Gebäude und Quartiere ab, das die DGNB im Mai 2018 veröffentlicht hat. Es macht die globalen Klimaschutzziele für die verschiedensten Entscheidungsträger der Bau- und Immobilienwirtschaft handhabbar, indem es eine verlässliche Orientierung gibt, wie sich die CO2-Emissionen kontinuierlich, im notwendigen Maß reduzieren lassen.

Es soll dabei helfen, die Dekarbonisierung des Gebäudebestands bis 2050 realisierbar zu machen. Es unterstützt zudem dabei, Klimaneutralität bei Neubauten zum Standard zu machen. In dem Rahmenwerk werden Regeln für die Bilanzierung von CO2-Emissionen genauso festgelegt wie Vorgaben für eine vergleichbare Berichterstattung entsprechender Leistungskennzahlen. Zusätzlich stellt das Dokument praktisch anwendbare Methoden zum CO2-Management vor. Das Rahmenwerk für klimaneutrale Gebäude und Standorte gliedert sich in drei Hauptelemente, die fachlich aufeinander aufbauen und je nach Bedarf und Zielsetzung separat oder zusammen angewendet werden können.

Regeln für die Bilanzierung

In Teil 1 werden die grundlegenden Regeln für die CO2-Bilanzierung von Gebäuden beschrieben. Die Bilanzierungsregeln basieren auf den Grundprinzipien Relevanz, Vollständigkeit, Konsistenz, Transparenz und Genauigkeit. Die genauen Regeln variieren je nachdem, ob nur der Betrieb oder zusätzlich auch die eingesetzten Materialien betrachtet werden sollen. Der Bilanzrahmen für den Betrieb umfasst drei Elemente:

1. Direkte CO2-Emissionen der Energieerzeugung innerhalb des Grundstücks durch biogen und fossil basierte Wärme-, Kälte- und Stromerzeugung.

2. Indirekte CO2-Emissionen der Energieerzeugung außerhalb des Grundstücks (zum Beispiel Netzstrom, Fernwärme, Fernkälte).

3. Vermiedene CO2-Emissionen (Gutschriften) durch exportierte Energie (zum Beispiel Heiz- und Kühlenergie, Elektrizität).

Dabei ist der gesamte gebäude- und nutzerbedingte Energieverbrauch zu erfassen. In der erweiterten Form umfasst der Bilanzrahmen zusätzlich die eingebundenen CO2-Emissionen der eingesetzten Materialien. Hierfür kommt die Methode der Ökobilanzierung zum Einsatz, um die Treibhausgaspotenziale für die im Gebäude verwendeten Bauteile zu ermitteln.

Transparenz und Vergleichbarkeit herstellen

Um die klimaschutzrelevanten Informationen eines Gebäudes oder Standorts transparent und vergleichbar kommunizieren zu können, sind in Teil 2 des Rahmenwerks Indikatoren definiert, die sich auf verschiedene Leistungskennzahlen beziehen. Diese sollen gebündelt in Form eines Emissionsausweises bereitgestellt werden. Unterschieden wird, ob die Kennzahlen auf tatsächlich gemessenen Ist-Werten beruhen, wie es bei Gebäuden möglich ist, die mindestens drei Jahre in Betrieb sind, oder ob es sich um Planberechnungen bei Neubauten handelt.

Je nachdem, welcher Bilanzierungsrahmen gewählt wurde, kann ein Gebäude oder Standort auf Grundlage des Rahmenwerks den Status "Klimaneutral im laufenden Betrieb" oder "Klimaneutral über den Lebenszyklus" erlangen. Als klimaneutral gilt ein Gebäude, dessen Jahresbilanz der CO2-Emissionen für den Gebäudebetrieb weniger als Null Kilogramm CO2 beträgt. Dabei bezieht sich der zu ermittelnde CO2-Wert auf die Summe aller klimaschädlichen Emissionen gemäß anerkannter internationaler Standards.

Klimaschutzplan als Methode zum CO2-Management

Ein Gebäude oder Standort, das aktuell noch keine Jahresbilanz von Null Kilogramm CO2 aufweist, kann den Status "Klimaneutral bis 2050" erreichen. Hierfür muss ein projektspezifischer Klimaschutzplan erstellt werden, dessen Ziel jeweils die Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 ist. Ausgangspunkt ist die Berechnung des Ist-Werts der CO2-Emissionen. Ausgehend von diesem projektindividuell geltenden Startwert werden jahresbezogen Grenzwerte festgelegt, die das Gebäude oder der Standort einhalten muss, um das für 2050 angesetzte Ziel "Null CO2-Emissionen im laufenden Betrieb" tatsächlich zu erreichen.

Hierfür sind Maßnahmen zur Reduktion der CO2-Emissionen aufzustellen, in eine zeitlich und wirtschaftlich sinnvolle Abfolge zu bringen und deren Wirkungen zu berechnen. Beim Klimaschutzfahrplan geht es also um die Prognose zukünftiger CO2-Emissionen und die Erstellung eines validen Fahrplans, der für das Projekt Sanierungen, Modernisierungsmaßnahmen oder Betriebsoptimierungen definiert. Liegen die prognostizierten Werte immer unterhalb der jahresbezogenen Grenzwerte ist die Bezeichnung "Klimaneutral bis 2050" zulässig. Um diesen Status zu erhalten, müssen für das Projekt jährlich aktuelle Ist-Werte erfasst werden, um den Fortschritt auf dem Weg zur Klimaneutralität zu dokumentieren.

Anwendbar für zahlreiche Zielgruppen und Einsatzzwecke

Die Anwendungsmöglichkeiten für das Rahmenwerk sind vielfältig. So hilft es beispielsweise, den effektiv erreichten Klimaschutz eines Gebäudes oder Standorts verbindlich zu prüfen und mit anderen Projekten vergleichbar zu machen. Dabei setzt die DGNB in dem Rahmenwerk einen umfassenden Betrachtungsrahmen, indem es neben den Energieströmen zur Konditionierung des Gebäudes auch den Nutzerstrom in die Bilanzgrenze mit aufnimmt. Ebenfalls im Fokus steht die Kommunikation der CO2-Bilanz über konsistente Berechnungsvorgaben. Durch den erforderlichen, regelmäßigen Abgleich von Soll- und Ist-Werten lassen sich sowohl der geplante als auch der bereits erreichte Klimaschutzbeitrag eines Gebäudes oder Standorts transparent darstellen.

Projekte, die auf Grundlage des Rahmenwerks den Nachweis als "klimaneutrales Gebäude" erlangen, erhalten zudem in der DGNB Zertifizierung Bonuspunkte für ihre Zukunftsfähigkeit. Nicht zuletzt kann das Rahmenwerk als Grundlage für klimaschutzfördernde Finanzierungsmöglichkeiten, steuerliche Vorteile oder ordnungsrechtliche Instrumente dienen. Wie dies aussehen kann, hat die DGNB mit dem GEG 2050 dargestellt, das auf denselben inhaltlichen Kernpunkten fußt wie das Rahmenwerk.

Erprobung in ersten Projekten

Übergeordnet ist es das Anliegen der DGNB, die Förderpolitik neu auszurichten und klimaschutzfördernde Sanierungen attraktiv und rentabel zu machen. Daher richtet sich das Rahmenwerk auch an alle politischen Entscheidungsträger, die an der Umsetzung der deutschen Klimaschutzziele arbeiten und auf eine Dekarbonisierung Deutschlands hinarbeiten. Weitere Zielgruppen sind auf fachlicher Ebene alle Planer und Bauherren, die das Thema Klimaschutz ernst nehmen und konkret an ihren eigenen Sanierungs- oder Neubauprojekten umsetzen möchten. Zudem richtet sich das Rahmenwerk an alle Eigner oder Betreiber von Gebäuden, die sich dem Thema für ihr Gebäude annehmen möchten und die Weichen in Richtung Klimaschutz stellen wollen.

Auf der Website der DGNB können der Rahmenwerk für klimaneutrale Gebäude und Standorte sowie der Diskussionsvorschlag zum GEG 2050 kostenlos heruntergeladen werden. Die im Rahmenwerk beschriebenen Methoden sollen in den kommenden Monaten an ersten Projekten umfangreich erprobt werden. Auf Grundlage der dann vorliegenden Erfahrungen im Umgang mit den verschiedenen Methoden und Instrumenten soll anschließend eine verbindliche Fassung des Rahmenwerks finalisiert werden. Parallel dazu wird die DGNB gemeinsam mit Partnern daran arbeiten, dass die im GEG 2050 formulierten Ideen und Ziele so gut es geht im von der Bundesregierung neu zu verabschiedenden Gebäudeenergiegesetz Berücksichtigung finden.

DIE AUTORIN DR. CHRISTINE LEMAITRE Geschäftsführender Vorstand, Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen - DGNB e.V., Stuttgart
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