Organisation

Arbeitsteilung zwischen Vertrieb und Produktion

Manche Ingenieure und Entwickler sind an den gnadenlosen Gesetzen des Marktes schon verzweifelt. Da bringen sie nach mitunter jahrelanger mühsamer Detailarbeit ein neues Produkt auf den Markt, das aus ihrer Sicht innovativer und raffinierter ist als alles, was der Wettbewerb zu bieten hat. Und trotzdem erweist sich die Neuheit nicht als Verkaufsschlager, gar als Ladenhüter. Nicht minder frustrierend muss es für einen bis in die Haarspitzen motivierten und engagierten Vertriebsmitarbeiter sein, wenn er feststellt, dass seine Kunden unzufrieden sind, weil das von ihm verkaufte Produkt von schlechter Qualität ist. Im ersten Fall werden Ladenhüter produziert - im zweiten Fall Reklamationen. Erfolg stellt sich aber nur dann ein, wenn gute Produkte von einem einsatzbereiten und ideenreichen Vertrieb am Markt verkauft werden. Zugegeben, eine Binsenweisheit, doch so banal die Erkenntnis erscheinen mag desto schwieriger ist eine adäquate Antwort auf diese Herausforderung.

Teure Einzellösungen

Eine Antwort könnte sein, dass Produktion und Vertrieb von Anfang an eng zusammenarbeiten und jeder Beteiligte seine Wünsche und Vorstellungen einbringt, von denen er meint, sie seien im Interesse des Kunden und zudem noch wirtschaftlich darstellbar. In den neunziger Jahren kam es vereinzelt in der Automobilindustrie zu einer unheilvollen Allianz von kundenorientierten Verkäufern und detailverliebten Technikern. Beide Gruppen zusammen hätten theoretisch eigentlich permanent Bestseller auf den Markt bringen müssen. Wie gesagt: Rein theoretisch, denn praktisch kam es ganz anders. Die Produktpaletten nahmen unüberschaubare Ausmaße an, ein hohes Maß an Individualität führte dazu, dass sich die Beteiligten in Kleinigkeiten verloren, von einer Gleichteil- und Modulstrategie war man weit entfernt, und die Produktionskosten explodierten. Hersteller, die auf diese Weise arbeiteten, gerieten in existenzbedrohende Krisen.

Aus diesen Fehlern hat die Branche gelernt. Die deutschen Hersteller folgen dem Beispiel der japanischen Mitbewerber und setzen auf eine vereinheitlichte Produktion. Vor einigen Monaten kündigte die Volkswagen AG gar den Bau einer weltweiten Einheitsfabrik an. Dank eines modularen Produktionsbaukastens will der Wolfsburger Konzern eine größere Flexibilität bei der Fertigung unterschiedlicher Modelle und natürlich sinkende Kosten erreichen, denn Einzellösungen sind allemal teuer. Je standardisierter ein Unternehmen arbeitet, desto günstiger kann es produzieren. Und: Es interessiert einen Kunden doch nicht wirklich, wenn manche Teile im Inneren des Fahrzeugs bei VW, Audi und Porsche identisch sind.

Gegensätzlichkeit als Erfolgs-Blockade

Welche Schlüsse können Sparkassen aus diesem Paradigmenwechsel in der Industrie ziehen und wie sieht eine erfolgsorientierte Arbeitsteilung zwischen Vertrieb (Markt) und Produktion (Marktfolge) aus? Wer ist der Treiber, wer der Getriebene? Um es gleich vorweg zu nehmen: Einer der sichersten Wege, um nachhaltige Erfolge auszuschließen, wäre es, Gegensätzlichkeiten zwischen Produktion und Vertrieb aufkommen zu lassen. Erfolg haben beide nur gemeinsam, wenn sie sich auf ihre jeweiligen Aufgaben und Stärken konzentrieren und nicht - wie in der Automobilindustrie in den neunziger Jahren - sich in der selbstgeschaffenen Komplexität verlieren.

Der Treiber ist laut Lexikon eine Person, die bei einer Treibjagd Wild aufscheucht. Man mag trefflich darüber streiten, ob die Produktion oder der Vertrieb entsprechend dieser Definition nun "Wild" beziehungsweise "Wild aufscheuchende Person" ist. Am Ende wird man zu der Erkenntnis gelangen, dass beide Bereiche gleichermaßen Treiber und Getriebene sind. Die Herausforderung für beide besteht darin, Produktionseffizienz und Vertriebsstärke zu vereinen. Im Idealfall trägt die Dynamik des Treibens und Getriebenwerdens zur Entstehung eines unschlagbaren "Powerduos" bei.

Bankprodukte - keine Kunstwerke

Doch grau ist alle Theorie. Was bedeutet dies konkret für Markt und Marktfolge? Der Vertrieb ist Kernbereich einer Sparkasse. Die Nassauische Sparkasse (Naspa) zum Beispiel definiert sich als Vertriebssparkasse, was deutlich macht, welcher Stellenwert diesem Bereich zukommt. "Der Vertrieb gibt den Takt vor, er hat seine Ohren direkt am Markt und weiß, was die Kunden wünschen", heißt es oft. Weiß er es wirklich oder folgt nicht häufig ein produktionskostentreibendes "Wunschkonzert"? "Wir haben zu wenige Produkte, wir haben zu wenig technische Unterstützung, wir haben zu lange Bearbeitungszeiten." Man sollte das ernst nehmen, aber gleichwohl kritisch würdigen und nicht in die Kostenfalle laufen. Sparringspartner auf Augenhöhe muss für den Vertrieb hier die Marktfolge, der Produktionsbereich, sein.

Ebenso wie die Produktion einer Sparkasse von der Industrie lernen kann, lohnt im Vertrieb ein Blick in den klassischen Handel. Kein Kunde, der zu einem Händler geht, wird erwarten, dass dieser ihm ein Unikat verkauft (eine Ausnahme bildet allenfalls der Kunsthandel). Wir haben die Wahl unter verschiedenen Standardprodukten. Aufgabe des Handels (des Vertriebs) ist es, die im Angebot befindlichen Produkte zu verkaufen. Es bringt nichts, den Kunden von anderen Produkten zu berichten, die der Händler nicht liefern kann.

Dabei sollte das Produktportfolio überschaubar bleiben. Das wünschen sich im Übrigen auch die Vertriebsmitarbeiter. Man darf sich nichts vormachen: Die gängigen Bankprodukte sind keine Kunstwerke oder "Maßanzüge", sondern standardisierte Massenware. Eine breite Angebotspalette, die sogar sehr individuelle Wünsche erfüllt, wäre äußerst komplex und teuer. Die Mehrheit der Kunden wünscht sich aber keine teure Komplexität, sondern Transparenz und einfache, qualitativ gute Produkte zu einem fairen Preis.

Er wäre auch ganz und gar nicht Ziel führend, wenn der Vertriebsmitarbeiter dem Kundenwunsch entsprechend den serienmäßig vorne sitzenden Motor - von der Marktfolge - hinten einbauen lässt. Er müsste besser dem Kunden vermitteln, dass dieses Produkt nicht im Angebot ist und hinzufügen, welchen Vorteil doch der Frontmotor hat. Wird im Vertrieb nicht häufig selbst zuviel Individualität geschaffen? Ein heißes Eisen!

Was kann eine Sparkasse von der Industrie lernen? Bei der industriellen Fertigung geht es grundsätzlich nicht mehr darum, das Geschäft als Ganzes zu verstehen, sondern einzelne, klar abgrenzbare Prozessschritte schnell und fehlerfrei zu bearbeiten. Das heißt, die Arbeitsteilung erfolgt modular. Schon bei der Produkt entwicklung sollte an die Produktionskosten gedacht werden. Schlanke Produkte sind wiederum Voraussetzung für schlanke Prozesse und effizienten Vertrieb.

Eine klare Beschreibung und Abgrenzung der Aufgaben

Der Weg hin zur Optimierung des Vertriebs und der Produktion führt zunächst über eine klare Beschreibung und Abgrenzung der jeweiligen Aufgaben. Es gilt somit, die Vertriebsaktivitäten im engeren Sinne zu definieren und die damit verbundenen administrativen Tätigkeiten zu separieren. Die identifizierten Administrationstätigkeiten sind zu konzentrieren, zu standardisieren und zu spezialisieren. Durch die Konzentration von Administrationstätigkeiten werden die Kosten gesenkt und die Komplexität reduziert. Gleichzeitig steigen die Schnelligkeit und die Qualität der Bearbeitung.

Die Trennung von Vertrieb und Administration ist nur in einem Fall nicht sinnvoll: Wenn der Vertrieb mit wenigen Handgriffen den Fall abschließen kann (Fall abschluss). Die Handgriffe, die er zum Fallabschluss benötigt, würde er ansonsten zur Weiterleitung brauchen, prozessual und aus Kostensicht also kein Vorteil.

Was das alles konkret bedeutet, sei am Beispiel des klassischen Bankkredits erläutert. Früher war beinahe jeder Kredit eine individuelle Meisterleistung, fast schon ein Kunstwerk, auf das die Mitarbeiter richtig stolz waren. Kurzum: Jeder Kredit war ein aufwendig hergestellter und entsprechend teurer "Maßanzug". Aber diese Art von Kunstwerken brauchen die Banken nicht. Der Kredit ist häufig ein abrufbares Massenprodukt, den der Vertriebsmitarbeiter fallabschließend bewilligen oder zielgerichtet zur Weiterbearbeitung an die Marktfolge leiten kann, im Grunde also eher ein in großer Zahl vertriebener Kunstdruck als ein Unikat. Mit Menge entsteht Routine - und das ist gut.

Kredite - größtenteils Massenware

Bisher standen bei jeder einzelnen Kreditentscheidung die Kapitaldienstfähigkeit und Sicherheiten im Vordergrund. Selbstverständlich galt und gilt es, Risikogesichtspunkte angemessen zu berücksichtigen. Allerdings verfügen die Geldinstitute aufgrund langjähriger Geschäftsbeziehungen mit den jeweiligen Kunden über Erfahrungswerte. Es lässt sich mithin mit ausreichender Sicherheit - die Mathematik macht es möglich - abschätzen, bis zu welchem Betrag der Kunde wohl kreditwürdig ist. Salopp formuliert: Ist der Kunde zum Beispiel für 50 000 Euro gut und gibt es auch sonst keine Hinweise darauf, dass sich seine wirtschaftliche Situation verschlechtert, bedarf es keiner aufwendigen Berechnungen oder einer ebenfalls mit administrativem Aufwand verbundenen Entgegennahme von Sicherheiten.

Es gilt, die Kapitaldienstrechnung, Unterlagen und die Sicherheiten immer in Relation zum notwendigen Aufwand für die einzelnen Vorgänge zu sehen. In manchen Fällen ist es in der Tat günstiger, auf eine Berechnung, Kontrolle und die Entgegennahme von Unterlagen und Sicherheiten gänzlich zu verzichten. Die Prinzipien einer hocheffizient arbeitenden Kreditfabrik lassen sich nicht nur bei Privatkrediten oder der Baufinanzierung, sondern auch bei Gewerbekrediten anwenden.

Für Individualität zahlen

Unter Effizienzgesichtspunkten ist es notwendig, das überwiegende Standardgeschäft vom komplexen Geschäft strikt zu trennen. Bildhaft ausgedrückt: Auf der einen Seite gibt es standardisierte Produkte mit einem Minimum an administrativem Aufwand. Auf der anderen Seite bietet die Sparkasse für besonders komplexe Fälle eine Art Kredit-Manufaktur, in der individuelle Lösungen - oftmals großvolumig - für den Kunden erarbeitet werden. Dafür muss der Kunde aber einen höheren Preis akzeptieren. Manufakturware ist generell wesentlich teurer als Standardware. Nur wenn der Kunde für Individualität zahlt, bekommt er diese Individualität. Der Mittelweg ist Konfektion statt Maßanzug oder Einheitsgröße.

Für Individualität zahlen, das klingt - zugegeben - etwas provokant, ist aber in anderen Branchen eine Selbstverständlichkeit. Mitunter ist die Sorge zu hören, Kunden könnten verschreckt reagieren, wenn sie hören, dass ihnen Standardlösungen angeboten werden. Weckt der Begriff "Standard" nicht Assoziationen mit billiger Ware von der Stange? Solche Bedenken erscheinen heute unbegründet, denn die Mehrzahl der Kunden hat sich längst für Standardlösungen entschieden. Online-Banking ist nichts anderes als die effiziente Abwicklung von Standardgeschäften unter Nutzung moderner Kommunikationstechnologien.

Guter Standard ist Komfort

Standards bestechen nicht durch ausgefallene Exklusivität, aber sie sind praktisch, bequem und günstig. Und ein straff durchorganisierter fabrikähnlicher Prozess erleichtert die Qualitätssicherung. These deshalb: Guter Standard ist Komfort! Individualität entsteht durch Auswahl und Kombination von vorgegebenen Möglichkeiten (= Konfektion) - wie beim Autokauf.

Die Kunden haben diese Prozesse längst kennen- und schätzen gelernt. Nicht nur das erwähnte Online-Banking, sondern jede Bestellung im Internet ist ein standardisierter Prozess, der präzise Anforderungen an den Kunden stellt. So muss er zum Beispiel alle auf dem Bestellformular als notwendig gekennzeichneten Fragen beantworten, ansonsten kann er seine Order nicht absenden. Das erspart dem Verkäufer zeitaufwendige Nachfragen. Die Technik zwingt also zur Einheitlichkeit und Vollständigkeit. Das gilt ebenso für den Vertrieb: Die an die Marktfolge weitergeleiteten Daten müssen vollständig sein, um keinen zusätzlichen administrativen Aufwand entstehen zu lassen. Sind die Unterlagen lückenhaft oder muss nachgearbeitet werden, verteuert dies natürlich die Produktion. Eigentlich müsste sich das dann im Preis niederschlagen.

Wichtig: Erfahrungsaustausch zwischen Markt und Marktfolge

Die Naspa hat in den vergangenen Jahren ihre Kreditprozesse und Strukturen in den Bereichen "Firmenkunden/Private Banking" sowie "Privatkunden" entschlackt und reorganisiert. Dabei zeigte sich ganz konkret, dass eine Standardisierung der Prozesse mit nicht unerheblichen Einsparpotenzialen möglich ist, wobei gleichzeitig das Qualitätsniveau steigt. Standardisierung darf aber nicht zur unflexiblen Bürokratie ausarten, Freiräume für Sonderlösungen müssen vorhanden sein, aber Ausnahmen dürfen nicht zur Regel werden.

Welche Herausforderungen ergeben sich aus dem Prinzip der effizienten "Bankfabrik" für den Vertrieb? Nüchtern betrachtet, lässt es sich nicht bestreiten, dass die meisten Vertriebsmitarbeiter mit den Produktionsbedingungen einer Fabrik nicht vertraut sind. Sie reagieren entsprechend skeptisch, es besteht die Gefahr von Kommunikationsproblemen und Missverständnissen. Umgekehrt kennen aber die meisten Marktfolgemitarbeiter die Arbeit ihrer Kollegen am Markt recht genau. Was liegt für die Mitarbeiter im Vertrieb näher, als eben mal schnell beim Kollegen in der Marktfolge anzurufen? Ständige Rückfragen aus dem Vertrieb belasten aber den Produktionsbetrieb. Die Interaktion zwischen Markt und Marktfolge muss also hier auf das notwendige Maß begrenzt werden. Schließlich kann ein Autoverkäufer auch nicht ständig in der Hersteller-Fabrik anrufen.

Die Marktfolgemitarbeiter sind derzeit in der Regel breit ausgebildete Kredit- beziehungsweise Passivspezialisten. Im Zuge der Einführung fabrikähnlicher Prozesse, in denen die Mitarbeiter jeweils für ganz bestimmte Teilbereiche zuständig sind, wird nur noch ein kleiner Ausschnitt ihrer früher umfangreichen Tätigkeit abgefragt. Aus Generalisten werden Spezialisten.

In dieser neuen Rolle müssen sich die Mitarbeiter erst zurechtfinden. Schon die Begrifflichkeiten sind für manchen gewöhnungsbedürftig. Fällt das Wort von der Kredit- oder Bankfabrik, assoziieren viele damit den "Blaumann". Dabei braucht es in einer solchen Fabrik neben "Blaumännern" viele kluge Prozesssteuerer, also sozusagen "Ingenieure".

Die Kapazitäten der Marktfolge sind zudem auf den kontinuierlichen Normalbetrieb ausgelegt. Angestrebt wird eine möglichst gleichmäßige Auslastung. Das Vorhalten von Kapazitäten zur Abdeckung der Spitzenlast erweist sich als teuer. Insofern macht die temporäre Herausgabe von Aufgaben an Externe unter Umständen Sinn. Darüber hinaus stehen nicht die Bearbeitungszeiten einer Prozessoptimierung im Wege, sondern in erster Linie Transport- und Liegezeiten sowie Medienbrüche.

Die absolut falsche Strategie wären "erzieherische Maßnahmen" in Richtung Markt. Vielmehr ist das Miteinander der richtige Weg. Dazu gehören der regelmäßige Erfahrungsaustausch von Markt und Marktfolge, Hospitationen und Impulszirkel. Eine weitere sinnvolle Maßnahme kann es sein, im Karriereweg der Vertriebsmitarbeiter Stationen in der Marktfolge vorzusehen. Denn auch für eine Vertriebssparkasse gilt: Markt und Marktfolge sind nur gemeinsam erfolgreich.

Beide Bereiche - Vertrieb und Produktion - erleben im Vergleich zu früher Einschränkungen in ihrem Gestaltungsspielraum, der Grad der Fremdbestimmung nimmt zu. Das allerdings ist notwendig, um im Sparkassengeschäft erfolgreich zu sein und damit die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Schließlich möchten die Sparkassen als Ganzes in der Branche weiterhin vor allem Treiber und nicht Getriebene sein.

Bertram Theilacker , Mitglied des Vorstands , Nassauische Sparkasse (Naspa), Wiesbaden
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