KUNDENBEZIEHUNGEN

Digital und analog - die "digiloge" Filiale

Thomas Birnstein, Foto: privat

Die digiloge Filiale - das ist für die Autoren eine neue Banking-Philosophie, die das Beste aus digitaler und analoger Welt vereint. Die Infrastruktur ist dabei Mittel zum Zweck, um den Fallabschluss am PoS, geringe Fehlerquoten, geringe Wartezeiten für Kunden sowie Rechtskonformität zu erreichen. Digitale Kanäle dürfen nicht länger rein reaktiv verstanden werden, sondern zu aktiven Vertriebskanälen. Video-Banking ist deshalb ein Kern des Konzepts. So lassen sich Kosteneffizienz und die Technikbegeisterung der Kunden in Einklang bringen. Red.

Harter Wettbewerb, sich rasant ändernde gesetzliche Rahmenbedingungen, sinkende Kundenbindung und in sich zusammenfallende Gewinne: Die Wellen von Globalisierung, Digitalisierung, Niedrigzinsphase und Corona sind auch in den kleinsten regionalen Banken und Sparkassen zu spüren. In der Folge reichen einst zuverlässig gewinnbringende Zinsmargen oft kaum noch aus, um die Kosten zu decken.

Wer hier nicht bereit ist, neu zu denken und zu handeln, verliert den Anschluss. Für profitables Wirtschaften braucht es Provisionsgeschäfte - und Einsparungen. Beides wiederum lässt sich nur in Einklang bringen, wenn das für den Absatz von Finanzprodukten so unentbehrliche Verhältnis zwischen Kunde und Berater eine vertrauensvolle Basis bildet.

Hier vollzieht sich gerade ein Entwicklungssprung hin zum Digitalen, den Covid-19 noch einmal beschleunigt hat. Längst sind fast zwei Drittel aller Bank-Stammkunden sogenannte "hybride Omnikanalkunden", die situativ zwischen Filial- und Online-Nutzung wechseln. Hier setzt die "Digiloge Filiale" an mit ihrem ganzheitlichen Konzept, das den Kunden ein kanalunabhängiges, möglichst nahtloses Bankerlebnis bietet - und der Bank die Chance auf ein besseres Ergebnis. Unter den gegebenen Rahmenbedingungen muss zunächst einmal die Zielstellung der Bausteine Vertrieb und Leistungen ganz klar sein, um sowohl (speziell Provisions-)Erlöse als auch Effizienz zu steigern. Ist diese Vorarbeit getan, kann die Gestaltung der Maßnahmen beginnen. Da die genannten "hybriden Omnikanalkunden" situativ darüber entscheiden, über welchen Kanal sie mit ihrem Institut Kontakt aufnehmen, ist es dabei notwendig, Standard-Produkte und -Dienstleistungen auf allen Kanälen anzubieten: digital, also online, digital-persönlich, also im virtuellen Direktkontakt, zum Beispiel per Videocall, stationär-SB, also Automaten & Co., sowie stationär mit Mitarbeiterkontakt, also etwa in der Filiale oder auch direkt beim Kunden.

Digitale Kanäle nicht nur reaktiv verstehen

Wie sich der Kunde auch entscheidet: Auf jedem Kanal sollte ihn das gleiche Beratungserlebnis erwarten - und schlussendlich begeistern. Mindestens ebenso wichtig ist es dafür, dass die jeweilige Beratungs- oder Serviceleistung beim Kanalwechsel - zum Beispiel vom Telefon oder Chat auf ein Gespräch in der Filiale oder die Kommunikation per Video - nahtlos fortgeführt und bearbeitet wird.

Um die Vertriebsleistung tatsächlich auszubauen, gilt es speziell die digitalen und digital-persönlichen Kanäle nicht nur als reine Service- oder rein reaktive, sondern vielmehr als aktive Vertriebskanäle zu verstehen und vermehrt darauf zu setzen. Das wiederum ist nur möglich mit einer deutlichen Kunden- und Vertriebsorientierung, die bereits bei der Struktur ansetzt: mit flachen Hierarchien und klaren Parametern, die es auch ermöglichen, neue Geschäftsfelder zu erschließen.

Ein konkreter Ansatz etwa ist die Bündelung von Regionalmärkten und Digitalem Beratungscenter in eine Sparte "Service". In dieser wären beispielsweise Service- und Beratungskunden (auch D-/C-Kundensegment), Betreuungskunden sowie Geschäfts- und Gewerbekunden bestens aufgehoben. Wesentlich für den Erfolg dieses Ansatzes ist die Zuordnung des medialen Bankings - und zwar in Form eines Kundenservicecenters (KSC)/Digitalen Beratungscenters (DBC) - und des Electronic Bankings in diese Sparte, also die Gleich stellung mit der Filiale. Und schließlich sind auch die Produktangebote zu straffen und zu standardisieren, um den Vertrieb effizienter gestalten zu können.

Der Schlüssel: schlanke und nahtlose Prozesse

Um die Erträge spürbar steigern zu können, ist es insbesondere im Mengengeschäft in der Sparte "Service" ein wichtiges Hauptziel: die Effizienz. Dieses wiederum lässt sich in vier Teilziele aufgliedern: Fallabschluss am PoS, geringe Fehlerquoten, geringe Wartezeiten für Kunden (durch schnellere Bearbeitung und Abschluss) sowie Rechtskonformität. Alle vier Teilziele sind nur erreichbar, wenn die Prozesse auf das unter vertrieblichen Gesichtspunkten gestaltete Produkt- und Leistungsangebot auch im Servicebereich angepasst werden. Dafür sind Banken und Sparkassen gefordert, jeweils vielfältige Themenstellungen zu bearbeiten.

Für das erste Teilziel "Fallabschluss am PoS" kommen alle Kanäle in Betracht: stationär (Filiale und SB), digital-persönlich und digital. Kunden für Abschlüsse wirksam zu legitimieren und zu authentifizieren, die Vorgaben des Fernabsatzgesetzes einzuhalten und die entsprechenden Dokumentationen sicher zu übergeben - das ist eine der schwierigsten Herausforderungen, besonders auf den digital-persönlichen Kanälen wie KSC/DBC. Hier ist es erforderlich, die Prozesse entsprechend zu gestalten und funktionsfähige, für die Kunden akzeptable technische Lösungen zu implementieren, wie etwa die Legitimation per Spracherkennung. Ferner gilt es, eine hohe Arbeitsteiligkeit zu vermeiden. Voraussetzung sind auch hier Prozesse, die der Berater mit wenigen Klicks abschließen kann.

Wechsel im Kommunikationskanal - sogenannte Medienbrüche, etwa von Chat auf Videoberatung - führen oft zu längeren Laufzeiten, auch in eigentlich unkomplizierten, schnellen Prozessen. Erst recht dann, wenn die Betreuung besonders arbeitsteilig und/oder dezentral organisiert ist. Fehlen dann noch die elektronischen Schnittstellen für eine Automatisierung etwa von Datenübertragungen, kann der Kunde lange warten.

Solch unnötig ausgedehnte Durchlaufzeiten und Engpässe gilt es zu identifizieren - im Rahmen einer ausführlichen Prozessanalyse, etwa mit Werkzeugen wie der Tablet-basierten P3N-App Process & Time. Grundsätzlich sind bereits in der Prozessgestaltung Medienbrüche unbedingt zu vermeiden. Die Schnittstellenproblematik lässt sich über Prozessautomation auf Basis von Standard-APIs im Kernbankensystem lösen. Ist deren Nutzung nicht möglich oder zu teuer, bietet sich als Alternative Robotic Process Automation an: Ein Software-Roboter überträgt die Daten über den Medienbruch hinweg, und zwar rund um die Uhr. Diese Lösung lohnt sich primär für das Mengengeschäft, da sich die Skaleneffekte erst ab einer gewissen Transaktionshäufigkeit heben lassen. So ist nahezu eine Echtzeitverarbeitung möglich; Fehlerquote und Wartezeit der Kunden werden auf ein Minimum reduziert. Das wiederum optimiert das Kundenerlebnis - und sorgt schließlich für mehr und effizientere Abschlüsse.

Rechtskonforme Spielräume ausschöpfen

Die vielleicht größte Herausforderung besteht darin, Risiken mit "Mut zur Lücke" zu bewerten - und gegen die jeweiligen Vorteile abzuwägen. Selbstverständlich sind die Vorgaben des Gesetzgebers einzuhalten. Dennoch lohnt es sich, sie sinnvoll auszulegen und dafür rechtskonforme Spielräume durch eine möglichst intelligente Prozessgestaltung maximal auszuschöpfen.

Gerade die Unterlagen, die dem Kunden gemäß Fernabsatzgesetz nachweisbar bereitzustellen sind, stellen hier eine besondere Herausforderung beim Absatz über mediale Kanäle wie KSC/ DBC dar. Eine mögliche Lösung besteht darin, einen geschützten Datenraum bereitzustellen, der per versendeten QR-Code zugänglich ist; eine andere Möglichkeit kann die verpflichtende Nutzung elektronischer Postfächer sein.

Es zeigt sich, dass aus dem Angebot abgeleitete Prozesse der Schlüssel zu einer schlanken und kostengünstigen Verarbeitung der Produkte und Leistungen in der Sparte "Service" sind. Im Idealfall entsteht so ein neues, den Kunden begeisterndes Banking-Erlebnis.

Infrastruktur folgt der Funktion

Sind Produkte und Leistungen erarbeitet sowie die erforderlichen Prozesse ausgestaltet, leitet sich daraus - und nur daraus - der Bedarf hinsichtlich der künftigen Infrastruktur ab. Dies ist auch der Kern der Philosophie der digilogen Filiale. Sie ist kein weiteres Raumkonzept unter vielen, sondern versteht sich als umfassende Banking-Philosophie: Der Kunde wird in den Mittelpunkt gestellt, in seinem Sinne und zu seinem Vorteil das Beste aus analoger und digitaler Welt vereint. Die Infrastruktur ist dabei Mittel zum Zweck und umfasst in diesem Zusammenhang vor allem diese Aspekte:

- die Hard- und Software-Ausstattung der Bank-Arbeitsplätze in den Kanälen "stationär" und "digital-persönlich"; hierzu gehören etwa auch Chat-Suite-Lösungen,

- die erforderlichen Immobilien und Raumbedarfe inklusive des effizienten Betriebs der Immobilie,

- die Möblierung der Arbeitsplätze sowie passende Raumkonzepte,

- die Ausstattung mit SB-Technik und deren Betrieb,

- die Integration von Videoservicelösungen,

- Automatisierungswerkzeuge wie zum Beispiel RPA-Lösungen oder Chatbots,

- eine dem Leistungs- und Sicherheitsbedarf entsprechende Datenanbindung sowie

- eine adäquate Personalplanung.

Technikbegeisterung und Kosteneffizienz im Einklang

Bei der Konzeption der passenden Infrastruktur stehen sich einerseits die Kosteneffizienz und andererseits die Begeisterung der Kunden für und an neuen Technologien durchaus kontrovers gegenüber. Auf der Ausgabenseite geht es besonders um den kostengünstigen stationären Betrieb. Hier lässt sich durch innovative Betriebsmodelle für die Bargeldversorgung der Bedarf an Sicherheits- und Tresortechnik reduzieren oder ganz vermeiden. Neben der direkten Ersparnis braucht die Filiale so weniger Platz. Das wiederum macht die Institute flexibler bei der Standortwahl und senkt bestenfalls die Immobilienkosten.

Konzeptkern der Digilogen Filiale ist natürlich der Aufbau einer modernen, innovativen Infrastruktur für das mediale Banking und das Online-Banking. Der Einsatz von Videoservice-Lösungen bringt dabei gleich mehrere Vorteile: Der Service kann personalschonend erbracht werden - zu gleichzeitig deutlich ausgedehnten Zeiten, was vielen Kunden entgegenkommt. Und für Einschränkungen im Rahmen einer Pandemie, wie gerade und sicher nicht zum letzten Mal erlebt, ist man mit einer solchen Lösung bestens vorbereitet.

Die Aufschaltung von Mehrwertdiensten bietet zusätzlich die Chance, die Filiale in einen Anker in der Region und für die Kunden zu verwandeln - und das ohne personalintensive Infrastruktur vorhalten zu müssen. Als Mehrwertdienste bieten sich zum Beispiel die An- beziehungsweise Einbindung von regionalen Energieversorgern, kommunalen Services, von Krankenkassen und Kiosklösungen (zum Beispiel für Ticketverkäufe) an. So lassen sich zum Vorteil aller Beteiligten auch Kunden der Wettbewerber in die virtuellen und realen Standorte locken.

Um das vorhandene Potenzial auszuschöpfen, müssen interne Strukturen neu organisiert, Produkte und Leistungen komplett überarbeitet sowie die dazugehörigen Prozesse neu aufgesetzt und verschlankt werden. Die Filiale selbst und ihre digitalen Pendants gilt es dabei neu zu erfinden, mit moderner Technologie und Mehrwertdiensten. Die Anforderungen an die Mitarbeiter werden sich auf dem Weg zur digilogen Filiale deutlich wandeln. So wird der Bedarf an Mitarbeitern in der klassischen Face-to-Face-Beratung sinken, gleichzeitig der im digital-persönlichen Banking und ganz speziell im aktiven Produktverkauf steigen. Ein Weg, der sich lohnt - für die Banken und Sparkassen, erst recht für die Kunden.

Thomas Birnstein, Mitglied des Vorstands, P3N AG, Werdau
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Carmen Ziehe, Geschäftsführerin, BankenImpuls Consulting GmbH, Sternwede
Thomas Birnstein , Mitglied des Vorstands , P3N AG, Werdau
Carmen Ziehe , Geschäftsführerin , BankenImpuls Consulting GmbH, Sternwede

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