Passt das deutsche Dreisäulensystem in eine zunehmend harmonisierte Bankenstruktur für Europa?

Reinhard H. Schmidt Foto: Goethe-Universität

In den europäischen Verträgen ist verankert, dass die Vielfalt ein Charakteristikum und eine Stärke Europas im internationalen Wettbewerb ausmachen soll. In diesem Sinne wertet der Autor das Dreisäulensystem der deutschen Kreditwirtschaft als überaus passendes Element. Und auch bei Prüfung der weiteren Kriterien wie der wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit und einer hinreichenden Effizienz sieht er bei funktionierenden Verbundstrukturen keinerlei Grund für eine Abschaffung dieser Strukturen. Den hiesigen Genossenschaftsbanken und Sparkassen bescheinigt er zudem eine regionalpolitische Ausgleichsfunktion und gesamtwirtschaftlich stabilisierende Wirkung. Auf andere europäische Länder übertragen will er sein Plädoyer für eine Erhaltung des Dreisäulensystems aber ohne eine vertiefte Analyse nicht. (Red.)

Der von der ZfgK-Redaktion vorgegebene Titel ist so schön suggestiv, legt er doch nahe, die Frage mit einem deutlichen Nein zu beantworten. Dafür gibt es mindestens einen guten Grund: Noch vor wenigen Jahren waren die Bankensysteme der meisten europäischen Länder Dreisäulensysteme. Wie jetzt nur noch in Deutschland und Österreich ruhten diese Bankensysteme auf den drei "Säulen" der privaten Geschäftsbanken und der dezentralen öffentlichen Banken und Genossenschaftsbanken. In den anderen EU-Mitgliedsländern sind die Bankensysteme in den letzten 20 Jahren so verändert worden, dass man sie nicht mehr als Dreisäulensysteme bezeichnen kann. Möglicherweise gibt es dafür Gründe, die auch für Deutschland relevant sein könnten.

Was ist eigentlich ein Dreisäulensystem?

In die Gruppe der privaten Geschäftsbanken, die erste Säule, gehören die Großbanken mit ausgedehnten Zweigstellennetzen sowie zahlreiche andere in verschiedenen Hinsichten spezialisierte Banken. Typischerweise sind die Großbanken als Aktiengesellschaften organisiert, sie haben einen großen Kreis von Aktionären und ihre Geschäftspolitik ist einseitig darauf ausgerichtet, den Marktwert der Aktien und damit den "Shareholder-Value" möglichst groß werden zu lassen.

Nach der gängigen Vorstellung gilt als zweite Säule das Netz lokaler, dezentral organisierter Sparkassen in öffentlicher Trägerschaft, gegebenenfalls ergänzt um ihre Zentralinstitute und eine Reihe verbundeigener spezialisierter finanzieller und nichtfinanzieller Unternehmen wie Kapitalanlagegesellschaften und Rechenzentren. Die Hauptaufgabe der öffentlichen Banken ist die Versorgung der Bevölkerung mit Bankleistungen und damit verbunden die Förderung der lokalen Wirtschaft.

Ähnlich wie die öffentlichen Banken ist die dritte Säule, das genossenschaftliche Bankensystem, strukturiert. Die Besonderheit einer Genossenschaftsbank ist ihre Rechtsform, die Elemente einer Kapitalgesellschaft mit denen eines Vereins verbindet. Deren Hauptmerkmal ist die weitgehende Identität zwischen den Eigentümern und den Kunden. Die Aufgabe einer Genossenschaft besteht darin, die Wirtschaftstätigkeit ihrer Kunden/Ei gentümer zu fördern. Wie die der Sparkassen ist die Geschäftspolitik der Genossenschaftsbanken daher am "Stake holder-Value" und nicht am "Shareholder-Value" ausgerichtet.

Regionalprinzip als Basis für Kooperation in einem Verbund

Die zu der zweiten und dritten Säule gehörenden Banken, Verbände und sonstigen Unternehmen bilden in der idealtypischen Beschreibung eines Dreisäulensystems jeweils sogenannte Verbünde, Netzwerke verflochtener und kooperierender Organisationen, in denen gewisse Funktionen, bei denen die Nähe zu den Kunden wichtig ist, vor Ort von den rechtlich selbstständigen lokalen Instituten erfüllt werden, während andere von gemeinsamen zentralen Organisationen übernommen werden. Das erlaubt es dort, wo es sie gibt, Betriebsgrößenvorteile zu nutzen, um so im Wettbewerb mit den Großbanken zu bestehen.

Die Kooperation in einem Verbund kann freilich nur dann funktionieren, wenn sich die einzelnen lokalen Banken nicht gegenseitig als Konkurrenten empfinden und sich entsprechend verhalten. Dafür sorgt bei beiden Bankengruppen das sogenannte Regionalprinzip, das allerdings den Wettbewerb innerhalb der beiden Bankengruppen stark einschränkt.

Abschaffung des deutschen Dreisäulensystems?

Diese idealtypische Beschreibung eines Dreisäulensystems entspricht genau der Beschreibung des aktuellen deutschen Bankensystems. Deutschland hat ein solches System seit Jahrzehnten - und genau deshalb liegt es nahe zu fragen, ob es noch zeitgemäß ist und in ein Europa passt, in dem die Bankpolitik, die Regulierung und Aufsicht und auch die Wettbewerbspolitik inzwischen weitgehend in die Zuständigkeit der EU fallen.

Was könnte für eine Abschaffung des deutschen Dreisäulensystems sprechen? Aus Raumgründen beschränken sich die folgenden Ausführungen darauf, die drei vermutlich wichtigsten Argumente zu nennen und zu überprüfen.

1. Offizielle politische Vorgaben: Man

kann unter einer "Harmonisierung der Bankenstruktur" in Europa eine weitgehende Angleichung der Bankenstrukturen in den Mitgliedsländern der EU verstehen. Da in anderen Ländern die Bankenstrukturen schon verändert und dabei weitgehend dem britischen Vorbild angepasst worden sind, würde eine Angleichung für Deutschland bedeuten, dass auch das Dreisäulensystem über kurz oder lang abzuschaffen ist.

Aber ist Harmonisierung als Angleichung überhaupt ein Ziel der EU-Politik? Faktisch wohl eher ja, denn vermutlich gibt es viele Bürokraten in den europäischen Institutionen - und gewiss gab es auch mehrere für die Bankpolitik zuständige EU-Kommissare - die Harmonisierung als Angleichung verstehen und als wünschenswert betrachten. Es würde ja ihre Arbeit beträchtlich erleichtern, wenn alle nationalen Bankensysteme und damit auch alle Banken weitgehend gleich wären.

Aber offizielle EU-Politik ist Harmonisierung als Anpassung nicht. Im Gegenteil: In der "Lisbon Agenda" von 2000 ist nachzulesen, dass Vielfalt ein Charakteristikum und eine Stärke Europas im internationalen Wettbewerb sei und dass deshalb die Bewahrung der Vielfalt ein hochrangiges Ziel der EU-Politik bilde. Insofern passt die Bewahrung des deutschen Dreisäulensystems sogar geradezu ideal in die offizielle Politik der EU.

2. Mangelnde Überlebensfähigkeit: Für eine Abschaffung des deutschen Dreisäulensystems könnte sprechen, dass als Folge der europäischen Integration, der weltweiten Liberalisierung und der Globalisierung der Wettbewerb im Finanzsektor zugenommen hat. Es könnte sein, dass in diesem veränderten Umfeld kleine lokal ausgerichtete Banken nicht überlebensfähig sind.

Verbünde durchaus wettbewerbs- und überlebensfähig

Natürlich kommt es darauf an, wie in einem Land die "Säulen" 2 und 3 und die zu ihnen gehörenden Banken operieren, welches Geschäftsmodell sie verfolgen, wie sie geführt, reguliert und kontrolliert werden und ob sie Teile eines funktionierenden Verbundes sind. In vielen der Länder, in denen ein früheres Dreisäulensystem abgeschafft worden ist, waren Banken vom Typ einer Sparkasse oder einer Genossenschaftsbank oft nicht gut organisiert, geführt, reguliert und überwacht oder sie waren nicht Teil eines funktionierenden Verbundes, und deshalb erschienen sie nicht überlebensfähig.

Es mag klug gewesen sein, diese Banktypen - und mit ihnen das Dreisäulensystem - abzuschaffen, wenn sich die angesprochenen Missstände anders nicht beheben ließen. Aber für die Diskussion über das deutsche Bankensystem zieht auch dieses Argument nicht. Die kleinen lokalen Banken der Säulen 2 und 3 sind durchaus wettbewerbs- und überlebensfähig. Das belegt allein der Umstand, dass es sie seit 200 beziehungsweise 170 Jahren gibt und dass sie sich in dieser Zeit sehr stark entwickelt haben.

3. Mangelnde Effizienz: Bankpolitisch relevant und verbreitet ist auch die noch weiter gehende Vorstellung, dass ohnehin nur private Großbanken und einige Nischenanbieter effizient sein können und dass ein von Großbanken dominiertes Bankensystem auch gesamtwirtschaftlich besser sei als ein Dreisäulensystem. Diese Vorstellung scheint nach wie vor die praktizierte Politik der EU und des Internationalen Währungsfonds zu prägen und sie könnte dazu motivieren, das deutsche Dreisäulensystem sanft, aber konsequent verschwinden zu lassen.

Generell davon auszugehen, dass öffentliche Banken notorisch ineffizient, korrupt und überpolitisiert sind, wie man es in einflussreichen akademischen Publikationen amerikanischer Autoren (insbesondere La Porta u. a. im Journal of Finance 2002) nachlesen kann und wie es wohl nach wie vor beim IWF gesehen wird, und dass relativ kleine öffentliche und genossenschaftliche Banken, die zudem nicht nur gewinnorientiert arbeiten, allein wegen ihrer Größe ohnehin nicht wettbewerbsfähig sein können, entbehrt in dieser Allgemeinheit einer soliden ökonomischen Grundlage. Gewiss, jede kleine lokale Bank wäre, auf sich allein gestellt, nicht überlebensfähig, aber als Teil eines funktionierenden Verbundsystems sind es Sparkassen und Genossenschaften durchaus. Das zeigt das deutsche Beispiel sehr gut.

Großbanken mit starken Schwankungen der Kennziffern

Man kann die deutschen Bankengruppen, die über ausgedehnte Filialnetze verfügen, also die Großbanken und die örtlichen Sparkassen und Genossenschaftsbanken, anhand der gängigen Erfolgskennzahlen wie der Eigenkapitalrendite und der Aufwand-Ertrag-Relation vergleichen. Die Abbildung zeigt den empirischen Befund: Die deutschen "stakeholder-value-orientierten" Banken (als Gruppe) sind auf mittlere Sicht finanziell keineswegs weniger erfolgreich, vermutlich sogar erfolgreicher als die "shareholder-value-orientierten" Großbanken. Nur in einer Hinsicht gibt es einen markanten Unterschied: Die Erfolgsziffern der Großbanken variieren im Zeitablauf viel stärker als die der lokalen Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Das deutet darauf hin, dass sie auch riskanter sind. Dies gilt nicht nur für die Zeit vor der Finanzkrise, sondern erst recht während und nach der Krise.

Was spricht für die Erhaltung des deutschen Dreisäulensystems?

Für bankpolitische Entscheidungen reicht der Blick auf den finanziellen Erfolg der einzelnen Bankengruppen nicht. Er muss sich auch auf ihre volkswirtschaftliche Rolle richten. In den Ländern, in denen es fast nur noch rein gewinnorientierte Banken gibt, stellen die Versorgung der Bevölkerung mit Bankleistungen in abgelegenen Regionen und die Kreditversorgung kleiner und mittelgroßer Unternehmen immer wieder thematisierte Probleme dar, wie das Beispiel Großbritanniens zeigt. Diese Probleme dürften sich durch die Abschaffung des Dreisäulensystems eher noch verstärkt haben, wie man im Falle von Italien und Spanien belegen kann.

In Deutschland und Österreich gibt es diese Diskussion nicht, weil es das Problem nicht gibt. Anders als die Großbanken, die sich immer mehr aus dezentralen Regionen zurückziehen und dort ihre Filialen schließen, sind Sparkassen und Genossenschaftsbanken nach wie vor in allen Teilen des Landes vertreten. Und anders als einige Großbanken haben sie in der Krise auch ihre Kreditvergabe nicht eingeschränkt, sondern sie sogar ausgebaut und so dazu beigetragen, dass sich die gesamtwirtschaftlichen Folgen der Finanzkrise in Deutschland in Grenzen gehalten haben. Sie erfüllen damit eine regionalpolitische Ausgleichsfunktion und wirken gesamtwirtschaftlich stabilisierend.

Dezentrale, kleine und nicht primär gewinnorientierte Banken neigen auch weniger als von Aktionärsinteressen bestimmte Großbanken dazu, hohe Risiken einzugehen, die in einer Krise schlagend werden. Der Grund dafür ist, dass eine die Chancen und Risiken erhöhende Geschäftspolitik einer Bank im Interesse der Eigentümer liegt. Eigenkapital hat finanzökonomisch betrachtet den Charakter einer Option: Ihr Wert steigt mit steigendem Risiko des "underlying asset". Wie die amerikanischen Ökonomen Beltratti und Stulz (im Journal of Financial Economics 2010) zeigen konnten, waren bei Banken, in denen der Einfluss der Eigentümer auf die Geschäftsführung stärker ist, die Erträge in den Vorkrisenjahren ebenso wie die Verluste in den Krisenjahren größer als bei Banken, in denen das Management eher unabhängig von den Aktionären handeln kann. Es ist eine Folge ihrer jeweiligen Corporate Governance, dass in den deutschen Sparkassen und Genossenschaftsbanken der Einfluss von Eigentümern auf die Geschäftsführung gering ist.

Entsprechend haben diese Banken in der Krise eher risikovermeidend gehandelt und damit das gesamte deutsche Finanzsystem in der Krise stabilisiert. Verallgemeinernd kann man vermuten, dass ein Dreisäulensystem weniger krisenanfällig ist als ein Bankensystem mit weitgehend nur privaten, strikt gewinnorientierten Banken. Das spricht für seine Bewahrung.

Ein komplexes Bankensystem als wertvolles Sozialkapital

Als letztes Argument für die Erhaltung des deutschen Dreisäulensystems sei hier das des Sozialkapitals angeführt. In vielen Teilen der Welt funktionieren öffentliche und genossenschaftliche Finanzinstitute nicht gut. Sie laden geradezu ein zum politisch-wirtschaftlichen Machtmissbrauch beziehungsweise zur Usurpation und Ausnutzung durch lokale Machteliten. Es ist wertvoll zu wissen, wie diese Gefahren vermieden werden können und wie solche Finanzinstitutionen so gestaltet, geführt, reguliert und beaufsichtigt werden können, dass sie für breite Bevölkerungskreise, für das gesamte Finanzsystem und für die Gesamtwirtschaft vor allem Vorteile mit sich bringen. Dieses Wissen ist über lange Jahrzehnte entstanden und es stellt einen Teil des europäischen Sozialkapitals dar. Würde man Dreisäulensysteme auch dort, wo es sie noch gibt, abschaffen, bestünde die Gefahr, dass dieses Sozialkapital unwiederbringlich verloren wäre. Das sollte vermieden werden, zumal angesichts der Tatsache, dass - erst recht jetzt nach der Finanzkrise - niemand weiß und man auch nicht wissen kann, ob ein Bankensystem, das dem Dreisäulenmodell entspricht, auf Dauer in vielen Hinsichten besser ist als eines, das durch große private und nur den Aktionärsinteressen verpflichtete Banken geprägt ist.

Ein klares Fazit für Deutschland - aber nicht auf Europa übertragbar

Die von der Redaktion dieser Zeitschrift vorgeschlagene Titelfrage dieses Beitrags wurde dafür genutzt, die wichtigsten Argumente, die für eine Abschaffung des deutschen Dreisäulensystems zu sprechen scheinen, kritisch zu hinterfragen: Weder politische Vorgaben der EU sprechen für eine Abschaffung noch sind die Vermutungen, dass Netzwerke eher kleiner dezentraler Banken wirtschaftlich auf Dauer nicht überlebensfähig wären oder dass sie im Vergleich zu Großbanken nicht effizient wären, im deutschen Fall zutreffend. Deshalb sind sie auch kein Grund, warum man sich von dem deutschen Dreisäulenmodell verabschieden sollte.

Daneben gibt es auch auf die Gesamtwirtschaft und das gesamte Finanzsystem bezogene positive Argumente, die für die Beibehaltung sprechen: das der besseren Versorgung breiter Bevölkerungskreise und der in Deutschland so wichtigen kleinen und mittleren Unternehmen mit Krediten und anderen Finanzdienstleistungen und das der höheren Stabilität eines auf drei Säulen aufgebauten Finanzsystems. Die Antwort auf die im Titel dieses Beitrags aufgeworfene Frage ist deshalb ein entschiedenes Nein.

Fast alle vorgetragenen Argumente beziehen sich auf das deutsche Dreisäulensystem. Auf die spezifisch deutschen Verhältnisse kommt es dabei entscheidend an. Das Plädoyer für die Erhaltung des Dreisäulensystems lässt sich deshalb nicht auf andere Länder übertragen. Ein entsprechendes Urteil über andere Länder in Europa würde eine wesentlich differenziertere Analyse erfordern, als dieser kurze Artikel leisten kann.

* Der Beitrag stützt sich auf zahlreiche Arbeiten, die der Verfasser allein oder mit den Koautoren R. Ayadi, P. Behr, D. Bülbül, H.-H. Kotz, F. Noth und U. Schüwer veröffentlicht hat. Nachweise findet man auf seiner Homepage am House of Finance der Goethe-Universität.

Prof. Dr. Reinhard H. Schmidt Goethe-Universität, Frankfurt am Main*

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