Aufsätze

Über die Staatlichkeit (Hoheitlichkeit) des Geldwesens

Art. 130 Satz 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV, vormals Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft EGV) legt die Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit der Europäischen Zentralbank (EZB) und der mit ihr im Europäischen System der Zentralbanken (ESZB) verbundenen nationalen Zentralbanken (Eurosystem, Art. 282 Abs. 1 AEUV) fest. Die europäische Geldpolitik soll so politischem Druck und hoheitlicher Einflussnahme entrückt werden, was bei aller vertraglicher und damit höchstrangiger Absicherung auf verbreitete verfassungsrechtliche Bedenken stößt. Denn viele erblicken hierin einen Verstoß gegen das Demokratieprinzip.

Das "demokratische Defizit" unabhängiger Zentralbanken

Dieses sieht Art. 10 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) mit Blick auf das Europäische Parlament einerseits und die demokratisch gewählten Regierungen der Mitgliedstaaten andererseits nun in zwei Strängen praktiziert (sogenanntes "duales Legitimationsgrundkonzept"). In den Mitgliedstaaten gilt das Demokratieprinzip - wenn auch nicht in einheitlicher Form - seit jeher und wird durch sie auf europäischer Ebene vermittelt. Manche sehen allerdings diese Vermittlung als eher schwach an und gestehen deshalb von vornherein ein strukturell immanentes Demokratie- und Legitimitätsdefizit in der Europäischen Union zu.

In dieser Arbeit ist insoweit eine Festlegung nicht erforderlich. Denn sie geht nur den Standpunkten jener nach, die ein Zurückbleiben der demokratischen Legitimation der EZB, ihrer Kompetenzen und ihrer Geldpolitik hinter dem positiv-rechtlich gesetzten und erreichten Demokratiestandard der EU sehen und beanstanden - mag dieser Standard nun seinerseits aus nationalstaatlicher Sicht defizitär sein oder nicht. Schon die gesetzlich geregelte Autonomie der "alten" Bundesbank traf auf verfassungsrechtliche Zweifel, wenn nicht gar Ablehnung. Die Verankerung der Unabhängigkeit der EZB in den europäischen Verträgen hat das Thema keineswegs aus der Welt geschafft.1) Seiner näheren Erörterung ist jedoch die Frage vorgelagert, ob die EZB mit ihrer Geldpolitik überhaupt nationale beziehungsweise europäische Unionsgewalt ausübt. Sollte das nicht der Fall sein, erübrigte sich die ganze Demokratiedebatte.

Die angedeutete Debatte ging und geht wie selbstverständlich davon aus, dass eine Zentralbank Staatsgewalt respektive im europäischen Rahmen Hoheitsgewalt verkörpert. Bei näherem Hinschauen wird diese "Gewalt" in vielfältiger Form präsentiert. Der Bundesbank wurde "eine eminente politische Macht" attestiert; sie übte "Staatsgewalt" aus2), schuf "staatliches" Geld. Die EZB handhabt entsprechend "öffentliche Gewalt" (im Bereich der Wirtschaftspolitik) oder eben "Hoheitsgewalt".3) Präziser ist demgegenüber die Zuordnung vor allem der Bundesbank zur Exekutive, zur vollziehenden Gewalt4), und in diesem Rahmen eher zum Bereich der Regierung als zu dem der Verwaltung. Allerdings verhehlt man auch nicht, dass auf der Ebene der Europäischen Union, die eine Gewaltenteilung nach nationalstaatlichem Vorbild nicht kennt, die Einordnung der EZB zwangsläufig schwierig und fragwürdig ist.5)

Es stellt eine mittelbare Anerkennung des Hoheitscharakters einer Zentralbank gewissermaßen "zweimal um die Ecke he rum" dar, wenn das von einer unabhängigen Zentralbank produzierte Geld die Kennzeichnung "entpolitisiertes Geld" erhält.6) Impliziert ist damit doch wohl die Unterstellung, dass ein nicht von der EZB beziehungsweise einem vergleichbaren Institut in den Wirtschaftskreislauf eingeführtes Geld "politisches Geld" ist, welches den Manipulationen politischer, sprich hoheitlicher Gewalten unterliegt. Vielleicht rückt die Klärung der Frage nach der Hoheitlichkeit einer Zentralbank näher, wenn man sich Einfluss und Wirkung ihrer Geldpolitik deutlicher vor Augen führt.

Die Hebelkraft einer Zentralbank

Es gibt gegen den Satz "Geld regiert die Welt" auch im gegebenen Zusammenhang kaum Argumente. Der Nobelpreisträger Stiglitz betrachtet die Geldpolitik als die entscheidende Determinante für die makroökonomische Leistung einer Volkswirtschaft, für welche - so vergisst er nicht hinzuzufügen - die gewählte Regierung verantwortlich gemacht werde. Nach Auffassung des englischen Schatzamtes wären Fiskal- und Geldpolitik als die maßgeblichen Zweige des "demand management" zu koordinieren gewesen, was jedoch nicht möglich sei, wenn die Geldpolitik auf eine unabhängige Zentralbank delegiert würde und diese zudem von der Fiskalpolitik die Steuerung übernähme.

Ein Skeptiker sieht die bis zur Konjunkturbeeinflussung reichende Macht einer Zentralbank einerseits und ihr Legitimationsproblem andererseits mit der Abkehr von der Goldwährung und dem Übergang zur manipulierten Währung entstehen. Dass Geldpolitik auch Arbeitsmarktpolitik bedeutet, wird mehrfach betont. Wie von der herrschenden Währungs- und Finanzkrise erschüttert, dekretierte eine eher etatistisch gestimmte Ansicht noch zu Zeiten der "alten" Bundesbank, dass die Bestimmung von Geld, Kreditvolumen und Kreditkosten nicht den unregulierten Kräften privaten Angebots und privater Nachfrage zu überlassen wäre. Erst die staatliche Währungspolitik schaffe den Rahmen für freie wirtschaftliche Betätigung, weshalb die Bundesbank als oberste Währungsbehörde Staatsgewalt ausübe, sei es auch unter Verwendung privatrechtlicher Formen.7) Immerhin lenkt diese Berücksichtigung des privaten Sektors den Blick auf die immense Bedeutung der Geld- und Währungspolitik für die Erfüllung der Kreditbedürfnisse der Wirtschaft und der Bürger und für das Recht der Bürger auf die Sicherung ihres Vermögens beziehungsweise das Recht auf freie Verfügung darüber.8)

Für den monetären Sektor sieht das europäische Vertragswerk nach authentischer Ansicht folgende "implizite Koordinierung" und Verantwortungszuweisung vor9): Die EZB lässt eine die Preisstabilität wahrende Geldmenge bereitstellen, während Wirtschaft, Tarifparteien, Verbraucher sowie der Fiskal- und Steuerstaat mit dieser Vorgabe für die Erhöhung der jeweils verfolgten allgemeinen beziehungsweise eigenen Wohlfahrt sorgen. Wenn auf dem einen Ende der "monetären Wippe" die mehr oder weniger rigide EZB hockt und am anderen Ende die Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Lohn- oder Fiskalpolitikvertreter mit einer eher "großzügigen" Geldalimentation liebäugeln, dann soll es nicht die Bank sein, die durch eine akkommodierende Geldpolitik den Druck aufgibt und damit an Gewicht verliert. Es müssen vielmehr die Preis- und Lohnforderungen reduziert, die Wirtschafts- und Arbeitsmarktstrukturen geändert (meist: von Fesseln befreit) und die Staatsschulden vermindert werden.10) Ob allerdings diese an sich wohlfahrtsfördernde Vertragsgrundlage die derzeitige Krise der EU mit ihren immer noch sich unterschiedlich entwickelnden Volkswirtschaften und einer keineswegs einheitlichen Gelddisziplin unbeschadet übersteht, bleibt leider abzuwarten.

Unabhängig davon ist eine praktische Relativierung der in der Theorie gewaltigen Hebelkraft einer Zentralbank angebracht. Sie hat unter anderem eine möglicherweise inflationäre Aufblähung der relevanten Geldmenge(n) zu ermitteln und Gefahren für die Erhaltung des Geldwertes aus dieser Richtung abzuwehren. Nicht dagegen kann es in der realen Welt von nicht vollkommen flexiblen Preisen Aufgabe der Notenbank sein, knappheitsbedingte und andere nicht monetär verursachte Preiserhöhungen11) zu bekämpfen und womöglich rückgängig machen zu wollen.

Die Deutsche Bundesbank ist diesen Weg in den Monaten nach dem ersten Ölpreisschock 1973 einmal gegangen, als sie trotz des preisschubbedingten Mehrbedarfs an Geld ihre restriktive Geldpolitik - übrigens in Übereinstimmung mit der Bundesregierung - beibehielt. Eine relativ niedrige Preissteigerungsrate war der Lohn, doch bei Produktion und Beschäftigung waren Rückgänge zu verzeichnen. Eine kluge Notenbank wird daher regelmäßig das durch einen Preisschock erforderlich werdende Geldmengenwachstum gewissermaßen nach dem Prinzip "Ab mit Schaden!" hinnehmen, aber zugleich bemüht sein, das Auswachsen dieses Anlasses zu einer allgemeinen Preissteigerung und damit zu einer dann doch inflationären Preisrallye zu verhindern. Es gilt also, sogenannte "Zweitrundeneffekte" abzublocken.12)

Implizierte Relativierungen des Hoheitscharakters

Bei aller potenziellen und mitunter sogar aktualisierten Macht einer Zentralbank, die Makroökonomik zu bewegen, werden ihre Bedeutung auch für das Gedeihen des privaten Sektors nicht geleugnet und die zivilrechtlichen Seiten der Geldpolitik und des Geldwesens schlechthin bisweilen zum Ausdruck gebracht. Da ist beispielsweise der "Nach-Maastricht"-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1998 zu nennen: "... (D)er Geldwert (ist) in besonderer Weise gemeinschaftsbezogen und gemeinschaftsabhängig. Er bildet sich im Rahmen der staatlichen Währungshoheit und Finanzpolitik wesentlich auch durch das Verhalten der Grundrechtsberechtigten selbst, insbesondere über Preise, Löhne, Zinsen, wirtschaftliche Einschätzungen und Bewertungen."13) Man kann auch sagen, dass Geld und Geldwert sich im zivilrechtlich geprägten Markt bilden.

Stärker währungstechnisch ausgedrückt bestimmt endogen die private Geldnachfrage der Wirtschaft die Geldentstehung und damit die Geldmengenentwicklung. Der Prozess der Geldschöpfung durch Kreditgewährung (Buchgeld) verläuft im Zusammenspiel zwischen Geschäftsbanken und Unternehmen (Nichtbanken) und bezieht erst wegen des partiellen Bargeldbedarfs die Zentralbank mit ein.14) Diese übt marktmäßig über den Preis ihres Geldes Einfluss aus15), weshalb ihre Qualifizierung als oberste Währungsbehörde infrage zu stellen wäre.16) Gerade in der Finanzkrise haben Zentralbanken helfend als Banken der Banken agiert. Sie sind Marktteilnehmer und haben sich marktkonform zu verhalten.17) Nur eine "gegen den Strom" verfolgte Verknappung der Geldzufuhr wäre zwar auch noch bankgemäß, jedoch zusätzlich von währungspolitischen Erwägungen determiniert.

Geld als Rechtskonstrukt des bürgerlichen Vertragsrechts

Auf jeden Fall nötigen diese Feststellungen dazu, den hoheitlichen Charakter einer Zentralbank - und damit gegebenenfalls ihr Wesen als "Behörde" - nunmehr auf den Prüfstand zu stellen und in dem Zusammenhang zu fragen, wo eigentlich das Geldwesen schlechthin rechtlich anzusiedeln ist.

Man kann eine Antwort finden bei einem Blick auf das Zivilrecht, in Deutschland auf das "Bürgerliche Gesetzbuch" (BGB). Er verschafft der längst selbstverständlichen Erkenntnis Geltung, dass eine arbeitsteilige, rechtlich auf Verträgen ruhende Wirtschaft ohne das Geld als Universaltauschmittel - und danach als zeitüberdauerndes Universalwertaufbewahrungsmittel - nicht funktionieren kann.

In der juristischen Literatur wird die Bedeutung des Vertrages in der Genese des Geldes noch kaum gewürdigt, wie überhaupt dessen Wesen merkwürdig vage bleibt. Geld ist jedoch für die Rechtsordnung nicht nur "kein fremder Begriff", und es ist mit seiner Qualifizierung als ein durch die Rechtsordnung anerkanntes "rechtliches Phänomen" allenfalls unzulänglich gewürdigt. Gewissermaßen das halbe Schuldvertragsrecht im BGB handelt vom Geld, weil Geld fast überall die (Gegen-)Leistung der einen Vertragspartei darstellt und folglich den Typus des jeweiligen Vertrages mit prägt. Seit dem 1. Januar 2002 erkennt das BGB diese Rechtslage sogar ausdrücklich an: In den meisten der nunmehr amtlichen Überschriften der im Folgenden genannten Normen weist es auf die "vertragstypischen Pflichten" bei den jeweiligen Verträgen hin. Das Gesetz regelt hier die Urfunktion des Geldes.

Nach gesetzlicher Definition ist der Kauf durch die Übergabe- und Übereignungspflicht des Verkäufers (§ 433 Abs. 1 BGB) und wesentlich durch die Pflicht des Käufers zur Zahlung des vereinbarten Kaufpreises (§ 433 Abs. 2 BGB) definiert; anderenfalls läge ein Tausch vor. Bei anderen Vertragstypen ist die Zahlungspflicht nicht ganz so deutlich ausformuliert: Der Mietvertrag sieht im neu gefassten § 535 Abs. 2 BGB die Pflicht des Mieters zur Entrichtung der vereinbarten "Miete" vor. Die - eher seltene - Vereinbarung der Leistung von vertretbaren beziehungsweise geldwerten Sachen statt Geld als "Miete" schloss und schließt einen Mietvertrag aber nicht aus. Ähnlich steht es mit der "Vergütung" beim Dienstvertrag (§ 611 Abs. 1 BGB) und beim Werkvertrag (§ 631 Abs. 1 BGB).

Beim Darlehensvertrag unterscheidet der Gesetzgeber neuerdings zwischen der Pflicht, einen "Geldbetrag" gegen Zins zur Verfügung zu stellen (§ 488 Abs. 1 BGB), und der Pflicht zur Überlassung von vertretbaren Sachen gegen Entgelt (beim Sachdarlehensvertrag gemäß § 607 Abs. 1 BGB). Der Reisevertrag wiederum erwähnt allein den "Reisepreis", zu dessen Zahlung der Reisende verpflichtet ist (§ 651 a Abs. 1 Satz 2 BGB). Somit sind die - gesetzlich eingeführten, gegebenenfalls nur fakultativen, aber üblichen - Zahlungspflichten wesentliche Bausteine der vorformulierten, interessenmäßig prinzipiell ausgewogenen Vertragsmuster des BGB, der von der Wissenschaft unterstützten Praxis oder ausgegliederter spezieller Rechtsgebiete wie des Arbeitsrechts vor allem.18) Währungsrechtlich bestimmt Art. 128 Abs. 1 Satz 3 AEUV die Euro-Banknoten zu gesetzlichen Zahlungsmitteln für die Erfüllung dieser Zahlungspflichten. Der abstrakte Wertträger "Geld" ist hiernach dem Zivilrecht zuzuordnen.

Gewährleistung der Geldversorgung durch die EU

Beim konkreten Geld hat sich inzwischen eine Änderung ergeben. Deutschland kann, wie die anderen Mitglieder des Eurosystems auch, Zentralbankgeld als Basis für die Geldschöpfung den Wirtschaftsteilnehmern und Vertragspartnern nicht mehr zur Verfügung stellen. Es ist darauf angewiesen, dass die EZB als sein über Art. 88 Satz 2 GG bestellter neuer Geldproduzent diese Aufgabe wahrnimmt. Im Rahmen des vorgegebenen Themas bleibt daher zu klären, ob wenigstens diese vom Staat/von der EU den Rechtssystemen geschuldete Pflicht zur Geldversorgung eine spezifisch hoheitliche ist oder ob sie auch dem bürgerlichen Recht zugeordnet werden muss.

Es bedarf schon jetzt nicht vieler Worte mehr, um eine staatliche/unionsrechtliche Pflicht zur Erhaltung des Geldwertes als Ziel aus der Bereitstellung des rechtlichen Rahmens für eine Markt- und Vertragswirtschaft im Schuldrecht des BGB und in den vergleichbaren europäischen Rechtsordnungen abzuleiten. Denn diese vermögen allein zu funktionieren, wenn das Geld als wertbeständiges Tauschmittel allseits akzeptiert wird und wenn seine Empfänger darauf vertrauen dürfen, dass sie es ohne Wertverlust auch ihrerseits gegen Waren und Dienstleistungen einlösen können. In der Konsequenz hat das Bundesverfassungsgericht die "Sicherung des in eine Währung gesetzten Einlösungsvertrauens" zu einem wesentlichen Kriterium seiner "Maastricht"-Entscheidung gemacht.19) Die Preisstabilität ist nach der hier vertretenen Auffassung in einer bürgerlichen Schuldrechtsordnung wie der des BGB rechtlich impliziert. Die Frage bleibt, wo die Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels einzuordnen sind.

Idealtypische Stufen der Geldproduktion und -verteilung

Das gewaltige, mitunter maßlose Interesse des Staates an konkreten Geldmitteln würde gegebenenfalls am zivilrechtlichen Charakter ihrer Bereitstellung nichts ändern. Denn der Staat finanziert sich nicht durch eine eigene Geldschöpfung, die ein gewaltiges Inflationsproblem nach sich ziehen würde. Durch die Steuern holt er sich für seinen Haushalt nur seinen Anteil an den wirtschaftlichen Erfolgen der Unternehmen und an den Einkünften der privaten Haushalte.

Die einfachste Art der Begleichung von Schulden liegt in der Übergabe von Bargeld. In der Währungsunion stellen die Euro-Banknoten die gesetzlichen Zahlungsmittel dar (Art. 128 Abs. 1 Satz 3 AEUV). Daneben existieren Münzen nach Maßgabe des Art. 128 Abs. 2 AEUV. Zentralbankgeld gelangt jedoch nicht direkt von der Zentralbank in die Hände von Unternehmen und Bürgern; es nimmt den Weg über (mindestens) ein Kreditinstitut. Von der Logik der Geldversorgung her kann die Untersuchung somit bei dem unkompliziertesten Zahlungsfall nicht beginnen. Sie muss bei den Wegen ansetzen, auf welchen die Banknoten zu den Unternehmen und Bürgern gelangen.

Das Bürgerliche Gesetzbuch, welches die vertraglichen Instrumente einer Marktwirtschaft dem Nutzer präsentiert, stellt auch den rechtlichen Rahmen für das in der Regel bargeldlose Bewirken der vertraglich vereinbarten Geldleistungen bereit. Heute sind nach den Vorgaben der EU die detaillierten Vorschriften der §§ 675 c ff. über Zahlungsdienste einschlägig. Diese bürgerlich-rechtlichen Normen greifen natürlich nur, wenn ein hinreichend dichtes Netz von Banken, Sparkassen und anderen Kreditinstituten schon vorhanden ist. Deren Existenz beziehungsweise deren Lizenz für die Durchführung von sogenannten "Bankgeschäften" ruht auf öffentlich-rechtlichen Normen, vor allem auf dem Kreditwesengesetz. Dessen § 1 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 2 zählt zum Beispiel das volkswirtschaftlich so überaus wichtige Kreditgeschäft, die Gewährung von Gelddarlehen gemäß § 488 BGB, zu den gesetzlich geregelten Bankgeschäften eines Kreditinstituts.

Banknoten gelangen über Rechtsgeschäfte, die später noch geschildert werden, in die Verfügungsgewalt von Kreditinstituten und von dort in die Hände von Unternehmern und Bürgern, die Geld brauchen. Die Geldwirtschaft würde sehr einfach, überschaubar, krisengefeit und durch die Zentralbank steuerbar sein, wenn die Geldmenge sich auf das Zentralbankgeld dergestalt beschränkte, dass alle Kredite von Banken oder Sichteinlagen bei Banken die Summe des verfügbaren Zentralbankgeldes nicht überstiegen.

Die Geldgeschichte bietet mutatis mutandis hierfür Beispiele. Die 1609 in Amsterdam gegründete Wechselbank (Wisselbank) entwickelte in einem Umfeld von zahlreichen unterschiedlichen Währungen ein System von Girokonten und Abbuchmöglichkeiten, in welchem alle Einlagen zu nahezu 100 Prozent durch Edelmetall- und Münzreserven abgedeckt waren. Die Bank war "sicher"; einen "Run" auf sie konnte es nicht geben.

Regime der totalen Notendeckung

Die Idee einer solchen Begrenzung der Geldproduktion ist heute nicht vergessen. Eine hiernach in den USA entwickelte Regel sieht vor, dass die Sichteinlagen der Geschäftsbanken zu 100 Prozent in Zentralbankgeld gedeckt sein müssen. Steuerung der Geldmenge durch die Zentralbank, Erhaltung der Preisstabilität und Schutz der Gläubiger vor dem Verlust ihrer Ersparnisse dürften so weitgehend gesichert sein. Mit einer hundertprozentigen Reservepflicht verliert das Geschäftsbankensystem allerdings die Fähigkeit zur multiplen Geldschöpfung.20)

Von der hier interessierenden Fragestellung her gesehen ist die Erkenntnis wichtig, dass unter dem Regime der totalen Notendeckung allein die Unternehmen und Bürger die Geldmenge bestimmten, wenn sie zwecks Inanspruchnahme der bürgerlich-rechtlichen Vertragsinstrumente sich von den Kreditinstituten Geld (= Bargeld) beschafften. Sie besäßen entweder die Sichteinlagen, für die Zentralbanknoten in entsprechender Höhe garantierten, oder sie hätten Letztere gleich selbst in den Händen (tertium non datur).

Zumindest in einer solchen Konstellation wäre die Zentralbank ohne spezifische geldpolitische Befugnisse und bliebe beschränkt auf die Herstellung und Verteilung der Banknoten sowie auf die Überwachung der Reservepflicht.21) Hoheitsgewalt würde sie fraglos nicht ausüben; das Zentralbankgeld wäre ein reines und ausschließliches "essentiale" des zivilrechtlichen Vertragssystems.

Bekanntlich ist es bei der Gleichsetzung der Geldmenge mit dem Basisgeld der Zentralbanknoten oder -einlagen nicht geblieben. Die moderne Marktwirtschaft scheint ohne die Buchgeldschöpfung der Kreditins titute nicht funktionieren zu können. Die ihrerseits sind nur, aber immerhin auf den Bestand an Banknoten angewiesen, der von den Bankkunden üblicherweise nachgefragt wird. Abgesehen hiervon laufen der Zahlungsverkehr und die Kreditgewährung durch Bereitstellung von Buchgeld bargeldlos ab.

Heute schöpfen die Kreditinstitute im Rahmen des betriebswirtschaftlichen Kriteriums der Rentabilität, der öffentlich-rechtlichen Vorgaben der Risikoeingrenzung und Kapitalunter legung sowie der währungsrechtlichen Bedingungen des Zugangs zum Zentralbankgeld, das heißt zur Liquidität, nach ihrem geschäftlichen Belieben Buchgeld als Kreditgeld. Ende 2008 waren zirka 700 Milliarden Euro in Banknoten im Umlauf, während sich die Einlagen auf den Girokonten auf rund 3300 Milliarden Euro summierten.

Geldvermehrung als magische Kräfte der Alchemie

Diese wundersame Art der Geldvermehrung ist durchaus mit den magischen Kräften der Alchemie verglichen worden. Das galt schon bei der Schaffung von stoffwertlosem Papiergeld, welches das allzu knappe Gold ablöste. Johann Wolfgang von Goethe ließ im "Faust - Zweiter Teil -" (1. Akt) Mephistopheles und Faust den zahlungsunfähigen Kaiser zu neuem Reichtum auf der Grundlage von Papiergeld verhelfen, welches gewissermaßen einen Wechsel auf die Hebung der im Boden verborgenen Schätze darstellte, die dem Kaiser gehörten.

Der in der Ökonomie seiner Zeit außerordentlich bewanderte und kundige Goethe betrachtete die Papiergeldschöpfung und die aufkommende moderne Wirtschaft als Fortsetzung der Alchemie mit anderen Mitteln, so die These des Nationalökonomen Hans Christoph Binswanger. Insofern schließen sich der 4. und 5. Akt des Dramas noch an. Wenn heute ein weiterer Schritt getan wird und das völlig stofflose Buchgeld oder gar das elektronische Geld das immerhin noch greifbare Papiergeld mehr und mehr ersetzen, mag das getrost gleichfalls der Alchemie zugeordnet werden. Überträgt man die Dichtung auf die heutige ökonomische Wirklichkeit, so transformiert sich die Alchemie in die nüchterne "Lizenz, Buchgeld zu schaffen" (Binswanger). So wie damals die dem Kaiser mehr oder weniger abgeschwindelte Unterschrift das Papiergeld autorisierte, so sind es nach herrschendem Verständnis heute der Staat und die EU, welche den Kreditins tituten dieses wertvolle Privileg zugestehen.

Lizenz zur Buchgeldschöpfung

Die "Lizenz" wird nicht ausdrücklich, eher implizit vergeben durch die Summe der einschlägigen Rechtsnormen. § 488 BGB regelt das zivilrechtliche Institut des Darlehensvertrages, welches selbstverständlich unbegrenzt genutzt werden darf. Die korrespondierende gewerberechtliche Konzession in § 1 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 2 des Kreditwesengesetzes enthält zusammen mit den einschlägigen Normen der Bankenaufsicht bislang ebenfalls keine grundsätzliche Einschränkung. Aber am wichtigsten und letztlich entscheidend sind die währungsrechtlichen Bestimmungen über die rechtlichen Modalitäten des Zuflusses von Zentralbankgeld zu den Kreditinstituten: In ihnen steht von einer prinzipiellen mengenmäßigen Einschränkung kein Wort.

Das galt bereits für § 19 des alten Bundesbankgesetzes. Jetzt ermächtigt auf der Grundlage der Artikel 127 Abs. 2, 128 Abs. 1 und 129 Abs. 2 AEUV Art. 18 der "Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank" in allerdings knapperer Form zu Offenmarkt- und Kreditgeschäften: Diese Institute "können" bestimmte Forderungen und Wertpapiere sowie Edelmetalle kaufen und verkaufen oder entsprechende Darlehensgeschäfte tätigen, daneben Kreditgeschäfte mit Kreditinstituten und anderen Marktteilnehmern gegen Sicherheiten abschließen, um auf diesen Wegen "echtes Geld" in den Marktkreislauf einzuschleusen - oder diesem wieder zu entziehen -, welches die Basis für die Geldschöpfung durch Banken et cetera bildet. Art. 20 der Satzung lässt die Anwendung weiterer geldpolitischer Instrumente zu.

"Zur Verwirklichung der geldpolitischen Ziele" "kann" die EZB gemäß Art. 19 der Satzung daneben die Unterhaltung von Mindestreserven auf ihren Konten durch die Kreditinstitute verlangen. Die "Totalreserve" von 100 Prozent dürfte damit kaum gemeint sein; von Beginn an galt vielmehr ein einheitlicher Reservesatz von zwei Prozent auf Einlagen mit Laufzeit bis zu zwei Jahren.22)

Die Lizenz zur Buchgeldschöpfung mit nicht begrenzter Absicherung durch Zentralbankgeld ist wohl als demokratisch legitimiert zu bezeichnen. Das gilt ohne Weiteres für die Regelungen der deutschen Gesetze (BGB, KWG, FinDAG). Doch auch die EU-Normen sind nicht so festgeschrieben und dem politisch-demokratischen Betrieb entzogen wie die Gewährleistung der Preisstabilität in Art. 127 Abs. 1 AEUV und die Unabhängigkeit von EZB/ESZB in Art. 130 AEUV.

Europäisches Parlament und Rat sind in der Lage, Art. 18 und 19.1 der Satzung gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zu ändern (Art. 129 Abs. 3 AEUV, Art. 40 Abs. 1 der Satzung). Bei der Schaffung der Anwendungsvoraussetzungen für die Anordnung von Mindestreserven (Art. 19.2 der Satzung) und bei der Einführung sonstiger geldpolitischer Instrumente durch den EZB-Rat (Art. 20 der Satzung) hat der Rat gleichfalls ein gewichtiges Wort mitzureden (Art. 129 Abs. 4 AEUV).

Grundsätzlich keine Hoheitsgewalt

Die hier primär interessierende Frage lautet allerdings, ob ein solchermaßen befugtes Zentralbankensystem als "Banknotenreservebank" für die private Geldschöpfung eine vormals staatliche, also in der EU jetzt hoheitliche Aufgabe wahrnimmt. Die früheren Hinweise auf die private Nachfrage nach Geld als den Motor für die Bereitstellung von (Buch-)Geld durch die privaten Geldinstitute legen die Annahme nahe, dass das eher nicht der Fall ist. In einer normal funktionierenden Marktwirtschaft, welche auf den zivilrechtlichen Grundlagen vorgeformter Geldtauschvertragsmuster arbeitet, ist nicht allein das abstrakte "Geld" als rechtlich vorgesehene Gegenleistung Teil und Regelungsobjekt des bürgerlichen Rechts. Die Zuführung der erforderlichen Bar(reserve)mittel in Banknoten oder Zentralbankguthaben fällt gleichfalls in dieses Rechtsgebiet.

EZB und ESZB verfügen nach Art. 128 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AEUV über das Monopol der Herausgabe von Banknoten. Die verfassungsrechtliche/vertragliche Gründung dieser Banken impliziert noch nicht ihre staatliche Gewalt respektive Hoheitlichkeit.23) Denn sie schaffen zumindest insoweit bloß die sachlichen Voraussetzungen für das Hantieren mit den bürgerlichen Schuldrechtsordnungen, welche bislang ohne die Existenz von Bargeld nicht funktionieren. Dieses konkrete Geld führen sie in Rechtsgeschäften mit den privaten Kreditinstituten in den Wirtschaftskreislauf ein und orientieren sich als mittelbare Marktteilnehmer zwangsläufig an den Bedürfnissen der Wirtschaftsubjekte. Besonders die standardisierten Geschäfte am offenen Markt mit allen berechtigten Kreditinstituten im Euroraum können nur privatrechtlicher Natur sein; die Geldversorgung der privaten Wirtschaft hat per se quantitativ noch keinen steuernden Charakter. Die Banken der Banken üben im Grundsatz keine staatliche, keine Hoheitsgewalt aus.24)

Soweit die EZB (im ESZB) allerdings bei diesen Rechtsgeschäften mit Blick auf die ihr vorgegebene Gewährleistung der Preisstabilität (Art. 127 Abs. 1 Satz 1, Art. 282 Abs. 2 Satz 2 AEUV) als der Grundnorm einer jeden Geldwirtschaft "die Zügel anzuziehen" und wegen Inflationsgefahren den Anstieg der Geldmengen über den Geldmarktzins zu bremsen trachtet, richtet sie sich zweifellos nicht nur nach dem Markt. Dann lässt sie zusätzlich währungssichernde, sprich währungsbehördliche Gesichtspunkte in die Vergabe von Zentralbankgeld einfließen.

Die Erfüllung einer solchen hoheitlichen Aufgabe vermittels auch der geschilderten privatrechtlichen Gestaltungsmittel ist dem Unionsrecht ebenso wie dem deutschen Verwaltungsrecht nicht fremd. Diese bloß eingrenzende Verfolgung übergeordneter währungsrechtlicher Ziele ändert an der Zugehörigkeit der vertraglich geordneten Geldzufuhr zum Sektor des bürgerlichen Rechts nichts. Denn die EZB übt nur eine Garantie- und Schutzpflicht aus, wenn sie mit der Gewährleistung der Preisstabilität exakt auch die implizite Grundlage etwa des Schuldrechts des BGB sichert. Allein diese Schutzpflicht legt Art. 127 (Art. 282) AEUV mit höchstem Rang fest; ein demokratischer Gesetzgeber wird dadurch nicht übergangen. Der hatte bereits in den Mitglied staaten gehandelt, als er die Schuldrechtsordnungen erließ.25) Seine Werke soll der Vertrag im Gegenteil sichern und vor inflationärer Aushöhlung schützen. Als These sei daher zusammengefasst: Eine von politisch-demokratischen Entscheidungen freigestellte EZB soll zumindest diejenige Geldwertstabilität sichern, auf welche das durch politisch-demokratische Entscheidungen der Mitgliedstaaten geschaffene Schuldrecht sich gründet.26) In Deutschland gilt das primär für die §§ 241 bis 853 BGB. Einen weiteren "demokratischen Legitimationsstrang" kann es nicht geben, weil er Art. 127 AEUV widerspräche und überdies die gesetzgeberischen Intentionen der Mitgliedstaaten, etwa die im deutschen BGB implizierten, geradezu konterkarierte.

Zugeständnis einer Notstandsbefugnis?

Die Frage der demokratischen Legitimation der EZB soll hier auf die Gewährleistung der Urfunktion des Geldes als Vertragsleistung beschränkt bleiben. Nur zur Abgrenzung ist sie daher erneut zu stellen im Hinblick auf die monetäre Krisenbewältigung ab 2008. Gemeint ist die uneingeschränkte Bereitstellung jeder gewünschten Menge Zentralbankgeldes zur Rettung des Bankensystems.

Um eine weitere Weltwirtschaftskrise wie die zu vermeiden, welche in den Jahren nach 1929 die westliche Welt verheert hatte, erhöhten die Zentralbanken beiderseits des Atlantiks die Geldmengen in einem beispiellosen Ausmaß. Die Geldmenge M3 stieg zwischen 1999 und April 2009 im Euro-Raum von 4,4 Billionen Euro auf 9,5 Billionen Euro; im gleichen Zeitraum wuchs in den USA die Geldmenge M2 von 4,4 auf 8,3 Billionen Dollar. Primäres Ziel dieser Operationen war die Erhaltung der Geldwirtschaft schlechthin; die Gewährleistung der Geldwertstabilität war für längere Zeit nicht das Hauptproblem. Sie kann es jedoch wieder werden, wenn die Geldflut nicht rechtzeitig zurückgesaugt wird.

Man zögert, einer Zentralbank wie der EZB so ohne Weiteres die rechtlich nicht gesondert abgesicherte Notstandsbefugnis zur Rettung der Systeme - des Schuldrechts, der Banken, der Geld- und Finanzmärkte - zuzugestehen. Die Mitgliedstaaten und die Union haben die verschiedenen ineinander greifenden und aufeinander angewiesenen Rechtskomplexe und Netzwerke auf gesetz licher, verfassungsrechtlicher und vertraglicher Grundlage geschaffen und lizensiert, und nur sie sind befugt, außergewöhnliche Maßnahmen für ihre Erhaltung zu treffen. Die reguläre Geldpolitik der EZB war hier als schuldrechtskonforme und insoweit systemimmanente Gesetzesergänzung qualifiziert worden, für welche sie der EU-Vertrag in Art. 127 Abs. 1 Satz 1 bestimmt. Diesen Rahmen sprengt die Systemrettung jedoch deutlich. Mindestens ebenso problematisch ist wegen Art. 123 Abs. 1 AEUV der neuerdings beschlossene Ankauf von Staatsanleihen "aus zweiter Hand".

Wie eine rechtliche Regelung aussehen soll, wird nicht leicht zu entscheiden sein; der Vertrag traf jedenfalls bisher keine speziellen Vorkehrungen. Er ist, wie die derzeitige Entwicklung nur allzu deutlich zeigt, im Sinne der Institutionenökonomik ein bloß "relationaler Vertrag", typisch für Langzeit- , wenn nicht gar Ewigkeitsbeziehungen, in denen die Zukunft ungewiss ist und die Parteien nicht allen Eventualitäten Rechnung tragen können.

Jedenfalls war es im Grundsatz richtig, dass besonders auf dem Höhepunkt der Krise im Herbst 2008 vor allem die Mitgliedstaaten auf den Plan traten, um zu helfen, und sei es nur durch die Abgabe einer staatlichen Garantie für alle Spareinlagen. Demokratietheoretisch wäre es entsprechend korrekter, wenn "Flutungen" der Geld- und Finanzmärkte künftig allein mit Zustimmung der ,,zuständigen Behörden" gemäß Art. 127 Abs. 5 AEUV erfolgten, weil das ESZB zur ,,Stabilität des Finanzsystems" nicht mehr als ,,beitragen" darf. Das ,,Absaugen der Flut" sollte allerdings gerade wegen Art. 127 Abs. 1 Satz 1 AEUV dann wieder der EZB allein obliegen. Der Ankauf von Staats anleihen muss sich vor dem Verbot nach Art. 123 Abs. 1 AEUV und vor Art. 18.1 der ESZB-Satzung bewähren.

Vorwurf eines demokratischen Defizits nicht berechtigt

Nach der hier vorgestellten These ist der gegen die Geldpolitik der EZB bisweilen erhobene Vorwurf eines "demokratischen Defizits" schon im Ansatz grundsätzlich nicht berechtigt.

a) Die EZB übt im Verbund mit den nationalen Zentralbanken bei der Geldversorgung von Banken, Unternehmen und Bürgern überhaupt keine staatliche beziehungsweise hoheitliche Gewalt aus.

b) Selbst wenn spezifische Anforderungen der Geldwerthaltung nach Art. 127 Abs. 1 Satz 1 AEUV die Modalitäten der Geldversorgung diktieren, schützt und garantiert die EZB dabei doch nur das inflationsfreie Funktionieren der bürgerlichen Schuldrechtsordnungen. Sie handelt als bloßer Agent der demokratischen Schöpfer dieser Zivilrechtsordnungen, nicht als deren Herr.

c) Eine Ausnahme bildet nur ihr Einsatz in Not- und Krisenzeiten. Die Rettung des Banken-, ja des ganzen Geldsystems überschreitet die Befugnisse von unabhängigen Zentralbanken. Denn sie sind ein Teil des Systems.

Zum Abschluss müssen die Erkenntnisse dieser Arbeit unter zwei Vorbehalte gestellt werden: Zum einen steht jede stabilitätsorientierte Geldpolitik unter dem außenwirtschaftlichen Vorbehalt, dass die anderen (wichtigen) Zentralbanken "mitziehen". Zum anderen haben im konkreten europäischen Kontext der bald billionenschwere "Rettungsschirm" für notleidende EU-Staaten und der ins Auge gefasste "permanente Krisenmechanismus" die Nichthaftungsklausel des Art. 125 Abs. 1 AEUV de facto beiseite geschoben27) und damit einen Eckstein der Finanzverfassung der EU herausgebrochen. Weiter dürfte das Verbot der Staatsfinanzierung zumindest ökonomisch künftig umgangen werden. Gehören die öffentlichen Haushalte und Schulden fortan aber zu den ständigen Sorgen der Währungsunion, dürfte das die Geldpolitik der EZB kaum unberührt lassen. Das Anzweifeln ihrer demokratischen Legitimation28) wird vor diesem Hintergrund (auch) zu einem Symptom der neuen vertraglichen Beliebigkeiten.

Fußnoten

1) Vgl. für viele die Kommentare zu Art. 88 des Grundgesetzes von v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Band 3, 6. Aufl. 2010, Rn. 24 ff. (H.-J. Blanke), und von v. Münch/Kunig (Hrsg.), Band 2, 6. Aufl. 2012, Rn. 13, 31 (J. A. Kämmerer).

2) D. Hoffmann, Zur Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank, in: Festschrift H. Ridder, 1989, S. 53ff., S. 54f.

3) BVerfGE 89, 155 (208).

4) Bei Blanke (Fn. 1), Rn. 6; Hoffmann (Fn. 2), S. 54 (Währungsbehörde).

5) Kämmerer (Fn. 1), Rn. 12.

6) Bei Blanke (Fn. 1), Rn. 42; O. Issing, Der Euro, 2008, S. 203.

7) Hoffmann (Fn. 2), S. 54 f. H. scheint allerdings die Rahmensetzung von der Ausfüllung des Rahmens nicht zu trennen.

8) Hier sind vor allem zu nennen BVerfGE 89, 155 (208 f. zum "Einlösungsvertrauen") und BVerfGE 97, 350 (371: "Geld ist geprägte Freiheit ..."). Vgl. weiter Blanke (Fn. 1), Rn. 26 (freiheitssichernde Preisstabilität).

9) Issing (Fn. 6), S. 175ff.

10) Zu diesen Anpassungszwängen "am anderen Ende" vgl. E. Görgens/K. Ruckriegel/F. Seitz, Europäische Geldpolitik, 5. Aufl. 2008, S. 423 ff., und die fast ungläubige Frage der SPD im Europäischen Parlament bei Issings Anhörung: Issing S. 33.

11) Zum Vorrang der Gesetze des Marktes vgl. Issing S. 27.

12) Dazu Issing S. 124f.

13) BVerfGE 97, 350 (371).

14) Goergens u. a. (Fn. 10), S. 106, 109, 250, 252, 284 f.; K.H. Ladeur, Die Autonomie der Bundesbank - ein Beispiel für die institutionelle Verarbeitung von Ungewißheitsbedingungen, in: Staatswissenschaft und Staatspraxis 3 (1992), 486 (497).

15) Georgens u.a. S. 106.

16) Ladeur (Fn. 14), 497; dort auch: "... Autonomie der Bundesbank als 'Rest einer liberalistischen Trennung von Staatsgewalt und Marktgeschehen' (Zitat)".

17) Mit der schlichten Unmöglichkeit, angesichts der Ungewissheit über die zukünftige Entwicklung und der Marktmacht der privaten Banken die makroökonomischen Variablen systematisch zu manipulieren, sprich, wirklich zu lenken, befasst sich der Aufsatz von Ladeur.

18) Diese Ausführungen sind weitgehend der Schrift des Verfassers entnommen: H. Kratzmann, Das Geld: Vertragsobjekt, Rechtskonstrukt und ökonomische Größe, 2003, S. 32f.

19) BVerfGE 89, 155 (208).

20) Befürworter einer hundertprozentigen Reservepflicht für Geschäftsbanken (zur Vermeidung der "Falschmünzerei in Form von Geld- und Kreditschöpfung") ist u. a. neuerdings G. Teubner, Verfassungsfragmente, 2012, zur "Vollgeldreform" (S. 150 ff.), nach der die gesetzlichen Zahlungsmittel um die "Sichtguthaben" zu erweitern wären (S. 155 zu Art. 16 der ESZB-Satzung).

21) Nach der "Vollgeldreform" hätte die Zentralbank allerdings durch eine "sorgfältig durchdachte Geldschöpfung den sozialschädlichen Wachstumszwang" zu blockieren (Teubner S. 158, auch S. 174, 183).

22) Issing (Fn. 6), S. 112, S. 113: Die Banken werden auf diese Weise "in die Notenbank hineingezwungen".

23) W. Krebs in: v. Münch/Kunig (Fn. 1), Rn. 58 zu Art. 19: "Das GG ... konstituiert den Staat aber umfassend, (nicht nur) in den Bereichen, in denen er dem Bürger ... hoheitlich i. S. v. einseitig befehlend gegenüber tritt"; noch einschlägiger aus rechtssoziologischer Sicht Teubner (Fn. 20): "Die Geldschöpfung gehört zum Bereich des Öffentlichen, aber nicht zum Bereich des Staatlichen" (S. 177, und zu den Aufgaben der Zentralbanken in diesem Rahmen S. 183ff.).

24) Zu "ihrer banktypischen, vorwiegend marktorientierten und eingriffsarmen Handlungsweise" Kämmerer (Fn. 1) Rn. 4; zu den Offenmarktgeschäften u.a. Issing (Fn. 6), S. 109ff.

25) Die Charakterisierung dieser "Trennung von Staatsgewalt und Marktgeschehen" bei Ladeur (Fn. 16) ist unnötig abfällig.

26) Der bisher von der EZB tatsächlich hingenommene Preisanstieg "von nahe zwei Prozent" ist nicht optimal, aber wohl unvermeidlich, dazu Issing (Fn. 6), S. 102.

27) Blanke (Fn. 1) sieht insoweit die "Gefahr" eines Bruches des Bailout-Verbotes (Rn. 64); die Meinungen sind wegen Art. 125 AEUV i.V.m. Art. 122 Abs. 2 AEUV aber geteilt.

28) Vgl. Blanke Rn. 64 mit Fn. 73.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X