62. Kreditpolitische Tagung

"Freiheit und Gemeinwohlorientierung müssen durch die legitimierten Gesetzgeber in eine Balance gebracht werden"

Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier

Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, Präsident des Bundesverfassungsgerichtes a. D., Karlsruhe - Dass die Kreditwirtschaft in der Vergangenheit die eingeräumte Unternehmerfreiheit eher überstrapaziert und die in einem demokratischen Gemeinwesen komplementär geforderte Verantwortung nicht immer ernst genug genommen haben, steht für den Autor außer Frage. Insofern spricht er die Branche auch nicht von einer Mitschuld an ihrem schlechten Image frei und zeigt Verständnis für das in Gang kommen der staatlichen Regulierungsmaschine. Ob bei den regulatorischen Maßnahmen zur Bewältigung der Bankenkrise aber immer das notwendige Maß an Verhältnismäßigkeit, Geeignetheit, Erforderlichkeit und vor allem auch Gesetzesbestimmtheit gewahrt worden ist oder bisweilen ein kontraproduktiver legislatorischer Regulierungseifer Platz greift hält er für diskussionswürdig. (Red.)

Die Banken in Deutschland und Europa werden vor allem seit der jüngsten Finanzkrise mit einer noch nie da gewesenen Kritik überzogen. Der Vertrauensverlust dieser Wirtschaftsbranche erreicht fast existenziell bedrohliche Ausmaße. Das altbekannte Bonmot, was ist ein Bankraub gegen die Gründung einer Bank, erfreut sich wieder größter Beliebtheit. Es ist hier nicht Aufgabe, die Gründe für diese fatale Entwicklung aufzuzeigen und Strategien zur Wiedergewinnung des Vertrauens zu entwickeln. Es geht als Verfassungsrechtler darum, den rechtlichen, vor allem den verfassungsrechtlichen Rahmen zu benennen, innerhalb dessen die Banken sich entwickeln und um die Wiedererlangung verlorengegangenen Vertrauens bemühen müssen. Dabei ist das Augenmerk vorrangig auf die Banken in privatrechtlicher und privatwirtschaftlicher Trägerschaft gerichtet, die Besonderheiten des öffentlich-rechtlich organisierten Sektors bleiben ausgeklammert.

Unternehmerfreiheit und Verantwortung

1. Die privatrechtlich organisierten Banken genießen, sofern sie sich nicht ausschließlich oder mehrheitlich in staatlichem Besitz befinden, als juristische Personen den grundrechtlichen Schutz aus der Eigentumsgarantie und Berufsfreiheit nach dem Grundgesetz und der Europäischen Grundrechtecharta. Aber Freiheit legitimiert nicht zu gemeinwohlunverträglichem Verhalten. Diese Grundaussage ist ebenso selbstverständlich wie der interdisziplinären Anerkennung gewiss. Philosophen, Theologen, Sozialwissenschaftler, Juristen, Ökonomen, selbst Literaten können sich auf diesen Satz verständigen.

So formulierte schon Thomas Mann in seiner Rede "Von Deutscher Republik" im Jahre 1922, die Freiheit sei kein bloßer Spaß und kein Vergnügen, der andere Name für Freiheit laute vielmehr Verantwortlichkeit. In einem demokratischen Gemeinwesen stehen mit anderen Worten Freiheit und Verantwortung - letztere auch und gerade für das gemeine Wohl - in einem Komplementärverhältnis. Das Menschenbild der freiheitlichen Verfassung ist, so hat es das Bundesverfassungsgericht immer wieder formuliert, nicht das eines isolierten souveränen Individuums. Vielmehr habe das Grundgesetz das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und der Gemeinschaftsgebundenheit der Individualpersonen ebenso wie der Unternehmen entschieden.

Eine auf Demokratie und Rechtsstaat, auf die Gewährleistung von Grundrechten setzende Verfassung kann das unvermeidbare Spannungsverhältnis von individuellem Eigennutz und Gemeinsinn oder Gemeinwohlorientierung nicht einseitig auflösen. Sie gewährleistet den Rechtsunterworfenen weder einen unbegrenzten Freiraum für ein ausschließlich "egoistisches Nutzenkalkül" noch konfrontiert sie ihn "unvermittelt mit der Tugendzumutung der Gemeinwohlorientierung". Der Einzelne wird nicht gleich zum "schlechten Bürger", wenn er sich privatnützig verhält und seine eigenen Interessen verfolgt (siehe Berka, zitiert bei Papier, in: Papier/Meinhardt, Freiheit und Gemeinwohl, 2016, Seite 13, 14).

2. Sowohl das Grundgesetz als auch die Europäische Grundrechtecharta garantieren das Privateigentum einschließlich des Unternehmenseigentums und seiner ökonomischen Nutzbarkeit. Sie gewährleisten Berufs- und damit auch Gewerbe- und Unternehmerfreiheit, garantieren ferner das Grundrecht auf Gründung von Gesellschaften ebenso wie die Freiheit des Abschlusses von Verträgen und der autonomen Vertragsinhaltsbestimmung. Auf der Grundlage einer solchermaßen freiheitsrechtlich ausgerichteten Verfassung kann eine Wirtschaftsordnung weder entstehen noch durch politischen Entscheid errichtet werden, welche die Koordinierungsfrage der Volkswirtschaft prinzipiell durch ein Zentralverwaltungssystem und ein System imperativer und zentralisierter Staatsplanung lösen will.

Eigentumsgarantie

Der Grundrechtskatalog, insbesondere soweit er sich auf die wirtschaftlich relevanten Freiheiten bezieht, eröffnet den einzelnen Wirtschaftssubjekten einen bestimmenden Anteil an der Sozial- und Wirtschaftsgestaltung. Sie sollen nicht als öffentliche Planvollstrecker, sondern eigenverantwortlich, autonom und (auch) mit privatnützlicher Zielsetzung an der Gestaltung der Rechts-, Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung mitwirken. Die Eigentumsgarantie und die anderen Grundrechte des privatautonomen Handelns und der Teilhabe an der Wirtschaftsgestaltung schließen eine potenziell absolute Herrschaft der Politik über die Wirtschaft aus.

3. Auf der anderen Seite ist ein Staat, der Freiheit in Form von justiziablen Grundrechten gegen den Staat gewährt, auch darauf angewiesen, dass in ihm freiwillig Verantwortung übernommen wird. Wenn nämlich mangels verantwortungsvollem Umgang der Freiheitsträger mit dieser Freiheit die widerstreitenden Interessen nur durch staatliche Reglementierung befriedet werden können, müssen eben diese Freiheiten vom regulierenden Staat früher oder später wieder einkassiert werden. Diese universelle Erkenntnis der Notwendigkeit freiwilliger Übernahme von Verantwortung liegt auch dem grundgesetzlichen Menschenbild zugrunde, das Verantwortung zwar nicht in Form von Grundpflichten rechtlich vorschreibt, sehr wohl aber als unabdingbar voraussetzt.

Balance zwischen Freiheit und Gemeinwohlorientierung

Es gilt immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass Freiheit und Gemeinwohlorientierung stets in eine Balance und in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden müssen und dass dies in einer rechtsstaatlichen Demokratie allerdings vorrangig durch die vom Volk legitimierten Gesetzgeber zu geschehen hat. Juristisch lässt sich das auf den lapidaren Satz bringen: Rechtlich sanktionierte Beschränkungen von Freiheit und Eigentum müssen die Privatrechtssubjekte nur hinnehmen, wenn sie durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen.

In einer pluralistischen Gesellschaft wie der heutigen gibt es nicht das "Gemeinwohl a priori", das Wohl eines Gemeinwesens ist vielmehr das Ergebnis von Wertentscheidungen und konstitutiver Bestimmung, die in einem demokratischen Verfassungsstaat weder den einzelnen Wirtschaftssubjekten noch einer apokryphen Autorität überantwortet sind, sondern vorrangig entweder von der Verfassung selbst oder von den zur Normsetzung berufenen Organen vorzunehmen sind. Pluralistisch-freiheitliche Systeme unterscheiden sich - worauf schon der Politologe Ernst Fränkel hingewiesen hatte - gerade auch dadurch von totalitären Systemen, welche die Hoheit über die Definition des Gemeinwohls (verstanden als Gemeinwohl a priori) exklusiv für sich beanspruchen.

Gesetzliche Freiheitsbeschränkungen und ihre Grenzen

1. Der Auftrag des demokratisch legitimierten Gesetzgebers zur Bestimmung und zur Konkretisierung dessen, was das gemeine Wohl ist und was der Allgemeinheit nützt, kommt rechtstechnisch in den sogenannten Gesetzesvorbehalten zum Ausdruck, die in zum Teil unterschiedlicher Formulierung und Weite ausdrücklich oder implizit in den verfassungsrechtlich verbürgten Grundrechten verankert sind und der Grundrechtsausübung zur Wahrung des Gemeinwohls ebenso wie zum Schutze kollidierender Grundrechte Anderer Schranken setzen.

Als besonderes Beispiel für ein solches Regelungssystem sei hier die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG erwähnt. Nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG wird das Eigentum gewährleistet. Art. 14 Abs. 2 GG bestimmt ausdrücklich, dass Eigentum verpflichtet und dass sein Gebrauch zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dient. Auf der anderen Seite hat nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG der Gesetzgeber Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen.

Die notwendige Zusammenschau dieser beiden Verfassungsbestimmungen ergibt folgenden Befund: Verfassungsunmittelbare rechtliche Pflichten des Eigentümers, die allein aufgrund der verfassungsrechtlich bestimmten Sozialbindung des Eigentums und ohne gesetzgeberischen Bestimmungs- und Konkretisierungsakt bestehen, sind dadurch nicht begründet. Die Sozialbindung des Eigentums wendet sich primär an den Gesetzgeber, der aus Art. 14 Abs. 2 GG Richtlinien und Direktiven bei der normativen Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums empfängt. Ohne diesen Bestimmungsakt des demokratisch legitimierten Gesetzgebers gäbe es einen ernsten Konflikt mit dem Demokratieprinzip ebenso wie mit dem Rechtsstaatsprinzip; beide verlangen für jede Grundrechtsbeschränkung eine parlamentsgesetzliche Grundlage. Unmittelbar aus Art. 14 Abs. 2 GG können sich daher Nutzungs- und Verfügungsbeschränkungen des Eigentums nicht ergeben, ohne dass der Gesetzgeber im Rahmen der Inhaltsund Schrankenbestimmungen nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG derartige Eigentumsschranken vorsieht.

2. Die verfassungsrechtlich ausdrücklich normierte Gemeinwohlverpflichtung und Sozialbindung des Eigentümers sind nicht nur Grund und Rechtfertigung, sondern auch Grenze gesetzgeberischer Beschränkungen des Eigentums. Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben gelten im Übrigen auch für alle anderen Freiheitsbeschränkungen, für die Eigentumsgarantie hat die Verfassung dies nur ausdrücklich verankert. Auch für Beschränkungen etwa der Berufsfreiheit sind die verfassungslegitimen Gründe des gemeinen Wohls stets Grund und Rechtfertigung, aber vor allem auch Grenze der gesetzgeberischen Freiheitseingriffe. Die Bestimmung dessen, was zum gemeinen Wohl gehört, was zu seiner Wahrung und Durchsetzung geeignet und erforderlich ist und ob die vom Gesetzgeber dafür vorgesehenen Freiheitsbeschränkungen nach Art und Ausmaß auch angemessen sind, gehört stets zum verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab, wenn es um die Überprüfung gesetzlicher Freiheitsbeschränkungen auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin geht.

Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich

Dabei gilt: Je schwerwiegender die gesetzgeberischen Freiheitsbeschränkungen sind, desto höher sind die Anforderungen an den Nachweis der Dringlichkeit und Angemessenheit eines Schutzes des gemeinen Wohls vor den in Rede stehenden Freiheitsbetätigungen der Privatrechtssubjekte. Die Verfassung schützt das Privateigentum um der individuellen Freiheit willen. Dem einzelnen Grundrechtsträger sollen ein Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich gewährleistet und die Grundlage eigenverantwortlicher Gestaltung eröffnet werden.

Je mehr die Eigentümerbefugnisse Ausdruck jener Individualentfaltung sind und je mehr das Eigentum im Sinne seiner freiheitsrechtlichen Grundausrichtung eingesetzt wird, desto ausgeprägter ist der durch die Eigentumsgarantie bewirkte Verfassungsschutz. Die Befugnisse des Gesetzgebers zur Inhalts- und Schrankenbestimmung sind auf der anderen Seite umso weiter, "je mehr das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug und einer sozialen Funktion steht". Die hier inmitten stehenden Eigentumsobjekte des Bankenbereichs stehen ganz offensichtlich in einem besonderen sozialen Bezug und einer besonderen sozialen Funktion. Die Regulierungsbefugnisse des Gesetzgebers sind demgemäß hier besonders weitreichend.

Grenzen der Verhältnismäßigkeit wahren

3. Der Inhalt und Schranken des Eigentums bestimmende Gesetzgeber hat allerdings die Grenzen der Verhältnismäßigkeit oder des Übermaßverbots zu wahren. Das Übermaßverbot stellt eine durchgehende rechtsstaatliche Mindestgarantie dar. Es verlangt einen verfassungslegitimen Grund für den gesetzgeberischen Eingriff, die Eignung des gewählten Eingriffsmittels, seine Erforderlichkeit im Sinne der Wahl des schonendsten Mittels, sowie ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Eingriffsschwere und dem Eingriffsnutzen, also eine gewisse Proportionalität in der Zweck-Mittel-Relation.

Der Gesetzgeber hat bei der Begrenzung von Grundrechtsbefugnissen nicht nur der verfassungsrechtlichen Anerkennung des Privateigentums sowie dem Gebot einer sozial- oder gemeinwohlgerechten Eigentumsordnung Rechnung zu tragen und hierbei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, er hat sich auch mit den übrigen Normen des objektiven Verfassungsrechts im Einklang zu halten, also in formeller und materieller Hinsicht der Verfassung gemäßes Recht zu setzen. Er hat vor allem das Rechtsstaatsprinzip zu wahren, das für die rechtsunterworfenen Privatrechtssubjekte ein gewisses Maß an Vertrauensschutz bedeutet. Insofern führt das Gebot rechtsstaatlicher Grundrechtsbeschränkungen zu einem Verbot sogenannter echter Rückwirkungen belastender Gesetze.

Aber auch zu unechten Rückwirkungen ist der Gesetzgeber nicht in beliebigem Umfange berechtigt. Entsteht bei der Normierung neuen Rechts ein Konflikt mit Rechtspositionen, die nach der bisherigen Rechtslage begründet worden sind, so ist der Gesetzgeber regelmäßig gehalten, "durch Überleitungsvorschriften" einen schonenden Übergang vom alten ins neue Recht zu ermöglichen. Der Gesetzgeber hat ferner das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot zu beachten. Dieses aus dem Rechtsstaatsprinzip entwickelte Gebot fordert ein in Tatbestand und Rechtsfolge bestimmt gefasstes Gesetz, damit die Rechtslage für die Betroffenen erkennbar ist und sie ihr Verhalten entsprechend ausrichten können.

Dabei ist allerdings zu beachten, dass Rechtsnormen als abstrakt-generelle Regelungen immer einer gewissen Auslegung bedürfen, sodass es nahezu unmöglich ist, allein mit Spezialnormen der Vielfalt der Lebensverhältnisse Herr zu werden und zugleich einen Weg zu der rechtlichen Differenzierung zu öffnen, die im Einzelfall eine gerechte Entscheidung oft erst ermöglicht. Grundsätzlich zulässig ist deswegen die Verwendung von Generalklauseln, unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermessensermächtigungen. Dass derart offen gefasste Rechtsnormen aufgrund der Weite ihres Tatbestands und ihrer Rechtsfolgeanordnungen ihrem Wortlaut nach unter Umständen auch unverhältnismäßige Grundrechtseingriffe zulassen, ist solange unschädlich, als eine grundrechtskonforme Auslegung der betreffenden Rechtsnorm noch möglich ist.

Wesentlichkeitstheorie

Allerdings kommt hier der parlamentsstaatliche Vorbehalt ins Spiel. Dieser gebietet es, dass der parlamentarische Gesetzgeber die grundlegenden, wesentlichen Entscheidungen selbst trifft und nicht der Exekutive überlassen darf, das Bundesverfassungsgericht spricht hier von der Wesentlichkeitstheorie. Schließlich hat der Gesetzgeber das Verbot von Einzelfallgesetzen nach Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG und die Wahrung der Wesensgehaltsgarantie der betreffenden Grundrechte (Art. 19 Abs. 2 GG) zu beachten.

4. Die Banken haben einen aus den Grundrechten der Eigentumsfreiheit, der Berufs- und Vertragsfreiheit folgenden Anspruch darauf, nur mit solchen Verboten und Beschränkungen des geschäftlichen Gebarens belegt zu werden, die auf einer gesetzlichen Grundlage bestehen, die ihrerseits den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit, der hinreichenden Normbestimmtheit und der Wahrung des rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbots entspricht. Für strafrechtliche Normen gelten überdies besondere Anforderungen wegen des Grundsatzes nulla poena sine lege, insbesondere an die Gesetzesbestimmtheit und das Rückwirkungsverbot. Nach deutschen Verfassungsrecht setzt eine strafrechtliche Sanktionierung stets individuelle Schuld voraus, sodass juristische Personen selbst nicht mit einer Kriminalstrafe belegt werden können.

Rechtspolitische Doppelfunktion der EZB

5. Das verfassungsrechtliche Demokratieprinzip stellt überdies besondere Anforderungen an den Gesetzesvollzug auf. Grundsätzlich muss danach der Gesetzesvollzug in der Hand organisatorisch-personell und in sachlicher Hinsicht demokratisch legitimierter Hoheitsträger liegen. Die gesetzesvollziehende staatliche Aufsicht darf grundsätzlich im Bankenbereich nicht Organen im sogenannten ministerialfreien Raum eingeräumt sein. Es ist daher verfassungsrechtlich äußerst bedenklich, wenn und soweit den autonomen Zentralbanken die gesetzesvollziehende Aufsicht übertragen wird. Die verfassungsrechtlich verbürgte Selbstverwaltung der Zentralbanken bezieht sich auf die originären Aufgaben dieser autonomen Einrichtungen, insbesondere der Geldpolitik, nicht jedoch auf den aufsichtsrechtlichen Bereich. Hier muss die demokratische Legitimation der gesetzesvollziehenden Verwaltung gewahrt sein.

6. In den letzten Jahren ist ein europäisches Bankenaufsichtsrecht etabliert worden. Nach Art. 127 Abs. 6 AEUV können der EZB durch Verordnung des Rates besondere Aufgaben der Aufsicht über Kreditinstitute übertragen werden, wovon im Hinblick auf die bedeutenden Institute ausgiebig Gebrauch gemacht worden ist. Insoweit können die eben genannten verfassungsrechtlichen Einwände aus dem Demokratieprinzip nicht auf die neuen Zuständigkeiten der EZB übertragen werden, denn Unionsrecht genießt selbst im Verhältnis zum nationalen Verfassungsrecht einen Anwendungsvorrang. Immerhin ist die EZB verpflichtet, ihre geldpolitischen und ihre aufsichtsrechtlichen Funktionen zu trennen, dem sie durch eine Änderung ihrer Geschäftsordnung nachgekommen ist.

Die EZB nimmt nunmehr eine Doppelfunktion wahr: Sie übt neben den ihr durch das Primärrecht unmittelbar eingeräumten währungspolitischen Aufgaben einer unabhängigen Zentralbank auch exekutivische, verwaltungsbehördliche Gesetzesvollzugsaufgaben aus. Diese Doppelfunktion der EZB ist zumindest rechtspolitisch äußerst fragwürdig. Die EZB ist mit richterlicher Unabhängigkeit ausgestattet worden, um die Stabilität des Geldwertes zu sichern. Für die Exekutivtätigkeit einer Bankenaufsicht ist sie nicht geschaffen und institutionell ausgestattet worden.

7. Auch das materielle Aufsichtsrecht ist zwischenzeitlich sehr stark vergemeinschaftet worden. Auf Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden. Wenn vorhin die Rede davon war, dass nach dem deutschen Verfassungsrecht die Institute einen grundrechtlich fundierten Anspruch darauf haben, dass Beschränkungen ihrer Handlungsfreiheit auf hinreichend bestimmte, dem Übermaßverbot und den rechtsstaatlichen Vertrauensschutzaspekten gerecht werdenden gesetzlichen Ermächtigungen beruhen, so gilt das im Grundsatz auch für die unionsrechtlichen Regelungen der Bankenaufsicht. Zwar sind die deutschen Grundrechte im Hinblick auf unionsrechtliche Regelungen und deren Vollzug durch die EZB nicht anwendbar, es gelten aber insoweit die unionsrechtlichen Grundrechte der Grundrechtecharta, die im Hinblick etwa auf die Eigentumsfreiheit, die Berufsfreiheit und die Vertragsfreiheit durchaus entsprechende Verbürgungen normieren.

Bankenaufsicht und kollektiver Verbraucherschutz

1. Nach den gesetzlichen Vorgaben ist die staatliche Finanzdienstleistungsaufsicht ausdrücklich auch dem Schutz der kollektiven Verbraucherinteressen verpflichtet. Es ist nicht zu übersehen, dass die modernen Entwicklungen im Finanzsektor und in der digitalen Welt die strukturelle Unterlegenheit der Konsumenten und die Gefährdung ihrer Rechtsgüter wie etwa des Eigentums und des Vermögens, aber auch des individuellen Persönlichkeits- und Datenschutzes, erheblich steigern und staatliche Schutzregelungen zugunsten der Verbraucher geradezu herausfordern, ohne die das Leitbild des "mündigen Verbrauchers" ad absurdum geführt werden würde.

Der Verbraucherschutz allgemein und der im Finanzsektor im Besonderen ist im Grundsatz eine ebenso notwendige wie legitime Staatsaufgabe. Staatlicher Verbraucherschutz ist in weiten Teilen und im Grundsatz verfassungsrechtlich, das heißt grundrechtlich fundiert. Aus den Grundrechten unserer Verfassung folgen nämlich Schutzpflichten des Staates gegenüber seinen Bürgern, also den Verbrauchern. Er ist grundsätzlich und unabhängig vom Bestehen eines entsprechenden subjektiven Rechts Einzelner verpflichtet, die grundrechtlich geschützten Rechtsgüter der Bürgerinnen und Bürger gegen Beeinträchtigungen durch Dritte, insbesondere durch wirtschaftlich übermächtige Unternehmen, oder durch sonstige Einwirkungen in Schutz zu nehmen.

Furcht vor der Freiheit

Aber es sei nochmals festzuhalten: Auch bei der Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten sind die allgemeinen rechtsstaatlichen Garantien, wie sie insbesondere aus den Grundrechten der Unternehmen folgen, zu achten, wenn und soweit die entsprechenden Verbraucherschutzregeln mit Freiheitseingriffen zu Lasten der Anbieter von Produkten oder Dienstleistungen verbunden sind. Die Verfolgung des verfassungslegitimen Zwecks des Verbraucherschutzes heiligt mit anderen Worten nicht alle Mittel, befreit nicht von der Beachtung der grundrechtlichen Freiheitsrechte.

2. "Aus Bequemlichkeit suchen wir nach Gesetzen" heißt es in den "Neuen Fragmenten" des Juristen Friedrich Freiherr von Hardenberg. Friedrich Freiherr von Hardenberg wird allgemein besser bekannt sein als der Schriftsteller Novalis. Häufig ist es in der Tat Bequemlichkeit und Furcht vor der eigenen Verantwortung, ja letztlich Furcht vor der Freiheit, die Menschen nach immer neuen Gesetzen und nach der Übernahme von immer neuen Aufgaben durch den Staat rufen lässt. Mehr Gesetze sind aber nicht gleichbedeutend mit mehr Recht, führen nicht selten sogar zu weniger Freiheit. Ein Mehr an Freiheit kann gerade durch eine Eindämmung der Gesetzesflut erreicht werden. Es wäre gefährlich, wenn ein Übermaß an Gesetzen und staatlicher Reglementierung insgesamt lähmend und entmutigend wirkte. Dieser Gefahr gilt es, durch entschlossene Deregulierung und - wo neue Gesetze insbesondere zum Schutz von Verbrauchern unverzichtbar sind - durch zurückhaltende und kluge Regulierung entgegenzuwirken.

Das Recht hat in erster Linie eine freiheitssichernde Funktion. Das Grundgesetz geht von der Eigenverantwortung und Selbstbestimmung des Menschen aus, sowohl als Grundlage seiner persönlichen Entfaltung als auch seiner sozialen Beziehungen. An der Spitze der Verfassung stehen deshalb das Bekenntnis zur Unantastbarkeit der Würde des Menschen und der Grundrechtekatalog mit seinen Gewährleistungen von Freiheitsrechten. Auch die Funktion des Rechts darf nicht losgelöst von dieser freiheitlichen Grundlage und Ausrichtung der Verfassung gesehen werden. Recht dient vor allem der Gewährleistung eines freiheitlichen Status des Einzelnen, es dient der Sicherung einer eigenverantwortlichen, selbstbestimmten Lebensführung.

Dazu gehört aber selbstverständlich auch, dass das Recht - wo nötig - ordnend, gestaltend und lenkend eingreift, damit Eigenverantwortung und Selbstbestimmung nicht nur auf dem Papier stehen, sondern für den Einzelnen Realität gewinnen können. Rechtliche Normierungen und Regulierungen können Risiken verringern, aber zugleich Handlungsmöglichkeiten und Chancen einschränken. Sie können dem Einzelnen Verantwortung abnehmen, aber sie können eben dadurch auch - das ist die Kehrseite der Medaille - ihn in seiner Initiativkraft lähmen. Das Recht kann keinen Lebensplan und keine "Rundumversicherung" bieten, weder für den Einzelnen noch für die Gesellschaft insgesamt.

Individuelle Freiheit und individuelle Verantwortung

3. Ungeachtet dessen, dass das Ziel von Entbürokratisierung und Deregulierung in der Öffentlichkeit grundsätzlich auf eine weitgehend positive Resonanz stößt, werden Forderungen nach Schaffung neuer Regelungen und der Ruf nach neuen Aufgaben für "Vater Staat" rasch und häufig auch in der Öffentlichkeit und in den Medien laut. Ich meine nicht, dass wir gut beraten wären, solchen - manchmal auch wohl dem Augenblick geschuldeten - Rufen nach immer mehr Gesetzen und nach mehr Staat blindlings und allfertig immer zu folgen. Wie gesagt: Das Streben nach einer alle Lebensbereiche abdeckenden, staatlichen "Vollversorgung" oder "Rundumversicherung", die dem Einzelnen alle Risiken des Lebens abnimmt, führt am Ende nicht weiter, ja wirkt im Gegenteil sogar lähmend. Zur individuellen Freiheit gehört immer auch individuelle Verantwortung. Eine Verantwortung, die ein freiheitlicher Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern häufig nicht gänzlich abnehmen kann und oftmals auch nicht abnehmen sollte.

Überdies führt eine oftmals hastig betriebene Ankurbelung der Gesetzesmaschinerie ohne gleichzeitigen Auf- und Ausbau einer diesen Aufgaben gewachsenen Vollzugsbürokratie zu weiteren beklagenswerten Vollzugsdefiziten, was wiederum das Vertrauen der Bevölkerung in die Geltungskraft und die Durchsetzung der Rechtsordnung schmälert und damit die Politikverdrossenheit allgemein erhöht. So wichtig und unverzichtbar ein kluges, zielgenaues, effizientes und die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit wahrendes Verbraucherschutzrecht ist, so gefährlich ist ein Gesetzesaktionismus, der ein Wust von letztlich ungeeigneten, unverhältnismäßigen und in weiten Teilen schlicht unvollziehbaren Regelungen hervorbringt. Mehr Gesetze bedeuten eben nicht automatisch mehr Recht.

Selbstregulierung und Co-Regulierung

1. Um die dauerhafte Überanstrengung des Staates und seiner Rechtsordnung zu vermeiden, sollten immer wieder die Formen der Selbstregulierung in Erwägung gezogen werden, bei denen private Verantwortungsträger Raum für autonome Entscheidungen erhalten. Bekannte Erscheinungsformen sind hier Selbstverpflichtungen, bei denen Verbände und Unternehmen des Wirtschaftslebens Erklärungen abgeben, bestimmte Anforderungen freiwillig, wenn auch regelmäßig unter verschiedenen staatlichen Anreizen oder unmittelbar ausgeübtem Druck zu erfüllen. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang aber vor allem die verbands- und unternehmenseigenen Compliance-Richtlinien sowie Verhaltenskodizes für die strikte Wahrung rechtlicher ebenso wie ethischer Standards.

Solche Selbstverpflichtungen und deren Durchsetzung durch autonome Compliance-Organisationen stellen nicht selten durchaus geeignete Instrumente staatlicher Entlastung dar. Sie können dazu beitragen, sicherzustellen, dass nicht alles, was noch legal ist, auch legitim ist, und damit aufzeigen, was sich für einen ehrbaren Kaufmann gehört und was nicht. Für die Unternehmen kann das vertrauensbegründend und damit als Wettbewerbs- und Standortvorteil wirken. Allerdings darf nicht verkannt werden, dass beispielsweise die letzte Finanzkrise auch die Grenzen derartiger Privatisierungs- und Selbstorganisationsformen aufgezeigt hat. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist festzuhalten, dass es nach unserer Verfassung eben zu den Kernaufgaben des Staats gehört, neben der sozialen und ökologischen auch die ökonomische Lebensgrundlage der Bürger zu sichern. Bei essenziellen Gefahren für die Bürger wie in der letzten Finanzkrise muss sich der Staat als Garant dieser Lebensgrundlagen bewähren.

2. Der hier angedeutete Zwiespalt wird aktuell besonders deutlich bei der Frage eines aufsichtsrechtlichen Verbots von Finanzprodukten aus Gründen des kollektiven Verbraucherschutzes, etwa eines Verbots von sogenannten Bonitätsanleihen. Ich kann hier die Frage der Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit solcher Verbote mangels hinreichender Kompetenz nicht abschließend beurteilen. Allgemein sei nur daran erinnert, dass es in einer freiheitlichen Rechts- und Gesellschaftsordnung vorrangig Sache des mündigen Verbrauchers sein muss, darüber zu entscheiden, welche Risiken zu welchen Konditionen er einzugehen bereit ist. Allerdings darf und sollte der Staat dafür Sorge tragen, dass der Verbraucher nicht durch die Gestaltung der Produkte und durch einen Mangel an Aufklärung über Art und Ausmaß der Risiken gezielt im Unklaren gelassen wird. Eine aufsichtsbehördliche Präventivkontrolle von Finanzprodukten ist daher im Grundsatz richtig und notwendig.

Je umfassender der Staat im Rahmen des Aufsichtsrechts aber eine präventive Finanzproduktkontrolle betreibt, desto stärker wird seine Verantwortlichkeit für Fehlschläge und Frustration des Verbrauchervertrauens. Zwar mag eine Schadensersatzpflicht wegen Amtspflichtverletzung in jedem Fall ausgeschlossen sein (vergleiche § 4 Abs. 4 des Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetzes: die Bundesanstalt nimmt ihre Aufgaben und Befugnisse nur im öffentlichen Interesse wahr), die politisch-moralische Mitverantwortung des Staates für enttäuschtes Verbrauchervertrauen oder gar für Fehlspekulationen und damit die Gefahr leichtsinniger und unkritischer Vernachlässigung von Eigenverantwortung beim Verbraucher sollten bei der Bestimmung von Inhalt und Umfang der Produktkontrolle im Rahmen der Bankenaufsicht immer bedacht werden.

Regulierung mit dem richtigen Maß?

Grobe Missbräuche eingeräumter Freiheiten in der Vergangenheit durch die Banken selbst, das daraus folgende katastrophal schlechte Image der Banken haben die staatliche Regulierungsmaschine zwangsläufig auf den Plan rufen müssen. Einzelheiten dieser Regulierungswelle entziehen sich meiner Beurteilungskompetenz. Aber für den die Szene beobachtenden Verfassungsrechtler stellt sich bisweilen schon die Frage, ob dabei immer das notwendige Maß an Verhältnismäßigkeit, Geeignetheit, Erforderlichkeit und vor allem auch Gesetzesbestimmtheit gewahrt worden ist und ob nicht bisweilen rechtsstaatliche Mindeststandards im legislatorischen Regulierungseifer über Bord geworfen werden.

Gewisse Sorgen bereiten dem Verfassungsrechtler auch die teilweise doch recht gravierenden Beeinträchtigungen der Branche oder einzelner Unternehmen durch sogenanntes informelles staatliches Handeln, etwa durch überzogene katastrophische Warnungen oder Drohungen seitens inländischer oder ausländischer Hoheitsträger. Durch solche faktisch mittelbaren, informalen Eingriffe in die unternehmerische Tätigkeit können letztlich erhebliche Schäden entstehen. Der Rechtsstaat ist hier gleichfalls gefordert, er wird in Extremfällen über Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche Sanktionierungen der Betroffenen zur Verfügung stellen müssen. In jedem Fall ist aus verfassungsrechtlicher Sicht auch für das Verhältnis der Banken zum Staat beziehungsweise zur EU die Wahrung rechtsstaatlicher Garantien und der rechtsstaatlichen Distanz zur Politik unverzichtbar.

Der Beitrag basiert auf einer Rede des Autors anlässlich der 62. Kreditpolitischen Tagung "Banken zwischen Recht und Unrecht" der ZfgK am 11. November 2016.

Die Zwischenüberschriften sind teilweise von der Redaktion eingefügt.

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