KUNDENBEZIEHUNGEN

Banken im digitalen Umbruch - wie gelingt die (R)Evolution?

Tilo Hacke, Foto: DKB

Digitalunternehmen haben die Kunden mit Wunscherfüllung im Sekundentakt verwöhnt. Diese Anforderungen müssen nun auch Banken erfüllen. Bloßes Online-Banking reicht deshalb nicht mehr aus, sondern Banken müssen sich zu Plattformen mit verschiedensten Dienstleistungen wandeln. Dem stehen starre, gewachsene Strukturen und eine wenig ausgeprägte Risikokultur im Produkt- und Innovationsmanagement entgegen, sagt Tilo Hacke. Deshalb mangelt es der Bankenbranche an Flexibilität. Ein Stück weit lässt sich Innovationsfähigkeit durch die Kooperation mit Fintechs zurückerlangen. Es reicht aber nicht aus, Digitalisierung als Aufgabe der IT zu verstehen. Sondern die Branche muss die Digitalisierung verinnerlichen und die entsprechenden Veränderungen vollziehen. Red.

Digitalisierung - wohl kein anderer Begriff steht derzeit so zentral für die künftigen Herausforderungen und Chancen in der Finanzbranche. Denn sie sorgt für radikale Veränderungen in den bislang erprobten Geschäftsmodellen von Finanzdienstleistern. Wertschöpfungsketten, Datenströme sowie Regulierungsanforderungen werden komplexer und wirken weit über die Kernbranche hinaus. In anderen Branchen haben digitale Technologien, mobile Kommunikationsformen und pulsierende soziale Netzwerke längst zu weitreichenden Umwälzungen geführt.

Und während Branchenvertreter noch eifrig darüber sinnieren, welche Buzzwords und dahintersteckende Technologien wie Big Data, Künstliche Intelligenz, Design Thinking oder Industrie 4.0 zukünftig am relevantesten für die Finanzwirtschaft sein werden, ist die Digitalisierung spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie mit voller Wucht bei den Banken angekommen. Denn nicht zuletzt Corona hat für Privat- wie auch Geschäftskunden während der zeitweisen Geschäftsschließungen und Zugangsbeschränkungen den Druck erhöht, möglichst schnell von analogen zu digitalen Angeboten zu wechseln.

Auffallend ist dabei auch, dass sich nicht nur das Nutzungsverhalten der Kunden geändert hat, sondern auch die Erwartungshaltung, mit der sie auf ihre Bank treffen. Sie geben immer stärker Takt und Tempo des digitalen Wandels vor - ein für Banken verändertes Verhältnis in der Kunden-Dienstleister-Beziehung. Jetzt stellen die Kundinnen und Kunden alles mit ihrem Kauf- und Nutzungsverhalten infrage und verändern das Geschäft. Diese Dynamik wird aus meiner Sicht zukünftig mehr denn je zunehmen, darauf müssen Banken sich einstellen und den Kundenfokus deutlich ausbauen bis hin zur aktiven Partizipation der Kunden an Produktentwicklung und Innovation.

Digitale Kundentypen fordern Banken heraus

Während Bankkunden früher noch häufig Bankgeschäfte offline erledigt haben, sind sie heutzutage weitaus digitaler und experimentierfreudiger als noch vor fünf Jahren. "Der digitale Kunde" zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass er in seiner Kommunikation mit seinem präferierten Finanzdienstleister kurze Reaktionszeiten und eine hohe Servicequalität erwartet. Vor allem erwartet er, dass der Anbieter seine lebensphasenspezifischen Bedürfnisse kennt und individuelle Lösungen bereitstellt.2)

Wirft man einen Blick auf andere Branchen, kann man mit einigem Erstaunen beobachten, dass Unternehmen wie Amazon, Alibaba, Netflix, Paypal oder Facebook diese Erwartungshaltung bis ins Detail erfüllen. Denn sie denken und arbeiten in Echtzeit - genau genommen im Sekundentakt. Genau so viel Zeit hat ein webbasiertes Unternehmen zwischen zwei Klicks seiner Kunden, um das Geschäft abzuschließen. Dauert es einmal vier Sekunden, wird es bereits als quälend langsam empfunden, dauert es zwanzig Sekunden, ist die Website wahrscheinlich kaputt und der Kunde schaut sich nach Alternativen um. Kunden wurden mit dieser Wunscherfüllung im Sekundentakt verwöhnt und im gleichen Atemzug wurden ihre Erwartungen an alle anderen Anbieter, Produkte und Dienstleister nachhaltig verändert - auch hier soll alles im Sekundentakt funktionieren.

Die zuvor erwähnten, rein digitalen Unternehmen unterscheiden sich wesentlich von klassischen Unternehmen, da für sie die Technologie keine Unterstützungsfunktion ist, sondern treibende Business-DNA ihres Erfolgs, weshalb sie nicht nur jede neue Technologie ausprobieren, sondern in vielen Fällen selber neue Technologien entwickeln.

Um an dieser Stelle Missverständnisse zu vermeiden: Es steht außer Frage, dass viele Banken schon vor Jahrzehnten aufwendige IT-Infrastrukturen im Kernbankengeschäft etabliert haben. Online-Banking gehört für viele Direktwie auch Filialbanken mittlerweile zum Standardangebot. Mitnichten kann also davon die Rede sein, dass Banken der digitalen Transformation hinterherhinken, geschweige denn diese verschlafen haben. Aber oftmals ist Technologie eben Unterstützungstechnologie und nicht in der Kern-DNA verankert.

Online-Banking reicht nicht mehr aus

Reines Online-Banking ist aus Kundensicht heutzutage nicht mehr ausreichend. Die neuen, digitalen Kundentypen erwarten mehr. Sie wollen sich nicht für unterschiedliche Dienstleistungen auf unterschiedlichen Webseiten anmelden: Sie wollen ein zentrales Dashboard (Banking-Plattform) mit einem digitalen Zugangsschlüssel. Im Idealfall verstehen Banken daher die digitale Transformation als Chance, die "Customer Experience" im Sinne eines holistischen Verbesserungsmanagements zu optimieren, ihr Serviceangebot zu erweitern und letztlich als Plattform für verschiedenste Dienstleistungen zu fungieren.

Auch hier dienen die zuvor benannten Bigtechs als klares Vorbild für die Finanzindustrie. Amazon hat mit AWS nebenbei Logistik und Webhosting revolutioniert und bietet ein schier unendliches Produktangebot; Apple hat Handys, Musikkonsum und Fotografie neu definiert. Diese Unternehmen haben auf der Suche nach Lösungen im Sekundentakt die User Experience revolutioniert, indem sie den Kunden unnötige Komplexität abnehmen und im Hintergrund lösen. Dadurch wurden alle bremsenden Prozessschritte und verkomplizierenden Varianten des Produktes abgeschafft.

Zurück zu Flexibilität und Innovationsfähigkeit

Derlei Flexibilität haben etablierte Banken im Laufe der Jahre oftmals eingebüßt. Zu starre Strukturen und gewachsene, oftmals verkrustete Prozesse sorgen für einen Mangel an notwendiger Geschwindigkeit und Anpassungsfähigkeit. Produkt- und Servicestrategien können häufig nur sehr mühsam geändert werden.

Darüber hinaus ist die Risikokultur vor allem in Deutschland beim Produkt- und Innovationsmanagement sehr gering ausgeprägt. Ein Produkt wird in vielen Branchen bis zur Perfektion lange getestet und entwickelt und wenn das Produkt oder der neue Service dann endlich marktfähig ist, haben dynamische Fintechs oder andere Disruptoren am Markt bereits ein besseres, kundenzentrierteres Produkt gelauncht. Viele Technologieunternehmen aus zum Beispiel den USA starten zehn oder mehr Piloten parallel, lassen diese gegeneinander laufen und führen viel früher Beta-Versionen ein.

Welche Folgen mangelnde Flexibilität in der Bankenbranche hat, zeigt sich am Beispiel der Online-Bezahlung. Bereits zu Beginn des Online-Zeitalters etablierte sich mit Paypal ein Bezahldienst am Markt, der sehr schnell das große Potenzial von Online-Bezahlungen erkannte. Zahlungen, die früher oftmals tagelang dauerten und viele Schritte erforderten, konnten auf einmal per Mausklick in wenigen Sekunden erledigt werden. Zwar reagierten Banken und Sparkassen einige Jahre später mit dem Konkurrenzangebot Paydirekt - das Angebot kam aber möglicherweise für den Marktbedarf zu spät. Paypal hatte sich währenddessen längst als nutzerfreundlicher Standard in der Online-Bezahlung etabliert. Als Folge sind Banken nur noch im Hintergrund an der Transaktion beteiligt - sie haben den direkten Zugriff auf die Kunden ein Stück weit eingebüßt und können durch fehlende Markenbindung nicht wie früher auf ihre Produkte und Dienstleistungen hinweisen.

Banken müssen schneller und vor allem effizienter auf Kundenanforderungen eingehen und Komplexität auf allen Ebenen abbauen. Dem steht aber wiederum eine wachsende Regulierung entgegen, die Komplexität aufbaut. Die digitale Transformation ist also nicht einfach und benötigt Zeit sowie Geduld.

Digitalisierung ist kein Selbstzweck

Dabei dürfen Banken nicht aus den Augen verlieren, dass die Kernaufgabe der digitalen Transformation nicht darin liegt, dass das Geschäftsmodell einen "digitalen Anstrich" erhält und Kunden ein schickes neues Kunden-Portal. Sie erfordert eine Neuorganisation des Unternehmens. Prozesse müssen vollständig umgestellt werden - vom Frontend bis zum Backend. Denn auch wenn viele Dienstleistungen digital erscheinen mögen, oftmals werden sie weiterhin auf Basis von Legacy-IT-Landschaften durchgeführt. Doch alte Batch-Prozesse können eben nicht die Echtzeit-Ansprüche der Kunden erfüllen. Dementsprechend entsteht eine Kluft zwischen der Kundensicht und dem eigentlichen Ziel der Digitalisierungsbemühungen.

Für den langfristigen Erfolg in einer digitalen Welt müssen Banken grundlegend digitalisierte Geschäftsmodelle einführen und verinnerlichen. Andernfalls wird es teuer: Sämtliche Prozesse oder auch Projekte mit geringem Digitalisierungsgrad müssen von Mitarbeitern abgefangen werden beziehungsweise zahlen nicht zwingend auf den technologischen Fortschritt ein. Mangelnde End-to-End-Digitalisierung macht sich letztlich bei den Kunden spürbar und führt zu einer negativen Customer Experience und höheren operativen Betriebskosten.

Unternehmen wie Paypal und Co. sind die prominentesten Beispiele, aber fast täglich kommen neue mobile oder webbasierte Angebote hinzu: Von der Kontoverwaltung über die Kreditvergabe bis zur Anlageberatung greifen Fintechs tief in das Stammgeschäft von Banken und Sparkassen ein. Branchenbeobachter und Analysten argumentieren daher oft, dass Fintechs sehr disruptiv auf den Bankenmarkt wirken könnten. Persönlich beobachte ich aber vielmehr, dass sich Fintechs und Banken gegenseitig ergänzen. Denn ein Blick auf die Stärken und Schwächen beider Akteure offenbart das große Potenzial der Kooperation.

Fintechs sind äußerst versiert im Umgang mit modernen Technologien und kundenfreundlichen End-to-End-Lösungen. Dies sind Bereiche, die bei traditionellen Banken oft noch nicht sehr weit entwickelt sind. Bei aller Innovationskraft fehlt ihnen aber ein für den deutschen Markt sehr wichtiger Aspekt: Sie alle leiden unter einem Mangel an Bekanntheit, Vertrauen (in Datenschutz und Sicherheit), Erfahrung und vor allem eines breiten Kundenstamms und etablierter Kundenbeziehungen. Diese Stärken hat der Bankensektor mit seinen traditionellen, etablierten Banken. Kunden vertrauen etablierten Finanzinstituten, dass sie mit ihren Daten rechtskonform und sicher umgehen. Dies ist letztlich ein entscheidender Wettbewerbsvorteil, den die Banken gegenüber Fintechs bewusst(er) als Differenzierungsmerkmal hervorheben können.

Gewonnenes Vertrauen kommt den etablierten Banken auch in der Corona-Krise zugute. So kann die daraus geschöpfte Stabilität die volatilen Märkte abfangen. Dieser Effekt wirkt sich auf die Kunden positiv aus, die sich auf ihre Bank als belastbare Partnerin verlassen können.

Bei allen Vor- und Nachteilen zwischen Fintechs und etablierten Banken, bietet sich eine Vielzahl an Handlungsmöglichkeiten, insbesondere die der Kooperation und strategischen Allianz miteinander. Es gibt noch zahlreiche weitere Möglichkeiten, wie Fintechs und etablierte Banken (gemeinsam) agieren können. Sie zeigen aber in dieselbe Richtung: Ein digitaler Finanzsektor entsteht, in dem alle Akteure letztlich gezwungen sind, flexibel und offen für Neues zu sein. Denn wer in der digitalen Finanzbranche bestehen will, muss ihre neuen Spielregeln verinnerlichen und anwenden. Wer nicht "digital" denkt, wird es schwer haben im Wettbewerb um digitale Kunden.

Von der Direktbank zur Tech-Bank

Auch die DKB hat erkannt, welches Wachstumspotenzial in der Digitalisierung schlummert. Sie hat sich daher zum Ziel gesetzt, sich Stück für Stück von der Direktbank zur Tech-Bank zu verändern - zu einem Technologiekonzern mit Banklizenz, der nah an der Berliner Tech-Szene ist, auf Basis modernster Technologien mehr als nur Finanzdienstleistungen anbietet und zukünftig mehr denn je ein integrativer, wichtiger Teil der Berliner Digitalwirtschaft sein wird. Dafür investiert die Bank in den nächsten fünf Jahren zusätzliche 400 Millionen Euro und hat das ambitionierte Ziel, ihre Kundenzahl zu verdoppeln.

Gleichzeitig ermöglicht die Bank es ihren Kunden, ihre Finanzen mehr als nur zu kennen und ihr Geld mehr als nur irgendwo anzulegen. Sie schafft Qualität im Detail und Transparenz für den Einzelnen. Als nachhaltigste Privat- und Geschäftsbank unter den Top 20 in Deutschland investiert sie die Einlagen ihrer Kunden zu großen Teilen in nachhaltige, grüne und soziale Finanzierungsprojekte wie Wind- und Solarkraft oder auf kommunaler Ebene in sozialen Infrastrukturaufbau im Hinblick auf die Daseinsfürsorge.

Die Zusammenarbeit zwischen Fintechs und Banken, lebt die DKB Tag für Tag. Sie setzt auf Kooperation statt Konfrontation und vernetzten Bankprodukte mit einem starken Fintech-Ökosystem, während die Bank sich selbst zu einem IT-Unternehmen mit Banklizenz entwickelt und zum Beispiel mit der DKB Code Factory ihr erstes Tech-Start-up für die Entwicklung von Bankprodukten von morgen gegründet hat.

Dieses IT-Start-up ist sozusagen die Innovations-Pipeline der Bank. Es entwickelt Ideen und Konzepte für Software in einer sehr frühen Innovationsphase. Diese werden dann gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus der DKB weiterentwickelt und zur Produktreife gebracht. Dafür hat die Bank besondere Bedingungen für die DKB Code Factory geschaffen und agiert sehr flexibel und unabhängig von klassischen Konzernmustern. Das Team der DKB Code Factory besteht heute aus rund 88 Mitarbeitern aus 24 Nationen. Sie sind an vielen wichtigen Weiterentwicklungen der Banking-App oder bei der Einführung von mobilen Bezahllösungen beteiligt. Die Code Factory ist Impulsgeberin und Challenger in einem. Sie hinterfragt kritisch Prozesse, Produkte oder auch bestehende Systeme und entwickelt diese weiter. Das macht sie auch zu einer Art Digital-Coach für die Bank und wir profitieren von sehr unterschiedlichen Charakteren und Expertisen in der DKB Code Factory.

Mut zur Innovation

Um Erfolg zu haben, muss jedoch die gesamte Bank ein digitales Mindset entwickeln und Digitalisierung aktiv und individuell positiv erleben. Jede Abteilung trägt zum digitalen Herzschlag und der Zukunftsfähigkeit der Bank bei. Es ist nicht die IT allein, die alle "digitalisiert" - das wäre zu einfach und wird der Komplexität des Ganzen nicht gerecht. In der Kooperation mit Fintechs hatte die DKB von Anfang an keine Berührungsängste. Vielmehr wurden Fintechs sehr früh als potenzielle Partner gesehen und die Bank ist schon 2013 mit ersten Kooperationen gestartet. Denn Fintechs können helfen, Kundenwünsche aufzugreifen und echten Mehrwert zu bieten. Mehrwert, der mit hausinternen Ressourcen vielleicht nicht so schnell hätten bereitgestellt werden können.

Ich bin persönlich davon überzeugt: Banken werden sich radikal ändern und strategisch neu aufstellen müssen. Das bedeutet ein Schärfen des Kerngeschäfts bei gleichzeitiger Öffnung für neue Geschäftsmodelle. Es bedarf einer smarteren Arbeitsorganisation, eines wirklichen digitalen Wandels, der Kraft, sich immer wieder infrage zu stellen und vor allem des Mutes zur Innovation.

Fußnoten

1) Quelle: Yougov, 2020 (https://campaign.yougov.com/DE_2020_01_Bankkunden_Personas_Whitepaper.html?utm_medium=Search&utm_source=native&utm_campaign=DE_2020_01_Bankkunde...)

2) Quelle: Cebulsky und Günter, 2015 (https://www.springerprofessional.de/der-digitale-versicherungskunde-anspruchsvoll-vernetzt-und-mobil/4357648)

3) https://www.econstor.eu/bitstream/10419/215728/1/KKB_64_2020-Q1_Euroraum.pdf

Tilo Hacke, Mitglied des Vorstands, Deutsche Kreditbank AG, Berlin
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