Versicherungen werden digital

Wo junge Kunden am wahrscheinlichsten Versicherungen abschließen würden (Angaben in Prozent) Quelle: Towers Watson

Während die Banken zumindest im Zahlungsverkehr sehr rasch gemerkt haben, wie dringlich Fortschritte in Sachen Digitalisierung sind, um nicht wesentliche Geschäftsfelder an neue Wettbewerber zu verlieren, hat die Assekuranz vergleichsweise lange auf einer Insel der Seligen gelebt. Das war auch deshalb möglich, weil es in der Natur des Versicherungsgeschäfts liegt, dass sich Kunden mit Versicherungsangelegenheiten in der Regel weitaus seltener beschäftigen als mit ihrem Bankkonto. Braucht die Versicherungsbranche also keine digitalen Angebote?

Vor allem die Lebensversicherer haben das offenbar lange verneint. Schließlich ist die (Alters)vorsorge ein klassisches Beratungsthema, der Wunsch nach einem Online-Abschluss eher die Ausnahme. Die Auszahlung der Leistungen nach Vertragsende erfolgt ohnehin quasi automatisch, die vorzeitige Kündigung der Verträge will man dem Kunden vielleicht auch nicht durch Online-Tools noch erleichtern. Im Kompositgeschäft ist die Branche ein wenig weiter, zum einen, weil es hier vergleichsweise einfache, standardisierte Produkte gibt, die wenig erklärungsbedürftig sind und sich gut für Vergleichsportale eignen. Zum anderen erschließt sich der Vorteil beispielsweise der Online-Schadensmeldung unmittelbar. Doch auch bei den Schadens- und Unfallversicherern ist noch einiges zu tun.

Vertriebsoptimierung braucht auch Digitalisierung

Noch in der Vertriebsbenchmarkingstudie 2014 von Bain & Company gaben zwar 92 Prozent der Befragten aus der Assekuranz das Thema Digitalisierung als eine der Top 3-Herausforderungen für den Versicherungsvertrieb an. Gleichzeitig nannten nur 29 Prozent die Digitalisierung. Ohne eine konsequente Digitalisierung ist eine vernünftige Vertriebsoptimierung trotz aller unbestreitbaren Potenziale, die es hier - zum Beispiel im Vertriebsinnendienst gibt - jedoch zumindest unvollständig. Das gilt in zweierlei Hinsicht.

- Zum einen hat die Erfahrung längst gezeigt, dass sich durch Online-Tools auch in der Beratung wertvolle Zeit sparen lässt, weil der Kunde viel informierter ins Beratungsgespräch kommt. Das zahlt auf den Aspekt der Effizienzsteigerung im Vertrieb ein.

- Zum anderen wächst auch das Bedürfnis der Kunden nach digitalen Angeboten.

Zwar sucht zumindest der deutsche Versicherungskunde in Fragen der Absicherung für alle Lebenslagen in aller Regel noch die Beratung. Doch wer es gewohnt ist, im Alltag immer mehr Angelegenheiten mithilfe elektronischer Medien zu erledigen, der hat irgendwann nur noch wenig Verständnis dafür, dass dies beim Thema Versicherungen nicht funktionieren soll.

So wird der Anteil der digital aktiven Versicherungskunden in Deutschland in den nächsten fünf Jahren von heute rund 50 auf knapp 80 Prozent steigen, lautet das Ergebnis einer Umfrage von Bain & Company unter mehr als 10 000 Privatkunden in Deutschland.

Um die zunehmend hybriden Kunden, die die Zugangswege ganz nach Bedarf wechseln, adäquat bedienen zu können, braucht auch die Assekuranz eine Wertschöpfungskette, die durchgehend digitale Kundenerlebnisse ermöglicht - vom Abschluss über Informationsservices bis hin zur Schadensmeldung. Dafür müssen Callcenter und Vermittler jederzeit über den gleichen Kenntnisstand verfügen und alle Informationen über einen Kunden abrufen können. An dieser Stelle kann die Versicherungswirtschaft sicher einiges von den Banken (aber auch von anderen Branchen) lernen.

Handlungsbedarf erkannt

Dass die Vernetzung der Zugangswege die IT-Strukturen der Versicherungswirtschaft vor besondere Herausforderungen stellt, ist unbestritten. Schließlich müssen auch die (oftmals auf Selbstständigkeit bedachten) externen Vertriebspartner eingebunden werden. Wenn es jedoch nicht gelingt, hier Fortschritte zu erreichen, stimmen die Kunden irgendwann mit den Füßen ab - der Wettbewerb schläft schließlich nicht. Das hat die Branche mittlerweile auch erkannt, wie die Studie "Die Digitale Transformation in der Versicherungsbranche" von Q-Perior belegt.

- 41 Prozent der befragten Führungskräfte aus Versicherungsunternehmen gaben dort an, Online-Vergleichsportale als große Bedeutung für ihr Geschäftsmodell anzusehen.

- Das zweitgrößte Bedrohungspotenzial stellen reine Online-Direktversicherer mit 23 Prozent der Nennungen dar.

Die zunehmende Akzeptanz der Vergleichsportale für den Abschluss von Versicherungen zeigt auch eine internationale Verbraucherstudie von Towers Watson, für die in der zweiten Jahreshälfte 2014 insgesamt 7 136 Verbraucher in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, den Niederlanden, Spanien und der Türkei befragt wurden. Noch liegen die Versicherungen selbst als Vertriebsweg den Ergebnissen zufolge zwar unangefochten an der Spitze. Doch die Vergleichsportale haben bei den Prioritäten der Verbraucher immerhin schon Anteile zwischen 7,2 Prozent im Bereich Gesundheit und 13,9 Prozent rund um den Themenkomplex Reise.

Digitale Versicherungsagentur

Die Allianz hat sich deshalb im Sommer dieses Jahres groß auf die Fahnen geschrieben, das Tempo in Sachen Digitalisierung erhöhen zu wollen. 80 bis 100 Millionen Euro will der deutsche Branchenprimus hier in den kommenden drei Jahren investieren.

Ähnlich wie die Banken ihre virtuellen Filialen ausbauen, soll es künftig zunehmend die "digitale Agentur" geben, die für mehr Sichtbarkeit der Vermittler im Netz und für stärkeren Kundenkontakt sorgen soll. Die Allianz schaut dabei zum Beispiel auf Facebook, die Online-Terminvereinbarung sowie die Videoberatung.

Neueste Errungenschaft ist die Ende Oktober vorgestellte Digitalisierung des Leistungsprozesses in der privaten Krankenversicherung der Allianz. Mit dem sogenannten Bonus-Check können Kunden prüfen, ob es für sie vorteilhafter ist, sich ihre Arztrechnungen und Rezepte erstatten zu lassen oder eine Beitragsrückerstattung zu erhalten. Und mit der App "Allianz Rechnungen" können Kunden ihre Belege mit dem Smartphone fotografieren und online einsenden, anstatt sie zu sammeln und per Post zu versenden.

Fintechs treten an

Zu früh kommen solche Maßnahmen sicher nicht. Denn wenngleich die Fintechs sich nicht zuerst mit Versicherungsthemen beschäftigt haben, ist es nicht so, dass sie den Versicherungsmarkt komplett ausblenden würden. Auch hier kommt der Wettbewerb näher.

Erst im November hat die Frankfurter Asuro GmbH mit dem "Asuro Versicherungsmanager" eine App vorgestellt, mit dem sich Policen unterschiedlicher Versicherer direkt über das Smartphone verwalten lassen. Sämtliche Versicherungsdaten und Vertragsinformationen sollen somit jederzeit und überall abrufbar sein und können jederzeit überprüft und optimiert werden. Auch die Schadensmeldung per Smartphone ist vorgesehen. Auf Wunsch können sich Nutzer zudem via App-Chat mit einem persönlichen Berater verbinden lassen. Und für akute Notsituationen ist ein "Notfall-Guide" mit wichtigen Telefonnummern und Tipps vorgesehen.

Auch hier, das räumt das Fintech ein, gibt es eine Grenze der Digitalisierung - nämlich dort, wo persönliche Beratung notwendig wird. Dennoch zeigt auch diese Anwendung, wohin die Reise gehen kann. Schließlich machen mobile Anwendungen gerade bei Versicherungen aus dem Geschäftsfeld Schaden/Unfall mindestens ebenso viel Sinn wie mobile Bankanwendungen.

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