Stephan Spieleder

"Die Zusammenarbeit mit den Sparkassen bietet noch ungenutztes Potenzial"

Dr. Stephan Spieleder, Foto: Konzern Versicherungskammer

Die gerade wieder laufenden Diskussionen über eine Konsolidierung im öffentlich-rechtlichen Bankensektor drehen sich fast ausschließlich um eine Neuordnung der Verhältnisse bei Landesbanken und dem Sparkassensektor. Dass Letzterer seine Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit auch durch eine intensivere Zusammenarbeit mit den öffentlichen Versicherern ausbauen kann, wird im Redaktionsgespräch mit Dr. Stephan Spieleder deutlich. Das Vorstandsmitglied der Versicherungskammer verweist auf die Entwicklung gemeinsamer Produkte und Dienstleistungen für die Sparkassen und sieht das Potenzial auf übergreifenden Plattformlösungen noch längst nicht ausgeschöpft. Bei aller Offenheit für den Einsatz von Big Data, Data Analytics und Künstlicher Intelligenz will er den hohen Stellenwert von Datensicherheit dabei sichergestellt und als Ansatz zur Differenzierung am Markt verstanden wissen. (Red.)

Wie war der Geschäftsverlauf des Konzerns Versicherungskammer 2018? Welche Eckdaten und Tendenzen sind besonders bemerkenswert?

Der Konzern Versicherungskammer hat nach den vorläufigen Zahlen im Geschäftsjahr 2018 im gesamten Versicherungsgeschäft ein Beitragsvolumen von 8,30 Milliarden Euro erzielt, das entspricht einer Steigerung um 2,4 Prozent. Das hat uns einen Anstieg der Marktanteile beschert, sodass wir auf Rang 7 der deutschen Versicherer stehen. Sehr erfreulich und damit bemerkenswert ist das Wachstum der Beiträge in allen Geschäftssegmenten, also nicht nur Schaden- und Unfall- sowie Krankenversicherung, sondern auch in der Lebensversicherung. Um rund 3 Prozent gewachsen ist der verwaltete Kapitalanlagenbestand des Konzerns (inklusive des Drittgeschäfts), er liegt bei über 60 Milliarden Euro.

In der deutschen Sparkassenorganisation werden immer mal wieder mehr oder weniger laut Überlegungen über eine notwendige Konsolidierung der öffentlichen Versicherer angestellt. Wie wird dieses Thema bei den öffentlichen Versicherern selbst und speziell beim Konzern Versicherungskammer gesehen?

Es gibt unter den öffentlichen Versicherern wie auch in der Versicherungskammer schon seit einigen Jahren einen großen Konsens, Projekte gemeinsam zu machen, wenn das für alle Beteiligten einen Mehrwert bringt. In diese Richtung ist schon viel passiert.

Mit Blick auf die Zusammenarbeit mit den Sparkassen bietet beispielsweise nicht mehr jeder öffentliche Versicherer seine Lösungen an, sondern wir entwickeln gemeinsam Produkte und Dienstleistungen für die Sparkassen, pflegen sie in deren Angebot ein und bieten sie damit bundesweit an. Je nach regionalen Anforderungen können diese Angebote dann bei Bedarf modifiziert werden. Diese gemeinsame Entwicklung ist innerhalb der öffentlichen Versicherer unbestritten und das Gebot der Stunde.

Welche Rolle hat der Konzern Versicherungskammer in diesem Prozess der gemeinsamen Weiterentwicklung? Unserer Größenordnung entsprechend haben wir den Anspruch, eine starke, aktive Rolle zu spielen. Unabhängig von einer möglichen Fusion der beiden öffentlichen Versicherer in Nordrhein-Westfalen sehen wir uns in einer gestalterischen Rolle. Mit unseren Konzerntöchtern haben wir schon einige Modelle zur Weiterentwicklung vorgelegt.

Wie laufen die gemeinsamen Projekte ab? Sind die Prozesse institutionalisiert, gibt es im Bereich der öffentlichen Versicherer dafür feste Arbeitsgruppen oder bedarf es oft noch informeller Absprachen?

Viele diese Gemeinschaftsprojekte werden über den Verband der öffentlichen Versicherer koordiniert und gebündelt. Dort bestehen übergreifende, fest etablierte Arbeitsgruppen. Ein jüngeres Beispiel ist die sogenannte Bündelproduktlogik. Über dieses Konzept ist der S-Privatschutz entstanden, den wir den Sparkassen bundesweit zur Verfügung stellen, ebenso der S-Einkommensschutz oder der S-Gewerbeschutz.

Ein Projekt aus dem Jahre 2018 sind die sogenannten situativen Versicherungen. Das sind White-Label-Produkte, die jeweils einer der öffentlichen Versicherer entwickelt und dann bundesweit allen Sparkassen zur Verfügung stellt. Solche Wege beschreiten wir gemeinsam, sie haben sich schon gut etabliert. Natürlich beachten wir dabei die kartellrechtlichen Rahmenbedingungen.

Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband hat mit der Vertriebsstrategie der Zukunft die öffentlichen Versicherer ausdrücklich ermuntert, diesen Weg zu gehen und weiter neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln.

Läuft die Entwicklung solcher gemeinsamer Versicherungslösungen in der eigenen Branche ab oder werden bereits in frühen Entwicklungsstadien Vertreter der Sparkassen mit einbezogen, um ihr Know-how schon in der Konzeptphase einzubringen?

Die Abstimmung mit der Sparkassenseite ist bereits gewährleistet, bei der Entwicklung von Neuerungen sind DSGV- und/oder Sparkassenvertreter schon in frühen Entwicklungsstadien eingebunden.

Wie sind die öffentlichen Versicherer im deutschen Markt positioniert? Droht ein spürbarer Verlust von Marktanteilen, wie er vor einigen Jahren teilweise in der Sparkassenorganisation befürchtet wurde?

Addiert man die Beitragseinnahmen aller öffentlichen Versicherer, erreicht unsere Gruppe nach wie vor eine sehr stattliche Marktgröße - nämlich Rang 2. Diese gute Position hat die Gruppe im vergangenen Jahrzehnt stabil gehalten. Mit Blick auf die Zukunft muss uns ebenfalls nicht bange sein, denn gerade die Zusammenarbeit mit den Sparkassen und allgemein die regionale Nähe zu den Kunden bieten eher Chancen und noch ungenutztes Potenzial, um diese Position zu festigen.

Wie sehen Sie die Marktposition des Konzerns Versicherungskammer?

Wir sind über die vergangenen Jahre hinweg stärker gewachsen als der Markt und sehen dazu auch in Zeiten der Digitalisierung weiterhin gute Chancen.

Bleiben wir beim Stichwort Digitalisierung: Durch neue Vertriebswege über Online-Kanäle ist das Regionalprinzip im Bankensektor zumindest aufgeweicht. Gilt das entsprechend im öffentlich-rechtlichen Versicherungssektor?

Es gibt an dieser Stelle in der Tat Parallelen, auch im Versicherungsbereich ist die regionale Ausrichtung durch die Digitalisierung tangiert, die sich natürlich nicht auf Regionen beschränkt. Wir versuchen deshalb übergreifende Plattformlösungen zu entwickeln, um die neuen Möglichkeiten zu nutzen.

Hat der Konzern Versicherungskammer Ambitionen über Deutschland hinaus?

Der deutsche Markt ist für uns eindeutig das Kerngebiet. In einigen Produktbereichen, etwa unserer Reiseversicherung, sind wir auch im Ausland unterwegs, beispielsweise in Großbritannien. Im Bereich der Industrieversicherung sind wir - teils in Kooperation mit anderen öffentlichen Versicherern - engagiert. Als Nummer drei am deutschen Markt begleiten wir über diesen Weg unsere Industriekunden in das Ausland. Einen besonderen Fokus auf eine Ausweitung des Auslandsgeschäftes haben wir allerdings nicht.

Welche Rolle spielen umgekehrt ausländische Wettbewerber am deutschen Markt?

An dieser Stelle sind wir entspannt und unterscheiden gar nicht zwischen inländischen und ausländischen Adressen. Wir haben einfach Wettbewerber und müssen damit umgehen.

Im Bankenmarkt waren die Aktivitäten der ausländischen Institute in den vergangenen Jahrzehnten auch von der konjunkturellen Lage abhängig. In Aufschwungphasen gab es mehr ausländische Institute beziehungsweise mehr Aktivitäten am hiesigen Markt, bei schwächerer Konjunktur entsprechend weniger Auslandsbanken. Gibt es solche Schwankungen im Versicherungssektor auch?

Für den Versicherungsbereich lässt sich ein solcher Trend zu Geschäftsverlagerungen je nach dem ökomischen Umfeld zumindest nicht systematisch beobachten.

Sehen Sie in Europa Tendenzen zur Entstehung von grenzüberschreitenden Versicherern?

Wir sehen das nicht zwangsläufig. Es gibt Versicherer, die in verschiedenen Ländern aktiv sind beziehungsweise international arbeiten, aber ich sehe derzeit keine größeren Tendenzen zu grenzüberschreitenden Versicherern und europaweiten Fusionsbewegungen.

Haben Zeichnungsgemeinschaften im Versicherungsgeschäft ähnlich wie Konsortialkredite im Bankgeschäft in den vergangenen Jahren einen Aufschwung genommen?

Zeichnungsgemeinschaften beziehungsweise Mitversicherungsgeschäfte werden immer dann eingesetzt, wenn es große Risiken abzusichern gilt, die für einen Anbieter allein nicht zu tragen sind. Dann schließen sich Versicherer zusammen, um diese Risiken anteilsweise nach dem gleichen Deckungskonzept zu übernehmen und zusammen abzudecken, zum Teil auch noch mit Rückversicherungen kombiniert. Insofern gibt es mit Blick auf die Risikoteilung durchaus Parallelen zum Konsortialgeschäft.

In der Praxis gibt es für Zeichnungsgemeinschaften sowohl etablierte Modelle innerhalb der Gruppe der öffentlichen Versicherer und auch mit anderen Versicherern. Auch bei uns hat dieses Geschäftsfeld in den vergangenen Jahren Zuwächse erfahren. Aber das Modell der Zeichnungsgemeinschaft an sich wird gerade in der Industrieversicherung schon viele Jahre praktiziert.

Stichwort IT: Wie sind die öffentlichen Versicherer insgesamt und wie ist speziell Ihr Haus in der IT aufgestellt? Welche Systeme werden genutzt? Welches Synergiepotenzial gibt es?

Synergiepotenzial klingt immer so ein wenig nach Kostensparmodell. Das sehe ich auf absehbare Zeit nicht. Es kommt vielmehr zunächst wesentlich darauf an, in die richtigen Dinge zu investieren. Für unser Haus ist die IT kein Instrument zur Kostensenkung, sondern eher ein Ansatz für Investitionen in Projekte, die den Mitteleinsatz mehr als rechtfertigen, um den Marktentwicklungen und dem veränderten Kundenverhalten gerecht zu werden. Und bislang funktioniert das auch gut. Wir arbeiten intensiv an der Strategie, mehr Lösungen und mehr Geschäftsmöglichkeiten zu entwickeln und diesen Gedanken auch in die Gruppe hineinzutragen.

Die Frage, wieviel man dabei einsparen kann, wenn man Dinge gemeinsam macht, ist deshalb ein wenig schief. Aber natürlich können wir in der Gruppe zusammen mit den Sparkassen durch ein gemeinsames Arbeiten an Themen unsere Schlagkraft, unsere Geschwindigkeit, unsere Flexibilität und die Palette an Lösungsmöglichkeiten deutlich erhöhen. Das ist das Gebot der Stunde nicht in erster Linie die Kostensenkung.

Spüren Sie diese Grundstimmung nur im eigenen Haus oder im gesamten Lager der öffentlichen Versicherer?

In den vergangenen drei Jahren sind wir auch gemeinsam gut vorangekommen. Es tun sich Felder auf, in denen wir sehr einig sind. Auch die gemeinsamen Arbeitsmodelle mit der Finanz Informatik entwickeln sich gut weiter. Wir sind gut unterwegs. Das gilt auch für die Zusammenarbeit mit dem DSGV, nicht zuletzt beim Thema Vertriebsstrategie der Zukunft. Als öffentliche Versicherer arbeiten wir intensiv an der Stärkung der Rolle der Sparkassen mit. Nach meiner Wahrnehmung passt das von der Ausrichtung sehr gut zusammen.

Stichwort make or buy: Was wird bei den öffentlichen Versicherern oder speziell im Konzern Versicherungskammer noch im eigenen Haus gemacht und was läuft über IT-Dienstleister?

Das eine umfassende IT-System für einen Versicherer oder das eine System für die öffentlichen Versicherungen gibt es heute nicht mehr. Es lassen sich aber Grundtendenzen aufzeigen: Aufgrund der technischen Möglichkeiten tritt das eigene Programmieren immer mehr in den Hintergrund, weil immer mehr technische Lösungen out of the box angeboten werden. Das Erstellen eigener Softwarelösungen ist nicht mehr so relevant, immer wichtiger wird hingegen die Anwendung der verfügbaren Technik, um damit die richtigen Lösungen für die Kunden zu finden.

Dieser Trend von der Selbsterstellung zur Anwendung führt dann auch zu ganz anderen Partner-Modellen. In speziellen Feldern wie bei der IT-Security verlangt es nach Kooperationen mit hochprofessionellen Anbietern. Das lässt sich allein in der notwendigen Qualität nicht mehr abdecken. Immer wichtiger wird für die IT-Organisation eines Konzerns auch die USP, sprich der Mehrwert, den es nur im eigenen Unternehmen gibt. Darüber hinaus muss man immer im Auge haben, welche Tools zur Gewährleistung reibungsloser Abläufe (Thema run) sich einfach zukaufen lassen, um auf gute Lösungen zu kommen.

Nicht zuletzt aus Gründen der Demografie werden Sourcing und Partner-Modelle immer wichtiger, um darüber den Weg in Plattform und Ökosystemen und damit den Mehrwert für die Kunden zu finden. Das ist die Zukunft.

Im Bankenbereich gibt es den Traum von einem Kernbankensystem, das viele nutzen können und den darauf aufzusetzenden Anwendungslösungen, mit denen man sich am Markt von den Wettbewerbern differenzieren kann. Spielt das im Versicherungssektor keine Rolle?

Auch im Versicherungssektor spielen die Systeme im Bereich Anwendungssysteme (system of engagement) die entscheidende Rolle, um die Digitalisierungsstrategie nach vorne zu bringen. Im Bereich der Kernsysteme (system of records) haben wir uns auf Basis der modernen Technologien wegen der sehr langen Kundenbeziehungen zu einer anderen technologischen Lösung entschieden. Wir trennen über einen technischen Layer die internen Kernsystem-APIs von den Anwendungslösungen und nutzen die dadurch gewonnene Flexibilität, um im Kernsystembereich die Systeme zielgerichtet zu erneuern. Das ist unsere Idee: Wir finden über Layer-Lösungen ganz andere Schnittstellenanbindungen für die Interaktion mit den Kunden - auch über Online-Kanäle. Unser Backend-System ist solide und es bringt keinen Mehrwert, es mit allen Mitteln auszutauschen. Es ist besser, es iterativ weiterzuentwickeln.

In welchen Bereichen gibt es eine Zusammenarbeit mit der FI-TS?

Als eine 100-Prozent-Tochter der Finanz Informatik bietet FI-TS beispielsweise Lösungen rund um den Rechenzentrumsbetrieb. Genau an dieser Stelle kooperieren wir. Wir machen einen großen Teil des Rechenzentrumsbetriebs nicht mehr selbst, sondern lassen das dort erledigen.

Wird der Einfluss der IT ähnlich wie im Bankbereich immer wichtiger?

Ja, das ist sicher feststellbar und in den vergangenen Jahren mit der Digitalisierung wohl auch besonders spürbar. Aber die evolutionäre Entwicklung an sich hat schon in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eingesetzt. Inzwischen ist die IT zu einem ohne Zweifel bedeutsamen Wettbewerbsfaktor geworden. Es gibt keine Digitalisierung ohne IT, aber Technik allein ist nicht Digitalisierung. Es kommt wesentlich auf das Geschäftsmodell an und den Ansatz, mit dem man die relevanten Themen bearbeitet. Die Technik ist unbestritten ein Treiber der Möglichkeiten und wird als solche auch im Versicherungsbereich immer wichtiger.

Damit steigt dann auch der Einfluss der IT-Verantwortlichen in der Versicherungswirtschaft. Richtig?

Das hoffe ich doch! Im Ernst, die Rolle hat sich in der Tat deutlich gewandelt. Die IT-Verantwortlichen werden auch in unserer Branche immer mehr in die Entwicklung der Lösungsvorschläge und dann der Lösungen eingebunden, sei es im Kontakt mit Kunden oder bei Optionen zur Nutzung der Technik beziehungsweise der Einflussnahme auf konkrete Projekte. An diesen Stellen ist die Rolle der CIO ähnlich wie im Bankensektor in den vergangenen Jahren aufgewertet worden.

Der Konzern Versicherungskammer gilt als vergleichsweise offen für den Einsatz von Big Data, Data Analytics und Künstlicher Intelligenz. Wie wird es von den Kunden angenommen, wenn sie konkrete Hinweise und Empfehlungen bekommen, welche Produkte und Dienstleistungen für sie interessant sein könnten?

Vom Grundsatz her sind wir in der Tat offen für den Einsatz dieser Möglichkeiten. Aber ganz wichtig ist uns an dieser Stelle die Sicherheit, die wir unseren Kunden bieten. Datensicherheit hat für uns einen hohen Stellenwert und wird ausdrücklich als Differenzierungsmerkmal im Wettbewerb gesehen. Daran arbeiten wir sehr hart. Und wir tun darüber hinaus nur Dinge, für die die Kunden uns ausdrücklich die Einwilligung gegeben haben.

Bei den Kunden selbst kommt das gut an, weil sie nicht mehr unselektiert mit Informationen geflutet werden, sondern zunehmend Informationen erhalten, die in ihrer aktuellen Situation für sie wichtig sein können. Wenn die Informationen für die Kunden gefühlt relevant sind, kommen sie auch gut an.

Der Umgang der Sparkassen und Volksbanken mit diesen Dingen klingt oft sehr defensiv. Immer wieder wird der Vertrauensschutz herausgestellt. Durch die Betonung der Sicherheit und der Einwilligung durch den Kunden ist Ihre Antwort nun ähnlich zurückhaltend. Hat man so defensiv eine Chance, gegenüber den sogenannten Big Techs, die sehr viel unbefangener mit den Möglichkeiten der Datenauswertung und der gezielten Kundenansprache umgehen?

Natürlich wollen alle Anbieter in diesem Bereich vorankommen und ihr vorhandenes Datenmaterial nutzen. Sofern das wie bei uns nur mit der Einwilligung der Kunden passiert, halte ich das für vertretbar. Teilweise fahren wir mit einzelnen Sparkassen diesbezüglich auch Use Cases, um Erfahrungen zu sammeln, wie Kunden auf eine solche Ansprache reagieren. Bisher haben wir eine ausgesprochen offene und der Tendenz nach positive Resonanz.

Würden Sie sich von den Sparkassen eine größere Offenheit für solche Ansätze wünschen? Können die Institute von Ihnen an dieser Stelle etwas lernen?

Wir versuchen, unsere Kenntnisse und Fähigkeiten, beispielsweise im Bereich Data Analytics und Aufbau von Big-Data-Plattformen, in die S-Finanzgruppe einzubringen und freuen uns stets über Interesse und einen konstruktiven Austausch.

Wie sehen die Kunden die mit all diesen Techniken verbundenen Sicherheitsfragen? Haben Sie dazu Erkenntnisse?

Das Vertrauen unserer Kunden zu erhalten, hat für uns einen sehr hohen Stellenwert. Insofern beobachten wir genau den Markt und analysieren sorgfältig die möglichen Gründe von negativen Kundenreaktionen. Gerade bei den Zugängen zu unseren Online-Kanälen legen wir großen Wert auf höchste Sicherheitsstandards und Transparenz.

Und wir suchen in diesen Fragen den Dialog mit unseren Kunden. Dass viele sich die Frage stellen, wem sie ihre Daten geben und genau wissen wollen, was damit gemacht wird, bietet uns auch die Chance zum Dialog und zur Festigung der Kundenbeziehung. An dieser Stelle profitieren wir vom guten Ruf der Sparkassen und der öffentlichen Versicherer.

Online-Vertrieb versus persönliche Beratung: Im Bankenbereich halten beide Verbundgruppen ebenso wie die Großbanken an dem Konzept fest, auch eine Kombination beider Vertriebswege anzubieten. Wie sieht der Konzern Versicherungskammer diese Dinge?

Genauso! Bei mir persönlich hat sich diese Einschätzung kürzlich in einem Gespräch mit jungen Leuten über die Erwartungen an eine Versicherung noch verfestigt. Bei bestimmten Vertragsabschlüssen, mit regelmäßigen Mittelabflüssen, will auch diese Generation bei aller Online-Affinität noch einmal mit einem Menschen sprechen.

Das bedeutet für uns, möglichst viele Informationen online zur Verfügung zu stellen und auch möglichst viele direkte Online-Abschlüsse zu ermöglichen, aber wir dürfen den Beratungsansatz nicht vernachlässigen. Auch viele jüngere Menschen wollen in verschiedenen Konstellationen eine personalisierte Beratung. Die Orchestrierung der einzelnen Vertriebskanäle wird immer wichtiger.

Wie stark ist der Konzern Versicherungskammer in Sparkassen technisch vertreten?

Die Grundidee der Tiefenintegration in die Sparkassensysteme beinhaltet den Verkauf der Versicherungsprodukte durch den Sparkassenberater. Wenn dieser in ein Segment vorstößt, in dem weitere Sachkompetenz aufgrund der Komplexität und der für den Erfolg notwendigen detaillierten Fachkenntnisse hinzugezogen werden muss, ist das möglich, aber grundsätzlich sollte jeder Sparkassenberater medienbruchfrei Versicherungsgeschäft abschließen können, und zwar in seinem Bankenprozess, wie er ihn kennt. Bei den erwähnten sogenannten Überleitungsmodellen läuft nur die Erstberatung beziehungsweise die Bedarfsermittlung über den Sparkassenmitarbeiter und dann erfolgt die Verzweigung auf die Spezialisten. Das Konzept ist auf gutem Wege.

Sie haben angeboten, die mit dem Fintech Clark entwickelte Lösung zum Versicherungsmanagement als White-Label-Angebot anderen öffentlichen Versicherern und Sparkassen zur Verfügung zu stellen. Wie ist diesbezüglich der Stand der Dinge?

Die Reaktionen sind positiv. Ich bin durchaus optimistisch, dass die für den Sparkassenvertrieb modifizierte Version des Versicherungsmanagers von Clark auf Interesse stoßen und zur Anwendung kommen wird. Das Projekt ist erfreulicherweise auf einem guten Weg, zu einer bundesweiten Lösung zu werden, die alle öffentlichen Versicherer nutzen können.

Stichwort Regulatorik: Im Bankenbereich wird oft darüber geklagt, dass sich die Vielzahl von Neuerungen kaum noch mit vertretbaren Kosten in die IT-Systeme einpflegen lassen. Gilt das auch für die Versicherungsbranche?

Die Regulatorik ist zunächst einmal nichts Neues und begleitet uns mindestens seit Anfang der neunziger Jahre mit dem Wegfall des Versicherungsmonopols kontinuierlich. Dass die regulatorischen Anforderungen seit der Finanzkrise mehr geworden sind, stimmt sicherlich, aber diese Dinge sind vorgegeben. Und eine regulatorische Sauberkeit, auch in der IT, birgt auch Chancen auf Differenzierung am Markt und damit neues Geschäft. Das ist ein belegbares Asset dem Kunden gegenüber.

Auch auf den sauberen Ablauf der Prozesse kann die Regulatorik einen günstigen Einfluss haben. Jammernd werden Sie mich an dieser Stelle nicht erleben.

Regulatorik macht die IT immer komplexer und teurer, stimmt das?

Das kann ich so nicht ganz bestätigen: Den Anforderungen der Regulatorik nachzukommen, bedingt meiner Auffassung nach nicht zwingend eine komplexere IT. Das kann auch gelingen, indem man manche Dinge einfach weglässt, auf den Prüfstand stellt und anders macht.

Zum Schluss noch ein Blick in die Zukunft. Welche Möglichkeiten bietet Data Analytics für die Schadensprognose?

An dieser Stelle sind richtig interessante Entwicklungen möglich. So lässt sich über eine Schadensprognose mit Wetterdaten mit hoher Wahrscheinlichkeit voraussagen, wann ein Schaden auftreten wird und welcher Schaden. Und dann kann man natürlich ganz gezielt vor einem möglichen Schaden warnen und beispielsweise Kooperationen mit Servicepartnern anbieten. Nach einem Schaden schnell einen Handwerker zu finden, ist beispielsweise ein Service, der bei den Kunden höchste Wertschätzung genießt. Das schafft die Möglichkeit, den Kunden ganz neue Servicepakete anzubieten.

Eine viel gezieltere Ansprache als wir sie bis heute kennen, ist auch bei der Elementarversicherung möglich. Die Berater können Kunden mit belastbaren Wahrscheinlichkeiten auf ein mögliches Schadensereignis in ihrem Umfeld ansprechen.

Dr. Stephan Spieleder Mitglied des Vorstands, Organisation und IT, Konzern Versicherungskammer, München
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