Versicherungen

Daten - die neuen Kronjuwelen der Assekuranz

Dorian Selz, CEO, Netkoon AG (Squirro), Zürich

Die Versicherungsbranche hat sich bislang nicht als Innovationsführer in Sachen Technologie hervorgetan. Nun aber bietet sich mit künstlicher Intelligenz die Chance, die Branche zu transformieren und damit neuen Wettbewerbern die Stirn zu bieten, meinen die Autoren. Denn in einer Zeit, in der Daten zur wertvollsten Ressource werden, bietet KI der Assekuranz die Möglichkeit, ihren enormen, aber bisher weitgehend unstrukturierten und ungenutzten Datenschatz zu nutzen, um den Kunden besser zu verstehen und so die Potenziale zum Cross- und Up-Selling zu erschließen. Red.

Nur rund ein Prozent der Daten großer Versicherungsunternehmen werden effizient verwertet. Künstliche Intelligenz kann ein Türöffner sein, um das Potenzial von Daten voll zu entfalten. Sie ist fähig, diese Daten effizient zu managen und aufschlussreiche Erkenntnisse über Kunden zu liefern.

Die Versicherungsbranche - wie viele andere Branchen der Finanzdienstleistungsindustrie - ist seit ungefähr zehn Jahren unter erheblichen Druck geraten. Die Fintech-Revolution hat dazu geführt, dass kleine und agile Startups in der Lage sind, Verbrauchern und Firmen eine Vielzahl neuartiger Services anzubieten. Diese Services sind nicht nur interaktiver konzipiert und auf den neuesten Technologien aufgebaut, sondern oft auch so flexibel, dass sie von größeren Versicherungsfirmen kaum angeboten werden können.

Daten - die wertvollste Ressource der Welt

Der stärkere Wettbewerb durch die neuen Marktteilnehmer stellt ein wachsendes Problem für etablierte Versicherer dar. Einer PwC-Umfrage von 2016 zufolge sehen 65 Prozent der Versicherungsvorstände in den neuen Wettbewerbern eine Bedrohung für das Wachstum ihres Unternehmens, während 69 Prozent Sorgen über die Geschwindigkeit des technologischen Wandels in der eigenen Branche geäußert haben.

Aber mit der noch nie da gewesenen Flut an Daten bietet sich Versicherern andererseits auch die Möglichkeit, den technologischen Wandel für sich zu nutzen. Da es aufgrund ihrer Größe schwieriger ist, technologische Innovationen selbst voranzutreiben, arbeiten Versicherer vermehrt mit Startups zusammen und sind somit gut aufgestellt, aus ihren verfügbaren Daten das meiste herauszuholen.

Auch für die Versicherungsbranche gilt, dass Daten zur wertvollsten Ressource werden. Die Versicherungsbranche hat schon immer über eine große Masse an Daten verfügt und da Verbraucher und Firmen ihre Versicherungen in zunehmendem Maße online verwalten, kann der Trend zu einem höheren Volumen und einer größeren Breite an Daten nur nach oben zeigen.

Die Branche tut sich schwer

Die Daten, die von Versicherungskunden vorliegen, sind voller wertvoller Informationen, die, wenn richtig angewendet, Versicherern erlauben würden, die Bedürfnisse ihrer Kunden zu verstehen und Probleme anzugehen, noch bevor sie entstehen. Aber die Versicherungsbranche hat sich schon immer schwergetan, ihre Ressourcen in gewinnbringendes Vermögen umzuwandeln. Die Gründe liegen unter anderem

- in regulatorischen Vorgaben,

- einem mangelnden technologischen Know-how oder

- in der Zurückhaltung, ein neues Geschäftsmodell anzunehmen, das dem wahren Wert von Daten gerecht wird.

Größtenteils unstrukturierte Daten

In dem Maße wie die Technologie sich entwickelt hat, um Versicherer bei der Datenanalyse zu unterstützen, ist auch der Wert der Daten exponentiell gestiegen. Einige Versicherer haben tatsächlich den Wert von strukturierten Daten zu schätzen gelernt - Daten, die in einem Format und Dateityp vorhanden sind, die einfach gespeichert, verwaltet und geöffnet werden können.

Aber in der Realität sieht es so aus, dass die aufschlussreichsten Daten, die Versicherern vorliegen, unstrukturiert sind, in Form von Posts in sozialen Medien, E-Mails, Webseiten und Callcenter-Transkripten. IBM schätzt, dass unstrukturierte Daten 85 Prozent aller Firmendaten ausmachen, was wiederum bedeutet, dass große Mengen an Kundeninformationen ungenutzt bleiben. Scheitern Versicherungsunternehmen also darin, ihre Kunden ausreichend kennenzulernen?

Unstrukturierte Daten sind für Versicherer eine wertvolle Ressource und potenziell sehr aussagekräftig, wobei die meisten CRM-Systeme nicht dazu ausgestattet sind, unstrukturierte Daten überhaupt zu speichern und zu verwalten. Die Daten liegen in einer so großen Vielfalt an Formaten vor und sogar der weltgrößte CRM-Anbieter Salesforce hat die Schätzung herausgegeben, dass lediglich ein Prozent der Firmendaten vom eigenen CRM-System ausgewertet werden.

Kein 360-Grad-Rundumblick auf den Kunden

Ein anderes Problem besteht darin, dass Versicherer ihre Kundendaten in einer Vielzahl von unterschiedlichen IT-Systemen abspeichern. Es ist für einen Versicherer nicht unüblich - sowohl bei Retail-, Firmen- als auch Rückversicherern - zusätzlich zu anderen Systemen für Kundendaten zwei unterschiedlich strukturierte Datenbanken zu betreiben (eine für die Preisfestsetzung und eine für Verträge).

Dies bedeutet wiederum, dass sogar das Abrufen von Kundendaten zur Herausforderung wird, bevor Versicherer daran denken können, umsetzbare Informationen daraus zu ziehen. Ohne einen 360-Grad-Rundumblick auf die eigenen Kunden und ohne die Fähigkeit, Daten in einem vertrackten System zu finden, besteht ein erheblicher Mangel an Kundenverständnis, was wiederum zur Kundenabwanderung führt und einen negativen Einfluss auf die Leadgenerierung und Prioritätensetzung von Leads haben kann.

Unstrukturierte Daten mit künstlicher Intelligenz nutzen

Versicherer, die den maximalen Nutzen aus ihren verfügbaren Daten ziehen wollen, sollten ihr Geschäft so entwickeln und gestalten, dass Daten im Fokus stehen. Dies ist keine nebensächliche Aufgabe, sondern unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen Potenzials der Daten ein wichtiger Schritt, der auf der Agenda jedes Geschäftsführers innerhalb des Versicherungswesens stehen sollte.

Um unstrukturierte Daten richtig zu nutzen ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz eine gute Ausgangsbasis. Einige Versicherer haben tatsächlich Fortschritte darin gemacht, künstliche Intelligenz und Maschinenlernen bei ihren strukturierten Daten einzusetzen. Wenn etablierte Versicherer diese Tools auf unstrukturierte Daten auszweiten, könnten diese die Bedrohung durch Versicherungs- Start-Ups abwehren und dabei auch die Branche transformieren.

Die Kunden besser verstehen

Ein fundamentaler Zweck von künstlicher Intelligenz ist es, Kunden umfänglicher zu verstehen und somit besseren Service leisten zu können. Künstliche Intelligenz kann nicht nur unstrukturierte Daten managen, sondern funktioniert auch in einem Umfeld mit mehreren Systemen, wo sie Daten ergreift, die in verschiedenen und verstreuten Unternehmenssystemen gespeichert sind. Dies bedeutet, dass Kundenanliegen im Voraus erkannt werden und Cross-Selling und Up-Selling einfacher bewerkstelligt werden können. Der Service wird verbessert, der Kundenverlust reduziert und die Kundenloyalität erhöht.

Effektiveres Underwriting: Underwriting ist ein kostenintensiver Prozess, der oft intime Fragen beinhaltet und als arbeitsintensiv und zeitaufwendig betrachtet wird. Künstliche Intelligenz kann den ganzen Prozess automatisieren, indem unstrukturierte Daten gescannt werden, um die erforderlichen Informationen zu sammeln und Muster und Trends zu identifizieren. Künstliche Intelligenz kann Informationen in Hinblick auf die Erkennung von Risikofaktoren viel effektiver und akkurater analysieren als Menschen und setzt somit den Underwriting-Prozess in Gang, während Versicherer zugleich über potenzielle Kunden mit erhöhten Risikowerten aufgeklärt werden.

Effizientere Versicherungsfälle: Die Weise, wie Versicherungsfälle verarbeitet werden, hat sich während der letzten Jahrzehnte kaum verändert und ist ein Bereich, der reif für neue Anpassungen ist. Die Bearbeitung eines Versicherungsfalls involviert mehrere Mitarbeiter des Versicherers. Die Automatisierung durch künstliche Intelligenz kann den Prozess beschleunigen und effizienter gestalten.

Wenn künstliche Intelligenz dazu eingesetzt wird, den gemeldeten Fall zu prüfen, neue Fälle aufzunehmen oder abzulehnen und mit dem Kunden zu interagieren, wird ein enormes Potenzial freigesetzt, das Kundenerlebnis zu verbessern. Dashboards eröffnen direkten Zugang zu den Informationen eines Versicherungsfalls, die in mehreren Datenquellen und Systemen abgelegt sind.

Seltene Chance zur Transformation

Dies ist nur die Spitze des Eisbergs der Möglichkeiten, die künstliche Intelligenz liefern kann, um dazu beizutragen, die Versicherungsbranche zu transformieren. Es ist eine Branche, die sich kaum als Innovationsführer für Technologien hervorgetan hat, aber nun die seltene Chance hat, die unstrukturierten Daten die sie besitzt, nutzbringend zu verwenden.

Dies führt dazu, dass Kunden künftig ein ganz neues Kundenerlebnis genießen können und die Versicherer ihre Marktposition festigen können. Scheitern die Versicherer jedoch darin, unstrukturierte Daten zu nutzen, werden ohnehin schon bedrohte Versicherer von agileren Versicherungs-Startups im Markt weiter unter Druck gesetzt werden.

Zu den Autoren
Dorian Selz, CEO, Netkoon AG (Squirro), Zürich
Konrad Niggli, Partner, Synpulse Schweiz AG, Zürich
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