Herzlichen Glückwunsch!

Philipp Otto, Chefredakteur, Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Die infolge der globalen Finanzkrise forcierte Europäisierung der Bankenaufsicht feiert Geburtstag. Am 4. November 2019 wurde der Einheitliche Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism - SSM), der sich aus der Europäischen Zentralbank und den nationalen zuständigen Behörden zusammensetzt, 5 Jahre alt.

Der 5. Geburtstag: Das ist kein gewöhnlicher Geburtstag. Denn damit ist der Sprössling den Kleinkindertagen endgültig entwachsen und nähert sich der nächsten Entwicklungsphase, der des Schulkinds. Das Standardwerk "Die seelische Entwicklung des Menschen im Kindes- und Jugendalter" von Hans Remplein spricht vom "1. Gestaltenwandel". Dieser markiert den Beginn des Großkindalters, also der Phase zwischen Schulreife und ausgeprägtem Einsetzen der Pubertät, und ist auch von außen sichtbar, denn die körperliche Gestalt des Kindes verändert sich. Die Proportionen verschieben sich, die Gliedmaßen werden länger, der Rumpf tritt im Verhältnis zurück, die Kinder wirken schmaler, die Schultern werden breiter und die Rückenmuskulatur ausgeprägter. Auch die Psyche unterliegt Veränderungen: Die kindliche Egozentrik im Denken wird Stück für Stück überwunden. Der Weg dahin ist jedoch keineswegs leicht. Die Kinder sind auf der Suche, sind mal voller Energie und Tatendrang, während sie kurz darauf schlapp, lustlos und von allem gelangweilt wirken können. Es kommt zu Phasen der Frustration und der Aggressivität. Der Grund laut Remplein: Das Kind setzt sich auf einem viel höheren Niveau als zuvor eigene Ziele, kann diese aber noch nicht immer selbstständig erreichen, da ihm in der Geschicklichkeit, im Wissen und Können und auch im Sozialverhalten noch das wesentliche Handwerkszeug fehlt. Das schmerzt.

Die Evolution von Institutionen ringt zwar sicherlich mit ähnlichen Herausforderungen, muss insgesamt aber natürlich bedeutend schneller vonstatten gehen. 5 Jahre nach der Geburtsstunde des SSM darf man gratulieren. Und man muss zunächst einmal festhalten: Was hier in kürzester Zeit aufgebaut wurde, verdient Respekt. Die Grundsatzentscheidung zur Etablierung eines einheitlichen europäischen Aufsichtsmechanismus unter Einbindung der EZB war richtig. Die unterschiedlichen Standards in den damals 17, heute 19 Eurostaaten, machten es schwer, die vom Banksystem ausgehenden Risiken für das jeweilige Land, aber auch für die Finanzstabilität in Europa und darüber hinaus nachhaltig einschätzen zu können. Mittlerweile ist die Datenlage und damit auch der Erkenntnisgewinn durch die Arbeit des SSM, nicht zuletzt die Stresstests, spürbar gestiegen, auch wenn manch ein Banker beklagt, dass die unter großem Aufwand eingesammelten enormen Datenmengen doch sowieso nur in den "Kellern der Aufsichtsbehörden" vergammeln.

Am deutlichsten sichtbar für die breite Öffentlichkeit werden die verschärften Vorschriften und die Arbeit des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus an der Menge und Qualität der vorzuhaltenden Faktoren Eigenkapital und Liquidität. Das Bankensystem in Europa ist zweifelsohne sicherer geworden und kann Rückschläge heute sicherlich besser abfedern, als dies noch vor einigen Jahren der Fall war. Auch das ist unbestritten positiv.

Die nun anstehende Umsetzung von Basel III wird noch einmal zu einer spürbaren Stärkung führen. Ob dabei über das Ziel hinaus geschossen wird, bleibt abzuwarten. Der Bundesverband deutscher Banken jedenfalls befürchtet nach derzeitigem Stand Mehrbelastungen beim Eigenkapital für die europäischen Banken von rund 135 Milliarden Euro - eben weil die Institute hier sehr kreditlastig sind und nicht wie in den USA vor allem Kapitalmarktgeschäft betreiben. Der BdB spricht daher von signifikanten Erhöhungen der Eigenmittelanforderungen, was laut Aufsichtsbehörden eigentlich vermieden werden sollte, und sieht die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Institute in Gefahr. Hier krankt es vermutlich schlicht an der Schwierigkeit der Harmonisierung, da Geschäftsmodelle in Ländern unterschiedlich sind und keineswegs immer ausgewogen mit den gleichen Regeln erfasst werden können. Ähnliches gilt im Übrigen auch für die Geldpolitik der EZB, die ohne Zweifel unterschiedliche Wirkungen in verschiedenen Ländern erzeugt, dabei Länder wie Deutschland sehr viel härter trifft als andere. Doch ohne Unterstützung durch eine stringente Fiskalpolitik in allen Ländern wird sich daran nichts ändern.

Ein weiterer Baustein der Bankenunion und auch ein weiterer Streitpunkt in Sachen Harmonisierung ist EDIS, die einheitliche Einlagensicherung in der Eurozone. Die gemeinschaftliche Haftung für Bankschieflagen egal in welchem Land wurde vor allem von Deutschland bislang abgelehnt. Schließlich fürchten hier die Volks- und Raiffeisenbanken und die Sparkassen zu Recht um das sie auszeichnende Prinzip der Institutssicherung. Die Deutsche Kreditwirtschaft kritisiert an den Plänen, dass mittels EDIS aufgrund der noch immer sehr unterschiedlichen Risiken in den einzelnen Bankensystemen ein neuer Transfermechanismus zwischen den nationalen Sicherungssystemen der Eurozone geschaffen würde. Und was wäre gewonnen?

Schließlich gibt es seit 1. Januar 2015 mit dem einheitlichen Abwicklungsmechanismus (SRB -Single Resolution Board) die zentrale Behörde innerhalb der europäischen Bankenunion. Das SRB soll die ordnungsgemäße Abwicklung von insolvenzbedrohten Finanzinstituten mit möglichst geringen Auswirkungen auf die Realwirtschaft und die öffentlichen Finanzen der teilnehmenden EU-Länder und anderer Länder gewährleisten. Dafür leisten Banken in Europa mit der Bankenabgabe ihren Beitrag zur Auffüllung des Einheitlichen Abwicklungsfonds (Single Resolution Fund - SRF), der bis 2023 ein Zielvolumen von mindestens 55 Milliarden Euro erreichen soll.

Dabei wird er aber Jahr für Jahr zurückgeworfen. Da eine Abwicklung im Ernstfall innerhalb weniger Stunden erfolgen muss, um Verwerfungen an den Märkten zu verhindern, ist dem SRF eine hohe Cash-Komponente bei der Verwaltung des Fondsvermögens zwingend vorgeschrieben. Dieses muss bei der EZB geparkt werden, zu den negativen Zinssätzen für Einlagefazilitäten. Das kann mit Verlaub nicht richtig sein. Eine Institution wie der SRF gehört von diesen Belastungen zwingend befreit. Stattdessen sollte man darüber nachdenken, die von der EZB im Zuge der Negativzinspolitik eingefahrenen Gewinne in voller Höhe an den SRF auszuschütten, um so zu einer nachhaltigen Entlastung der Banken beizutragen. Das wäre mal ein gutes Beispiel für die sinnvolle Zusammenarbeit europäischer Aufsichtsinstitutionen.

Inwieweit der jüngste Vorstoß von Bundesfinanzminister Olaf Scholz in Sachen Bankenunion und EDIS für mehr Bewegung in der festgefahrenen Diskussion führen kann, wird sich zeigen müssen. Die ersten Reaktionen waren jedenfalls positiv, in Brüssel ebenso wie in einigen Nachbarländern. Während sich Sparkassen und Kreditgenossenschaften eher skeptisch äußerten, begrüßten die Privatbanken die Initiative. Es sei wichtig, dass sich Deutschland auch mal wieder mit konstruktiven Vorschlägen an der Diskussion beteilige, heißt es. Klug vom Bundesfinanzminister ist es sicherlich, verschiedene relevante Themen in seinem Vorstoß miteinander zu kombinieren und nicht nur auf EDIS abzustellen. Denn während die Einheitliche Einlagensicherung den Deutschen besonders schwer im Magen liegt, haben andere Länder wie beispielsweise Italien sehr viel größere Probleme mit der Risikogewichtung von Staatsanleihen. So lassen sich vermutlich sehr viel eher Kompromisse aushandeln.

Richtet man den Blick nach vorn, also auf die Schulzeit der europäischen Bankenaufsicht, heißt es sicherlich, noch schneller zu lernen als bislang schon. Das Thema Proportionalität spielt eine gewichtige Rolle. Ebenso die Überprüfung all der Vorschriften samt ihrer Wechselwirkungen, die gerade erst begonnen hat. Bei der globalen Umsetzung der Regeln ist auf ein Level Playing Field zu achten. Und zu guter Letzt sind es auch nach wie vor zu viele Institutionen, die sich intensiv mit dem europäischen Bankensektor beschäftigen. All das ist wichtig, damit es zum 10. Geburtstag des SSM wieder aufrichtig heißen kann "Herzlichen Glückwunsch" und nicht abfällig "Na, herzlichen Glückwunsch".

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