Finanzkrise - Effekte und Perspektiven

Komplexitätsreduzierung ist gefragt

Das Einlagengeschäft, jahrzehntelang eine unangefochtene Domäne der Sparkassen, ist in den Jahren vor der Finanzmarktkrise deutlich schwieriger geworden. Zwar zeigen die aktuellen Statistiken, dass die Sparkassen neuerdings wieder volumenbezogene Marktanteile im Einlagengeschäft (zurück-)gewinnen, gleichwohl waren die Sparkassenbilanzen in den Jahren zuvor durch ein geringes Wachstum - im Durchschnitt zwei Prozent per annum - der Kundeneinlagen gekennzeichnet.

In vielen Häusern betrug das absolute Wachstum der Kundeneinlagen weniger als die im Jahresverlauf kapitalisierten Zinsen, was einer realen Schrumpfung entspricht. Oft konnte diese durch ein entsprechendes Wachstum der Netto-Wertpapierersparnis kompensiert werden. Das Wertpapiergeschäft und die damit verbundenen Provisionen standen oft stärker im Fokus der Geschäftspolitik als bilanzwirksame Kundeneinlagen mit den Zinserträgen. Allgemein wurde eine Stärkung des Provisionsgeschäftes propagiert.

Die Aktivitäten der Konkurrenten waren in den letzten Jahren von der "Wiederentdeckung des Privatkundengeschäfts" geprägt. Neue Anbieter, wie die verschiedenen in- und ausländischen Direkt- und Autobanken sowie etablierte Wettbewerber aus dem Privatbankensektor, unternahmen erhebliche Anstrengungen, um den Platzhirschen im Privatkundengeschäft, also Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken, Kundeneinlagen "abzujagen".

Dieser Einkauf von Marktanteilen geschah teilweise über härteste Kampfkonditionen. Namentlich das stark beworbene Angebot von attraktiv verzinsten Tagesgeldkonten hat über Jahre hinweg für Bewegung sowohl auf der Nachfrage- als auch auf der Anbieterseite gesorgt: Für Teile der Kundschaft ist heute das Tagesgeldkonto und nicht mehr das klassische Spar(kassen) buch das Finanzprodukt, auf dem die "eiserne Reserve" geparkt wird. Der große Markterfolg, den eine stattliche Anzahl von Direkt- und Autobanken mit Tagesgeldkonten in den ersten Jahren nach dem Markteintritt erzielen konnte, führte dazu, dass auch immer mehr Universalkreditinstitute dieses Produkt in ihr Angebot aufgenommen haben. Von 100 Sparern in Deutschland sind seriösen Marktforschungsergebnissen zufolge 58 Kunden einer Sparkasse. Der Markterfolg mit Sparprodukten hat dazu geführt, dass die Kundeneinlagen eine bedeutende Ertragsquelle der Sparkassen sind. Schon aus diesem Grund gebührt dem Passivgeschäft besondere Aufmerksamkeit.

Wertekanon der Sparkassen

Sparkassen haben den verbindlichen Auftrag, allen Bürgerinnen und Bürgern in ihrem Geschäftsgebiet eine sichere Anlagemöglichkeit für ihre Ersparnisse zu eröffnen. Historisch gesehen sollte durch das Einlagen- beziehungsweise Spargeschäft bei der Gründung der ersten Sparkassen vor über 200 Jahren insbesondere die Verbesserung der Lebenssituation von wirtschaftlich schwächeren Bevölkerungskreisen erreicht werden. Es gehört zum Selbstverständnis der Sparkassen, auch kleinste Geldbeträge auf Sparkonten hereinzunehmen und zu verzinsen.

Das Einlagengeschäft mit den Privat- und Unternehmenskunden im Geschäftsgebiet einer Sparkasse ist nach wie vor eine ihrer vorrangigen Aufgaben. Es ist eine der Voraussetzungen für den vergleichsweise großen Wohlstand, den die meisten Menschen in Deutschland seit vielen Jahrzehnten genießen dürfen: Mit dem eingesammelten Geld der Sparer werden die Investitionen der kleinen und mittleren Unternehmen sowie der private Wohnungsbau in der Region solide refinanziert. Insoweit sind die Spareinlagen nichts weniger als das Rückgrat der Geschäftstätigkeit von regional tätigen Sparkassen und ein Motor des Wirtschaftswachstums.

Risikoarme Sparprodukte im Fokus

Gerade die Finanzmarktkrise hat gezeigt, wie stabil das lange Jahre als altmodisch und "wenig sexy" abqualifizierte Geschäftsmodell der Sparkassen tatsächlich ist. Neben dem bekannten roten Sparkassenbuch wurden über Jahrzehnte hinweg eine Vielzahl weiterer Anlagemöglichkeiten für die verschiedensten Bedarfssituationen entwickelt. Die Auftragserfüllung der Sparkassen erfordert ein Portfolio passender Produkte, die sich vor allem hinsichtlich Zinsbindung und Laufzeit unterscheiden und so dem jeweiligen Kundenbedarf entsprechen. Die Komplettierung der Anlagemöglichkeiten durch Wertpapiere und Investmentfondsanteile ist heute bei allen Kreditinstituten mit dem Schwerpunkt Privatkundengeschäft eine Selbstverständlichkeit.

Im Fokus der Geschäftstätigkeit von Sparkassen stehen im Geldanlagebereich jedoch aufgrund der vorherrschenden Kundenstruktur die risikoarmen bilanzwirksamen Sparprodukte. In der Regel stellt ein Sparbuch die erste Verbindung der Sparkasse zu einem Privatkunden dar. Auch wenn das erste Sparbuch, das oft schon im Babyalter eröffnet wird, meist nur ein bescheidenes Guthaben aufweist, so dient es doch einem gesellschaftspolitisch wichtigen Ziel: Der junge Sparer lernt im Laufe der Zeit den Wert des Sparens kennen.

Viele Menschen in Deutschland denken bei sicheren Geldanlagen zuerst an die Sparkasse. Mit anderen Worten: "Wo Sparkasse drauf steht, ist Sicherheit drin." Dies wurde auf der Höhe der Finanzmarktkrise im 4. Quartal 2008 wieder ganz deutlich: Innerhalb kürzester Zeit brachten Kunden, darunter auch viele Neukunden, "neues Geld" in Höhe von über 3,5 Milliarden Euro zu den Sparkassen. Bei 54 Sparkassen in Baden-Württemberg sind dies im Durchschnitt rund 65 Millionen Euro je Sparkasse. Außerdem zeigte die Umschichtung von Wertpapieranlagen in bilanzwirksame Kundeneinlagen eine deutliche Änderung der Kundenpräferenzen hin zu einer stärkeren Sicherheitsorientierung.

Die Vermögensbildung ökonomisch schwächerer Bevölkerungskreise ist nicht nur ein wichtiges politisches Ziel in unserer sozialen Marktwirtschaft, sondern führt sowohl mikro- als auch makroökonomisch zu günstigen Effekten. Diese wiederum sind hilfreich bei der Überwindung der Finanzkrise, die zum großen Teil eine Vertrauenskrise ist: Der kollektive Irrglaube einer ganzen Branche, mit Luftnummern, die nichts mehr mit der Realwirtschaft zu tun haben, auf Dauer riesige Gewinne generieren zu können, muss wieder dem traditionellen Bankgeschäft Platz machen: Für das hart erarbeitete Spargeld der Kunden bieten die Sparkassen je nach Bedarf, Sparziel und Kundenmentalität solide, fair verzinste und durchschaubare Anlagemöglichkeiten. Dies ist auch und gerade in Zeiten des Umbruchs eine der zentralen, dem Gemeinwohl verpflichteten öffentlichen Aufgaben der Sparkassen!

Bei aller Veränderung, die sich permanent um uns herum und mit uns vollzieht: Der Mensch ist auf eine gewisse Kontinuität angewiesen. Dies soll an einem Beispiel verdeutlicht werden, das die Kernkompetenz der Sparkassen betrifft: Die Vervielfachung der Informationsmenge und -geschwindigkeit schafft eine gestiegene Komplexität in fast allen Bereichen des Lebens, natürlich auch bei den Finanzdienstleistungen. Diese Unüberschaubarkeit erzeugt ein Unbehagen. Das ist ein menschliches Gefühl, welches wohl die meisten gelegentlich befällt.

So ist das Internet trotz aller Vorzüge aufgrund der Unermesslichkeit seiner Informationsfülle für viele und vieles auch ein Komplexitätsbeschleuniger. Was aber kann nun komplexitätsreduzierend wirken und damit das Unbehagen mildern, wenn es zum Beispiel um Entscheidungen bei der Geldanlage geht? Es ist das persönliche, auf Vertrauen basierende Gespräch zwischen Kunde und Berater und damit etwas, das schon immer Kernbestandteil unserer Geschäftstätigkeit war. In den zurückliegenden Phasen der Internet- und Automatisierungseuphorie galt persönlicher Service in einer Sparkasse oder Bank schon als überholt, da erstens zu teuer und zweitens zu unmodern.

Die letzten Monate haben gezeigt: Das persönliche Gespräch zwischen Kunde und Berater ist ein wertvoller Komplexitätsreduzierer, der vorläufig durch nichts zu ersetzen ist. Dieses Qualitätselement ist es, das die Sparkassen - im Zusammenspiel mit dem dichten Filialnetz - von den virtuellen Finanzdienstleistern, also den Distanzbanken, unterscheidet.

Perspektiven des Passivgeschäfts der Sparkassen

Jedoch heißt Beratung idealerweise nicht, dem Kunden zahlreiche verschiedene Anlagemöglichkeiten oder Produktvarianten im Detail und auf "Fachchinesisch" zu erklären und damit die Komplexität noch weiter zu steigern. Das wäre gerade das Falsche und im wahrsten Sinne des Wortes ausgesprochen kontraproduktiv. Um die Details hat sich die Sparkasse zu kümmern, nicht der Kunde. In den meisten Fällen dürften vier relativ einfache Schritte genügen, um zu einem für beide Seiten vernünftigen Beratungsergebnis zu kommen: Erstens die Situation des Kunden erfassen, zweitens die daraus abgeleiteten Handlungsmöglichkeiten prüfen, drittens die vermutlich passendste Lösung herausarbeiten und viertens dem Kunden diese ganz konkret vorschlagen. So kann die Komplexität wirksam reduziert werden und für den Kunden der konkrete Nutzen aus dem persönlichen Gespräch entstehen.

Die Sparkassen sehen eine Renaissance des Passivgeschäfts. Analysen der Strukturentwicklung von Sparkassenbilanzen zeigen, dass eine nachhaltig an fairen, das heißt marktnahen Konditionen orientierte Konditionspolitik im Passivbereich einen wesentlichen Beitrag zum Wachstum der Kundeneinlagen einer Sparkasse leistet. Gerade bei hohem Wettbewerbsdruck überwiegen bei einer eher kurzfristigen Ausrichtung der Angebotspolitik mit einem Fokus auf Ertragsgenerierung nach unseren Erfahrungen dagegen die ungünstigen Effekte auf die Struktur und den Umfang der Kundeneinlagen.

Orientierung an kurzfristigen Kennzahlen

Die dem langjährigen Mainstream in der Finanzbranche geschuldete Orientierung an kurzfristigen Kennzahlen zur Bestimmung des Managementerfolgs, die auch vor der Sparkassen-Finanzgruppe nicht halt gemacht hat, ist nach unserer Auffassung in Richtung auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung zu revidieren. Diese Managementaufgabe ist am Kern der Sparkassenidentität ausgerichtet und somit zuvörderst den langfristigen Interessen von Kunden, Mitarbeitern und Eigentümern, mithin dem Gemeinwohl, verpflichtet. In diese Richtung weist auch das neue DSGV-Strategiepapier.

Als Marktführer, der auch in wettbewerbsintensiven Zeiten kaum Kunden an die Konkurrenz verliert, haben die Sparkassen registriert, dass einige ihrer Kunden in den letzten Jahren sehr wohl Teile ihrer Einlagen zu Anbietern mit Lockvogelkonditionen verlagert haben. In volumenbezogener Sicht kam es dadurch zu Marktanteilsverlusten für die Sparkassen-Finanzgruppe. Dass die Finanzmarktkrise nun dazu führt, dass teilweise Kundengelder wieder zurückverlagert werden, enthebt die Sparkassen nicht der Notwendigkeit, permanent um die Erhaltung und Gewinnung von Kundeneinlagen zu kämpfen.

Gegebenenfalls ist die eigene Angebotsstrategie kritisch zu überprüfen. Aus vielfältiger Grundlagenforschung wurden wichtige Erkenntnisse über die Kundenbedürfnisse bei der Geldanlage gewonnen: Außer dem obligatorischen Sicherheitswunsch besteht hauptsächlich der Wunsch nach Einfachheit und Transparenz der Finanzprodukte, also nach Komplexitätsreduzierung. Zugegebenermaßen hat sich die Angebotspolitik der letzten Jahre eher durch immer komplexere Produkte ausgezeichnet; die große Ausnahme war das Tagesgeldkonto, dem prompt ein beachtlicher Markterfolg beschieden war.

Das wichtigste Passivprodukt einer Sparkasse muss so einfach sein, dass es jeder versteht: Ohne versteckte Nebenbedingungen und "Sternchen", ohne "Wenn" und "Aber": Das Sparkassenbuch verkörpert diese Wunscheigenschaften in unübertroffener Art und Weise. So haben Sparkassen in Baden-Württemberg gute Erfahrungen damit gemacht, das klassische, überaus bekannte und beliebte Sparkassenbuch konditionell so auszustatten, dass die Kunden kontinuierlich und zuverlässig einen fairen, das heißt marktnahen, Zinssatz erhalten.

Solchermaßen gestaltete Sparprodukte liegen mit ihrem Zinssatz zwar regelmäßig unter den Lockvogelangeboten der jeweils preisaggressivsten Tagesgeldangebote. Aber sie entsprechen den Bedürfnissen der meisten Sparer eher als Angebote mit gewissermaßen täglich wechselnden Zinsen, bei denen man seine Einlagen gegebenenfalls öfters schnell von einer Bank zur anderen transferieren muss, um sich jeweils einen attraktiven Zins zu sichern.

Seriöse Umfragen bestätigen immer wieder, dass das klassische Sparbuch nach wie vor die beliebteste Geldanlageform der Deutschen ist. Das gilt vor allem für die Version mit dem "roten S", das eindeutig als Qualitätsmerkmal für Finanzprodukte geschätzt wird. Dieses Markenzeichen vermittelt Vertrauen und Sicherheit bei der Geldanlage. Nur wenige Kunden haben Zeit und Lust, sich praktisch täglich um ihre Geldanlage zu kümmern und sie stets zu der Bank mit dem höchsten Zinssatz zu transferieren. Ein zuverlässig an einem geeigneten Referenzzinssatz abzüglich einer ausreichenden und angemessenen Marge orientiertes Anlageprodukt sichert den Kunden dagegen einen marktgerechten Zinsertrag und erübrigt letztlich den hohen Zeitaufwand, der bei der Schnäppchenjagd entsteht.

Direktbanken kehren zu normalem Anbieterverhalten zurück

Es gibt erste Anzeichen dafür, dass diejenigen Direktbanken, die im Rahmen ihrer Markteintrittsstrategie über Jahre hinweg Kundeneinlagen zu Konditionen "über dem Markt" eingesammelt haben, allmählich zwangsläufig oder freiwillig zu einem normalen Anbieterverhalten zurückkehren. Aktuelle Beispiele zeigen, dass eine Preiskampfstrategie auf Dauer auch von Nischenanbietern nicht durchzuhalten ist. Die sehr erfreuliche Kundeneinlagenentwicklung im ersten Halbjahr 2009 zeigt, dass es den Sparkassen gelungen ist, "neues" Geld hereinzuholen und zu halten. Per Ende Juni 2009 konnten sie im Vergleich zum Juni 2008 ihre Kundeneinlagen um über fünf Milliarden Euro steigern. Dies ist der größte Zuwachs in der baden-württembergischen Sparkassengeschichte.

Preisvertrauen und Preisfairness in Verbindung mit Transparenz haben die Sparkassen im Einlagengeschäft zu Marktführern gemacht. Mit diesen Leistungsmerkmalen in Kombination mit der stärksten Marke im Privatkundengeschäft werden sie sich auch im künftigen Wettbewerb um Kundeneinlagen als die Nummer eins im Markt zu behaupten wissen.

Peter Schneider , Präsident , Sparkassenverband Baden-Württemberg e.V., Stuttgart
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