Aufsätze

Die chinesischen Banken - Bewegung auf dünnem Eis

Die chinesischen Banken sind die großen Gewinner der Finanzkrise. Gerade jüngst hat die größte chinesische Bank, die Industrial and Commercial Bank of China (ICBC), gemeldet, dass ihr Gewinn im ersten Halbjahr 2011 um fast 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen ist. Mit einer durchschnittlichen Eigenkapitalrendite von mehr als 25 Prozent seit ihrem parallelen Börsengang in Shanghai und Hongkong im Oktober 2006, ist die Bank den von Finanz- und Staatsschuldenkrise geschüttelten westlichen Banken deutlich überlegen. Tatsächlich ist die ICBC mittlerweile zur profitabelsten Bank der Welt aufgestiegen. Ein Zufall? Keineswegs!

Investitionen in ausländische Institute

Dass es bei den chinesischen Banken gut läuft, ist spätestens seit der letzten großen Bankenreform in China in den Jahren 2005 und 2006 kein Einzelfall. Auch die vier anderen großen chinesischen Banken - China Construction Bank (CCB), Bank of China (BOC), Agricultural Bank of China (ABC) und Bank of Communications (BoCom) verzeichnen seit Jahren Rekordgewinne und haben ihre westlichen Wettbewerber von der Weltspitze verdrängt (Abbildung 1).

Heute sind es die chinesischen Banken, die in ausländische Institute investieren und nicht mehr umgekehrt wie noch vor der Krise. Besagte ICBC hat im Jahr 2008 beispielsweise 20 Prozent an der Standard Bank Group - der größten Bank in Afrika gekauft und in 2009 mit 70 Prozent die Mehrheit an der Bank of East Asia Canada übernommen. Es wird sicherlich nicht mehr lange dauern bis sich chinesische Banken auch in Europa und den USA in den Bankenmarkt einkaufen. Was steckt hinter diesem Erfolg? Ein Erfolgsgeheimnis chinesischer Banken ist sicherlich die kluge Politik einer graduellen Bankenreform, die sich von der "Big Bang"-Politik anderer Transformationsstaaten abgrenzt. Statt rascher Deregulierung und Privatisierung eher vorsichtiges Herantasten an die Spielregeln der Marktwirtschaft. Das ist die Maxime der chinesischen Reformpolitik - nicht nur im Bankensektor. Manchen Beobachtern mag dies zu langsam gehen, im Resultat hat es aber die chinesischen Großbanken an die Weltspitze geführt und immun gegenüber der Finanzkrise gemacht.

Insbesondere in den letzten zehn Jahren hat die chinesische Regierung massive Ressourcen in die Bankenreform gesteckt und den ganzen Sektor von Grund auf erneuert. Um die noch vom Monobankensystem geprägten großen Staatsbanken zu sanieren, wurden bereits im Jahr 1999 vier staatliche Vermögensgesellschaften gegründet und fast 140 Milliarden Euro notleidende Kredite an diese ausgelagert. Darüber hinaus wurden die Staatsbanken 2003 in Aktiengesellschaften umgewandelt und mit umgerechnet knapp 50 Milliarden Euro rekapitalisiert.

Auch das Problem des mangelnden Knowhows in den Banken wurde angegangen. Dazu wurde ausländischen Finanzdienstleistern die Erlaubnis erteilt, in chinesische Banken zu investieren, allerdings mit einer Obergrenze von maximal 20 Prozent für ausländische Investoren und 25 Prozent für alle ausländischen Beteiligungen an einem Institut.

Erfolgreiche Bankenreform

Von deutscher Seite wurde diese Gelegenheit von der Allianz, der Deutschen Bank sowie der DEG, Tochter der KfW-Bankengruppe, wahrgenommen. Im Zusammenhang mit den ausländischen Investitionen wurden die großen Staatsbanken teilprivatisiert und an den Börsen in Shanghai und Hongkong notiert.

Die Erfolge der chinesischen Bankenreform können sich sehen lassen. Nicht nur ist die Profitabilität des gesamten Bankensektors stark gestiegen, auch die Quote der notleidenden Kredite hat dramatisch abgenommen von noch 30 Prozent im Jahr 2001 auf rund sieben Prozent in 2006 bis unter vier Prozent heute. Die großen Staatsbanken selbst haben die Quote unter zwei Prozent gedrückt bei einer durchschnittlichen Kernkapitalquote von aktuell annähernd neun Prozent.

Allerdings ist der Reformbedarf des chinesischen Bankensektors nach wie vor hoch. Das gilt sowohl für die gesamte Industrie wie auch für die Geschäftsmodelle der Banken. Grundsätzlich steckt die Entwicklung des chinesischen Bankensektors immer noch in den Kinderschuhen. Beispielsweise existiert kein freies Zinssystem, und das Geschäftsmodell der Banken ist weitestgehend auf das klassische Einlagen- und Kreditgeschäft beschränkt. Auch ist die Marktstruktur oligopolistisch und wird mit über 50 Prozent Marktanteil - gemessen am Aktivgeschäft - von den großen Staatsbanken dominiert. Private Geschäftsbanken, wie beispielsweise Chinas erfolgreichste Bank, die China Merchants Bank mit Sitz in Shenzhen, verfügen hingegen nur über einen Marktanteil von knapp 15 Prozent.

Weiterhin hoher Reformbedarf ineffiziente Großbanken

Auch von den ausländischen Wettbewerbern droht den chinesischen Banken wenig Konkurrenz. Mit einem Marktanteil von unter zwei Prozent sind sie ihren lokalen Wettbewerbern hoffnungslos unterlegen (Abbildung 1). Allerdings bleibt auch für sie das Bankgeschäft in China lohnend. So ist im letzten Jahr der durchschnittliche Gewinn ausländischer Banken mit eigener Rechtspersönlichkeit in China um durchschnittlich 24 Prozent im Jahresvergleich gestiegen. Die chinesischen Banken waren hingegen noch erfolgreicher. Ihr Gewinn stieg um durchschnittlich 36 Prozent.

Trotz aller Fortschritte insbesondere im Risikomanagement und im Corporate Governance gibt es immer noch hohe Ineffizienzen in den chinesischen Banken. Die Produktivität ihrer Mitarbeiter liegt immer noch deutlich unter der ihrer westlichen Wettbewerber, bedingt durch den Einsatz veralteter Technologien, unmoderner Organisationssysteme und mangelnder Ausbildung des Personals. Beispielsweise ist gemessen an der Größe des Aktivgeschäfts der Personalbestand in chinesischen Banken rund dreimal höher als in Deutschland. Skalenerträge und Verbundeffekte sind die Ausnahme, nicht die Regel. Die Aufbauorganisation ist rückständig und folgt nach wie vor dem Regionalprinzip mit weitgehend autonom operierenden, regionalen Filialen. Jetzt erst beginnen die großen chinesischen Banken zentral gesteuerte Produktlinien und Geschäftsfelder in einem integrierten IT-System aufzubauen.

Umso erstaunlicher ist es, dass die chinesischen Banken so profitabel sind. Eine naheliegende Erklärung ist natürlich die Festschreibung der Einlagen- und Kreditzinsen und damit der Zinsmarge durch die chinesische Zentralbank.

Dazu muss man wissen, dass chinesische Banken über 80 Prozent ihrer Erträge im Kreditgeschäft erwirtschaften; deutlich mehr als die 50 Prozent, die als internationaler Durchschnitt gelten. Gleichzeitig sind die Refinanzierungskosten niedrig, da Einlagen bedingt durch die Nicht- Konvertibilität des chinesischen Yuan und die Unreife der Kapitalmärkte im Überfluss vorhanden sind. Beispielsweise existiert nach wie vor kein inländischer Markt für Unternehmensanleihen. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass die chinesischen Großbanken in den Jahren 2003 bis 2009 eine durchschnittliche Zinsmarge von 2,61 Prozent erwirtschafteten, etwa doppelt soviel wie ihre internationalen Wettbewerber im gleichen Zeitraum (Abbildung 2).

Die von der Zentralbank betriebene Zinsfestschreibung verfolgt vor allem das Ziel, diejenigen Teile des chinesischen Bankensektors vor Wettbewerb und sinkenden Zinsmargen zu schützen, die noch nicht, wie die chinesischen Großbanken, reformiert worden sind. Das betrifft insbesondere die sogenannten City Commercial Banks (Städtische Banken), die in etwa den Sparkassen in Deutschland entsprechen und über einen Marktanteil von rund sieben Prozent verfügen sowie den mehr als 2600 Genossenschaftsbanken, die über das große Land verteilt sind.

Die tatsächlichen Gewinner dieser Politik sind aber die chinesischen Großbanken. Ihre durchschnittliche Gesamtkapitalrendite betrug in den Jahren 2003 bis 2009 rund 0,81 Prozent, was, in Analogie zur Zinsmarge, etwa dem Doppelten vergleichbarer Banken aus dem Westen entspricht.

Was würde passieren, wenn die Zinsmarge chinesischer Großbanken auf das Niveau westlicher Banken absinken würde? Eine Szenarioanalyse zeigt, dass unter dieser Bedingung, die Kosten-Ertrags-Relation der chinesischen Banken zwar von jetzt 42,29 Prozent auf dann 48,66 Prozent steigen würde, aber erstaunlicherweise immer noch deutlich unter dem durchschnittlichen Niveau vergleichbarer westlicher Banken von knapp 70 Prozent liegen würde. Auch würde die Gesamtkapitalrendite chinesischer Banken nicht unter das durchschnittliche, internationale Niveau sinken, wenn die Zinsmarge mit dem westlichen Niveau vergleichbar wäre. Damit wird klar, dass die garantierte Zinsmarge nicht der einzige Grund sein kann, der die hohe Profitabilität der chinesischen Banken bei gleichzeitigen Ineffizienzen erklären kann. Was kommt hinzu?

Der wichtigste Faktor sind die sehr niedrigen Personalkosten. Sie machen nur 0,55 Prozent der Bilanzsumme der chinesischen Banken aus, im Vergleich zu 0,73 Prozent vergleichbarer westlicher Banken. Beispielsweise hatte die ICBC zum Jahresende 2010 fast 400 000 Angestellte, während bei der Deutschen Bank gut 100 000 Menschen weltweit beschäftigt waren. Die gesamten Personalkosten der ICBC waren mit ausgewiesenen 53,375 Milliarden Euro jedoch deutlich niedriger als die 76,500 Milliarden Euro der Deutschen Bank. Die durchschnittlichen Personalkosten der Deutschen Bank waren also um mehr als das sechsfache höher als bei der ICBC. Ein gewaltiger Unterschied, der die überraschende Gleichzeitigkeit hoher Gewinnmargen mit geringer Effizienz gut erklärt.

Ende des goldenen Zeitalters

Wenn man annimmt, dass sich nicht nur die Zinsmarge chinesischer Banken auf ein international vergleichbares Niveau reduziert, sondern auch die Personalkosten hypothetisch um 30 Prozent steigen würden, hätte dies zur Folge, dass die derzeitige Gesamtkapitalrendite der chinesischen Großbanken von 0,81 Prozent auf 0,34 Prozent sinken würde und damit unterhalb des internationalen Durchschnitts westlicher Großbanken von 0,41 Prozent.

Ein solches Szenario ist keineswegs realitätsfern. Tatsächlich wird erwartet, dass die Personalkosten im Bankensektor in den kommenden Jahren durchschnittlich jährlich um rund zehn Prozent wachsen werden. Das gilt insbesondere für die Städte an der Ostküste des Landes wie das Finanzzentrum Shanghai, aber auch Peking und Shenzhen. Auch geht der Reformprozess weiter. Im neuen, diesen März verabschiedeten Fünf-Jahresplan der Regierung wird festgehalten, dass "die Marktorientierung der Zinsen" in Verbindung mit der Freigabe der Währung zügig voranschreiten soll.

Es scheint, dass sich das goldene Zeitalter der chinesischen Großbanken mit der Kombination aus festgeschriebener Zinsmarge, niedrigen Personalkosten und oligopolistischen Marktstrukturen dem Ende zuneigt. Wie werden sie auf diese Herausforderungen reagieren?

Trend zu Universalbanken

Die Schwäche des Geschäftsmodells der chinesischen Banken ist sicherlich die überaus große Abhängigkeit von der Zinsmarge bei gleichzeitig niedrigen Provisionseinnahmen. Der Anteil der Provisionsgeschäfte an den gesamten Umsätzen hat sich in den letzten fünf Jahren jedoch verdoppelt. Insbesondere die BOC mit traditionell starker Präsenz im Investment Banking hat den Anteil von Provisionsgeschäften auf rund 30 Prozent gesteigert. Ähnliches gilt, wenn auch nicht so rasant, für die anderen Großbanken. Im Durchschnitt liegt der Anteil der Provisionseinnahmen heute bei rund 20 Prozent an allen Einnahmen.

In diesen Zahlen kommt zum Ausdruck, dass die chinesischen Großbanken schon seit einiger Zeit dabei sind ihr Geschäftsmodell zu verbreitern, weg vom klassischen Einlagen- und Kreditgeschäft, hin zum Privatkundengeschäft mit Asset Management und Allfinanz. Dieser Trend wird begünstigt durch den Wandel des regulatorischen Umfeldes. So dürfen sich beispielsweise die chinesischen Großbanken seit dem Jahr 2005 an Fondsgesellschaften und seit 2009 auch an Versicherungsgesellschaften beteiligen. Heute werden bereits mehr als 60 Prozent aller Fondsprodukte über die großen Geschäftsbanken vertrieben, deren starke Kundenpräsenz bedingt durch ein dichtes Filialnetz in einem Land von der Größe Chinas einen unschätzbaren Vertriebsvorteil darstellt.

Berechnungen zeigen, dass bei einer Verdoppelung des jetzigen Anteils der Erträge aus dem Provisionsgeschäft an den Gesamterträgen, die Gesamtkapitalrendite der chinesischen Großbanken wieder über das Niveau des Durchschnitts vergleichbarer, westlicher Großbanken steigen würde. Das gilt auch unter der Annahme, dass die Zinsmarge auf das international übliche Niveau sinkt und die Personalkosten um die besagten 30 Prozent steigen.

Nach 30 Jahren Reformpolitik mit volkswirtschaftlichen Wachstumsraten von durchschnittlich zehn Prozent, ist der chinesische Bankenmarkt zum dynamischsten Bankenmarkt der Welt aufgestiegen. Parallel dazu haben sich die staatseigenen, chinesischen Großbanken an die Weltspitze vorgearbeitet, begründet in einer klugen Politik der Bankenreform in Verbindung mit einem Marktumfeld, das das klassische Bankengeschäft stark begünstigt.

Bisher ist hohe Profitabilität der chinesischen Großbanken vor allem getragen durch eine festgeschriebene Zinsmarge und sehr niedrige Personalkosten. Diese Faktoren überkompensieren Ineffizienzen und die vergleichsweise niedrige Produktivität des inländischen Bankensektors.

Wandel im Wettbewerb?

In einem zukünftig liberalisierten Marktumfeld werden diese "windfall profits" allerdings sukzessive verschwinden. Die chinesischen Banken reagieren darauf mit einem Wandel ihres Geschäftsmodells in Richtung Universalbanken. Diese ergänzen das klassische Einlagen- und Kreditgeschäft durch Asset Management und Fondsgesellschaften sowie Elementen von Allfinanz. Parallel dazu sind sie dabei, ihre Organisationsstruktur an internationale Standards anzupassen und Ineffizienzen und redundante Arbeitsprozesse zu bereinigen.

Es ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt schwer einzuschätzen, wie erfolgreich die chinesischen Banken diese Herausforderungen meistern werden. Nimmt man allerdings die letzten zehn Jahre als Maßstab, würde es nicht verwundern, wenn sie auch in Zukunft ihre Position an der Weltspitze halten würden, trotz eines wettbewerbsintensiveren Marktumfeldes in ihrem Heimatmarkt.

Anfang 2012 erscheint das von Prof. Horst Löchel herausgegebene Buch "China's Changing Banking Industry", das die aktuellen Entwicklungen des chinesischen Bankensektors und der chinesischen Banken in Aufsätzen namhafter chinesischer und ausländischer Experten analysiert. Vorbestellungen über

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