KUNDENBEZIEHUNGEN

Der Chatbot als persönlicher Broker

Evgeny Sorokin, Foto: Devexperts GmbH

Die Zeiten, in denen Chatbots nur mit Tricks arbeiten konnten, um den Dialog mit Nutzern zu führen, sind vorbei, Big Data sei Dank, so Evgeny Sorokin. So gibt es inzwischen eine Menge von Einsatzbereichen, auch in der Finanzbranche. Im Wertpapiergeschäft können gut integrierte Chatbots dazu beitragen, den Kundenkreis zu erhöhen und Trading-Services auch weniger versierten Kunden zugänglich zu machen. Dann wird der Chatbot zunehmend zum persönlichen Broker, der die Interessen der Nutzer kennt und darauf eingehen kann. Red.

Seit an Künstlicher Intelligenz geforscht wird, gibt es Chatbots. Alan Turing, ein Mathematiker und Computerwissenschaftler, stellte bereits in den fünfziger Jahren den berühmten Turing-Test vor. Dieser sollte bei der Einschätzung helfen, in welchem Maße Maschinen eine dem Menschen gleichwertige Intelligenz aufweisen können. Dabei führten die Versuchsteilnehmer Gespräche mit Computerprogrammen per Texteingabe. Diese Konversationen wurden von einem Beobachter verfolgt, der nicht wusste, bei welchem Teilnehmer es sich um den Computer und bei welchem es sich um den Menschen handelte. Wenn es der Computer schaffte, dieser Person vorzugaukeln, er sei der menschliche Gesprächspartner, hatte er den Turing-Test bestanden.

Der Versuch, die Herausforderung des Turing-Tests zu bestehen, zählte zu den ersten Chatbots. Der Name des Programms lautete Eliza. Die treibende Kraft dahinter war Joseph Weizenbaum, der Eliza 1966 am Massachusetts Institute of Technology (MIT) entwickelte. Eliza suchte in den Sätzen ihrer Gesprächspartner nach Schlüsselwörtern, ordnete sie nach Bedeutung und lieferte dann - auf Grundlage eines Skripts - eine entsprechende Antwort. Eines dieser Skripte war nach einer Methode aufgebaut, mit der der Psychologe Carl Rogers mit seinen Patienten kommunizierte. Eliza entlockte ihren Gesprächspartnern wie ein Psychoanalytiker Informationen und hielt die Konversation durch offene Fragen aufrecht. Bei den Bots von heute sieht es ganz anders aus: Inzwischen gibt es Big Data und eine fast durchgehende Vernetzung. Die Fähigkeit, die Bedürfnisse von Menschen zu verstehen und diese zu erfüllen, gilt als enorm hohes Gut.

KI-gestützte Assistenten für Broker

Die Finanzbranche sucht immerzu nach neuen, effektiven Kanälen, um Kunden zu gewinnen und zu binden. Chatbots, KI-unterstützte, intelligente Assistenten und besonders Chat-Apps sind begehrt.

2018 wertete Apptopia App-Sitzungsdaten aus aller Welt aus. Die Ergebnisse zeigten, dass die User über einen Zeitraum von drei Monaten mehr Zeit mit Whatsapp verbrachten als mit jeder anderen App - insgesamt 85 Milliarden Stunden. Rang zwei belegte Wechat, Platz drei Facebook, Position vier Facebook Messenger. Was früher E-Mail-Nachrichten waren, sind heute Chat-Apps. Mit ihnen können Unternehmen unkompliziert Kontakt mit neuen und bestehenden Kunden aufnehmen.

Bei Chatbots sieht es ähnlich aus: Mit ihnen können Kundenanfragen getrackt werden. So lassen sich Conversions steigern, Vertriebskonzepte personalisieren und die Stimmung am Markt vorhersagen. Über ein Admin Panel kann ein Chatbot beispielsweise sämtliche Nutzer oder bestimmte Nutzergruppen benachrichtigen, die am Handel mit alternativen Kryptowährungen zu bestimmten Bedingungen interessiert sind. Oder aber Informationen sammeln, um optimale Landingpages für Conversions zu entwickeln.

Im Grunde genommen ist die Zahl der Akteure, die im Finanzsektor von Chatbots profitieren könnten, riesig. Denn die intelligenten Assistenten sind in der Lage, die Arbeitsabläufe von Versicherungsmaklern, Forex-Brokern und Aktien-Brokern sinnvoll zu ergänzen. Versicherungsmakler beispielsweise berichten, dass es sich beim Großteil der Kundenanrufe entweder um einfache Änderungen der Versicherungspolice oder um simple Fragen handelt, für die nur die Basisdaten vom Anrufer benötigt werden. Meist geht es um Policennachträge wie die Löschung eines Fahrzeugs, die Ausstellung einer Versicherungsbestätigung oder Fragen zum aktuellen Versicherungsschutz. Chatbots können solche Anfragen schnell und effektiv beantworten - und den Maklern Zeit für komplexere und lukrativere Anfragen freischaufeln.

Je mehr Daten, umso leistungsfähiger

Je größer die Datenmengen sind, auf die ein Chatbot Zugriff hat, desto mehr kann er leisten. Bei einer oberflächlichen Integration kann er als erste Anlaufstelle im Kundensupport zum Einsatz kommen. Dann beantwortet er Routinefragen, mit denen sich normalerweise die menschlichen Teams herumschlagen müssen. Komplexere Anfragen landen hingegen bei Menschen. Das spart Kosten, verbessert den Service und setzt menschliche Ressourcen für wichtigere Probleme frei.

Erhält ein Chatbot Zugriff auf Kurs-Feeds, kann er die Kundschaft über die Kursentwicklung ihrer Assets auf dem Laufenden halten und bei plötzlichen Kursbewegungen in Echtzeit Alarm schlagen. Arbeitet der Broker mit Drittanbietern zusammen, können sich die Bots bei entsprechender Anpassung sogar mit Fremdsystemen austauschen. So lassen sich News und Analysen, die der Broker teuer bezahlt, direkt an die Kunden liefern - ohne dass die Trader etwas anderes als ihre bevorzugte Chat-App oder ihren Smart Speaker verwenden müssen.

Trading-Service für einen größeren Kundenkreis

Bei einer umfangreicheren Integration funktionieren auch komplexere Interaktionen. Durch die Verbindung zum Trading-Konto des Nutzers kann der Chatbot den Kunden über seine Kontosalden und andere Zahlen wie Profit& Loss oder die Trading-Historie informieren. Er kann sogar Warnungen aussprechen, wenn der Margin-Level bald hundert Prozent erreicht und Nachzahlungen auslöst oder ein Ereignis bevorsteht, das den Kunden beeinflussen könnte.

Ist der Chatbot vollständig integriert, kann er in die Rolle des Personal Brokers schlüpfen. Mit test- oder sprachbasierten Anweisungen öffnet oder schließt er Positionen für den Kunden und löst auch ein hartnäckiges Problem aller Online-Broker: Wie kann der Trading-Prozess für einen größeren Kundenstamm vereinfacht werden? Immerhin sollte jeder Zugang zu den Märkten haben - leider kann nicht jeder mit Charts umgehen. Ein gut programmierter Bot schließt diese Lücke und stellt einen umfassenden Trading-Service bereit. So müssen die Kunden nicht mehr auf ihre Trading-Plattform schauen, sondern können alles über ihre gewohnte Chat-App managen.

Das amerikanische Brokerunternehmen Charles Schwab beispielsweise machte vor kurzem eine interessante Ankündigung: Schwab-Trader können bald unkompliziert und gefahrlos auf bestimmte Kontodaten zugreifen, indem sie Google Assistant einen mündlichen Befehl erteilen. Zwar ist die Integration mit Google Assistant begrenzt und ermöglicht keine Brokertransaktionen. Doch allein die Tatsache, dass eines der größten Brokerhäuser der USA digitalen Assistenten positiv gegenübersteht, ist für Gesetzgeber und Technologieanbieter Anlass genug, diese Technologie weiterzuentwickeln.

Neue Möglichkeiten der Personalisierung

Die Intelligenz von Chatbots wächst mit der Menge der Daten, die sie zur Verfügung haben. Sie lernen aus ihren Interaktionen und ermöglichen es, Service stärker auf die Kundschaft zuzuschneiden als dies mit anderen Methoden möglich ist. Auch wenn die Marketingverantwortlichen ständig Lippenbekenntnisse zum Konzept der Personalisierung ablegen - in der Praxis ist alles, was individuell auf die Bedürfnisse des Kunden zugeschnitten werden soll, ein logistischer Alptraum. Chatbots hingegen bieten sämtliche Voraussetzungen für das, was heute als Heiliger Gral gilt: die Personalisierung im großen Stil.

Je mehr ein Chatbot lernt und wächst, umso stärker richtet er sich am Kunden aus. Ein Beispiel: Ein Trader fragt seinen Chatbot nach dem Kurs des Bitcoins gegenüber dem US-Dollar. Zehn Minuten später fragt er noch einmal und schließlich ein drittes Mal. Der Chatbot weiß nun, dass der Kunde am Bitcoin interessiert ist. Wenn er sich das nächste Mal nach dem Kurs erkundigt, stellt der Chatbot nicht nur alle benötigten Informationen bereit, er ruft auch die Informationen zu anderen Bitcoin-interessierten Nutzer ab. Er weiß somit, was am Markt geschieht, und kann anhand der Stimmung von Tradern auf der ganzen Welt Trends erkennen und voraussagen.

In der digitalen Welt greifen die Machine-Learning-Algorithmen auf Nutzungsdaten zurück, um neue Möglichkeiten der Personalisierung zu eröffnen - und das ohne zusätzliche Kosten. Online-Broker sind zwar traditionell eher sparsam mit ihren Daten und sehr konservativ, was den externen Zugang zu diesen Informationen angeht. Doch diese Einstellung ändert sich gerade: Die Branche beginnt, die Wettbewerbsvorteile von KI-Systemen zu erkennen. Insbesondere im Vertrieb und bei der Kundenbindung zahlt es sich aus, Zugang zu den normalerweise wohl gehüteten Daten zu gewähren.

Ein Beispiel: Ein ungedecktes, nicht verifiziertes Konto fragt den digitalen Assistenten eines Broker-Unternehmens mehrfach nach Kursnotierungen für Tesla. Nach einem Kursrückgang von fünfzehn Prozent meldet der Bot dem Kunden diese Entwicklung. Er verschafft ihm die Möglichkeit, sein Konto prüfen und decken zu lassen, bevor er die entsprechenden Aktien kaufen kann. Anders ausgedrückt: Der Aufwand, der mit der laufenden Kontobetreuung verbunden ist, wird vollständig automatisiert. Das spart menschliche Arbeitszeit.

Auch Trading-Signale und -Ideen lassen sich automatisch per Chat an den Kunden übermitteln: Sie informieren ihn über die Assets, die er in der Vergangenheit besonders interessant fand. Der Kunde kann dann Näheres über die zu verfolgende Strategie herausfinden oder direkt in der App mit dem betreffenden Wert handeln. Das erinnert an die guten alten Zeiten, als der Trader von einem persönlichen Broker begleitet wurde. Heute ist es der Bot, der den Kunden informiert und seine Aufträge durchführt.

Evgeny Sorokin, Head of R&D, Devexperts GmbH, München
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Evgeny Sorokin , Senior Vice President of Software Engineering , Devexperts, München
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