Gespräch des Tages

ICBC - Doppel-IPO in China

Dietmar K.R. Klein, Bundesbankdirektor a.D., Frankfurt am Main, schreibt der Redaktion: "Seit dem 27. Oktober wird die Aktie der größten Geschäftsbank Chinas an den Börsen in Hongkong und Schanghai über den Emissionspreisen notiert. Der Doppel-IPO der Industrial and Commercial Bank of China (www.icbc.com.cn) schlägt dem Volumen nach alle Weltrekorde. Er ist ein weiterer signifikanter Meilenstein auf dem Weg zu einem funktionsfähigen chinesischen Kapitalmarkt. Seit 2005 konnten unter anderem bereits drei große Geschäftsbanken (Bank of Communications, China Construction Bank und Bank of China, siehe Kreditwesen 7-2005 und 8-2005 sowie 4-2006) in staatlicher Hand erfolgreich teilprivatisiert werden. In den letzten zwölf Monaten gehörte der Kapitalmarkt in Schanghai und Shenzhen mit einem Kursgewinn von etwa 50 Prozent zu den größten Kursgewinnern in der Welt, nachdem er sich in den Jahren zuvor - im Gegensatz zum stark ansteigenden Trend an den Weltbörsen seit 2003 - im Wert fast halbiert hatte. Zu dieser Wende haben sowohl offizielle Kapitalmarktreformen in Richtung verbesserter Transparenz als auch die Tatsache beigetragen, dass das chinesische Wirtschaftswachstum seit Jahren die Marke von zehn Prozent übersteigt und die Gewinne der zumeist exportorientierten Unternehmen überproportional zugenommen haben.

Bislang müssen sich chinesische wie internationale Anleger damit abfinden, dass es A-Aktien (in Renminbi Yuan) und B-Aktien (in Devisen) an den Börsen in Schanghai und Shenzen gibt, die grundsätzlich nur von inländischen Anlegern gekauft und verkauft werden können. Hinzu kommen H-Aktien in der Sonderverwaltungszone Hongkong, die internationalen Investoren in Hongkong Dollar zugänglich sind. Ziel der Behörden in Beijing ist es, dass die beiden Wertpapiermärkte, die noch durch Kapitalverkehrskontrollen getrennt sind, langsam zusammenwachsen.

In der mehrjährigen Vorbereitungsphase ist die Zahl der Geschäftsstellen der ICBC auf etwa 18 000 Ende 2005 reduziert worden, verglichen mit der Höchstzahl von etwa 37 000 Ende der Neunzigerjahre. Dementsprechend nahm die Zahl der Beschäftigten von 560 000 auf 360 000 ab. Mit 163 Milliarden US-Dollar hat der Staat direkt oder über eine Verlagerung von Problemkrediten in eine Asset Management Company (China Huarong Asset Management) dem Institut unter die Arme gegriffen. Das Volumen der faulen Kredite ist nach offiziellen Daten auf rund fünf Prozent des Kreditportfolios zurückgeführt worden, nicht zuletzt auch mit Hilfe einer Politik großzügig festgelegter Zinsmargen seitens der Zentralbank (PboC). Ende Juni dieses Jahres setzten sich 95,2 Prozent des Portfolios aus Krediten zusammen, die seit dem 1. Januar 1999 vergeben wurden und von denen nur 1,86 Prozent notleidend geworden seien.

Das Bilanzvolumen ist allein 2005 um 27 Prozent auf 7 065 Milliarden RMB (893 Milliarden US-Dollar, 710 Milliarden Euro) angestiegen. Im Vorfeld des Börsenganges wurden 2005 etwa zehn Prozent des Kapitals der ICBC von drei strategischen Auslandsinvestoren erworben (Goldman Sachs sieben Prozent, Allianz-Gruppe 2,5 Prozent und American Express 0,5 Prozent), während sich im Inland der Sozialversicherungsfonds frühzeitig engagiert hat. Arrangiert wurde die Doppelemission von Merrill Lynch, Credit Suisse, Deutsche Bank und zwei chinesischen Investmentbanken, nämlich von ICEA, der Investmenttochter der ICBC, und von CICC, die zusammen nach Presseberichten mit Provisionen von rund 350 Millionen US-Dollar rechnen können.

Der Gesamterlös aus dem Börsengang einschließlich der Ausübung einer Mehrzuteilungsoption beträgt 21,9 Milliarden US-Dollar für 17 Prozent des Kapitals, davon 16 Milliarden US-Dollar in H-Aktien und der verbleibende Rest in A-Aktien, verglichen mit dem bisherigen Rekorderlös von 18,4 Milliarden US-Dollar bei der Emission von NTT Mobile-Aktien in Tokio im Oktober 1998. Im Juni 2006 erbrachte die Bank of China-Emission in Hongkong einen Erlös von 11,2 Milliarden US-Dollar, und im Juli in Schanghai von drei Milliarden US-Dollar, während das Volumen der China Construction Bank-Emission im Oktober 2005 in Hongkong 9,2 Milliarden US-Dollar erreichte.

Gut die Hälfte der A-Aktien-Tranche wurde für strategische institutionelle Investoren reserviert. Aufgrund der überaus starken Nachfrage wurden die Emissionspreise mit 3,12 RMB Yuan beziehungsweise 3,07 Hongkong Dollar am oberen Ende der wertmäßig identischen Preisspannen festgesetzt. Die Endkurse am Eröffnungstag lagen in Hongkong um knapp 15 Prozent und in Schanghai um gut fünf Prozent über dem Emissionspreis, was knapp dem Zweieinhalbfachen des für 2006 geschätzten Buchwertes entspricht. Damit gehört die ICBC mit der BoC und der China Merchants Bank zu den zehn chinesischen Unternehmen mit Doppelnotierungen, die in Hongkong mit einer Prämie gehandelt werden, während die Aktien von weiteren 23 chinesischen Unternehmen vergleichsweise höhere Preise in Schanghai erzielen.

Inmitten aller Börseneuphorie gibt es aber auch kritische Stimmen. Sie verweisen darauf, dass der niedrige Anteil bedrohter Kredite (NPL Loans) in Höhe von 5,5 Prozent per 30. Juni 2006 laut Börsenprospekt nur durch mehrere staatliche Kapitalhilfen und Ablösungen von NPL-Krediten in der jüngeren Vergangenheit zustande gekommen ist. Ferner sei der Staat immer noch der Mehrheitseigner, der seine Machtstellung, insbesondere auf der Ebene der Provinzial- und Lokalbehörden, auch zukünftig missbrauchen könnte, um die ICBC zur Vergabe von Krediten an Staatsunternehmen (SOEs) zu nicht risikoadäquaten Konditionen zu veranlassen. Jedenfalls hat eine kürzliche IWF-Studie ergeben, dass die vom Staat beherrschten Großbanken erfolgreiche Kreditkunden tendenziell an kleinere und privatwirtschaftlich kontrollierte Banken verlieren und damit auch Marktanteile (Anteil der vier Großen zurzeit 53 Prozent), jedoch weiterhin in Provinzen mit wirtschaftlich dominanten SOEs und industriellen Großprojekten eine marktbeherrschende Stellung behaupten."

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