DIE ZUKUNFT DER FILIALE

Die Corona-Krise beschleunigt das Filialsterben

Erik Boos, Foto: Snapview

Die Corona-Krise gilt als Brandbeschleuniger der Digitalisierung. Wo persönlicher Kontakt nicht mehr möglich war, hat die Finanzwelt den Vertrieb binnen Wochen teils radikal verändert. Telefon- und Videoberatungen haben sich zum geschäftskritischen Instrument für Versicherungen, Banken und Finanzvertriebe entwickelt und bilden heute die Lebensader zwischen Kunde und Berater. Wettbewerbsvorteile sicherte sich die Bank, die schon vor Ausbruch der Pandemie virtuell in Kontakt mit ihren Kunden war.

Ein Beispiel dafür ist die Sparda Bank Baden-Württemberg. In den Monaten März bis Mai hat sie per Videoberatung mehr als 200 neue Girokonten eröffnet, mehr als 100 Kreditkarten verkauft und ein Baufinanzierungsvolumen in Höhe von mehr als 12 Millionen Euro realisiert. Das Easy-Credit-Volumen liegt bei 91 600 Euro. Mit 1 300 Videoberatungsterminen in den zurückliegenden zwölf Wochen waren die Mitarbeiter sehr gut ausgelastet. Mit durchschnittlich 100 Terminen pro Woche war die Nachfrage der Kunden nach Angabe der Bank gleichbleibend hoch.

Seitdem der digitale Fallabschluss möglich ist, explodieren die Online-Abschlüsse. Garant dafür ist die Kombination aus Videoberatung und qualifizierter elektronischer Signatur (QES). Bei der Sparda Bank Baden-Württemberg können Kunden bereits seit Ende 2016 qualifiziert elektronisch Verträge unterschreiben. Nutzbar ist diese Möglichkeit, um ein Girokonto zu eröffnen, einen Ratenkredit oder eine Lebensversicherung zulasten Dritter abzuschließen. Aber auch Miet- und Arbeitsverträge, Einwilligungs- oder Widerspruchserklärungen sowie Vollmachten können mit der QES gezeichnet werden.

Ein anderes Beispiel ist die Nürnberger Leasing. Sie verfügt über einen Digitalisierungsgrad zwischen 80 und 90 Prozent und will in zwei Jahren bei 100 Prozent sein. Um das zu erreichen, hat der Mittelständler massiv in Manpower investiert und die eigene IT-Abteilung ausgebaut, sodass bereits vor Corona Bonitätsprüfungen digital vorbereitet wurden, bevor durch die Kreditabteilung die Entscheidung getroffen wird.

Verändert hat sich durch die Virus-Pandemie vor allem die interne Kommunikation. Viele Termine gehen heute per Video-Konferenz. Das steigert die Arbeitseffizienz. Aber auch auf Kundenseite ist die Bereitschaft gestiegen, Geschäfte abzuschließen, ohne das Gegenüber in der realen Welt getroffen zu haben - zumindest im Tagesgeschäft. Dass sich die zwischenmenschliche Komponente nicht zu 100 Prozent digital abbilden lässt, wird durch eine Untersuchung der KfW bestätigt. Eine Sonderauswertung des KfW-Mittelstandspanels zeigt, dass der persönliche Kontakt zum Berater für die Mehrzahl der Mittelständler wichtig ist. Zwei Drittel aller Unternehmen, die weniger als 500 Millionen Euro im Jahr umsetzen, nehmen mindestens einen persönlichen Gesprächstermin pro Jahr wahr.

Virtuelle Beratung mit Screen Sharing spart Zeit

Die guten Erfahrungen werden über die Pandemie hinaus den Vertrieb prägen. Berater und Kunden verbinden sich per Browser via Bild und Ton. Im Online-Kontakt entwickeln sie Optionen, mit dem Ziel, fallabschließend zu beraten - alles MiFID-II-konform aufgezeichnet. Über einen Messenger können sie auch DSGVO-konform kommunizieren. Der mittlerweile gängige Begriff ist der "digitale Fallabschluss". Neben dem Einsatz im Vertrieb zur Neukundengewinnung geht es dabei vor allem um die Pflege von Bestandskundschaft.

Die Krux: Für eine störungsfreie Videoberatung müssen die Daten in Echtzeit übermittelt werden. Kunden können dann Eingaben besser verfolgen und verstehen, insbesondere aber Fakten ändern oder Fragen stellen. Ein digitaler Stift ermöglicht es dem Berater, auf der sichtbaren Online-Maske zu markieren. So werden komplexe Sachverhalte leichter verständlich. Durch diese Transparenz können Kunden schneller entscheiden. Ein weiterer Nutzen: In der Akquise hat der Berater die besseren Chancen, der als erster das Gespräch anbietet. In der Kundengunst liegen schnelle Online-Termine vor Präsenzterminen, die für den Verbraucher aufwendiger sind.

Die Zukunft liegt in der virtuellen Kommunikation

Dass Corona die Servicewelt verändert, steht außer Frage. 20 Prozent der Deutschen geben an, dass sich ihre Einstellung zum digitalen Banking in der Corona-Krise positiv verändert hat. Dabei hat sich die Nutzung von Online-Banking um neun Prozent erhöht, weitere vier Prozent wollen das virtuelle Bankgeschäft zukünftig noch mehr nutzen.

Dennoch beschleunigt die Corona-Krise laut einer Studie der Beratungsgesellschaft Investors Marketing das Filialsterben. Pandemie-bedingt dürften bis in fünf Jahren weitere 3 500 Zweigstellen dicht machen. Die Krise zeige, wie anfällig die stationären Geschäftsmodelle seien. Institute stellen fest, dass sie weniger Standort brauchen, als sie dachten. Laut Prognose wird die Zahl der Filialen damit um im Schnitt mehr als 8 Prozent pro Jahr sinken. Zuletzt gab es in Deutschland noch 26 700 Filialen, im Vergleich zu 34 000 im Jahr 2015. Dass Filialen sterben, ist natürlich nichts Neues. Corona beschleunigt jedoch diese Entwicklung. Die Zukunft liegt zum Großteil in der virtuellen Kommunikation. Das ist die Lehre der zurückliegenden Wochen.

Erik Boos, Geschäftsführer, Snapview GmbH, München
Michael Sudahl, Schorndorf
Erik Boos , Geschäftsführer, Snapview GmbH, München
Michael Sudahl , Geschäftsführer, Der Medienberater Fromm Sudahl GbR, Schorndorf

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