Auch Experten können irren: Vorschläge von Galbraith, Holland und Varoufakis zur Eurokrise

Yanis Varoufakis/James K. Galbraith/Stuart Holland, Bescheidener Vorschlag zur Lösung der Eurokrise, 1. Auflage (3. März 2015), 64 Seiten, 5,- Euro, ISBN 978-3-95614-051-8

James K. Galbraith, Stuart Holland und Yanis Varoufakis haben im Frühjahr eine Lösung der Eurokrise empfohlen, die angeblich ohne weitere Gemeinschaftsschulden auskommt. Tatsächlich aber sollen EZB, ESM, EIB und EIF umfangreiche Kredite aufnehmen, was ökonomisch der Emission von Eurobonds entspricht. Selbst im optimistischen Szenario ohne Zahlungsausfälle verschlechtert dies die Bonität der kreditwürdigeren Euro-Mitgliedsländer und erhöht deren Kreditkosten.

Griechenlands ehemaliger Finanzminister geht neue Kommunikationswege: In Günther Jauchs Talkshow richtete er sich im März 2015 an die deutsche Fernsehnation.

Abweichung von Versprechen

Auch das zusammen mit seinen Koautoren verfasste Büchlein spricht im Vorwort breite Bevölkerungsschichten in Deutschland direkt an. Die Autoren nehmen deren Ängste hinsichtlich einer europäischen Schuldenunion scheinbar ernst, wenn sie hinsichtlich ihrer Anregungen unter anderem versprechen:

- "Für Schulden eines Mitgliedsstaats stehen andere Mitgliedsstaaten nicht gerade."

- "Die Europäische Zentralbank (EZB) finanziert die Schulden von Mitgliedsstaaten nicht."

- "Es wird keine Eurobonds geben und keine Organisation, die gemeinsam Anleihen ausgibt, für die alle Staaten der Eurozone haften."

Allerdings weichen die vier Sofortmaßnahmen zur Lösung der Krise, die das Buch ausarbeitet, von diesem Versprechen ab.

Vorschlag 1 - Fall-zu-Fall-Programm für Banken: Beim "FFPB" geht es um den Umgang mit notleidenden Kreditinstituten:

"Wenn (...) eine Bank in der Eurozone unterfinanziert ist, kann der Mitgliedsstaat, in dem die Bank ihren Sitz hat, um die sofortige Rekapitalisierung der Bank aus dem ESM bitten. (...) Innerhalb eines Jahres verkauft der ESM die Anteile, die er erhalten hat, und deckt damit seine Aufwendungen; weder ein deutscher Steuerzahler noch ein Steuerzahler eines anderen Landes wird einen (...) Teil der Verluste tragen müssen."

Anleihen mit Gemeinschaftshaftung

Der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM emittiert Anleihen mit Gemeinschaftshaftung, also ökonomisch gesehen Eurobonds. Das verringert die Zinslast der Mitgliedsländer mit schwacher Bonität zulasten derjenigen mit (noch) erstklassiger Bonität. Spielen darüber hinaus die erworbenen Bankenanteile nach einem Jahr den Wert der Rekapitalisierung nicht wieder ein, kommt es zum Verlust. Dieses Szenario ist sehr wahrscheinlich, denn in der Vergangenheit gesundeten die wenigsten Banken innerhalb eines Jahres, wie auch die deutsche Bankenrettung ab 2008 unterstrich.

Vorschlag 2 - Begrenztes Umschuldungsprogramm: Das "BUP" möchte die Kreditlast hoch verschuldeter Euro-Mitgliedsländer senken. "MKS" bezeichnen dabei die Maastricht-konformen Schulden von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts:

"Die EZB bietet Mitgliedsstaaten, die an einer Umschuldung ihrer MKS interessiert sind, folgende Option an: Jedes Mal, wenn eine Anleihe eines Mitgliedsstaats fällig wird, zahlt die EZB den Teil der Anleihe zurück, der dem Anteil (in Prozent) der MKS an der Gesamtverschuldung des Landes entspricht. (...) das Land wird zu gegebener Zeit seine Schulden begleichen müssen, verzinst mit dem von der EZB erhobenen Zinssatz (gegenwärtig weniger als 2 Prozent). (...) Außerdem schlagen wir vor, dass die EZB-Bonds durch den ESM abgesichert werden."

Ohne Rückzahlungsfristen

Läge zum Beispiel die Staatsverschuldung eines Landes bei 90 Prozent, würden 60 Prozentpunkte zunächst von der EZB übernommen. Diese würde nicht direkt die Notenpresse betätigen, sondern wie der ESM gemeinschaftliche Kredite aufnehmen. Um die Bonität der EZB zu erhöhen, würde der ESM mit Garantien beispringen. Varoufakis et al. betonen, dass dieses Verfahren vertragskonform und besser als das 2012 eingerichtete OMT-Anleihekaufprogramm der EZB wäre, das Kredite an die realwirtschaftlichen Reformauflagen des ESM knüpft. Das neue Programm wäre tatsächlich sehr umfangreich, daneben für notleitende Euro-Mitgliedsländer bedingungslos und frei von Rückzahlungsfristen (siehe oben "zu gegebener Zeit").

Die Autoren meinen, dass dieser Weg ohne Deutschland über die im EU-Vertrag vorgesehene "Verstärkte Zusammenarbeit" beschritten werden könne. Es würden also zusätzliche Gemeinschaftsschulden aufgenommen, an denen allein Deutschland mindestens 27 Prozent Haftungsanteil trüge - bei Zahlungsausfall einzelner Euroländer mehr.

Vorschlag 3 - Investitionsgestütztes Rettungs- und Konvergenzprogramm: Das "IRKP" ähnelt einem europäischen Marshallplan oder New Deal:

"Die EIB und der EIF kündigen (...) ein europaweites Investitionsprogramm in Höhe von 8 Prozent des BIP der Eurozone an und die Ausreichung von Investitionsprogrammen an die Länder der Peripherie der Eurozone in Höhe ihrer jeweiligen Arbeitslosenquoten." Diese zusätzlichen Gemeinschaftsausgaben würden erneut durch EZB-Anleihen finanziert "oder durch die Ausgabe zusätzlicher Anleihen von EIB und EIF, die jedoch die EZB auf dem Zweitmarkt aufkauft, falls ihr Wert unter eine bestimmte Schwelle sinkt (oder wenn ihre Zinssätze eine vorher festgelegte Schwelle übersteigen). (...) Diese Anleihen werden direkt aus den Erträgen der Investitionen beglichen (wie bei EIB-Bonds)."

Die Europäische Investitionsbank EIB unterstützt große Infrastrukturprojekte mit eigener Kreditaufnahme. Der Europäische Investitionsfonds EIF stellt kleineren Unternehmen Risikokapital zur Verfügung und bürgt für deren Bankkredite. Varoufakis et al. möchten diese gemeinschaftlichen Finanzquellen deutlich erweitern: Spanien mit seiner Arbeitslosenquote von über 20 Prozent erhielte beispielsweise Finanzmittel, die mehr als einem Fünftel des spanischen BIP entsprächen. Daneben gehen die Autoren erneut vom besten Fall aus, dass sämtliche Investitionen hinreichende Erträge abwerfen: "Die EIB und der EIF werden dieses Geld dann in Investitionen lenken, die die Produktivität der europäischen Volkswirtschaften erhöhen." Die Autoren halten ein so großes Investitionsprogramm schon deshalb für Maastrichtkonform, weil EIB-Kredite auch heute nicht zu den nationalen Staatsschulden gerechnet würden.

Vorschlag 4 - Notprogramm für soziale Solidarität: Beim "NPSS" soll es staatliche Hilfen für Lebensmittel, Energie und Verkehr geben:

"Das Programm wird ausschließlich aus den Zinsen finanziert, die aus Ungleichgewichten bei den Target-2-Salden (...) auflaufen", daneben aus weiteren Quellen wie einer künftigen Finanztransaktionssteuer. Zinsen erhalten im Rahmen der Target-2-Salden Überschussländer wie Deutschland. Bisher erhöhen diese Zinserträge den Gewinn der Deutschen Bundesbank. Er steht dem Bundesfinanzministerium für höhere Staatsausgaben beziehungsweise Steuersenkungen in Deutschland zur Verfügung. Künftig würden davon Sozialausgaben in den ärmeren Euroländern finanziert. Geplant sind also direkte internationale Transferleistungen.

Weitere Verschleierungen: Varoufakis et al. kritisieren, dass von den 240 Milliarden Euro griechischer Schulden über 200 Milliarden Euro an Banken und Hedgefonds geflossen seien und nicht an die griechische Bevölkerung. Aber warum wurden griechische Finanzdienstleister zahlungsunfähig?

Weil sie griechische Staatsanleihen gekauft hatten, deren Kurs aufgrund einer Vertrauenskrise in die Rückzahlungsfähigkeit der griechischen Regierung ab 2009 dramatisch sank. Und wie war es zum hohen staatlichen Verbrauch gekommen? Die griechische Regierung hatte vor der Krise sehr günstige Kredite erhalten. Das Länderrisiko eines griechischen Zahlungsausfalls hatten die Finanzmärkte nämlich zunächst kaum eingepreist, die No-bailout-Klausel der EU-Verträge erschien ihnen also unglaubwürdig.

Unsaubere Erklärungen

Diese eigentlichen Ursachen der hohen Verschuldung von Ländern wie Griechenland erklärt das Buch auch an anderer Stelle unsauber: "In den Defizitregionen oder -ländern waren die Kreditzinsen höher (weil das Geldangebot knapp und dementsprechend der 'Preis' des Geldes, der Zinssatz, höher war). Diese Differenz bei den Zinssätzen (...) zog wie ein Magnet das Kapital aus den Überflussländern an ..." Treffender wäre: Die Kreditzinsen in Griechenland waren vor Ausbruch der Krise zwar höher als in Deutschland, aber wesentlich niedriger als vor Einführung des Euro. Dies führte zu Überkonsumption und vergrößerte das Leistungsbilanzdefizit, gerade auch gegenüber Deutschland. Zum Ausgleich der Zahlungsbilanz kam es zu einem Überschuss bei den Kapitalbewegungen - oder anders herum und plakativer: Deutschland und andere mussten Kredite für die exportierten Waren vergeben.

Ohne eigene Notenbank können hoch verschuldete Staaten der Eurozone ihre Schulden nicht monetarisieren. Auch die EZB ist dazu formal nicht befugt. Varoufakis et al. schlagen daher eine deutlich umfangreichere Gemeinschaftshaftung vor, die in jedem Fall die finanziellen Spielräume der reicheren Euro-Mitgliedsländer einschränken dürften. Es wäre aufrichtiger gewesen, dies zu benennen, anstatt wiederholt zu betonen, dass die Vorschläge Steuerzahler in Deutschland in keiner Weise beeinträchtigen würden.

Prof. Dr. Britta Kuhn, VWL und International Economics, Wiesbaden Business School der Hochschule RheinMain

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