Die Rolle von Bargeld in der Geldtheorie und Geldpolitik

Prof. Volker Wieland, Ph. D., IMFS-Stiftungsprofessor für Monetäre Ökonomie, und Geschäftsführender Direktor des IMFS (Institute for Monetary and Financial Stability), Frankfurt am Main, Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Wiesbaden - Ob und inwieweit die Einstellung der Produktion der 500-Euro-Noten der Vermeidung von organisierter Kriminalität dient, lässt sich aus Sicht des Autors kaum mit konkreten Zahlen belegen. Er warnt aber davor, die Funktion des Bargeldes als Wertaufbewahrungsmittel zu unterschätzen. Dabei zeigt er sich überzeugt, dass die Geldpolitik ihre Ziele auch erreichen kann, ohne die Verfügbarkeit von Bargeld einzuschränken. Mit Blick auf die Rolle der Bargeldhaltung als Ursache für die Zinsuntergrenze in der Geldpolitik verweist er auf Forschungsarbeiten in den Jahren vor der jüngsten Finanzkrise sowie auf die Erfahrungen mit diversen Wertpapierankaufprogrammen in den vergangenen zehn Jahren. (Red.)

In diesem Beitrag werden drei Punkte angesprochen: die Funktionen des Bargeldes, das Bargeld in der Theorie der Geldpolitik sowie abschließend die Bargeldhaltung als Ursache für die Zinsuntergrenze in der Geldpolitik.

Tauschmittel, Recheneinheit und Wertaufbewahrung

Funktionen des Bargeldes: Ökonomisch gesehen ist Bargeld zunächst ein Tauschmittel. In Deutschland können sich viele Bürger durchaus an Zeiten mit anderen Tauschmitteln erinnern, wie etwa Zigaretten. Zigaretten sind nicht nur recht gut haltbar und leicht, sondern haben zudem einen intrinsischen Wert. Da es eine stete Nachfrage nach Zigaretten durch Raucher gibt, findet man immer einen Abnehmer. Das Bargeld ist noch widerstandsfähiger und praktischer als Tauschmittel, aber es hat keinen vergleichbaren intrinsischen Wert. Eine weitere Funktion des Bargeldes ist der Einsatz als Recheneinheit. In Deutschland werden alle Preise in Euro ausgewiesen, in den Vereinigten Staaten in US-Dollar. Man könnte natürlich etwas anderes als Recheneinheit verwenden, zum Beispiel den Barrel Öl. Dann würde im Restaurant der Preis einer Tasse Kaffee eben in Barrel Öl ausgewiesen. Die dritte klassische Funktion ist die Wertaufbewahrung. In dieser Funktion ist es für den Nutzer von besonders großer Bedeutung, dass die Kaufkraft des Geldes über einen längeren Zeitraum stabil ist.

Weitere Funktionen, die über diese klassische Trilogie hinausgehen, betreffen die Rolle als gesetzliches Zahlungsmittel und als Einnahmequelle für den Staat. Die gesetzliche Regelung bedeutet zumindest, dass der Staat es zum Ausgleich von Forderungen einsetzt und annimmt. Ob er dies für private Nutzer jederzeit durchsetzen kann, hängt jedoch davon ab, dass das Vertrauen in die Währung nicht gestört ist. Das kann in Staaten geschehen, in denen zu viel Geld in Umlauf gebracht wird. Die Bereitstellung von Bargeld ist mit Einnahmen für den Staat verbunden. Bei einem 100-Euro-Schein liegen beispielsweise die Produktionskosten weit unter 100 Euro. Wird der Geldschein dann mit dem Nennwert von 100 Euro in Umlauf gebracht, bleibt ein Gewinn für den Staat, die sogenannte Seigniorage. Der Begriff ist vom französischen Wort "Seigneur" abgeleitet. Das ist der Feudalherr, der im Mittelalter das Münzprägemonopol hatte.

EZB-Ratsmitglied Yves Mersch hat auf einer früheren Bargeldkonferenz der Bundesbank am 19. Mai 2014 die Nutzung von Bargeld in Europa und im Euroraum folgendermaßen beschrieben: "Nur ein kleiner Teil des Bargeldumlaufs wird für die Abwicklung von Zahlungsvorgängen eingesetzt. Der weitaus größte Teil der 500-Euro-Scheine dient zur Wertaufbewahrung." Auch die Hälfte der 50-Euro-Scheine wird Mersch zufolge gehortet, dient also der Wertaufbewahrung. Lediglich ein Drittel des Eurobargeldumlaufs würden für Zahlungen im Euroraum genutzt und 40 Prozent als Wertreserve gehalten.

Ein Viertel aller Euronoten im Ausland genutzt

Laut Mersch wurde 2014 zudem ein Viertel aller Euronoten im Ausland genutzt. Das ist nicht überraschend. Wer in der Ukraine statt in Frankfurt lebt - vielleicht noch in der Nähe der Kriegszone - und sich Gedanken darüber machen muss, wie die Vermögenswerte aufbewahrt werden sollen, würde sich wohl ungern dem dortigen Bankensystem anvertrauen. Statt auf die ukrainische Währung oder den Rubel würde viel lieber auf Eurobanknoten oder Dollar zurückgegriffen. Die Nachfrage aus dem Ausland kommt daher nicht unbedingt von Kriminellen, sondern von Menschen, die sich in schwierigen Situationen befinden und für ihre Zukunft vorsorgen müssen.

Nun hat die Europäische Zentralbank (EZB) am 4. Mai 2016 beschlossen, die Ausgabe von 500-Euro-Noten zu beenden. Dies geschah mit folgender Begründung: "Damit hat der EZB-Rat Bedenken Rechnung getragen, dass diese Banknote illegalen Aktivitäten Vorschub leisten könnte." Diese Aussage ist doch recht seltsam. Die Entscheidung fußt offenbar nicht auf empirischer Evidenz, denn sie stellt eine Reaktion auf Bedenken dar, die Banknote könnte bei illegalen Aktivitäten verwendet werden. Zudem werden legale Verwendungszwecke anscheinend nicht berücksichtigt. Infolge dieser Entscheidung ist die Verfügbarkeit von 500-Euro-Banknoten als effizientes Wertaufbewahrungsmittel für große Beträge eingeschränkt. Seit 2010 schwankt der Bestand an 500-Euro-Noten um die 300 Milliarden Euro. Das sind etwa 27 Prozent des Bargeldumlaufs. Die 100-Euro-Noten liegen im Vergleich dazu bei etwa 200 Milliarden Euro. Um alle 500-Euro- Noten zu ersetzen, wären viele neue 100-Euro-Noten erforderlich. Das bringt Kosten mit sich.

Kaum konkrete Zahlen

Was das Thema Kriminalität angeht, ist es tatsächlich schwierig, konkrete Zahlen zu finden. Gemäß dem jährlichen Bericht des Bundeskriminalamts betrugen die festgestellten Erträge aus organisierter Kriminalität 2014 in Deutschland etwa 335 Millionen Euro. Wenn schätzungsweise zehn Prozent der Fälle aufgeklärt werden, ergibt das 3 Milliarden Euro Erträge aus organisierter Kriminalität. Natürlich erfordert ein guter Teil dieser Aktivitäten, wie zum Beispiel Onlinekriminalität, Anlage- oder Kreditkartenbetrug, kein Bargeld. In jedem Fall ist es trotz Produktionsstopp weiterhin problemlos möglich, alle Erträge dieser organisierten Kriminalität - wenn gewünscht - in 500-Euro-Noten zu parken, da genügend 500-Euro-Noten in Umlauf sind, um diese einstelligen Milliardenbeträge abzudecken.

Anders sieht es aus, wenn generell die Möglichkeit ins Auge gefasst wird, Sichteinlagen in Bargeld umzutauschen. Im Euroraum betrugen die (Over Night) Sichteinlagen Ende 2015 etwa 5 570 Milliarden Euro, bei der Geldmenge M3 sind es 10837 Milliarden. Würden nun die Besitzer der Sichteinlagen etwa 1 Prozent von ihren Girokonten abheben und in Bargeld anlegen, würden 55 Milliarden Euro in Bargeld benötigt. Das wird schon schwieriger. Dafür wäre ein Sechstel der noch umlaufenden 500-Euro-Noten notwendig oder mehr als ein Viertel der 100-Euro-Scheine. Die Notenbanken müssten bereitstehen, kurzfristig große Mengen zusätzlicher Banknoten in Umlauf zu bringen, um eine Beschränkung der Nutzbarkeit des Bargeldes als Wertaufbewahrungsmittel zu vermeiden.

Bargeld in der Theorie der Geldpolitik: Der zweite Punkt führt zum Bargeld in der Theorie der Geldpolitik. Präsident Weidmann hat schon den Zusammenhang von Geldpolitik und Preisstabilität angesprochen. Als Geldpolitik bezeichnet man alle Maßnahmen, die eine Zentralbank ergreift, um ihre Ziele - beispielsweise Preisstabilität - zu erreichen. Das Preisniveau ist der Preis der Güter und Dienstleistungen in einer Volkswirtschaft ausgedrückt in der Währung. Die Währung wird hier als Recheneinheit genutzt. Damit lässt sich zudem die Kaufkraft der Währung messen. Steigt das Preisniveau, fällt die Kaufkraft der Währung und umgekehrt. Demnach zielt eine Stabilisierung des Preisniveaus ebenso darauf hin, die Kaufkraft der Währung zu stabilisieren.

Es ist nahe liegend, dass die Kaufkraft der Währung mit der Menge an Geld, die - relativ zur Menge der produzierten Güter - in Umlauf gebracht wird, zusammenhängt. In einer Volkswirtschaft ohne Bankensystem entspräche der Bargeldumlauf der gesamten Geldmenge. Dann wäre es einfach, einen Zusammenhang zwischen dem Bargeld, der Geldmenge und dem Preisniveau herzustellen. In der modernen Volkswirtschaft gibt es keinen solchen Zusammenhang. Der Eins-zu-eins-Zusammenhang zwischen Bargeld und Geldmenge fällt weg, weil die Geldmenge gemessen nach Grad der Liquidität stark schwankt, und zwar unabhängig vom Bargeldumlauf. Vergleicht man beispielsweise die Wachstumsrate des Geldmengenaggregats M1, die Sichteinlagen und Bargeld umfasst, mit der des Bargeldumlauf, so wird direkt ersichtlich, dass kein stabiler Zusammenhang zwischen den Wachstumsraten der Geldmenge und des Bargeldumlaufs besteht. Die Entwicklung der Geldmenge ist primär getrieben von den Änderungen in den Einlagen bei den Banken.

Dagegen könnte man zwischen der Geldmenge insgesamt und dem Preisniveau eine Verbindung herstellen. Üblicherweise geschieht dies zunächst in Form einer Definitionsgleichung, nämlich der Quantitätsgleichung. Sie definiert die Umlaufgeschwindigkeit. Demnach entspricht die Geldmenge mal Umlaufgeschwindigkeit dem Preisniveau mal den Transaktionen. Nimmt man nun zudem eine konstante Umlaufgeschwindigkeit an, ergibt sich aus der Definitionsgleichung eine Theorie, die sogenannte Quantitätstheorie. Diese Theorie hat früher bei der Bundesbank eine größere Rolle im Zusammenhang mit der Geldmengensteuerung gespielt. Dahinter steht die Idee, dass die Geldmenge dann das Preisniveau bestimmt, wenn die Umlaufgeschwindigkeit und die Transaktionsnachfrage relativ konstant sind. Da die Transaktionen nur sehr schwer messbar sind, hat man die Gesamterträge der Wirtschaft, das Bruttoinlandsprodukt, als Maß genommen, so wie vorher beim Thema Kriminalität auf die Erträge statt die Transaktionen geschaut wurde.

Rolle der Geldmenge im Blick

Nach der Quantitätstheorie würde sich die Inflationsrate ungefähr gleich der Wachstumsrate der Geldmenge abzüglich der Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts entwickeln. Tatsächlich lässt sich dieser Zusammenhang empirisch nachweisen, und zwar im Rahmen sehr langfristiger Trends der Geldmengen- und Inflationsentwicklung. Darauf hat beispielsweise der Nobelpreisträger Robert Lucas anlässlich einer Konferenz der Europäischen Zentralbank hier in Frankfurt zu Ehren von Otmar Issing im Jahr 2006 hingewiesen (siehe Lucas 2007). Aus den Wachstumsraten der Geldmenge und des Preisniveaus können mittels ökonometrischer Filtermethoden langfristige Trends berechnet werden. Für die Vereinigten Staaten ebenso wie für Deutschland und den Euroraum ergeben sich dann mehrere parallele Auf- und Abschwünge im Zeitraum mehrerer Dekaden (siehe auch Beck und Wieland 2008).

In der gegenwärtig dominierenden Theorie der Geldpolitik - der sogenannten Neu-Keynesianischen Theorie der Geldpolitik - spielt jedoch die Geldmenge trotz des langfristigen empirischen Zusammenhangs, auf den Robert Lucas hingewiesen hat, keine Rolle. Diese Theorie besteht aus folgenden Bausteinen: Das Preisniveau ist temporär rigide, die Preise ändern sich also nur nach und nach in der Volkswirtschaft. Deswegen kann laut dieser Theorie die Notenbank nicht nur den Nominalzins, sondern auch den Realzins, also Nominalzins abzüglich der Inflationserwartung, beeinflussen. Der Realzins sollte für das Entscheidungsverhalten rationaler Konsumenten und Sparer die relevante Größe sein. Denn der Realzins misst die reale Kaufkraft der Zinserträge, und damit die Konsummöglichkeiten - nicht der Nominalzins.

Die Wirkungskette in dieser Theorie ist folgende: Die Notenbank kann über den Nominalzins den Realzins beeinflussen. Sie beeinflusst typischerweise die kurzfristigen Zinsen. Diese Maßnahmen entfalten jedoch eine Wirkung auf die längerfristigen Zinsen, da diese wiederum von den erwarteten zukünftigen Kurzfristzinsen abhängen. Damit übt die Notenbank einen Einfluss auf Konsum- und Investitionsnachfrage aus. Die Produktion der Unternehmen reagiert wiederum auf die Nachfrage, und je nachdem, ob die Nachfrage das Produktionspotenzial über- oder unterschreitet, erfolgt zudem eine Anpassung von Löhnen und Preisen. Wenn die Nachfrage sehr hoch ist, steigen die Löhne und dann steigen die Preise. Dementsprechend wird über diese Kanäle die Inflation beeinflusst. Diese Wirkungskette liefert die Grundlage der gängigen Theorie und Praxis der Inflationssteuerung, die von vielen Notenbanken explizit als Strategie verwendet wird.

In dieser Theorie spielt die Geldmenge keine Rolle und das Bargeld zunächst ebenso wenig. Die Elemente der Theorie sind eine Nachfragekurve, die das Gleichgewicht zwischen Ersparnis und Investition regelt, und eine Phillips-Kurve, die einen Zusammenhang zwischen der Inflationsrate und der Lücke zwischen Gesamtnachfrage und gesamtwirtschaftlichem Produktionspotenzial herstellt. Geld dient zwar als Recheneinheit in dieser Theorie - nominale Preise werden in Euro oder Dollar gemessen - aber in diesem Ansatz taugt Geld nicht zur Wertaufbewahrung. Es wird dominiert durch verzinste Anlagen, die - in normalen Zeiten zumindest - einen Zins abwerfen.

Somit gibt es keine Nachfrage nach Bargeld zum Zweck der Wertaufbewahrung. Mittels eines sogenannten "Cash in advance constraint", also Vorabzahlung mit Bargeld, kann die Funktion als Tauschmittel berücksichtigt werden. Mittels solch einer Beschränkung kann man Bargeld und Geld als Tauschmittel in diese Modelle der Theorie der Geldpolitik einführen und eine Geldnachfrage herleiten. Diese Geldnachfragekurve lässt sich zudem empirisch schätzen, und zwar genauso gut oder schlecht wie die Konsum- und Investitionsnachfrage oder die Phillips-Kurve. Sie dient zur Bestimmung des Geldmengenwachstums, hat aber keinen direkten Einfluss auf das Wirtschaftswachstum oder die Inflation.

Volkswirtschaft ohne Bargeld

Deswegen überrascht es nicht, dass Michael Woodford für sein einflussreiches Lehrbuch zur Theorie der Geldpolitik den Titel gewählt hat "Interest and Prices: Foundations of a Theory of Monetary Policy". Das Wort "Geld" oder "Geldmenge" taucht dort nicht auf. Er spielt damit auf ein anderes Lehrbuch aus den 1950er Jahren an. Damals wählte der Autor, Don Patinkin, noch den Titel "Money, Interest and Prices: An integration of monetary and value theory" (siehe Patinkin 1956). In diesem Lehrbuch spielte die Geldmenge somit eine zentrale Rolle. Woodford dagegen scheint stolz darauf zu sein, in seinem Analyserahmen für die Geldpolitik, nämlich dem einer "cashless economy" - einer Volkswirtschaft ohne Bargeld - ohne das Konzept des Geldes auskommen zu können.

Anlässlich einer Konferenz der EZB in Frankfurt hat Woodford dann im Jahr 2007 den Schluss gezogen: "Serious examination of the reasons given thus far for assigning a prominent role to monetary aggregates in policy deliberations provides little support for a continued emphasis on those aggregates." Also selbst das Geldmengenaggregat insgesamt, Bargeld und Einlagen, spielen seiner Einschätzung nach keine Rolle für die Geldpolitik. Spätestens im Zuge der Entwicklungen nach der Finanzkrise lässt sich jedoch eine ernsthafte Analyse der Geldpolitik nicht mehr ohne Diskussion des Bargeldes, der Zentralbankbilanz ("base money") und der Geldmenge insgesamt durchführen. Im dritten Punkt dieses Beitrags wird dies anhand eines konkreten Aspekts des Bargeldes - nämlich seiner Funktion als Wertaufbewahrungsmittel mit einem Nominalzins von null Prozent - beispielhaft erläutert.

Bargeldhaltung und die Zinsuntergrenze in der Praxis der Geldpolitik: Selbst die Neu-Keynesianische Theorie der Geldpolitik muss zumindest eine wichtige Rolle des Bargeldes anerkennen, und zwar dann, wenn Geldpolitik in einem Umfeld mit niedrigen Inflationsraten stattfindet. Dann sind auch die Zinsen niedrig. Zudem kann die Notenbank in eine Situation geraten, in der sie den Geldmarktzins aufgrund einer Rezession oder einer Deflation weiter deutlich absenken möchte. Hier kommt das Bargeld ins Spiel, weil es ein Wertaufbewahrungsmittel ist, das einen Nominalzins von Null bietet. Dieser Zins ist zwar in normalen Zeiten unattraktiv; aber nicht mehr, wenn die Notenbank versucht, negative Nominalzinsen durchzusetzen. Dann könnte ein Sparer nämlich auf Bargeldhortung ausweichen.

Diese Nullzinsoption erzeugt eine Zinsuntergrenze für den Leitzins der Notenbank. Als Japan Ende der 1990er Jahre in diese Situation geriet, ging man eigentlich davon aus, dass die Untergrenze bei null Prozent liegt. Wie inzwischen in der Schweiz oder in Dänemark zu sehen ist, ist die Untergrenze zumindest tiefer als minus 75 Basispunkte. Die genaue Untergrenze hängt jedenfalls von der Verfügbarkeit von Bargeld und den entsprechenden Lagerungs- und Sicherheitskosten ab.

Die Möglichkeit, anstelle von Sichteinlagen bei den Banken Bargeld zu halten, soll nun wohl in der Praxis eingeschränkt werden, beziehungsweise die Kosten der Bargeldhaltung in großem Stil sollen erhöht werden. Zukünftig sollen zumindest keine neuen 500-Euro-Noten mehr in Umlauf gebracht werden, die eine besonders kostengünstige Bargeldhaltung ermöglichen würden.

Bereits Ende der 1990er Jahre wurde die Zinsuntergrenze mit Blick auf Japan erforscht und diskutiert. Damals noch am Board of Governors of the Federal Reserve System, der amerikanischen Notenbank in Washington, D.C., tätig habe ich dort ab 1998 mit dem Kollegen Athanasios Orphanides einige wissenschaftliche Arbeiten zu den folgenden Fragen verfasst: Was könnte passieren oder wie könnte eine Notenbank damit umgehen, wenn sie mit Zinsen nahe null Prozent konfrontiert ist? Wie könnte sie die Geldpolitik weiter lockern? Auch Paul Krugman befasste sich 1998 mit dieser Frage. Darauf folgten Beiträge von Lars Svensson, Bennett McCallum, David Reifschneider und John C. Williams sowie später, um 2003, Gautti Eggertson und Michael Woodford. Damals war es noch eine Forschungsnische; jedenfalls war im Jahr 1998 nicht daran zu denken, dass diese Fragen einmal so relevant würden wie seit dem Beginn der Finanzkrise im Jahr 2007.

Eine Steuer auf Geld

Interessanterweise hat Marvin Goodfriend, damals ein führender Ökonom an der regionalen Federal Reserve Bank of Richmond, auf einer Konferenz der Boston Fed im Jahr 1999 vorgeschlagen, gegebenenfalls in solch einer Situation eine Steuer auf Bankreserven bei der Notenbank ebenso wie auf Bargeld einzuführen. Dieser Vorschlag wurde ebenfalls schon um diese Zeit von Willem Buiter propagiert. Ursprünglich geht dieser Ansatz auf Silvio Gesell zurück. Eine Steuer auf Geld ist ein negativer Zins. Das wäre somit eine Möglichkeit, um Bargeld verzinslich zu machen. Ich habe auf der damaligen Konferenz den Kollegen vorgeschlagen: "Es wäre doch besser, solch eine Verzinsung schon jetzt einzuführen, weil die Nutzer von Bargeld derartige neue Verfahren wahrscheinlich besser aufnehmen würden, wenn sie erst einmal eine positive Verzinsung bekommen."

Nun soll möglicherweise eine andere Strategie verfolgt werden. Es ist schon in den Reden angeklungen, dass inzwischen einige Stimmen die Abschaffung des Bargeldes fordern. Primär geht es anscheinend um Fragen der Kriminalität, aber es gibt auch Ökonomen wie Ken Rogoff und Willem Buiter, die sich deshalb dafür stark machen, weil Notenbanken dann besser in der Lage wären, Negativzinsen durchzusetzen, wenn es ihnen notwendig erscheint.

Das Ausgabeende der 500-Euro-Note dürfte bereits jetzt die Bargeldhortung in großem Stil verteuern. Wer sich am Eingang zu dieser Bargeldkonferenz ein oder zwei von den Banknoten in Form von Schokolade gesichert hat, dem fällt auf, dass der 500er und der 100er aus Schokolade die gleiche Größe und das gleiche Gewicht haben. Demnach benötigt man fünfmal das Gewicht des 100ers, um denselben Nominalbetrag wie mit 500er zu erreichen. Und so ist es anscheinend auch bei den Scheinen. Nach der Auskunft der Bundesbank entspricht das Gewicht einer Million Euro in 500ern etwa 2,4 Kilogramm und in 100ern etwa 10,2 Kilogramm - das macht schon einen Unterschied.

Viel Erfahrung mit Wertpapierkaufprogrammen

Eine Transaktion eines Drogenkuriers in Höhe von einer Million Euro dürfte also mit gut zwei Kilo noch in eine schicke Aktenmappe passen, während er mit zehn Kilo wohl einen mittelgroßen Rucksack oder einen kleinen Koffer nehmen müsste. Das dürfte ihn jedoch nicht vor größere Probleme stellen. Kriminelle Bargeldtransaktionen würden also durch einen Zwang zu 100-Euro-Noten nicht besonders eingeschränkt. Zudem sind ja noch mehrere hundert Milliarden an 500-Euro-Noten in Umlauf. Für eine lange Zeit stellt sich diese Frage bei der Durchführung solch krimineller Transaktionen somit gar nicht.

Allerdings sieht das Rechenbeispiel ganz anders aus, wenn man einmal die Möglichkeiten gesetzestreuer Sparer betrachtet, die Sichteinlagen in Bargeld tauschen wollen. Angenommen, die Besitzer von Sichteinlagen wollen lediglich ein Prozent ihrer Einlagen in Bargeld anlegen, um der Gefahr von Negativzinsen auf Sichteinlagen etwas auszuweichen. Das wären 55 Milliarden Euro. Da geht es um ganz andere Größenordnungen. Eine Milliarde in 500ern wiegt 2,4 Tonnen, in 100ern immerhin schon 10,2 Tonnen - wenn sie denn verfügbar sind. Denn es gibt ja in 100ern nur 200 Milliarden. Da greift die Bargeldeinschränkung schon.

Es ist jedenfalls nicht notwendig, den Zugang zu Bargeld für die Bürger zu beschränken, schon gar nicht um die Zinsuntergrenze der Geldpolitik weiter abzusenken. Zum einen zeigt die Forschung, dass die Geldpolitik trotz Zinsuntergrenze wirkmächtig ist. Bereits im Jahr 2000 wurde Folgendes gezeigt: Berücksichtigt man Realkasseneffekte, also die Vermögenseffekte des Geldes, oder die Portfolio-Umschichtungseffekte - also wenn Anleger nicht nur Preise, sondern auch Mengenverhältnisse in ihren Portfolios miteinbeziehen -, dann hat die Notenbank trotz Zinsuntergrenze die Möglichkeit, mit quantitativen Lockerungsmaßnahmen ihre Ziele zu erreichen. Diese Lockerungsmaßnahmen implizieren eine Ausweitung der Notenbankbilanz, zum Beispiel durch den direkten Aufkauf von Wertpapieren. Hier geht es wieder zentral um ein Maß der Geldmenge in der Geldpolitik. Vor 16 Jahren war das noch Neuland. Seit 2007 haben Notenbanken aber viel Erfahrung mit Wertpapierkaufprogrammen gewonnen.

Die genannten Wirkungskanäle der quantitativen Geldpolitik wurden in der üblichen Neu-Keynesianischen Theorie per Annahme ausgeschlossen. Sie sind jedoch zentral, wenn man davon ausgeht, dass die Anleihekaufprogramme der Fed und der Notenbank reale Wirkungen oder zumindest nominale Wirkungen auf die Inflationsentwicklung haben. EZB-Vertreter haben vor Kurzem behauptet, dass die EZB mit ihren bisherigen Maßnahmen schon die Inflationsrate um 2 Prozent angehoben habe, besser gesagt, dass die Inflationsrate ohne diese Maßnahmen 2 Prozent tiefer ausgefallen wäre. Diese Behauptung kann nur mit ausgenommen starken Effekten der quantitativen Maßnahmen gestützt werden.

Die folgenden Überlegungen zeigen, wie eine Notenbank ihre Geldpolitik angesichts einer Leitzinsuntergrenze umsetzen und ihre Ziele erreichen kann. Um die Preisstabilität zu sichern, reagiert ihre Zinspolitik auf die Inflationsentwicklung. Wenn die Inflation höher ist als das Ziel der Notenbank, sollte die Notenbank reagieren, um die Inflation zu reduzieren, und umgekehrt, wenn sie unter dem Ziel liegt. Dementsprechend reagiert der Leitzins: hohe Inflationsraten, hohe Leitzinsen und eine Absenkung, wenn die Inflationsrate fällt.

Zinspolitik wird in Form von Offenmarktgeschäften umgesetzt. Die Gegenseite dieser Offenmarktgeschäfte ist die Notenbankbilanz. Senkt die Notenbank den Leitzins, weitet sie die Notenbankbilanz aus. Die Notenbankbilanz, auch Geldbasis ("base money") genannt, reagiert somit symmetrisch zur Leitzinsreaktion. Wenn nun der kurzfristige Nominalzins auf die Zinsuntergrenze trifft, sind zwar keine weiteren Leitzinssenkungen möglich, aber die Notenbank kann die Bilanz trotzdem über Wertpapierkäufe oder langfristige Offenmarktgeschäfte erhöhen. Tatsächlich haben die Notenbanken über solche Maßnahmen die langfristigen Zinsen deutlich nach unten gedrückt und Anleihe- und andere Vermögenspreise - wie zum Beispiel für Aktien und Immobilien - nach oben getrieben. Die Geldpolitik hat somit Wirkmächtigkeit unabhängig von der durch die Existenz des Bargeldes verursachten Zinsuntergrenze.

Deflationsgefahr?

Zum Schluss noch ein Blick auf die aktuelle Situation im Euroraum: Besteht Grund, sich vor einer gefährlichen Deflation zu fürchten? Eigentlich nicht. Präsident Weidmann hat vorher bereits die Inflation angesprochen. Dabei hat er vom Harmonisierten Verbraucherpreisindex gesprochen. Der ist tatsächlich leicht negativ. Er hat zudem darauf hingewiesen, dass das Mandat der EZB Preisstabilität ist und sich an der mittleren Frist orientiert. Es geht also im Mandat allgemein um die Stabilität des Preisniveaus, nicht um ein spezielles technisches Maß des Preisniveaus. In der technischen Umsetzung hat die EZB zu Beginn ihrer Tätigkeit entschieden, Preisstabilität in der Öffentlichkeit auf Basis des Harmonisierten Verbraucherpreisindex zu kommunizieren. Es gibt aber auch andere Maße der Preisstabilität.

Der Grund, warum die Wachstumsrate des Harmonisierten Verbraucherpreisindex knapp unter null liegt, ist in der Entwicklung der Energiepreise im Allgemeinen und des Ölpreises im Besonderen zu suchen. Wenn man die Energiepreise herausnimmt, liegt die Entwicklung des Verbraucherpreisindex nahe ein Prozent. Man spricht dann von der Kerninflationsrate. Diese Verbraucherpreisindizes basieren auf einem konkreten Warenkorb und nehmen lediglich Konsumgüter ins Visier, allerdings sowohl die im Inland als auch die im Ausland produzierten Güter. Sie vernachlässigen dagegen das Substitutionsverhalten der Konsumenten bei sich ändernden Preisen.

Taylor-Regel als Vergleichsmaßstab

Die Geldpolitik wirkt aber auf die inländische wirtschaftliche Aktivität und das inländische Preisniveau. Die Preise ausländischer Güter beeinflusst sie indirekt über den Wechselkurs. Die Preisentwicklung aller Güter, die in Deutschland und im Euroraum produziert werden - und bekanntermaßen produzieren Deutschland und der Euroraum insgesamt relativ wenig Öl -, schlagen sich im Bruttoinlandsprodukt-Deflator nieder. Der BIP-Deflator hat einen weiteren Vorteil: Er berücksichtigt das Substitutionsverhalten der Käufer bei Änderung der relativen Preise. Die Inflationsentwicklung gemessen am BIP-Deflator liegt im Euroraum etwas über 1 Prozent. Insgesamt gibt die Inflationsentwicklung deshalb überhaupt keinen Anlass, jetzt Befürchtungen einer gefährlichen Deflation zu schüren.

Ein Vergleichsmaßstab, um zu prüfen, ob die Geldpolitik dieser Situation angemessen ist, ist die sogenannte Taylor-Regel. Zum Beispiel wird sie in den Vereinigten Staaten im Kongress als Benchmark für die Fed diskutiert. Bereits Mitte der 1990er Jahre wurde sie vom Stab der Fed regelmäßig als Vergleichsmaßstab für die Sitzung des Offenmarktausschusses aufbereitet. Der US-Kongress könnte auf dieser Basis die Fed auffordern, sich zu erklären. Insbesondere könnte sie die Gründe erläutern, warum sie davon abweicht oder wa rum sie eine andere Regel vorzieht. Die Taylor-Regel berücksichtigt die Inflationsentwicklung sowie die Abweichung der Nachfrage vom längerfristigen Produktionspotenzial und ein geschätztes Maß von 2 Prozent für den langfristigen realen Gleichgewichtszinssatz.

Eine Anwendung der Taylor-Regel auf den Euroraum würde zu folgendem Ergebnis führen: Der Harmonisierte Verbraucherpreisindex ist ungeeignet, da die hohe Variabilität der Energiepreise zu extremen Ausschlägen bei den Zinsen führen würde. Zudem würde es der mittelfristigen Orientierung der Geldpolitik widersprechen. Die ursprüngliche Taylor-Regel für die Vereinigten Staaten verwendete den Bruttosozialprodukt-Deflator (siehe Taylor 1993). Verwendet man die Inflationsrate gemessen am BIP-Deflator oder die Kernrate des Harmonisierten Verbraucherindex im Euroraum in der Taylor-Regel zusammen mit der geschätzten Abweichung des Bruttoinlandsprodukts vom Produktionspotenzial, erhält man einen Zinspfad, der seit 2014 deutlich nach oben zeigt. Derzeit liegen die Empfehlungen der Taylor-Regel für den Euroraum bei 1,5 bis 2 Prozent und damit um gut 2,5 Prozent über den am Anleihemarkt vorherrschenden impliziten kurzfristigen Marktzinsen.

Selbst wenn der reale Gleichgewichtszins im Euroraum deutlich niedriger wäre, beispielsweise 1 Prozent und damit deutlich unter der aktuellen Wachstumsrate des BIP, würde die Taylor-Regel für den Euroraum immer noch eine deutlich restriktivere Geldpolitik anmahnen. Nicht allein deswegen ist zu empfehlen, die geldpolitische Lockerung im Euroraum nicht weiter auszuweiten, sondern eine Straffung vorzubereiten, beispielsweise indem man die Aufkäufe verlangsamt und auf ein früheres Ende zusteuert, statt sie noch weiter auszuweiten.

Hohe Nachfrage nach Bargeld als Wertaufbewahrungsmittel

Die Nachfrage nach Bargeld ist ungebrochen und zwar insbesondere als Wertaufbewahrungsmittel. Das ist nicht nur in Deutschland so, sondern auch anderswo in der Welt. Und das ist auch gar nicht schlecht. In der großen Mehrzahl sind es keine Kriminellen, sondern Menschen, die versuchen, ihr Erarbeitetes in Sicherheit zu bringen. Die Geldpolitik kann ihre Ziele erreichen, ohne die Verfügbarkeit von Bargeld einzuschränken. Das Beispiel der quantitativen Lockerung wurde genannt. Darüber hinausgehend gibt es auch Vorschläge, Bargeld zu verzinsen. Auch das ist ein vergleichsweise moderater Vorschlag, als es abzuschaffen. Man würde es eher noch attraktiver machen.

Bei aller Begeisterung für die Begrenzung des Bargeldes, um Kriminalität zu behindern oder um der Notenbank sozusagen vorauseilend noch mehr Raum zu verschaffen für Zinssenkungen, sollte man doch sehr vorsichtig sein. Man muss sich einmal fragen, wie das ablaufen soll, wenn die Notenbank plötzlich entscheidet, nur 5- und 10-Euro-Noten im Umlauf zu lassen, weil sie nicht will, dass die Menschen Bargeld horten. Die Notenbank würde die Sparer auf die Möglichkeit verweisen, ihr Geld bei den Banken zu parken. Nun, dann könnte der eine oder andere sich daran erinnern, dass es auch schon Situationen gab, in denen Bargeld sehr nützlich war.

Man denke nur an Griechenland. Damit würde die Notenbank möglicherweise erst einen Run auf Bargeld auslösen. Sollten Besitzer von Sichteinlagen versuchen, einen substanziellen Anteil der Sichteinlagen wie etwa 5 Prozent plötzlich in Bargeld zu wechseln, könnte es zu chaotischen Entwicklungen kommen. Deswegen wäre es sehr unklug von Notenbanken, auf diese Vorschläge, die Bargeldverfügbarkeit einzuschränken, einzusteigen.

Literatur

Beck, Günter und Volker Wieland, 2008, Central bank misperceptions and the role of money in interest rate rules, Journal of Monetary Economics, 55, S1-S17.

Lucas, Robert, E., 2007, Central banking: Is science replacing art? In: Monetary policy: A journey from theory to practice. European Central Bank.

Orphanides, Athanasios und Volker Wieland, 2000, Efficient monetary policy design near price stability, Journal of International and Japanese Economies, 14 (4), December 2000.

Woodford, Michael, 2003, Interest and Prices: Foundations of a Theory of Monetary Policy. Princeton University Press, Princeton.

Patinkin, Don, 1956, Money, Interest and Prices: An integration of monetary and value theory, Row Peterson, 1956.

Taylor, John, B., 1993, Discretion versus policy rules in practice, Carnegie Rochester Conference Series in Public Policy 39.

Woodford, Michael, 2006, How important is money in the conduct of monetary policy? Paper prepared for the fourth ECB central banking conference, The role of money: Money and Monetary Policy in the 21st Century.

Dieser Beitrag basiert auf einer Rede des Autors beim Bargeldsymposium 2016 der Deutschen Bundesbank am 13. Juni 2016 in Frankfurt am Main. Zwischenüberschriften sind teilweise von der Redaktion eingefügt.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X